Eine Wanderung

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Im Frühtau zu Berge

- eine Laudatio -


Eines gleich vorweg: Ich bin passionierter Wandersmann. Passioniert - nicht pensioniert! Wir natursüchtigen, zivilisationsmüden „9 to 5“ Individualisten schwärmen unisono gerne in rauen Mengen aus, die Einsamkeit der Berge zu erleben. Und das unerklärlicherweise bevorzugt zu Unzeiten, an dem es dem Morgen noch vor sich selber graut.

Es ist eine tief verankerte Ur-Sehnsucht nach der Stille, oder nach einer Alm, auf der´s immer noch keine Sünd´ nicht geben tut. Ein instinktives Entzücken das uns packt, stundenlang glückstrunken durch Latschen zu latschen. In den Ohren nur das sanfte Rauschen des Windes, das eigene raucherbronchiale Keuchen und das erbarmungswürdige Knacken der bürogestählten Gelenke.

Kraftvoll atme ich die herbe Würze des Morgentaus, der allein dafür verantwortlich ist, dass bereits nach wenigen Metern meine Schuhe zu matschigen Minibadewannen alternieren und die Socken sich wie ein kalter, nasser Wettex pappig um die Füsse lappen. Kneipp für Arme sozusagen. Wohlan, dennoch schreite ich weiter tüchtig aus.
Weicheier, das sind immer nur die anderen. Ich bin hartgesotten, zäh wie Ochsenleder. Oder bloss ein Ochse der tatsächlich daran glaubt, zäh und hartgesotten zu sein...
Wie auch immer.
In den Lungen sammelt sich die heilsame Kraft des Ozons, vermischt mit den olfaktorisch wie klimatechnisch problematischen Ausscheidungsgasen diverser Milch- und Fleischlieferanten. Der blaue Himmel himmelt mich an. Aber nicht nur mich, alles andere auch. Er ist da nicht so pingelig.

Unbefleckt eins sein mit der Natur und ihren Elementen. Meine Gelenke und Bronchien sind anderer Meinung und somit keineswegs eins mit mir. Sie knacken und keuchen sekkant weiter. Ich vermute, die tun´s mit Absicht nur um damit fadenscheinig Mitleid zu heischen. Aber nicht mit mir! Sicher nicht! Ich bin Mannsbild genug, diese schnöden, zimperlichen Verweichlichungen mit blosser Ver- und Missachtung zu bestrafen.
Da! Der Gletscher und die Kühe kalben. Die Schafe sind bereits belämmert. Die Schweine sind noch hart in ihren Ferkeleien verstrickt, während die Vögel sittsam bereits vor sich hineiern. Aber auch die ehrwürdigen Berge kreissen – fragen sie mich bitte nicht, wie es dazu kommen konnte, noch dazu in dem Alter? Aber andererseits können sie sich ein solch monumentales Kondom vorstellen? Übergezogen eine Art Hüpfburg für infantile Zyklopen, Rübezahls und andere Bergeister in Übergrösse. Na ja.

Mein Blick schweift durch Wald und Flur. Alternativen sind hier naturgemäss begrenzt, was also sollte er schon anderes tun als irgendwo herumzuschweifen? Mal schweift er dahin, dann schweift er dorthin. Unentwegt. Obwohl er schon längst mehrmals überall hin geschwifen ist.
Am Wegesrand bekömmliche Schwarzbeeren, die meine Hände dauerhaft bis zur desaströsen Unkenntlichkeit hardcore-patinieren. Man munkelt, nur rauchende Salpetersäure könne das Problem wirksam lösen. Ich werde wohlweislich aber auch heute diesem Gerücht im Selbstversuch nicht weiter auf den Grund gehen.

Saftig reife Brombeeren werden wie immer von Heerscharen eifersüchtiger wie auch übel gelaunter Spinnen wehrhaft vor fremden Begehrlichkeiten beschützt. Die vielbesungenen glasklar sprudelnden Quellen tauchen - wenn überhaupt - wie zum Trotz partout nie auf, wenn man sie am dringendsten braucht. Ja, ja, so ein muffiges Eck-Beisl hat schon was. Da kann man sagen, was man will.
Aber dafür gibt es massenweise Aussicht. Und Landschaft. Ringsum Aussicht und Landschaft. Massenweise. Dafür liegt sie ja überall da so herum die Landschaft, zum geniessen. Also dann geniessen wir sie eben, die Aussicht. Und auch die Landschaft. Das sind ja wirklich schöne Aussichten!
Gut, dass es dabei nichts zu reden gibt. Nur zum Staunen. Auch über den inzwischen harten, rissigen Lederfleck im Mund, der angeblich weiland meine Zunge gewesen sein soll.
Der – also dieser mir vollkommen unbekannte wie unsympathische Lederfleck - wäre derzeit nämlich nur äusserst bedingt willens und fähig, sich kommunikationstechnisch zu profilieren.

Das natürliche und somit zwangsläufig dürre, stachelige Unterholz zerkratzt mein ebenso naturbelassenes Gesicht. Die blutig eingekerbte Trophäe des ruhmreichen Abenteurers, die von mir mit Würde und ein wenig Stolz zur Schau getragen wird. Auf feucht-muffigem Waldboden tummeln sich allerlei schützenswerte Spezies. Fauna wie Flora, die auf blanker Haut infernalisch brennende Juckreizorgien feiern.
Und allerorts die bescheidenen Stars unter den Waldfrüchten, die Pilze. Listig blitzen sie aus ihren Verstecken hervor. Und nicht wenigen unter ihnen ist es ein wahrer Heidenspass, sich ihrer voll abbaubaren biologischen Kampfstoffe zu entsinnen. Ab und an wird damit die Zahl ein- und somit aufdringlicher Halbschuhtouristen ein wenig reduziert. Leben und sterben lassen. Eine vollkommen natürliche Selektion sozusagen.

Die Sennerin melkt derweil fröhlich und unbeschwert Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine und Hühner. Tagsüber buttert, topft, käst und knödelt sie unermüdlich mit der Urkraft ihrer gottgegebenen, sonnengegerbten Arme. Dazwischen entleibt sie eigenhändig manch schmackhaftes Federvieh. Mit der anderen, der kundigen Hand sammelt sie herbe Kräuter. Mit der dritten Hand bäckt sie duftende, knusprige Laibe frischen Brotes.
Alles Geschenke der sonnendurchfluteten oder Dauer-Nieselregen-Wolken-grau-verhangenen-scheiss-Wetter-Natur.
Doch manchmal, ja manchmal da muss es einfach aus ihr heraus! Dann tritt sie im besten Festtagsdirndl vor ihre Blockhütte und jodelt ihre unbändige Lebensfreude schallend in das tiefe Tal. Zuweilen, da plattelt sie auch Schuh dazu. Und die stolzen Berge, ja ihre Berge schicken gelangweilt den ganzen Ramsch postwendend als Echo wieder an den Absender zurück.

Manchmal aber schlägt das Wetter um und der Blitz ein. Dieser löst nicht selten ihr zugiges, windschiefes Hutzelhäuschen in Rauch und Flammen auf. Dennoch bleibt ihr mildes, sonniges Gemüt stets heiter und fidel. Wird der alte Krempel eben warm entsorgt, für den Rest kommt sowieso wie immer die Versicherung auf.
Die Sennerin sennt, der Wilderer wildert, der Förster förstert. Manchmal, an guten Tagen erschiesst er auch ein, zwei Wilderer, dann hat er den Wald, das Wild und die Sennerin wieder für sich allein. Und das ist gut so, dann kehrt wieder Friede ein auf der Alm.
Oft schiesst er aber auch nur einen Bock. Eine Tätigkeit, die nicht unbedingt nur auf die Försterzunft beschränkt ist. Sogleich bricht er waidmännisch das Wild auf. Ob das bei einem erlegten Wilderer auch heutzutage noch der Brauch ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

Legenden umranken diese behaferlschuhten und begamsbarteten, animalisch von Loden- Leder- und Wildbrunft-Odeur umwölkten verwegenen Naturburschen. Deren seltsam anmutende verbale Kommunikation erinnert gelegentlich an eine Art Dialekt, die den bekannten Hochsprachen zumindest in manchen Punkten entfernt verwandt zu sein scheint.
In diesen knorrigen Adern rinnt nicht Blut sondern pures, zähes, gülden schimmerndes Harz, welches sie in klug abgezirkelten Intervallen regelmässig mit Hochprozentigem verdünnen müssen. Auch ihr goldenes Herz ist aus Harz. Harzherzig eben. Ob sie dieses auch verdünnen müssen, kann ich leider nicht sagen.

Mit sehnsuchtsvollem aber dennoch gletscherwasserklarem Blick steigen sie wagemutig in die steilsten Wände. Erst recht, wenn eine schaurige Kluft klafft und schroffe, meuchlerische Felsen sie herrisch von sich weisen. Sie werden dennoch nicht bang und bänger. Entweder brechen sie sich für ein Edelweiss das Genick oder damit den nur anstandshalber sittsam gespielten Widerstand ihrer Geliebten. Oder der Möchtegern-Galan kann sich seine Eintrittskarte ins irdische Paradies auf den Hut oder sonst wohin stecken, weil sein Liebchen währenddessen mit dem kernigen Bierfahrer endgültig in die Stadt ausgebüchst ist.
Es herrschen eben harsche Sitten da am Land. Oder am Berg.
Aber so sind sie eben, die Älplerischen.
Die heimische Tourismusindustrie nennt das „dynamische Gruppenreisen-Pseudo-Folklore mit hohem Klischee-Erwartungsdruck.“

Doch ewig glüh´n wieder die Gipfel im Abendrot. Mein Kopf glüht auch. Und das gleich zweifach. Immer noch vom massiven Körperwuchten und als lieber Gruss so mancher Lärcherln – aus dem bereits vollkommen desorientierten Verdauungstrakt. Das unvermeidliche Nadelwald-Geschmackskuriosum dieser bodenständigen Koniferen-Destillate ist aber derart absurd, als würde man vollkommen durchgeknallt irgendeinen fremden, einfach so dahergelaufenen Baum ablutschen. Dennoch wird diesen grotesken Nadelwaldelixieren hartnäckig und unerschütterlich ein abstruser Nimbus eines Natur-Pur-Dauerbrenners angedichtet. Na wenigstens der Begriff „Dauerbrenner“ zeugt von einiger Realitätsnähe.

Andererseits, die Bienen nuckeln ja auch kribbelig ständig an irgendwelchen Blüten. Und deren zähes, klebriges Geschlabber schmieren wir uns dann auch auf´s Brot und keiner regt sich darüber auf. Also was soll´s.
Da wir gerade davon sprechen, die Milch macht hier kein zartes, blasses Häutchen, sondern eine dem markigen Umfeld angepasste kompakte Hornhaut. Einen fetten, massiven Rahmpanzer, durch den man sich erst einmal beherzt und zielstrebig durchkämpfen muss, um zum flüssigeren Teil dieser animalischen Körperabsonderung zu gelangen.
Ernährungstechnische Defloration mit darauf folgender Penetration als brachialer Gewaltakt sozusagen. Jedenfalls g´sund soll´s sein, das alles – angeblich. Wenn man allerdings die natürliche Lebenserwartung unserer Vorväter bedenkt...
Gut. Sind sie eben alle vollkommen pumperlg´sund und kreuzfidel frühzeitig dahingeschieden. Hat ja schliesslich auch was, nicht wahr?

Stramme Haudegen, die vital und frohgemut urplötzlich im Stehen verglühen. Keine sabbernden, senilen Brummelgreise, die ihr endgültiges Abdanken zahn- und würdelos auf die lange Bank schieben.
Das gilt natürlich nur für den Fall, dass diese zünftigen Teufelskerle nicht einer zwanglos kommunikativ bedingten zünftigen G´nackwatschen mit etwas zu salopp eingesetztem Stich- Hieb- oder Schusswaffeneinsatz, einem letalen Konvent mit einem miesepetrigen Stier oder irgendeinem anderen Unbill noch juveniler als unbedingt nötig zum Opfer gefallen sind.
Nicht zu vergessen, das hierzulande allenthalben anzutreffende doch eher ruppige Terrain, welches namentlich brunftigen und rituell belercherlten Nachtwandlern flugs einige unsanfte Höhenmeter kosten kann.
Das Fallen selbst hat nachweislich noch keinem geschadet. Nur bei der Landung, da haperts immer noch ein wenig. Da sind die Burschen bis zum heutigen Tag – und, meine Damen und Herren, ich möchte diesen Kritikpunkt hier klar und deutlich beim Namen nennen – dabei sind sie einfach nicht wirklich firm!

Zugegeben, sich nach einem kapitalen Sturz über eine Steilwand im Tal geschickt abzurollen und sich damit geschmeidig jeder dräuenden Verletzungsgefahr zu entziehen ist allerdings auch nicht jedermanns Sache. Selbst die Evolution hat diesbezüglich komplett versagt. Läge hier ein sinnvoller Hybrid „Mensch-Gemse-Adler“ (oder als Nacht-und-Nebel-Version: „Mensch-Yeti-Eule“) doch so klar auf der Hand. Schade eigentlich! Irgendwie.
Nichts desto trotz. Ich muss in diesem Punkt wirklich streng urteilen: Übung macht auch hier den Meister. Diese fallen – wie wir aus dem Volksmund wissen – zwar nicht vom Himmel, purzeln aber schlussendlich kühn und behände von diversen träg herumlungernden Felsen.
Dessen ungeachtet haben sich unter den potentiellen Sturzflug-Novizen entsprechende Flug- und vor allem Lande-Übungen niemals richtig durchsetzen können.
Gewiss, diese sind hart, mühselig und sicher auch nicht ausnahmslos vollkommen schmerzfrei. Namhafte Kollateralschäden hingegen wurden bislang jedoch nur vereinzelt beobachtet.
Diese kauzige Abneigung und Uneinsichtigkeit der alpinen Ureinwohner aber lapidar mit ihrer hochgradig „bodenständigen Mentalität“ oder gar durch eine „induzierte Genmutation ausgelöste Aviophobie“, also der unbewussten Flugangst erklären zu wollen, erscheint mir jedenfalls eine Spur zu grotesk um nicht zu sagen schrullig.

Apropos schrullig: Hier, also in der unbarmherzigen Wildnis, meint man wiederum grobschrötig, dass es den meisten Städtern gelungen ist, sich zu einem fussmaroden „Mensch-Lemming-Pudelhund zurück zu entwickeln. Was – nach einer völlig haltlosen Einschätzung der Hochgebirgler - möglicherweise darin begründet ist, dass sich unsere genuine urwüchsige Harzherzigkeit in eine diffuse tiefländische Nudelsuppe verwandelt hat, auf der wir auch regelmässig dahergeschwommen kommen.
Diese absolut krude Bergler-Hypothese wird schon dadurch entkräftet, dass ich für meinen Teil niemals in Suppen schwimme. Mit oder ohne Nudeln. In gar keiner nicht. Selbst nicht in Suppen, die mir bereits bis zum Hals stehen. Und schon gar nicht in Suppen, die ich mir selber eingebrockt habe.
Ausserdem fehlt mir jegliche Affinität zu einem Pudelhund. Selbst wenn ich es nur zu einem Drittel sein sollte. Allein das Schwanzwedeln ist mir – selbst in extremen Ausnahmesituationen - vollkommen fremd. Auch zu Lemmingen fehlt mir jede praktische wie emotionale Beziehung. Zum Glück wedeln wenigstens die nicht. Mit rein gar nichts.

Persönlich kokettiere ich seit jeher recht erfolgreich mit der schöngeistigen Ausformung „Mensch-Siebenschläfer-Faultier“. Das ist es, genau! Und allein diesem zart sprossendem Reifungsprozess widme ich mich ab jetzt mit ganzer Kraft. Das ist von nun an mein Weg, meine Bestimmung, mein hehres Ziel.

So sind sie eben, die Tiefländlerischen.
 

onivido

Mitglied
Das einzige was ich zu der Geschichte sagen kann ist, dass ich sie ausgezeichnet finde. So moechte ich erzaehlen koennen.
Gruesse///Onivido
 



 
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