Einer von Zweihundertfünfzigtausend

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Auf dem Heimweg luden sie mich auf einen Pritschenwagen.
Ich musste alles zurücklassen, konnte mich nicht verabschieden.

Sie schüchterten mich ein, bedrohten und misshandelten mich.
Ich musste hungern, wurde krank. Man gab mir Alkohol.
Ich lebte in ständiger Angst, verletzt oder getötet zu werden.

Bis ich selbst Gewalt anwenden musste,
Grausamkeiten begangen habe.
Wieder und wieder.
Wieder und wieder.

Ich wollte fliehen.
Doch die Gefahr erwischt und getötet zu werden, war groß.
Auch wusste ich nicht, wo ich war und wie ich hätte nach Hause kommen sollen.

Bis es nach Jahren vorbei war,
und ich dachte, frei zu sein.

Ich lebte auf der Straße.
Ich hungerte, ich prügelte mich.
Ich schlief auf kalten Böden in verlassenen Gebäuden.
Dachte, die schlimmen Bilder vertreiben zu können, die Alpträume, die Angst.

Bis ich wieder auf einen Pritschenwagen geladen wurde.
Und sie mich in eine Stadt aus Zelten brachten.
Sie gaben mir Nahrung. Sie behandelten meine Wunden.

Ich dachte, alles würde wieder wie früher sein, als mich mein Vater holen kam.

Bis ich erfuhr,
dass ich nicht zufällig auf dem Schulweg aufgegriffen wurde,
dass meine Eltern meine jüngeren Geschwister schützen wollten,
und dachten, dass mich die Soldaten gut behandeln würden,
und dachten, dass ich Geld für die Familie verdienen könnte,
und hofften, dass ich unversehrt heimkehren würde.

Bis ich erfuhr,
dass meine Mutter und meine Geschwister es nicht geschafft hatten.

Ich gab meinem Vater die Schuld.
Für einen kleinen Augenblick überlegte ich, das zu tun, was ich inzwischen am besten konnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo SilberneDelfine,

danke für deinen Kommentar und die Bewertung.

(Als ich von den weltweit 250.000 Kindersoldaten gehört hatte, war ich schockiert und musste darüber etwas schreiben.)


Hallo Wolfgang Fridolin,

ich danke dir für die Bewertung.

Schönes Wochenende.
Gruß, Franklyn Francis
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
@Franklyn Francis, diese Kurzprosa finde ich anrührend - und besser, als die längere Version "Sog", weil mir dieser knappe Stil besser zur Schilderung eines Jungen und seinen grausamen Erlebnissen zu passen scheint.
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Franklyn Francis
Gefällt mir, dein Text, sehr berührend. Das man am Anfang nicht gleich weiß, worum es geht, macht neugierig auf den Schluß.
Gruß Kaetzchen
 
Hallo Isbahan,

danke für deinen Besuch.

diese Kurzprosa finde ich anrührend - und besser, als die längere Version "Sog", weil mir dieser knappe Stil besser zur Schilderung eines Jungen und seinen grausamen Erlebnissen zu passen scheint.
Danke auch für deine Meinung bzgl. der anderen Geschichte.
Ja, da ist was dran, dass der Junge es knapper erzählen würde, da wohl jedes Wort schmerzt.
Die zweite Version hatte ich als Alternative ausgearbeitet, damit ich auch eine längere habe, da ich nicht wusste, wie lang der Text sein durfte/musste, den ich bei einer Friedensnacht vortragen durfte.


Hallo Kaetzchen,

schön, wieder jemand Neues bei der Leselupe kennenzulernen.

Gefällt mir, dein Text, sehr berührend.
Danke dafür.

Das man am Anfang nicht gleich weiß, worum es geht, macht neugierig auf den Schluß.
Das freut mich sehr.

Ich wünsche euch einen tollen Start ins Wochenende.

LG, Franklyn Francis
 
G

Gelöschtes Mitglied 22242

Gast
Hat mir gefallen.
Ich persönlich finde, dass der Schluss etwas zu „mit der Tür ins Haus“daherkommt.

ich hätte es vielleicht so gemacht:


Für einen kleinen Augenblick überlegte ich, das zu tun, was ich inzwischen am besten konnte

… ich denke der Rest ergibt sich aus dem Kontext und jeder kann sich selbst denken was es ist und es gibt sogar noch ein bisschen Spielraum für mehr (töten / foltern…

viele Grüße , Tommy
 



 
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