Hansi Hase – Frühjahrputz Oder: Die Wandlung vom Banalen zum Sakralen
Heute ist ein ganz besonderer Tag, das merke ich gleich morgens beim Betreten des Buchladens. Gestern war mein freier Tag, und meine Kollegin hat das neue Pixibuch-Display ausgepackt. Darunter endlich das von mir lang ersehnte neue Werk von Heribert Schulmeyer, der zuletzt mit Titeln wie „Hansi Hase und das Seifenkistenrennen“ und „Schlaf gut, Hansi Hase“ Literaturbeobachter und -kritiker zu vorsichtigem aber deutlichem Aufmerken veranlasste.
Wie unprätentiös Schulmeyers Büchlein daherkommt! Doch gleich beim Aufschlagen der ersten Seiten wird mir köstlich bewusst, wie geradezu hinterhältig genial dieses Understatement der absichtsvoll harmlos gehaltenen Bildchen und des formal schlichten vordergründigen Textes ist. Es begegnet uns ein wenn gottlob nicht vollendeter so doch spürbar gereifter Schulmeyer.
Hansi Hase kommt von der Schule nach Hause (…) Zu Hause ist Frühjahrsputz! Onkel Horst klopft die Teppiche aus.
Die Schule soll übrigens Schulmeyers beinahe einziger Hinweis auf eine mögliche Außenwelt, auf ein Jenseits des Familien- und inneren Gefüges bleiben, und nur der geübteste Leser wird wohl den ganz feinen Faden bemerken, den Schulmeyer diesbezüglich bereits auf der nächsten Seite spinnt:
Die Oma putzt alle Fenster von innen und außen.
Die Fenster können hier nur verstanden werden als Metapher einer Hinwendung von der Innen- zur Außenwelt. Darauf werde ich meine Kunden hinweisen müssen, so etwas entgeht vielen. Wieviel offensichtlicher hingegen das Leitmotiv Gewalt: Während wir in der persona des mit aggressivem Impetus teppichklopfenden Onkels die Gewalt als eine extrovertiert-männliche erleben, ist es auf der nächsten Seite interessanterweise der Vater -
Der Papa fährt mit einem lauten Staubsauger durch alle Zimmer.
- dessen Handlung hier, und jetzt muss ich ein wenig schmunzeln, das Bild einer umgekehrten, ja: ver-kehrten Ejakulation evoziert, einer Aggression also, die sich letztlich gegen sich selbst richtet.
„Hier wird nass gewischt!“ sagt die Hasenmama.
Die Vertreibung Hansis aus seiner bis dato unversehrten Kinderwelt ausgerechnet durch die Mutter! - besiegelt den ersten Bruch in Schulmeyers Roman. Das „Wischen“ ist durchaus als Drohung des Wegwischens und, zu Ende gedacht, als Drohung der Quasi-Auslöschung begreifbar. Es ist dies das klassische ödipale Dilemma in dialektischer Umkehr; ihm versucht sich Hansi zu entziehen, und es folgt - zweiter Bruch! - eine Szene, die wir getrost für den Dreh- und Angelpunkt dieses psychologischen Entwicklungsromans nehmen dürfen:
Nirgendwo ist Platz zum Spielen. „Ich hau ab!“ sagt er (Hansi, d. A.) wütend.
„Ich hau ab!“ - ein kraftvoller, ein befreiender Satz; hier tritt das Eichendorff'sche bei Schulmeyer zutage! Der Weg des Helden wird eingeleitet, und fast schon wäre es langweilig, auf Parallelen zu Gilgamesch-Epos und Odyssee hinzuweisen.
Die antizipierte Auslöschung des Helden manifestiert und vollendet sich nur scheinbar in dessen „Verschwinden“, das ja lediglich subjektiv als solches wahrgenommen wird:
Später, als alles blitzblank ist (…), fällt auf, dass Hansi fehlt. Er ist einfach verschwunden.
Und etwas weiter:
Da sitzt Hansi in der Ecke (des Dachbodens, d. A.) und summt ein Lied. Er hat sich ein Theater gebaut und spielt damit.
Nichts ist zufällig bei Schulmeyer, nicht der Dachboden als gleichsam höherer Ort, nicht das kleine Theater mit seiner hohen Symbolkraft. Schulmeyer geht hier sogar noch einen Schritt weiter als Eichendorff, der ja seinen Taugenichts vergleichsweise banal in die reale Welt entsendet. Das selbst gebaute Theater als Instrument der eigenen Welterschaffung und das Olymphafte des Dachbodens zeugen davon, dass hier eine Metamorphose nicht nur von der Einfalt zur geistigen Reife sondern direkt zum Göttlichen stattgefunden hat.
Dieser Metamorphose lässt aber Schulmeyer gleich darauf im letzten Satz seines Werkes den dritten und letzten Bruch folgen.
Und Onkel Horst lässt die Leiter angelehnt, damit Hansi gleich zum Abendessen runterkommen kann.
Endlich zeigt sich, warum Schulmeyer ausgerechnet die Figur des Hasen als Vehikel zum Verständnis letztlich menschlicher Urbilder gewählt hat. Dem Höheren in Hansi Hase wird die tiefe Sehnsucht nach dem Normalen (Abendessen) entgegengesetzt, und das überspitzt Animalische des Hasen bildet ja einen viel schärferen Kontrast zum Göttlichen, als jede andere Figur es vermöchte! Fast verzweifelt versöhnlich wirkt zunächst sein Versuch der Wieder-Annäherung des Göttlichen ans Menschliche und lässt den Leser mit der Frage zurück, ob die Leiter vom Dachboden einen Abstieg darstellt oder - gleichermaßen wörtlich wie übertragen verstanden - die Deeskalation eines unerträglich erscheinenden Konflikts. Doch schlecht würden wir Schulmeyer kennen, wüssten wir nicht oder ahnten zumindest, dass ebendiese Zweifel angestrebt und so gewollt sind: Schulmeyer möchte verstören. Auf diese Weise entzieht sich das Werk einer letztlich-gültigen Deutung; Paradox gebiert Paradoxon, Schulmeyer spielt mit diese Paradoxen und, mehr noch, spielt sie gegeneinander aus.
All dies schießt mir beim Lesen des schmalen Bändchens durch den Kopf, und ich fühle mich seltsam froh und beschenkt.
„Finden Sie nicht auch, “ frage ich meine Chefin, „dass sich das Oben und Unten bei Hansi Hase - Frühjahrsputz archetypisch darstellt, um sich gleich darauf selbst ad absurdum zu führen? Meine Chefin verdreht die Augen. „Sie sollen die Pixibücher nicht lesen, Sie sollen Sie verkaufen. Im Gartenschaufenster fehlt ein Buch.“
Nachdenklich versehe ich einen Gartenratgeber mit einem Preisschild und ersetze das fehlende Buch. Gegen Mittag kommt meine Kollegin Andrea. Auch ihr zeige ich das Büchlein und frage sie: „Empfindest du den Frühjahrsputz bei Hansi Hase eher als kathartisch oder als destruktiv?“ Sie schaut mich ein paar Sekunden lang an, und ihr Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten. „Ich weiß auch nicht recht, “ sagt sie schließlich. „Aber kannst du mir nachher ein Käsebrötchen mitbringen, falls du in der Pause in die Stadt gehst?“
Auf dem Weg zum Bäcker habe ich noch ein wenig über die Wandlung vom Banalen zum Sakralen und wieder zurück zum Banalen nachgedacht, und ich schwöre: In diesen Minuten habe ich die Gegenwart von etwas ganz Großem gespürt!
Heute ist ein ganz besonderer Tag, das merke ich gleich morgens beim Betreten des Buchladens. Gestern war mein freier Tag, und meine Kollegin hat das neue Pixibuch-Display ausgepackt. Darunter endlich das von mir lang ersehnte neue Werk von Heribert Schulmeyer, der zuletzt mit Titeln wie „Hansi Hase und das Seifenkistenrennen“ und „Schlaf gut, Hansi Hase“ Literaturbeobachter und -kritiker zu vorsichtigem aber deutlichem Aufmerken veranlasste.
Wie unprätentiös Schulmeyers Büchlein daherkommt! Doch gleich beim Aufschlagen der ersten Seiten wird mir köstlich bewusst, wie geradezu hinterhältig genial dieses Understatement der absichtsvoll harmlos gehaltenen Bildchen und des formal schlichten vordergründigen Textes ist. Es begegnet uns ein wenn gottlob nicht vollendeter so doch spürbar gereifter Schulmeyer.
Hansi Hase kommt von der Schule nach Hause (…) Zu Hause ist Frühjahrsputz! Onkel Horst klopft die Teppiche aus.
Die Schule soll übrigens Schulmeyers beinahe einziger Hinweis auf eine mögliche Außenwelt, auf ein Jenseits des Familien- und inneren Gefüges bleiben, und nur der geübteste Leser wird wohl den ganz feinen Faden bemerken, den Schulmeyer diesbezüglich bereits auf der nächsten Seite spinnt:
Die Oma putzt alle Fenster von innen und außen.
Die Fenster können hier nur verstanden werden als Metapher einer Hinwendung von der Innen- zur Außenwelt. Darauf werde ich meine Kunden hinweisen müssen, so etwas entgeht vielen. Wieviel offensichtlicher hingegen das Leitmotiv Gewalt: Während wir in der persona des mit aggressivem Impetus teppichklopfenden Onkels die Gewalt als eine extrovertiert-männliche erleben, ist es auf der nächsten Seite interessanterweise der Vater -
Der Papa fährt mit einem lauten Staubsauger durch alle Zimmer.
- dessen Handlung hier, und jetzt muss ich ein wenig schmunzeln, das Bild einer umgekehrten, ja: ver-kehrten Ejakulation evoziert, einer Aggression also, die sich letztlich gegen sich selbst richtet.
„Hier wird nass gewischt!“ sagt die Hasenmama.
Die Vertreibung Hansis aus seiner bis dato unversehrten Kinderwelt ausgerechnet durch die Mutter! - besiegelt den ersten Bruch in Schulmeyers Roman. Das „Wischen“ ist durchaus als Drohung des Wegwischens und, zu Ende gedacht, als Drohung der Quasi-Auslöschung begreifbar. Es ist dies das klassische ödipale Dilemma in dialektischer Umkehr; ihm versucht sich Hansi zu entziehen, und es folgt - zweiter Bruch! - eine Szene, die wir getrost für den Dreh- und Angelpunkt dieses psychologischen Entwicklungsromans nehmen dürfen:
Nirgendwo ist Platz zum Spielen. „Ich hau ab!“ sagt er (Hansi, d. A.) wütend.
„Ich hau ab!“ - ein kraftvoller, ein befreiender Satz; hier tritt das Eichendorff'sche bei Schulmeyer zutage! Der Weg des Helden wird eingeleitet, und fast schon wäre es langweilig, auf Parallelen zu Gilgamesch-Epos und Odyssee hinzuweisen.
Die antizipierte Auslöschung des Helden manifestiert und vollendet sich nur scheinbar in dessen „Verschwinden“, das ja lediglich subjektiv als solches wahrgenommen wird:
Später, als alles blitzblank ist (…), fällt auf, dass Hansi fehlt. Er ist einfach verschwunden.
Und etwas weiter:
Da sitzt Hansi in der Ecke (des Dachbodens, d. A.) und summt ein Lied. Er hat sich ein Theater gebaut und spielt damit.
Nichts ist zufällig bei Schulmeyer, nicht der Dachboden als gleichsam höherer Ort, nicht das kleine Theater mit seiner hohen Symbolkraft. Schulmeyer geht hier sogar noch einen Schritt weiter als Eichendorff, der ja seinen Taugenichts vergleichsweise banal in die reale Welt entsendet. Das selbst gebaute Theater als Instrument der eigenen Welterschaffung und das Olymphafte des Dachbodens zeugen davon, dass hier eine Metamorphose nicht nur von der Einfalt zur geistigen Reife sondern direkt zum Göttlichen stattgefunden hat.
Dieser Metamorphose lässt aber Schulmeyer gleich darauf im letzten Satz seines Werkes den dritten und letzten Bruch folgen.
Und Onkel Horst lässt die Leiter angelehnt, damit Hansi gleich zum Abendessen runterkommen kann.
Endlich zeigt sich, warum Schulmeyer ausgerechnet die Figur des Hasen als Vehikel zum Verständnis letztlich menschlicher Urbilder gewählt hat. Dem Höheren in Hansi Hase wird die tiefe Sehnsucht nach dem Normalen (Abendessen) entgegengesetzt, und das überspitzt Animalische des Hasen bildet ja einen viel schärferen Kontrast zum Göttlichen, als jede andere Figur es vermöchte! Fast verzweifelt versöhnlich wirkt zunächst sein Versuch der Wieder-Annäherung des Göttlichen ans Menschliche und lässt den Leser mit der Frage zurück, ob die Leiter vom Dachboden einen Abstieg darstellt oder - gleichermaßen wörtlich wie übertragen verstanden - die Deeskalation eines unerträglich erscheinenden Konflikts. Doch schlecht würden wir Schulmeyer kennen, wüssten wir nicht oder ahnten zumindest, dass ebendiese Zweifel angestrebt und so gewollt sind: Schulmeyer möchte verstören. Auf diese Weise entzieht sich das Werk einer letztlich-gültigen Deutung; Paradox gebiert Paradoxon, Schulmeyer spielt mit diese Paradoxen und, mehr noch, spielt sie gegeneinander aus.
All dies schießt mir beim Lesen des schmalen Bändchens durch den Kopf, und ich fühle mich seltsam froh und beschenkt.
„Finden Sie nicht auch, “ frage ich meine Chefin, „dass sich das Oben und Unten bei Hansi Hase - Frühjahrsputz archetypisch darstellt, um sich gleich darauf selbst ad absurdum zu führen? Meine Chefin verdreht die Augen. „Sie sollen die Pixibücher nicht lesen, Sie sollen Sie verkaufen. Im Gartenschaufenster fehlt ein Buch.“
Nachdenklich versehe ich einen Gartenratgeber mit einem Preisschild und ersetze das fehlende Buch. Gegen Mittag kommt meine Kollegin Andrea. Auch ihr zeige ich das Büchlein und frage sie: „Empfindest du den Frühjahrsputz bei Hansi Hase eher als kathartisch oder als destruktiv?“ Sie schaut mich ein paar Sekunden lang an, und ihr Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten. „Ich weiß auch nicht recht, “ sagt sie schließlich. „Aber kannst du mir nachher ein Käsebrötchen mitbringen, falls du in der Pause in die Stadt gehst?“
Auf dem Weg zum Bäcker habe ich noch ein wenig über die Wandlung vom Banalen zum Sakralen und wieder zurück zum Banalen nachgedacht, und ich schwöre: In diesen Minuten habe ich die Gegenwart von etwas ganz Großem gespürt!