Ein- und Rückblicke I

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look closer

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kurze anmerkung

Hallo Maren,
deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Vor allem ist die doppelte Rückblende sehr gut eingebracht worden und so sieht man als Leser ganz unbedarft zurück. Der letzte Satz rundet die Geschichte gut ab und macht das an sich triviale Geschehen sehr eindrucksvoll.
Lieben Gruß,
Andy
 
K

KaGeb

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Und immer weiter so, Maren, gefällt mir ausgezeichnet. Freue mich auf nachfolgende Einträge.

LG, Karsten
 

MarenS

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Der graue Faltenrock

Gerade habe ich Ivors neues Gedicht gelesen, denke über seinen eigenen Kommentar nach, der inhaltlich aussagt, das Frauen für einen Jungen etwas besonderes sind, in diesem Fall der Rock der Großmutter.
Da höre ich schon leises Murren aus der Frauenecke: "Frauen tragen doch keine Röcke mehr."
Ivors Zeilen lassen mich nachdenken. Doch, ich trage Röcke und auch Kleider und das sehr gern. Sie sind nicht, wie man ihnen nachsagt, unbequem sondern das Gegenteil. Luftig schwingend, locker, einfach herrlich! Da ist zum Beispiel dieser schwarze Faltenrock, kurz, nicht gerade superkurz aber kurz, dazu schwarze Strumpfhosen und schwarze Schuhe und ein farbiges Top je nach Jahreszeit mit Trägern oder langem Arm. Oder ein schwarzes Oberteil und knalligfarbene Strumpfhosen. Je nach Überlaunenmut. Faltenröcke wippen so schön.

Er war der erste: Grauer Flanell, vorne und hinten jeweils rechts und links zwei Falten. Ein wenig zu schlicht, wie sie fand aber was macht man, wenn man nicht genug Kohle hat? Man freut sich auch über einen schlichten Faltenrock, wenn er geschenkt wird. Wichtig waren die Falten und dass er kurz war, mini eben. Sie ging nach der Schule noch schnell zum Kaufhof, 30 Minuten Zeit bis der Bus fuhr. Kurzwarenabteilung, sie suchte Knöpfe. Knöpfe waren in. Viele kleine Knöpfe in Reihe gesetzt, an Ärmelnaufschlägen, Bündchen, Hosenbeinen mit weitem Schlag.
Warum also nicht auch auf Faltenröcken?
Grau. Sie suchte und fand sofort niedliche, kleine, graue Knöpfe. Vier sollten bei jeder gesteppten Falte sitzen. Vier mal vier gleich sechzehn. Sechzehn mal...Was kostete ein Knopf? Himmel! Sie riss kurz die Augen auf und sich dann zusammen. "Betty, soviel Geld hast du nicht!" mahnte die innere Stimme.
Das junge Mädchen rechnete schnell nach. Achtzig Pfennig für einen kleinen, grauen Plastikknopf machte mal sechzehn immerhin zwölf Mark und achtzig Pfennige! Ihr Budget reichte genau für die Hälfte. Aber zwei Knöpfe für jede Falte? Sinnlos.
"Betty?" wisperte es aus einer entlegenen Ecke ihres Ichs. "Hm?"
"Betty, nimm de Knöpfe einfach, ein paar kleine, graue Knöpfe mehr oder weniger fällt hier gar nicht auf!"
"Spinnst du? Das ist Diebstahl!"
"Naja aber nicht dolle. Sieh mal du brauchst doch nur sechzehn kleine, graue Köpfchen."
"Wenn das jemand sieht!"
"Es sieht niemand. Nimm sie, tu so als wenn du sie anschauen wolltest und stecke sie ein!"
"Du bist völlig meschugge! Sechzehn Knöpfe einfach so einstecken. Ich habe doch Geld bei mir!"
"Ja aber nicht genug."
"Nein, nicht genug und der Bus fährt auch bald."
Betty schaute sehnsüchtig auf die Knöpfe. In ihrem Kopf saßen sie schon mustergültig in Reih und Glied neben den Steppnähten. Sie ließ die grauen Knöpfchen durch ihre Hand gleiten, griff nochmals zu und zählte dann acht Knöpfe in ihre linke Hand, nahm eine der Plastikschalen, die zur Warenaufnahme dienten, schaute dabei belanglos in der Etage herum, ging zu den grauen Knöpfen zurück, stellte nun die Schale ab und zählte gewissenhaft acht Knöpfe in die Schale. Nun fuhr ihre linke Hand wie selbstverständlich in die Manteltasche und kam mit der Geldbörse wieder zum Vorschein. Betty ging zur Kasse, stellte die Schale ab, zahlte, nahm das Tütchen mit den acht Knöpfen entgegen und verließ das Kaufhaus wie auf glühenden Sohlen.
Zum Bus! Sie erreichte ihn rechtzeitig und setzte sich aufatmend hin. Erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie bobachtete, griff sie in die linke Manteltasche, angelte die acht Knöpfchen heraus und gab sie zu den anderen ins Tütchen.
Daheim erzählte sie nur, sie habe sich Knöpfchen gekauft und wolle sie an den Rock nähen. Ihre Mutter hatte viel zu tun, fragte nicht lang, das Mädchen hatte ja Taschengeld, kein Problem.
Betty nähte die Knöpfe besonders sorgsam an, sie hatten vier Löcher, erst von rechts oben nach links unten, dann von links oben nach rechts unten. Das sah sehr hübsch aus und sie war sehr zufrieden. Nur. Ja, nur. Sie waren gestohlen, zumindestens die hälfte davon. Betty hatte durchaus Freude an ihrem Rock, ohja aber sie konnte niemals in diesem hübsch wippenden, gut polangen Kleidungsstück in den Kaufhof gehen ohne nicht das Gefühl zu haben, jeder schaue auf den Rock und die Knöpfchen blinkten: Geklaut, geklaut!

Ich werde heute den Faltenrock anziehen, den schwarzen. Er ist vorn geknöpft, mit großen schwarzen Knöpfen. Sie sind bezahlt.

12. Oktober 2009
MarenS
 

MarenS

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Ein- und Rückblicke!

Das Bildfenster

Der Einkauf war erledigt, alle Punkte auf ihrem Merkzettel abgearbeitet. Nun blieb noch etwas Zeit, um zu schauen. Sie genoss es jedes Mal, in diesem schwedischen Möbelhaus die Zeit zu vergessen, in hübschen Nichtigkeiten zu schwelgen, sich vorzustellen, dies und jenes und das auch noch mitzunehmen, um dann, verständig wie sie war, nur einen einzelnen, preislich vertretbaren Gegenstand wie eine Eroberung mit nach Hause zu nehmen.
So schlenderte sie zu den großen Postern, blätterte sie durch, nichts, nichts, naja. Nichts wirklich Ansprechendes. Sie wandte sich nach links, der nächsten Abteilung zu, und gewahrte im Augenwinkel ein Mädchenbildnis. Etwas daran zwang sie, sich herumzudrehen und genauer hinzusehen. Das war ihr Bild! Nein, ihr Abbild!

Eine lange Wanderung, ihre kleinen Füße sind müde, und es ist noch so schrecklich weit bis daheim. Mama sagt, es sei ganz nah, aber was wissen Erwachsene schon von Entfernungen, wenn Kinderfüße müde sind. Sie will nicht mehr laufen. Der Papa will sie nicht tragen, er sagt, sie sei zu groß dazu. Wahrscheinlich hat er Recht aber sie bockt trotzdem. Da fällt ihr Blick auf die Wiese, die längs des Weges verläuft. Blumen! Sie liebt Blumen und sie liebt es besonders Blumen zu Sträußen zu pflücken. Zu dicken, bunten Wiesenblumensträußen.
Alle Müdigkeit ist vergessen. Blühender Sauerampfer, Margeriten, Schafgarbe, Zittergräser, Hafergras und natürlich blaue Glockenblumen werden flink gepflückt, bis die kleine Hand den Strauß kaum mehr fassen kann. Sie läuft stolz zu den Eltern, bleibt stehen, schaut froh. Klick! macht der quadratische Fotokasten, und sie freut sich sehr. Fotos werden nur selten gemacht, denn Fotos sind teuer.
Der Strauß wandert daheim in eine Vase, die Füße dürfen ausruhen, die Kleine schläft.
Das Foto! Sie hat es ganz vergessen, bis Papa etliche Tage später fröhlich ein Päckchen Fotos auf den Tisch legt. Da steht sie, blonde zersauste Locken zu einem Pferdeschwanz nur notdürftig gebändigt, große helle Augen umrahmt von langen Wimpern bestimmen das Gesicht, eine Stupsnase und ein kleiner Mund. Eine Strickjacke von Mama kunstvoll genadelt, darunter ein Strickkleid aus der gleichen Fertigung. In der rechten Hand ein großer Wiesenblumenstrauß überragt von blühendem Sauerampfer.
Schwarzweiß mit Zackenrand.

Das Poster ist farbig. Ein Gemäldedruck. CL, so liest sie am unteren rechten Bildrand, und Wärme strahlt in ihr empor für diesen Maler, von dem sie noch nie etwas hörte oder sah. Ein kleines Mädchen steht vor einem reifenden Kornfeld, das blonde Haar gescheitelt und hinten am Kopf zusammengebunden. Sie trägt einen Strohhut.
Darunter große, ausdrucksvolle, das Gesichtchen beherrschende Augen, eine Stupsnase und ein kleiner hübsch geschwungener Mund. Über der weißen Bluse ein dunkelgrünes Trägerkleid, ein Gürtel in Bändchenweberei. Auch ihre Mutter hatte wohl geschickte Hände. Und dann die Blumen!
Ihre rechte kleine Hand umklammert einen großen Wiesenblumenstrauß. Margeriten, Schafgarbe und blaue Glockenblumen, gelbe und orangerote Blüten ergänzen die Pracht. Über alles hinaus ragt blühender Sauerampfer.

Das Poster hängt seit 20 Jahren über ihrem Bett.

05. Mai 2009
MarenS
 



 
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