xavia
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Eine schöne Bescherung
Heiligabend. Heute vor acht Jahren habe ich sie kennengelernt, heute frage ich sie.
[ 5] Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie damals auf dem Marktplatz in der Innenstadt stand und weinte: Weihnachtsmarkt abgebaut, Weihnachtsbäume ausverkauft, Geflügelladen geschlossen. Alle bereiten sich auf das Fest vor, treffen zu Hause letzte Vorbereitungen und sie wollte gerade damit anfangen, ihr ganz persönliches kleines Single-Weihnachten in Angriff zu nehmen. Das erste Weihnachten in der eigenen Wohnung. Sie hatte sich gründlich verkalkuliert mit der Zeit, die die Vorbereitung brauchte, selbst bei einem so kleinen Fest, wie sie es feiern wollte.
[ 5] Hätte sie nicht so jammervoll ausgesehen, hätte ich mich niemals getraut, sie anzusprechen, denn sie spielt nicht in meiner Liga. Sie ist ganz klar eine zehn und ich bin mit Mühe eine sechs. Aber an diesem Tag bin ich über mich selbst hinausgewachsen. Ich kam gerade von einem Spaziergang zurück, der die Zeit überbrücken sollte, bis die Gans gar war. Die Gans, deren Überreste jedes Jahr die Grundlage für meine Malzeiten bis Neujahr bildeten. Es geht doch nichts über eine Weihnachtsgans, mit der kann man schon Heiligabend anfangen wenn es nach mir geht. Und da ich allein lebe, geht es nach mir.
[ 5] Manchmal hatte mich der Lärm in meiner Wohnung im Dachgeschoss, weit über dem Marktplatz, gestört, aber seit jenem Tag ist mir klar, dass alles einen Sinn hat und dass ich nicht zufällig hier wohne. Wie sonst hätte ich sie kennenlernen sollen?
[ 5] So fragte ich sie also nach dem Grund ihres Kummers und sie weinte sich gründlich bei mir aus. Ich lud ich sie zu meinem eigenen Single-Weihnachtsessen ein und sie war einverstanden. Es wurde ein wunderschöner Abend bei Wein und Kerzenlicht, das schönste Weihnachten meines Lebens. Ich hatte sogar ein Geschenk für sie: Ein kleines Rentier aus Plüsch mit einer roten Nase, das ich bei meinen Weihnachtseinkäufen mitgenommen hatte, obwohl ich keine Verwendung dafür sah. Jetzt passte es perfekt zu meiner Erinnerung an ihr verweintes Gesicht, das längst wieder mit gepuderter Nase in seiner ganzen Schönheit erstrahlte.
Natürlich wurde es Tradition, dass ich mich um die Vorbereitung des Weihnachtsfestes kümmere. Organisation ist nicht ihre Stärke, sie hat andere Talente. – Nein, eigentlich hat sie keine. Aber sie ist wunderschön. So habe ich auch dieses Jahr einen Weihnachtsbaum gekauft, in meiner Bude aufgestellt und geschmückt, ich habe eine Gans im Ofen, Rotkohl und Kartoffeln auf dem Herd, der Tisch ist gedeckt, der Wein dekantiert, ein Film und eine Weihnachtsgeschichte liegen bereit.
[ 5] Heute habe ich ein ganz besonderes Geschenk für sie. Einen Ring mit einem großen Diamanten, strahlend schön wie meine Geliebte. Ich habe ihn vorgestern nach dem Rückflug aus München abgeholt, direkt auf dem Heimweg. Der Juwelier musste ihn enger machen, sie hat so zierliche Finger.
[ 5] Oh, da fällt mir ein: Ich muss ihn ja noch einwickeln! Er ist zwar in einer hübschen mitternachtsblauen Box, aber ein wenig Seidenpapier und eine Schleife sind zu Weihnachten doch ein Muss.
[ 5] Er ist in meinem Jackett.
[ 5] Nein, im Jackett habe ich ihn nicht gelassen, weil ich Sorge hatte, dass ich es zur Arbeit anziehen und dort auf einem Stuhl hängenlassen würde.
[ 5] Ich habe ihn in die Hosentasche gesteckt, damit er mir näher ist. Hier muss er sein. – Nein. Na sowas?
[ 5] Ach ja, diese Hose hatte ich gar nicht an. Nur mit der Ruhe, ich finde ihn gleich. Ich verliere nie etwas. Und schon gar nicht diesen Ring. Auch nicht in dem Vorweihnachtstrubel, der durch die Dienstreise noch hektischer geworden ist. Ich doch nicht.
[ 5] Also mal ganz mit der Ruhe: Welche Hose hatte ich an, als ich vom Flugplatz kam?
[ 5] Oh nein, das muss ein böser Traum sein! Ich hatte die dunkelblaue Hose an, eine Kollegin hat mit der Glut ihrer Zigarette ein winziges Loch hineingebrannt, kaum zu sehen, aber für mich nicht tragbar. Zuerst wollte ich die Hose kunststopfen lassen, aber als die Leute von der Spendenaktion für Flüchtlinge bei mir an der Tür waren, habe ich sie ihnen mitgegeben und mir bei meinen Weihnachtseinkäufen eine neue anmessen lassen.
Jetzt haben die Flüchtlinge meinen Diamantring und ich habe kein Weihnachtsgeschenk für meine Liebste außer den Socken, die ich für sie gestrickt habe und meine Verlobung kann ich auch vergessen. Selbst wenn ich den Ring wiederbekomme, kommt er zu spät. Es ist furchtbar, ganz, ganz fürchterlich.
[ 5] Es klingelt. – Ist sie das etwa schon? Eine Stunde früher? Sie ist so unberechenbar, mal kommt sie später, mal früher. Das einzige, worauf man sich bei ihr verlassen kann, ist, dass sie nicht zu der verabredeten Zeit kommt.
[ 5] Was mache ich nur? Ich muss ihr die Tür öffnen. Ob sie es ahnt, was ich heute vorhatte? Soll ich einfach so tun, als wäre nichts? Nach acht Jahren kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an.
Sie ist es wirklich. Wunderschön. Ihre leuchtend roten Locken wallen um Kopf und Schultern, ihr roter Mund lächelt verheißungsvoll, das dunkelblaue Kleid sieht atemberaubend an ihr aus. – Womit habe ich so eine Frau nur verdient? Aber ihre Augen lächeln nicht. Was ist los?
[ 5] Ich umarme sie und denke darüber nach, was ich tun könnte. Gibt es eine bessere Idee, als ihr die Socken zu schenken und mit der Verlobung bis zum nächsten Jahr zu warten? Es ist schon so oft etwas dazwischengekommen. Schließlich macht sie sich von mir los und tritt einen Schritt zurück. Ich sehe sie und bin zu keinem klaren Gedanken fähig, warte ab.
[ 5] Sie holt tief Luft und beginnt: »Ich muss dir etwas sagen. Es wird dir nicht gefallen.« Sie sieht mich forschend an, als könnte diese Ankündigung mich umwerfen. Soll ich mich mit einer Beichte meines eigenen Missgeschicks vordrängeln? Aber sie scheint entschlossen, sich etwas von der Seele zu reden und wenn sie entschlossen ist, ist sie nicht zu bremsen.
[ 5] »Stell dir nur vor, was mir heute passiert ist«, fängt sie noch einmal an und sieht nun sehr, sehr glücklich aus. »Du weißt doch, dass ich in der Vorweihnachtszeit immer sehr beschäftigt bin. Hast du dich nie gefragt, womit?«
[ 5] »Doch, ich glaube, du hast es mir gesagt, irgendetwas Ehrenamtliches.« Ich halte nicht viel von diesen Aktivitäten, die der Karriere nicht dienlich sind. Für mich ist das verschwendete Zeit, aber das sage ich ihr nicht.
[ 5] »Ja, dieses Jahr war es eine Spendenaktion für Flüchtlinge. Wir sind von Tür zu Tür gezogen und hinterher haben wir alles sortiert und dann noch vor Weihnachten auf den Weg geschickt.« Ich horche auf: Meine Hose?
[ 5] »Der Mann neben mir, wir haben in den vergangenen Jahren schon mehrere solcher Aktionen zusammen gemacht, zog plötzlich aus einer Hosentasche eine blaue Box heraus. Er öffnete sie, sah hinein, sah mich an, strahlte, fiel vor mir auf die Knie und machte mir einen Heiratsantrag. Ganz spontan. Ganz schicksalhaft.«
[ 5] »Ja, spinnt der denn? Ihr kennt euch doch kaum!«
[ 5] »Genau! Er liebt mich einfach so, wie ich bin, braucht mich nicht besser zu kennen, um sein Leben mit mir verbringen zu wollen. Ich bin so glücklich.« Nachdenklich sieht sie mich an, ich kann mich kaum auf den Beinen halten.
[ 5] »Wir zwei hatten eine schöne Zeit miteinander, aber jetzt ist der Moment gekommen, wo ich weiterziehen muss.« Mit diesen für meinen Geschmack ziemlich theatralischen Worten haucht sie mir einen Kuss auf die Wange und schwebt davon.
Heiligabend. Heute vor acht Jahren habe ich sie kennengelernt, heute frage ich sie.
[ 5] Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie damals auf dem Marktplatz in der Innenstadt stand und weinte: Weihnachtsmarkt abgebaut, Weihnachtsbäume ausverkauft, Geflügelladen geschlossen. Alle bereiten sich auf das Fest vor, treffen zu Hause letzte Vorbereitungen und sie wollte gerade damit anfangen, ihr ganz persönliches kleines Single-Weihnachten in Angriff zu nehmen. Das erste Weihnachten in der eigenen Wohnung. Sie hatte sich gründlich verkalkuliert mit der Zeit, die die Vorbereitung brauchte, selbst bei einem so kleinen Fest, wie sie es feiern wollte.
[ 5] Hätte sie nicht so jammervoll ausgesehen, hätte ich mich niemals getraut, sie anzusprechen, denn sie spielt nicht in meiner Liga. Sie ist ganz klar eine zehn und ich bin mit Mühe eine sechs. Aber an diesem Tag bin ich über mich selbst hinausgewachsen. Ich kam gerade von einem Spaziergang zurück, der die Zeit überbrücken sollte, bis die Gans gar war. Die Gans, deren Überreste jedes Jahr die Grundlage für meine Malzeiten bis Neujahr bildeten. Es geht doch nichts über eine Weihnachtsgans, mit der kann man schon Heiligabend anfangen wenn es nach mir geht. Und da ich allein lebe, geht es nach mir.
[ 5] Manchmal hatte mich der Lärm in meiner Wohnung im Dachgeschoss, weit über dem Marktplatz, gestört, aber seit jenem Tag ist mir klar, dass alles einen Sinn hat und dass ich nicht zufällig hier wohne. Wie sonst hätte ich sie kennenlernen sollen?
[ 5] So fragte ich sie also nach dem Grund ihres Kummers und sie weinte sich gründlich bei mir aus. Ich lud ich sie zu meinem eigenen Single-Weihnachtsessen ein und sie war einverstanden. Es wurde ein wunderschöner Abend bei Wein und Kerzenlicht, das schönste Weihnachten meines Lebens. Ich hatte sogar ein Geschenk für sie: Ein kleines Rentier aus Plüsch mit einer roten Nase, das ich bei meinen Weihnachtseinkäufen mitgenommen hatte, obwohl ich keine Verwendung dafür sah. Jetzt passte es perfekt zu meiner Erinnerung an ihr verweintes Gesicht, das längst wieder mit gepuderter Nase in seiner ganzen Schönheit erstrahlte.
Natürlich wurde es Tradition, dass ich mich um die Vorbereitung des Weihnachtsfestes kümmere. Organisation ist nicht ihre Stärke, sie hat andere Talente. – Nein, eigentlich hat sie keine. Aber sie ist wunderschön. So habe ich auch dieses Jahr einen Weihnachtsbaum gekauft, in meiner Bude aufgestellt und geschmückt, ich habe eine Gans im Ofen, Rotkohl und Kartoffeln auf dem Herd, der Tisch ist gedeckt, der Wein dekantiert, ein Film und eine Weihnachtsgeschichte liegen bereit.
[ 5] Heute habe ich ein ganz besonderes Geschenk für sie. Einen Ring mit einem großen Diamanten, strahlend schön wie meine Geliebte. Ich habe ihn vorgestern nach dem Rückflug aus München abgeholt, direkt auf dem Heimweg. Der Juwelier musste ihn enger machen, sie hat so zierliche Finger.
[ 5] Oh, da fällt mir ein: Ich muss ihn ja noch einwickeln! Er ist zwar in einer hübschen mitternachtsblauen Box, aber ein wenig Seidenpapier und eine Schleife sind zu Weihnachten doch ein Muss.
[ 5] Er ist in meinem Jackett.
[ 5] Nein, im Jackett habe ich ihn nicht gelassen, weil ich Sorge hatte, dass ich es zur Arbeit anziehen und dort auf einem Stuhl hängenlassen würde.
[ 5] Ich habe ihn in die Hosentasche gesteckt, damit er mir näher ist. Hier muss er sein. – Nein. Na sowas?
[ 5] Ach ja, diese Hose hatte ich gar nicht an. Nur mit der Ruhe, ich finde ihn gleich. Ich verliere nie etwas. Und schon gar nicht diesen Ring. Auch nicht in dem Vorweihnachtstrubel, der durch die Dienstreise noch hektischer geworden ist. Ich doch nicht.
[ 5] Also mal ganz mit der Ruhe: Welche Hose hatte ich an, als ich vom Flugplatz kam?
[ 5] Oh nein, das muss ein böser Traum sein! Ich hatte die dunkelblaue Hose an, eine Kollegin hat mit der Glut ihrer Zigarette ein winziges Loch hineingebrannt, kaum zu sehen, aber für mich nicht tragbar. Zuerst wollte ich die Hose kunststopfen lassen, aber als die Leute von der Spendenaktion für Flüchtlinge bei mir an der Tür waren, habe ich sie ihnen mitgegeben und mir bei meinen Weihnachtseinkäufen eine neue anmessen lassen.
Jetzt haben die Flüchtlinge meinen Diamantring und ich habe kein Weihnachtsgeschenk für meine Liebste außer den Socken, die ich für sie gestrickt habe und meine Verlobung kann ich auch vergessen. Selbst wenn ich den Ring wiederbekomme, kommt er zu spät. Es ist furchtbar, ganz, ganz fürchterlich.
[ 5] Es klingelt. – Ist sie das etwa schon? Eine Stunde früher? Sie ist so unberechenbar, mal kommt sie später, mal früher. Das einzige, worauf man sich bei ihr verlassen kann, ist, dass sie nicht zu der verabredeten Zeit kommt.
[ 5] Was mache ich nur? Ich muss ihr die Tür öffnen. Ob sie es ahnt, was ich heute vorhatte? Soll ich einfach so tun, als wäre nichts? Nach acht Jahren kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an.
Sie ist es wirklich. Wunderschön. Ihre leuchtend roten Locken wallen um Kopf und Schultern, ihr roter Mund lächelt verheißungsvoll, das dunkelblaue Kleid sieht atemberaubend an ihr aus. – Womit habe ich so eine Frau nur verdient? Aber ihre Augen lächeln nicht. Was ist los?
[ 5] Ich umarme sie und denke darüber nach, was ich tun könnte. Gibt es eine bessere Idee, als ihr die Socken zu schenken und mit der Verlobung bis zum nächsten Jahr zu warten? Es ist schon so oft etwas dazwischengekommen. Schließlich macht sie sich von mir los und tritt einen Schritt zurück. Ich sehe sie und bin zu keinem klaren Gedanken fähig, warte ab.
[ 5] Sie holt tief Luft und beginnt: »Ich muss dir etwas sagen. Es wird dir nicht gefallen.« Sie sieht mich forschend an, als könnte diese Ankündigung mich umwerfen. Soll ich mich mit einer Beichte meines eigenen Missgeschicks vordrängeln? Aber sie scheint entschlossen, sich etwas von der Seele zu reden und wenn sie entschlossen ist, ist sie nicht zu bremsen.
[ 5] »Stell dir nur vor, was mir heute passiert ist«, fängt sie noch einmal an und sieht nun sehr, sehr glücklich aus. »Du weißt doch, dass ich in der Vorweihnachtszeit immer sehr beschäftigt bin. Hast du dich nie gefragt, womit?«
[ 5] »Doch, ich glaube, du hast es mir gesagt, irgendetwas Ehrenamtliches.« Ich halte nicht viel von diesen Aktivitäten, die der Karriere nicht dienlich sind. Für mich ist das verschwendete Zeit, aber das sage ich ihr nicht.
[ 5] »Ja, dieses Jahr war es eine Spendenaktion für Flüchtlinge. Wir sind von Tür zu Tür gezogen und hinterher haben wir alles sortiert und dann noch vor Weihnachten auf den Weg geschickt.« Ich horche auf: Meine Hose?
[ 5] »Der Mann neben mir, wir haben in den vergangenen Jahren schon mehrere solcher Aktionen zusammen gemacht, zog plötzlich aus einer Hosentasche eine blaue Box heraus. Er öffnete sie, sah hinein, sah mich an, strahlte, fiel vor mir auf die Knie und machte mir einen Heiratsantrag. Ganz spontan. Ganz schicksalhaft.«
[ 5] »Ja, spinnt der denn? Ihr kennt euch doch kaum!«
[ 5] »Genau! Er liebt mich einfach so, wie ich bin, braucht mich nicht besser zu kennen, um sein Leben mit mir verbringen zu wollen. Ich bin so glücklich.« Nachdenklich sieht sie mich an, ich kann mich kaum auf den Beinen halten.
[ 5] »Wir zwei hatten eine schöne Zeit miteinander, aber jetzt ist der Moment gekommen, wo ich weiterziehen muss.« Mit diesen für meinen Geschmack ziemlich theatralischen Worten haucht sie mir einen Kuss auf die Wange und schwebt davon.