Eine schöne Frau

Hagen

Mitglied
Eine schöne Frau

„Heut will ich mit keinem tauschen, wer’s auch ist und wer’s auch immer sei…“
Das Warten auf Fahrgäste nervt mich immer kolossal, obwohl ich reichlich dicke Bücher und CDs im Taxi mit hatte. Die CD, die ich jetzt hörte, schien mir ein Fehlgriff, aber ich hörte trotzdem weiter.
„Hey, das ist ja geil“, zwei fröhliche Herren stiegen zu, „fährst du uns mal nach Hannover rein, irgendwo ins Steintor?“
„Natürlich, das ist mein Job als Taxifahrer.“
„Ist das eine CD?“
„Äh, ja. – Sollich was anderes einlegen? Ich hätte da noch Jazz und…“
„Nee, um Gotteswillen! Mach mal lauter und von vorne.“
„Sehr gerne.“
Ich tat wie geheißen, startete Taxi und Uhr und die Herren sangen mit: „Heut will ich mich berauschen, Morgen ist’s vielleicht vorbei. Heut ist der schönsten Tag in meinem Leben. Heut ist der schönste Tag im Monat Mai.“
Es dauerte zwei, dreimal, die ich das Stück zurücklaufen ließ wenn es zuende war, und ich auch mitsingen konnte. Und das tat ich dann auch, aus vollem Hals, wie die beiden fröhlichen Herren: „Wo ich bin und wo ich gehe, Ist das Glück in meiner Nähe, Heute singen alle Geigen, Für Dich und für mich. Heute denk ich nicht an Morgen, Heute gibt es keine Sorgen, Heut ist alle Tage Sonntag, Für Dich und für mich…“
Als wir ankamen, versicherten mir die fröhlichen Herren, dass dies die schönste Fahrt bisher gewesen war. Sie wollten sogar mein Kärtchen haben, für die Rückfahrt. Da wurde zwar seltener als nie was draus, ich gab sie aber trotzdem und wünschte ihnen noch einen fröhlichen Abend.
Sie wurden alsbald von der Nacht verschluckt, ich reckte mich nochmal, schrieb die Fahrt auf und wollte gerade die CD wechseln, als ein junger Mann einstieg. Südländischer Typ, ich schätzte ihn auf Mitte Zwanzig. In leicht gebrochenem Deutsch gab er mir eine Adresse, die auf meinem Rückweg lag, ungefähr die halbe Strecke.
Eigentlich hätte ich das ja nicht gedurft, aber Scheiß drauf, das macht jeder.
Ich fragte nochmal zurück, er nickte dünn, ich startete die Uhr und fuhr los. Der Mann neben mir pennte, obwohl es eigentlich noch zu früh war für einen ordentlichen Nachtschwärmer. Das fing eigentlich erst so zwischen vier und fünf Uhr an, wenn die roten Lichter im Rotlichtbezirk langsam ausgingen. Soweit waren wir noch lange nicht, aber der Mann pennte bis zu der angegebenen Adresse.
Eine Gegend, in der selten Taxis halten, wo dunkelhäutige Typen an den Ecken rumlungern und der Gemüsehändler erst jetzt seine Ware reinholt.
„Hey, wir sind da. Achtzehnfünfzig bekomme ich von Ihnen!“
Der Mann fand ganz langsam wieder zu sich, „Moment, ich muss mal eben Geld holen. Warten Sie bitte.“
Den Besoffenen geben und auf einmal weg wie Schmidts Katze.
Nicht mit mir! Ich hatte die Uhr angemacht und nach der wurde abgerechnet. Die achtzehnfünfzig hätte ich mir ans Bein binden müssen, und das sah ich nicht ein.
„Moment“, sagte ich, „ich komm mal mit hoch, dann brauchen Sie nicht zweimal zu gehen.“
Ich steckte mir mein Portemonnaie in die Seitentasche meiner Cargohose stieg aus, verschloss das Taxi und war zur gleichen Zeit an der Beifahrertür, wie der junge Mann, der sich mühsam aus dem Taxi quälte.
„Wird’s denn gehen?“
Er nickte und ging zum Haus. Es war ein Hochhaus, auf dem Klingelpanel waren nur ausländische Namen.
‚Na, das kann ja heiter werden‘, dachte ich, während sich sein Daumen auf einen der Knöpfe senkte. Es ward tatsächlich aufgetan und er war ruck zuck im Haus verschwunden, ich kriegte gerade noch den Fuß in die Tür.
Warum, zur Hölle, nahm er nicht den Lift?
Nein er wetzte die Treppen hoch. Ich jachterte hinterher. So beim dritten Stock war eine Tür offen, und eine wunderschöne Frau stand darin. Er wollte dran vorbei aber sie hielt ihn fest.
„Entschuldigen Sie, ich bin Taxifahrer“, japste ich, „auf der Uhr sind Achtzehnfünfzig. Der junge Mann hat gesagt, dass ich die hier bekomme…“
Die schöne Frau begann den jungen Mann zusammenzuscheißen, in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, weder türkisch, noch russisch, es mochte albanisch gewesen sein, oder sowas ähnliches, die deutsch-synchronisierte Fassung war möglicherweise: „Bist du wieder im Ostertor gewesen, hast Haschisch gekauft und rumgevögelt und gesoffen…“
Mei Gott, war die Frau schön, der Physiognomie und dem Alter nach mochte sie die Mutter sein, aber schön war sie, wie aus einem der Haremsfilme, den ich letztens mit Anna-Karenina geguckt hatte. Kastanienfarbene Locken umspielten ihr Gesicht, welches ungeschminkt auch noch schön war, mit weichen Zügen, die so gar nicht zu der Schimpftirade passte, die auf den jungen Mann einprasselte, und dann holte sie aus und knallte ihm eine. Der junge Mann flog in den Flur und krabbelte in ein Zimmer. Die schöne Frau ging weg, mit wiegendem Gang.
‚Wäre ich bloß Florist geblieben‘, dachte ich, ‚dann wäre mir diese Scheiße jetzt erspart geblieben. – Aber Florist ist kein Beruf für einen Mann, Taxifahrer schon eher, aber was hätte eine Frau jetzt gemacht, noch dazu ein so zartes Wesen wie die ‘Kreolen-Roswita‘?
Ich blieb stehen, was sollte ich auch sonst machen?
Reingehen durfte ich nicht, weggehen wollte ich nicht.
Zu allem Überfluss kam auch noch ein Kerl den Flur entlang. Mit einem Gesicht, als könnte er nicht bis drei zählen, dafür hatte er aber reichlich Muskeln unter seinem Muscleshirt. Diese ließ er auch noch spielen, als er langsam und mit angewinkelten Armen auf mich zu kam, als wenn er sagen wollte: „Wo steht das Klavier? Ich bring‘s mal eben nach oben.“
Spätestens jetzt hätte ich abhauen, mir die Scheißachtzehnfünfzig ans Bein binden und das Weite suchen können. Ich blieb aber stehen, schließlich war ich weder ein Sahnetörchenesser noch ein Früchteteetrinker, und der Kerl würde mir schon nicht die Schnauze polieren. Stattdessen packte er mich am Kragen, drehte zu, fast bis zum Anschlag und brüllte mich an: „Was willst du?“
„Achtzehnfünfzig“, würgte ich mühsam hervor, „ich bin Taxifahrer.“
„Du siehst aber nicht aus wie ein Taxifahrer!“
„Wie sehe ich denn aus?“
„Wie ein Bulle! Und ich hasse Bullen!“
„Die kommen immer zu zweit“, röchelte ich.
Langsam wurde die Luft knapp, und das Herz rutschte mir in die Hose. Doch der Griff lockerte sich ein wenig, anscheinend schien er hart darüber nachzudenken, dass die Polizisten tatsächlich zu zweit kommen, jedenfalls ist das in guten Krimis immer so.
Endlos lange grübelte er, jedenfalls schien es mir so, und dann kam die schöne Frau wieder und wedelte mit einem Zwanzigeuroschein.
Sie erschien mir jetzt noch schöner, so schön, das es mir den ohnehin knappen Atem förmlich in den Rachen zurückschlug, drückte mir den Schein in die Hand, gab dem Kerl einen Klaps auf die Hand – der ließ augenblicklich los – machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand als ich wechseln wollte, lächelte mich kurz an und klappte die Tür zu.
Peng.
Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass diese Aktion spurlos an mir vorüber gegangen wäre, aber nun galt es erst mal keine Schwäche zu zeigen. Ganz cool fuhr ich mit dem Lift nach unten, dampfte mir im Taxi eine Zigarette an, eine filterlose, würzige, schrieb die Fahrt auf, mit leicht zittrigen Händen und fuhr los.
Verdammt war die Frau schön gewesen!
Wie kam die schöne Frau bloß an solch einen Dumpfmeister?
Egal.
Ich startete den CD-Player.
„Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“, erscholl es aus den Lautsprechern, „Ich fühl zum ersten Mal, ich bin verliebt. Ich möchte diesen Tag für keinen geben. Es ist ein Wunder, dass es sowas gibt.“
 



 
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