Aus den Augen, aus dem Sinn...
Ein Spruch, so alt wie die Liebe. Es war schon immer so, wird auch ewig so bleiben und ist letztlich gut so.
Bei Stefan war ich vielleicht schon etwas zu weit gegangen, hatte ihm zuviel Raum gelassen, um mir näher zu kommen – geistig, nicht körperlich. Doch was sind 500 km Entfernung, geografische Entfernung, und noch dazu das Wissen, dass wir beide seit langer Zeit vergeben waren? Welten sind es, unüberbrückbar! Zweifellos, es tat ein bisschen weh, als wir uns mit der Zeit vergaßen; Dass das Bild, was man von dem anderen im Gedächtnis behalten wollte, verblasste. Dass die Worte, gesprochen im Moment der unmittelbaren Gegenwart, bald an Bedeutung verloren, nicht mehr mit der selben Aufrichtigkeit in Erinnerung blieben.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich wusste schon damals: Stefan würde mir nicht mehr jeden zweiten Tag schreiben, wie er es zu Beginn getan hatte. Seine Anrufe würden seltener werden, er würde mich auch nicht besuchen kommen. Das Wissen darüber machte mich ruhig. Es war vorraussehbar. Und Ralph würde mich behalten. Das ist es, was mich beinahe erleichtert aufatmen ließ. Ich musste Ralph nicht enttäuschen. Ralph, mit dem ich schon fast 7 Jahre zusammen war.
Die Hochzeit. Günther, ein ehemaliger Schulfreund Ralphs, und seine Anna heirateten im August. Ein schöner Tag für das Paar. Die Sonne schien. Ralph und ich waren eingeladen. Stefan, Annas Bruder, und seine Freundin waren eingeladen. Es genügte ein Blick zwischen Stefan und mir. Und es wurde im Laufe des Abends einleuchtender für uns beide, dass wir uns wiedersehen wollten. Wir tanzten zwei, dreimal zusammen. Er zeigte mir den Quickstep, und wir vergaßen für Momente die Offensichtlichkeit unseres Verhaltens. Wir waren die einzigen Studenten der Gesellschaft und hatten Gesprächsstoff. Stefan war charmant. Er hatte Humor, und er verhehlte keine Bewunderung, die offenbar existierte. Wir lachten ab und an zusammen und bemerkten die starke Sympathie füreinander erst nach Mitternacht, erst dann, als unsere Partner schon längst Skepsis zeigten. Umso schwieriger wurde es plötzlich, die Email-Adressen auszutauschen. Schwierig, aber möglich.
Dann der Abschied, förmlich und kühl. Mehr durften wir uns nicht erlauben. Ralph legte mir die Jacke über die Schultern, als ich zu beben begann. Etwas war geschehen. Und ich drängte mich an Ralph, weil ich es nicht fassen konnte ... und weil Ralph das nicht verdient hatte.
Stefan schrieb mir sofort. Freundlich, fröhliche Sätze, die nichts verrieten - und demnach alles sagten. Er schrieb über seinen Alltag, über seine Hobbys, er schrieb über das, was er gerade tat und was er in den nächsten Augenblicken zu tun gedenke, er schrieb so einfach, so nichtssagend, dass es mir alles sagte.
Aus den Augen, aus dem Sinn? Stefan hatte die Hochzeit auf Video aufgezeichnet. Ab und zu hatte er mich ins Bild genommen, kurz nur, selten, aber nah. Ich hatte verlegen geschaut, gelächelt, dann abgewehrt und mich weggedreht. Hatte Ralph vor das Objektiv geschoben und mich hinter ihm versteckt, oder hatte es nicht gemerkt, als ich gefilmt wurde. „Du siehst toll aus“, schrieb Stefan mir. Er konnte das Video anschauen, jederzeit. Seither wurden seine Emails vertrauter. Einmal rief er mich an. Ich freute mich über den Anruf. Ich war fasziniert von seiner Aussprache. Er redete hochdeutsch mit leichtem fränkischen Akzent. Die Freude über das Telefonat färbte sich auf die Beziehung zu Ralph ab. Ich übertrug diese Freude. Ralph benahm sich plötzlich anders. Er wurde aufmerksamer, liebevoller, er fragte mich, wie ich fühle. Was sollte ich sagen? Ich lächelte. Ich wirkte wohl plötzlich geheimnisvoll und interessant. Wieso erst jetzt, nachdem ich wirklich ein Geheimnis hütete?
Stefans Bild verblasste vor meinem geistigen Auge. Wenn ich mir sein Gesicht in Erinnerung rufen wollte, hatte ich immer häufiger das Bild eines bekannten Schauspielers vor Augen. Es hatte nur eine geringfügige Ähnlichkeit gegeben. Nur beim Tanzen bewegte Stafan sich ähnlich wie der Schauspieler. Ich mochte diesen Vergleich nicht. Doch nun schob sich dieses Bild in mein Gedächtnis. Ich wusste bald nicht mehr, wie Stefan wirklich aussah. Es machte mich traurig. Ich hörte seine Stimme am Telefon, ich las seine Emails, aber ich vergaß sein Gesicht.
Stefan schrieb mir weiter. Er rief an, selten, aber immer ehrlich. Er versprach mir, mich zu besuchen. Er meinte auch das aufrichtig. Doch da war seine Freundin. Er würde sie verletzten. Noch dachte er nicht daran. Er würde es erst merken, wenn er im Auto säße, abfahrbereit, und sie an der Tür des alten Mercedes stände, ihm Grüße an die Verwandten ausrichten ließe und ihn still und traurig anschauen würde. Traurig, weil sie nicht verstand, dass er sie nicht gefragt hatte, ob sie mitkommen will. Diese Bild hatte ich vor Augen, und ich wusste, dass er nicht kommen würde. Er hatte Verantwortung. Er verstand, was es bedeutete, Verantwortung zu haben. Was Ehrlichkeit bedeutete. Doch würde er es erst in dem Augenblick verstehen, wenn er kurz vor dem Bruch seiner Prioritäten stand. Und er würde es sich anders überlegen, würde aus dem Auto steigen, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie recht habe.
Ich wollte nicht, dass er mir versprach, zu kommen. Dennoch wünschte ich mir, dass er kommt, obwohl ich es besser wusste. Ich stellte mir vor, wie ich ihm die Stadt zeige, ihm Gebäude und Skulpturen erkläre, mit ihm in einer Kneipe sitze bei einem Glas Rotwein, wie wir lachen und unseren Träumen nachhängen. Wie wir ausgelassen durch die nächtlichen Straßen laufen. Und die Welt vergessen. Wie ich Ralph vergesse.
Ich wusste, diese Vorstellung war Illusion. Ich hätte Ralph nicht vergessen können. Ich würde an seine Unschuld denken, daran, wie er mich in meinem Studentenzimmer vermutete, während ich Stefan durch die Stadt führte. Daran, wie er mir vertraute, während ich die Gedanken an ihn verdrängte. Es wäre nicht möglich gewesen.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich übertrug meine Verliebtheit auf Ralph. Er sagte mir seit einiger Zeit wieder, dass er mich liebt. Abends lag ich mit dröhnendem Kopf im Bett, neben Ralph, der friedlich schlief, und Tränen bahnten sich den Weg über mein Gesicht...
Später: Wir laufen durch die Straßen der Stadt. Ich erkläre Gebäude und Skulpturen. Dabei essen wir Eis. Wir sitzen später in einer Kneipe, trinken Weißwein. Wir reden bis weit nach Mitternacht, lachen laut in den nächtlichen Straßen. Ralph und ich. Wir feiern unser 7-jähriges Zusammensein. Ralph weiß nichts von Stefan. Wir sind glücklich.
Stafan schreibt mir nicht mehr. Er hat aufgehört, zu schreiben, weil ich ihm nicht mehr antwortete. Ich bin erleichtert, auch wenn es ein bisschen weh tut. Es wäre nicht gutgegangen. Wir hätten zusammen damit auskommen müssen, Menschen, die uns einmal sehr am Herzen lagen und es immer noch taten, zutiefst verletzt zu haben. Wir wären nicht glücklich gewesen. Nicht, nachdem wir beide unser Leben schon organisiert hatten und es hätten aufgeben müssen.
Ein Spruch, so alt wie die Liebe. Es war schon immer so, wird auch ewig so bleiben und ist letztlich gut so.
Bei Stefan war ich vielleicht schon etwas zu weit gegangen, hatte ihm zuviel Raum gelassen, um mir näher zu kommen – geistig, nicht körperlich. Doch was sind 500 km Entfernung, geografische Entfernung, und noch dazu das Wissen, dass wir beide seit langer Zeit vergeben waren? Welten sind es, unüberbrückbar! Zweifellos, es tat ein bisschen weh, als wir uns mit der Zeit vergaßen; Dass das Bild, was man von dem anderen im Gedächtnis behalten wollte, verblasste. Dass die Worte, gesprochen im Moment der unmittelbaren Gegenwart, bald an Bedeutung verloren, nicht mehr mit der selben Aufrichtigkeit in Erinnerung blieben.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich wusste schon damals: Stefan würde mir nicht mehr jeden zweiten Tag schreiben, wie er es zu Beginn getan hatte. Seine Anrufe würden seltener werden, er würde mich auch nicht besuchen kommen. Das Wissen darüber machte mich ruhig. Es war vorraussehbar. Und Ralph würde mich behalten. Das ist es, was mich beinahe erleichtert aufatmen ließ. Ich musste Ralph nicht enttäuschen. Ralph, mit dem ich schon fast 7 Jahre zusammen war.
Die Hochzeit. Günther, ein ehemaliger Schulfreund Ralphs, und seine Anna heirateten im August. Ein schöner Tag für das Paar. Die Sonne schien. Ralph und ich waren eingeladen. Stefan, Annas Bruder, und seine Freundin waren eingeladen. Es genügte ein Blick zwischen Stefan und mir. Und es wurde im Laufe des Abends einleuchtender für uns beide, dass wir uns wiedersehen wollten. Wir tanzten zwei, dreimal zusammen. Er zeigte mir den Quickstep, und wir vergaßen für Momente die Offensichtlichkeit unseres Verhaltens. Wir waren die einzigen Studenten der Gesellschaft und hatten Gesprächsstoff. Stefan war charmant. Er hatte Humor, und er verhehlte keine Bewunderung, die offenbar existierte. Wir lachten ab und an zusammen und bemerkten die starke Sympathie füreinander erst nach Mitternacht, erst dann, als unsere Partner schon längst Skepsis zeigten. Umso schwieriger wurde es plötzlich, die Email-Adressen auszutauschen. Schwierig, aber möglich.
Dann der Abschied, förmlich und kühl. Mehr durften wir uns nicht erlauben. Ralph legte mir die Jacke über die Schultern, als ich zu beben begann. Etwas war geschehen. Und ich drängte mich an Ralph, weil ich es nicht fassen konnte ... und weil Ralph das nicht verdient hatte.
Stefan schrieb mir sofort. Freundlich, fröhliche Sätze, die nichts verrieten - und demnach alles sagten. Er schrieb über seinen Alltag, über seine Hobbys, er schrieb über das, was er gerade tat und was er in den nächsten Augenblicken zu tun gedenke, er schrieb so einfach, so nichtssagend, dass es mir alles sagte.
Aus den Augen, aus dem Sinn? Stefan hatte die Hochzeit auf Video aufgezeichnet. Ab und zu hatte er mich ins Bild genommen, kurz nur, selten, aber nah. Ich hatte verlegen geschaut, gelächelt, dann abgewehrt und mich weggedreht. Hatte Ralph vor das Objektiv geschoben und mich hinter ihm versteckt, oder hatte es nicht gemerkt, als ich gefilmt wurde. „Du siehst toll aus“, schrieb Stefan mir. Er konnte das Video anschauen, jederzeit. Seither wurden seine Emails vertrauter. Einmal rief er mich an. Ich freute mich über den Anruf. Ich war fasziniert von seiner Aussprache. Er redete hochdeutsch mit leichtem fränkischen Akzent. Die Freude über das Telefonat färbte sich auf die Beziehung zu Ralph ab. Ich übertrug diese Freude. Ralph benahm sich plötzlich anders. Er wurde aufmerksamer, liebevoller, er fragte mich, wie ich fühle. Was sollte ich sagen? Ich lächelte. Ich wirkte wohl plötzlich geheimnisvoll und interessant. Wieso erst jetzt, nachdem ich wirklich ein Geheimnis hütete?
Stefans Bild verblasste vor meinem geistigen Auge. Wenn ich mir sein Gesicht in Erinnerung rufen wollte, hatte ich immer häufiger das Bild eines bekannten Schauspielers vor Augen. Es hatte nur eine geringfügige Ähnlichkeit gegeben. Nur beim Tanzen bewegte Stafan sich ähnlich wie der Schauspieler. Ich mochte diesen Vergleich nicht. Doch nun schob sich dieses Bild in mein Gedächtnis. Ich wusste bald nicht mehr, wie Stefan wirklich aussah. Es machte mich traurig. Ich hörte seine Stimme am Telefon, ich las seine Emails, aber ich vergaß sein Gesicht.
Stefan schrieb mir weiter. Er rief an, selten, aber immer ehrlich. Er versprach mir, mich zu besuchen. Er meinte auch das aufrichtig. Doch da war seine Freundin. Er würde sie verletzten. Noch dachte er nicht daran. Er würde es erst merken, wenn er im Auto säße, abfahrbereit, und sie an der Tür des alten Mercedes stände, ihm Grüße an die Verwandten ausrichten ließe und ihn still und traurig anschauen würde. Traurig, weil sie nicht verstand, dass er sie nicht gefragt hatte, ob sie mitkommen will. Diese Bild hatte ich vor Augen, und ich wusste, dass er nicht kommen würde. Er hatte Verantwortung. Er verstand, was es bedeutete, Verantwortung zu haben. Was Ehrlichkeit bedeutete. Doch würde er es erst in dem Augenblick verstehen, wenn er kurz vor dem Bruch seiner Prioritäten stand. Und er würde es sich anders überlegen, würde aus dem Auto steigen, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie recht habe.
Ich wollte nicht, dass er mir versprach, zu kommen. Dennoch wünschte ich mir, dass er kommt, obwohl ich es besser wusste. Ich stellte mir vor, wie ich ihm die Stadt zeige, ihm Gebäude und Skulpturen erkläre, mit ihm in einer Kneipe sitze bei einem Glas Rotwein, wie wir lachen und unseren Träumen nachhängen. Wie wir ausgelassen durch die nächtlichen Straßen laufen. Und die Welt vergessen. Wie ich Ralph vergesse.
Ich wusste, diese Vorstellung war Illusion. Ich hätte Ralph nicht vergessen können. Ich würde an seine Unschuld denken, daran, wie er mich in meinem Studentenzimmer vermutete, während ich Stefan durch die Stadt führte. Daran, wie er mir vertraute, während ich die Gedanken an ihn verdrängte. Es wäre nicht möglich gewesen.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich übertrug meine Verliebtheit auf Ralph. Er sagte mir seit einiger Zeit wieder, dass er mich liebt. Abends lag ich mit dröhnendem Kopf im Bett, neben Ralph, der friedlich schlief, und Tränen bahnten sich den Weg über mein Gesicht...
Später: Wir laufen durch die Straßen der Stadt. Ich erkläre Gebäude und Skulpturen. Dabei essen wir Eis. Wir sitzen später in einer Kneipe, trinken Weißwein. Wir reden bis weit nach Mitternacht, lachen laut in den nächtlichen Straßen. Ralph und ich. Wir feiern unser 7-jähriges Zusammensein. Ralph weiß nichts von Stefan. Wir sind glücklich.
Stafan schreibt mir nicht mehr. Er hat aufgehört, zu schreiben, weil ich ihm nicht mehr antwortete. Ich bin erleichtert, auch wenn es ein bisschen weh tut. Es wäre nicht gutgegangen. Wir hätten zusammen damit auskommen müssen, Menschen, die uns einmal sehr am Herzen lagen und es immer noch taten, zutiefst verletzt zu haben. Wir wären nicht glücklich gewesen. Nicht, nachdem wir beide unser Leben schon organisiert hatten und es hätten aufgeben müssen.