Ein Tag in Rom

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anbas

Mitglied
Ein Tag in Rom

Diesmal, sagt er, würde er direkt aus Rom kommen. Noch nie zuvor wäre er dort gewesen. Noch nie zuvor hätte er eine so lange Tour gehabt: Hamburg - Frankfurt - München - Rom, und jetzt über einige kleinere Städte und Ortschaften wieder zurück nach Hamburg.

Doch das ist nun alles egal. Was hat es denn noch für einen Sinn, dass er von dieser Stadt erzählt, über die er zuvor so viel gehört hatte.

Er wäre froh gewesen, berichtet er, dass er überhaupt die Zeit gehabt hätte, sich die Stadt näher anzusehen. Eigentlich sollte er gleich mit neuer Ladung weiterfahren. Doch aufgrund eines kleinen Unfalls hätte der LKW repariert werden müssen. Die Reparatur war komplizierter gewesen, als man zunächst angenommen hatte. Einen ganzen Tag lang waren die Monteure damit beschäftigt gewesen. So hatte er die Zeit gehabt, für ein paar Stunden durch Rom zu streifen.

Aber was nützt ihm heute noch dieser eine gewonnene Tag?

Das Forum Romanum, sagt er mit ausdruckslosem Gesicht, und der Petersdom - nein, im Grunde die ganze Stadt hätte ihn fasziniert. Er habe sich ganz dem Rausch der Eindrücke hingegeben und alles andere vergessen. Erst am Abend seien ihm die Konsequenzen dieses Tages in Rom bewusst geworden. Gleich, nachdem er den Anruf von zu Hause erhalten hatte. Jetzt war es ein verlorener Tag für ihn.

Er deutet schwach auf den Stapel mit den Ansichtskarten hin, die er zu Hause zeigen wollte. Alles Karten aus Rom.

Während er so durch Rom lief, sagt er müde, hätte er immer die großen, staunenden Augen seiner kleinen Tochter vor sich gesehen, wie sie aufmerksam seinen Worten lauschend neben ihrer Mutter auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzen würde.

Seine Hände halten zitternd den Becher mit dem heißen Kaffee, während er tonlos weiterspricht.

Noch auf dem Weg zur Werkstatt, kurz vor dem Anruf, sagt er, hätte er sich so darauf gefreut, allen zu Hause von dieser Stadt zu erzählen. Nicht um zu prahlen, sondern um seine Freude, sein Glück, seine Begeisterung darüber, endlich in Rom gewesen zu sein, mit den anderen teilen zu können.

Von dieser Begeisterung ist nichts mehr zu sehen. Während sein Mund spricht, scheinen seine Augen gestorben zu sein. Nein, was genau geschehen ist, will er nicht erzählen, sagt er, und starrt ins Leere.

Irgendwo zwischen Rom und Hamburg sitzen wir in dem Gasthof eines kleinen Dorfes und lauschen den Worten des Fernfahrers, mit denen er uns von seinem Tag in Rom berichtet.
 
Hallo anbas!

An sich mag ich Geschichten mit offenen Ausgang nicht so sehr,
aber diese hier ist gut erzählt.
Ich kann sie nur so verstehen, dass die Mutter oder die Tochter durch einen Unfall ums Leben gekommen ist.
Der Schluss-Satz ist etwas irritierend und sollte weggelassen werden.
LG Eberhard
 

anbas

Mitglied
Hallo Eberhard,

ich danke dir für die Rückmeldung und freue mich, dass ich Dich für eine offene Geschichte gewinnen konnte. Deine Interpretation liegt nahe. Ich will sie nicht weiter kommentieren, um der Geschichte ihre Offenheit zu belassen ;).

Was den letzten Satz betrifft, so verstehe ich nicht, was an ihm irritiernd ist.

Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo anbas!

Irritierend war wohl das falsche Wort. Ohne den Schlusssatz würde man aber die Katastrophe noch stärker herausspüren. So wirkt die Geschichte ein bisschen "zu rund".
Aber das ist wohl Geschmackssache.
LG Eberhard
 
E

equinox

Gast
Hallo anbas,
sehr ergreifende Geschichte. Klingt nach Wirklichkeit.

Ich würde auch sagen - wenn ich darf - das es ohne die letzten Zeilen daramtischer wirkt.


Gern gelesen
und liebe Grüße
equinox
 

anbas

Mitglied
Hallo Eberhard, hallo equinox,

vielen Dank für die positiven Rückmeldungen. - Der letzte Satz ... Mir ist er irgendwie ans Herz gewachsen ;), aber ich werde über Eure Anregung, ihn zu streichen, nachdenken (kann aber dauern :D).

Liebe Grüße

Andreas
 
E

eisblume

Gast
Hallo Andreas,

ich meine, dass dein Schlusssatz eher an den Anfang gehört, um deiner Geschichte die nötige Orientierung zu geben.
Als Leser erfahre ich erst am Ende, dass es innerhalb der Geschichte ein „wir“ gibt, und weiß nicht, wo die Geschichte örtlich anzusiedeln ist. Damit meine ich jetzt nicht zwingend einen geographischen Ort, sondern auch ein Café, Strand, Autobahnraststätte – was auch immer.

Erst am Abend seien ihm die Konsequenzen dieses Tages in Rom bewusst geworden. Gleich, nachdem er den Anruf von zu Hause erhalten hatte. Jetzt war es ein verlorener Tag für ihn.
Verstehe ich es hier richtig, dass er das, was zu Hause passiert ist, hätte verhindern können, wenn er früher daheim gewesen wäre? Wobei er ja nicht freiwillig/absichtlich länger in Rom geblieben ist, insofern meine ich, dass „Konsequenzen“ nicht richtig gewählt ist (oder ich verstehe es grad falsch).

Ich mag Geschichten mit offenem Ende, aber so ganz rund läuft diese hier (für mich) noch nicht.

Lieben Gruß
eisblume
 

anbas

Mitglied
Hallo Eisblume,

der letzte Satz hat es ja wirklich in sich :D. Am Anfang würde dieser Satz tatsächlich auch passen - hier möchte ich ihn aber gerne am Ende haben. Wenn ich Geschichten schreibe, läuft oft ein innerer Film in mir ab (inkl. Schwenks, Zeitlupe usw. ;)). Hier hatte ich beim Schreiben immer die Nahaufnahme des Mannes vor meinem inneren Auge und Rückblenden. Erst ganz zum Schluss geht die Perspektive in die Totale. Mag sein, dass ich, um das noch deutlicher zu machen, den Mann noch mehr beschreiben muss. Mal sehen, ich spüre jetzt, da ich dies schreibe, einen gewissen Reiz.

Ob er etwas hätte verhindern können, weiß ich nicht. Ich bin als Schreiber genauso ahnungslos wie der Leser. Die ganze Szene ist einfach so in mir entstanden. Eberhards Gedanken kommen meinen allerdings sehr nahe. Doch möglicherweise geht es nicht ums Verhindern sondern "nur" ums Verabschieden. Einen Tag früher, und er hätte vielleicht noch mit der sterbenskranken Frau/Tochter reden können wasweißich ... Dieser Text ist schon etwas älter. Doch als ich ihn jetzt wieder hervorgeholt habe, war es für mich noch reizvoller als beim Schreiben, dass Ganze so offen wie möglich zu lassen. Tut mir leid, dass ich nicht konkreter antworten kann, aber mein Kopfkino bietet mir immer noch keine endgültige Auflösung an ;).

Auf jeden Fall danke ich Dir für Deine Rückmeldung und Dein Interesse.

Liebe Grüße

Andreas
 
E

eisblume

Gast
Schönen guten Morgen Andreas,

ich würde gern kurz auf diesen Satz eingehen:

Ich bin als Schreiber genauso ahnungslos wie der Leser.
Das halte ich, mit Verlaub, für äußerst bedenklich. Wenn es in dem Fall als eine Art Experiment zu verstehen ist, mal sehen, was dabei rauskommt, will ich nichts gesagt haben. Wenn es aber deiner Art entspricht, grundsätzlich so zu schreiben, würde ich mich als Leser nicht weiter mit deinen Texten beschäftigen wollen. Ich denke, ein Autor sollte genau wissen, wo er mit seinem Text hin will, was er damit aussagen und was er beim Leser damit auslösen will. Er sollte seine Protas in- und auswendig kennen, wissen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren und handeln würden.
Ob er es dann so umsetzen kann, ist wieder eine andere Frage. Jedenfalls meine ich, dass das Schreiben eben immer einer bestimmten Motivation folgen sollte.
Ein offenes Ende finde ich gut, wenn sich dabei verschiedene Interpretationen des Gesamten ergeben, finde ich das interessant und spannend. Aber die sollten sich - meiner Meinung nach - dann auch schlüssig aus dem Text ergeben und sich am Ende nicht als Zufallsprodukt herausbilden.

Wie gesagt, ist jetzt nur meine Meinung dazu und ich hoffe, du nimmst mir die nicht übel.

Das mit dem inneren Film kann ich sehr gut nachvollziehen, das geht mir genauso, auch wenn meine Leser oftmals dann nicht den Film sehen, den ich ihnen gerne zeigen wollte :)

Lieben Gruß
eisblume
 

anbas

Mitglied
Hallo Eisblume,

ich bin Dir noch eine Antwort schuldig. Nun, da mein PC vom "PC-Doktor" zurück ist und ich nicht mehr auf mein kleines Netbook angewiesen bin, will ich das endlich auch tun:
Wie gesagt, ist jetzt nur meine Meinung dazu und ich hoffe, du nimmst mir die nicht übel.
Eine fair vorgetragene Meinung nehme ich nie übel ;)!

Es war sicherlich kein Experiment, dieser Text, sondern das Ergebnis einer meiner Arten zu schreiben. Diese sind unterschiedlich. Mal finde ich ein Thema (oder, wie bei Ausschreibungen, wird mir eines gegeben), dann sehe ich etwas, das meine Phantasie in Bewegung setzt, oder eine Grundidee kommt von wo auch immer her. Es kommt durchaus vor, dass ich mit dem Schreiben anfange, ohne zu wissen, wo ich landen werde. Das Thema, die gesamte Idee, entsteht dann während des Schreibens. Manchmal wiederum kenne ich das Ende, weiß, wohin ich will und muss mir zunächst den Einstieg suchen. So entstehen zum Teil auch die Charaktäre. Beim Überarbeiten merke ich dann, wo etwas stimmig ist und wo nicht.

Bei diesem Text hier merkte ich natürlich, dass vieles - und zwar mehr als sonst - offen geblieben ist. Doch ich merkte auch, dass jede weitere Idee, jede Erklärung, jede weiter Hintergrundinfo, den Text zerstören würde - zumindest für mein Empfinden. Darum habe ich den Satz
Nein, was genau geschehen ist, will er nicht erzählen, sagt er, und starrt ins Leere.
jetzt, fast 15 Jahre nachdem ich die Geschichte geschrieben und vor etwa einem Jahr wieder hervorgekramt habe, eingefügt. Nein, ich wollte nichts weiteres mehr erklären (bzw. mir eine Erklärung überlegen) und ließ dies quasi durch den Prot ausrichten.

Ich denke, ein Autor sollte genau wissen, wo er mit seinem Text hin will, was er damit aussagen und was er beim Leser damit auslösen will. Er sollte seine Protas in- und auswendig kennen, wissen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren und handeln würden.
Wie Du Dir nun denken kannst, sehe ich das nicht ganz so eng. Es gibt verschiedene Wege nach Rom :D oder zum Text. Aus meiner Sicht ist das Ergebnis wichtig. Ist die Handlung schlüssig (wobei ich auch schon Texte geschrieben habe, die nicht schlüssig waren, da andere Dinge, z.B. die Stimmung, im Vordergund stand)? Entsteht eine gewisse Athmosphäre, Bilder, Gefühle? Ist die Geschichte unterhaltsam? Wie gesagt, das Resultat ist für mich entscheidend - ohne irgendwelche Dogmen, wie ich dahin zu kommen habe.
Wenn es aber deiner Art entspricht, grundsätzlich so zu schreiben, würde ich mich als Leser nicht weiter mit deinen Texten beschäftigen wollen.
Wenn das, was ich gerade versucht habe, zu erklären, dazu führt, dass Du meine Texte nicht mehr lesen magst, bedauere ich das, kann es aber nicht ändern.
Mir kommt gerade der Gedanke, dass es beim Schreiben möglicherweise so wie in der Malerei oder der Musik ist. Neben bildlicher und abstrakter Malerei gibt es noch viele weitere Facetten. Und in der Musik gibt es auch noch den Bereich der Improvisation. Alles hat seine Berechtigung, seinen eigenen Wert und eben seine Liebhaber, Fans und auch Gegner. Ich persönlich möchte mich für keinen Bereich festlegen, so, wie ich übrigens mit gleicher Begeisterung sowohl ernsthafte als auch humorvolle Texte schreibe.

So, dieser Text ist nun deutlich länger geworden, als ich es anfangs geplant habe :D.

Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo Andreas,
mich hat deine Geschichte sehr ergriffen.
Leid und Freud liegen oft dicht beieinander. Hier die Freude, endlich mal Rom sehen zu können , weil er auf die Reparatur seines Lasters warten musste, und da die schlimme Nachricht am Telefon.
Wie oft wird er sich sagen. Hätte der Laster doch keinen Defekt gehabt, dann wäre ich einen Tag eher nach Hause gekommen und hätte sie/ ihn vielleicht noch lebend gesehen.
Das „hätte und wäre“ macht einen in solchen Situationen ganz verrückt.

Wie gesagt, das alles hat mich sehr bewegt.

Es grüßt Marie-Luise
 

anbas

Mitglied
Liebe Marie-Luise,

vielen Dank für Deine Antwort. Freud und Leid können wirklich eng beisammen liegen und erzeugen diese oft belastenden "wenn-dann-Gedanken". Ich freue mich, dass der Text Dich erreicht hat.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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