Eine neue (Un-) Sitte

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Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Es macht sich eine neue Angewohnheit breit. Zeitungsartikel, vor allem solche, in denen sich ein oder mehrere Politiker, Intellektuelle, Künstler, Autoren bzw. aus den Medien bekannte Menschen zu einem Sachverhalt mit ihrer eigenen Meinung geäußert haben, vorzugsweise im Interview, enden in letzter Zeit oft mit dem Hinweis, was ein (im Artikel namenloser) Nutzer in den sozialen Medien von sich gegeben hat. Praktisch, wenn ein solcher Nutzer genau das schreibt, was man mit einem Paukenschlag unter den Artikel setzen kann. Nehmen wir ein Beispiel: A (wahlweise Politiker, Intellektueller, Künstler oder Autor und auf jeden Fall aus den Medien bekannt, sonst könnte der namenlose Nutzer denjenigen nicht kennen, nicht wahr) wird von Journalist B zu einem Sachverhalt befragt, z. B. was er denn zu bestimmten Waffenlieferungen sagen würde. Oder zu dem offenen Brief von Alice Schwarzer und den anderen Unterzeichnern an den Bundeskanzler. Oder (wahlweise) zu der letzten Folge von Germanys Top-Model. Es spielt keine Rolle, um was es eigentlich geht. Hauptsache, ein namenloser Nutzer hat in den sozialen Medien seinen Senf dazu gegeben, der als Schlusssatz verwendet werden kann und, so möchte man schlussfolgern, der eigenen Meinung des Journalisten entspricht. Denn, wenn dem nicht so wäre, warum schreibt er dann nicht zwei konträre Meinungen verschiedener Nutzer am Schluss des Artikels? Oder, warum ist es überhaupt nötig, die Meinung eines namenlosen Nutzers in den sozialen Medien zu bemühen?
Gestern schrieb z. B. ein Nutzer in den sozialen Medien: „Qualitätsjournalismus sieht anders aus."
 
Tja, vielleicht liegt es zunächst oft daran, dass bei einem Thema X so rasch keine schlüssige und plakative Meinungsäußerung eines ebenso bekannten Menschen aufzutreiben ist. Das Phänomen hat sich aber inzwischen verselbständigt und allgemein durchgesetzt. Ist ja auch sehr praktisch: 1. Die Meinung des Journalisten oder Redakteurs bleibt hübsch im Hintergrund. 2. Der Nutzer kann sich drastischer ausdrücken, als der Journalist oder Redakteur es sich erlauben würde. 3. Es sieht nach Volksnähe, Demokratie aus.

Mir fällt seit Jahren eine ähnliche Praxis in den Nachrichten des Deutschlandfunks auf. Sie haben vorher einen in der Öffentlichkeit wenig oder gar nicht bekannten Spezialisten oder Hinterbänkler interviewt und wiederholen nun in mehreren Nachrichten stundenlang dessen Hauptthese. Ich möchte gern nach dem Aufstehen z.B. um 8.30 oder 9.00 Uhr in fünf Minuten über das Wirklich wichtigste aus aller Welt informiert werden - Kriege, Erdbeben, Zinserhöhung usw. - stattdessen erfahre ich in aller Breite die Privatmeinung eines mir nicht gar so bedeutsam erscheinenden Zeitgenossen. Das ist eine ebenso subtile wie ärgerliche Themensetzung und -behandlung nach dem Gusto eines Redakteurs.
 

Klaus K.

Mitglied
Was dieser Beitrag mit "Humor" und/oder "Satire" zu tun haben soll, erschließt sich mir beim besten Willen und absolut wohlwollendster Betrachtung nicht.
Mit Gruß, klaus k.
 
Die Meinung des Journalisten oder Redakteurs bleibt hübsch im Hintergrund. 2. Der Nutzer kann sich drastischer ausdrücken, als der Journalist oder Redakteur es sich erlauben würde. 3. Es sieht nach Volksnähe, Demokratie aus.
Richtig. Dabei hat es eher etwas von Meinungsmache. Wenn soundso das (auch) gesagt hat, dann muss es ja stimmen. Und schon nickt der Leser bekräftigend mit dem Kopf.
 



 
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