Einkaufsbummel

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Ilona B

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„Einkaufsbummel“

Oliver Riemann saß am Frühstückstisch, in der Hand eine Tasse Kaffee und vor sich den Sportteil der Tageszeitung. Im Hintergrund dudelte das Radio. Cordula, die Sprecherin von WDR2, erläuterte gerade ausgiebig die Vorzüge von morgendlicher Gymnastik. Normalerweise ließ Oliver sich nicht von seiner Lektüre ablenken, aber seit ein paar Minuten hörte er angespannt auf das Rumoren im Schlafzimmer. Schranktür auf, Schranktür zu, Schublade auf und wieder zu. Zwischendurch leises Murmeln und langgezogene Seufzer. Und da passierte es auch schon. „Ich hab überhaupt nichts mehr anzuziehen!“, erklang die Stimme seiner Angetrauten. Olivers Kaffee schwappte über. Er hatte es geahnt, schon den ganzen Morgen dieses Gefühl von einem bevorstehenden Unheil und nun war es geschehen. Jedes Jahr sobald die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken brachen, musste er darauf gefasst sein, diesen Ausruf zu vernehmen. Der Ausruf, der bei allen Ehemännern gefürchtet ist, denn er bedeutete nichts anderes, als das am nächsten freien Samstag, die jährliche Einkaufstour anstand.
Seine Frau Gaby durchstöberte sonst mit ihren Freundinnen die Boutiquen, doch der erste Bummel war ihm vorbehalten. Auf dieses Privileg würde er gern verzichten, doch die Diskussionen in diese Richtung, konnte er nicht gewinnen.

Am nächsten Samstag gegen acht Uhr, fuhren Oliver und Gaby in ein Parkhaus, nahe der Kölner Innenstadt und ergattern einen der letzten freien Parkplätze. Oliver wertete das als gutes Zeichen. Bevor sie jedoch loslegen konnten, stand noch das Vergnügen eines ausgiebigen Frühstückes an; auch so eine Unsitte die Oliver nicht verstand. Zuhause könnten sie sich ausgeschlafen und in aller Ruhe an einen üppig gedeckten Tisch setzen. Im Café hockten sie vor einem Bistrotischchen, auf dem nur die Hälfte der Sachen Platz hatte, standen endlos lang in der Schlange zum Büffet und versuchten zwischendurch die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich zu ziehen, um einen mittelmäßigen, lauwarmen Kaffee zu bestellen. Gaby fand das irre gemütlich. Na ja!
Mit vollem Bauch steuerten sie die Geschenkeabteilung im Karstadt an. Gaby erstand einen Haufen Kleinigkeiten für die anstehenden Geburtstage. „Meinst du nicht, wir sollten die Sachen vielleicht zum Schluss kaufen? Jetzt muss ich den Kram stundenlang mitschleppen“, gab Oliver zu bedenken.
„Ach Schätzchen, du bist doch ein starker Mann. Mir ist es so lieber, denn nun kann ich mich ganz auf meine Klamotten konzentrieren.“
Unternehmungslustig hakte Gaby sich bei Oliver ein, der angesichts ihres Eifers schmunzeln musste. Süß meine Kleine, dachte er und ab ging’s zu den Damenmoden.
Minuten später probierte Gaby die ersten Kleidungsstücke an. „Schatz, bringst du mir die hier eine Nummer kleiner?“ Sie hielt eine hübsche Leinenbluse aus der Kabine.
„Mach ich.“ Oliver schnappte sich das Teil, peilte die Ständer mit den Blusen an und fand, welch Wunder, direkt die richtige Größe. Zwar war die Farbe ein wenig dunkler, aber das konnte doch nicht so tragisch sein. Als Ausgleich nahm er einfach eine hellere Bluse mit. Gaby gefielen beide. Gekauft wurde natürlich keine, denn es bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass sie eine schönere und preisgünstigere Bluse fanden.
Die Zeit verging und die Kaufhäuser füllten sich. Es summte wie in einem Bienenstock und eine Masse von Menschen wuselte geschäftig durch die Gänge. Ab und an unterbrachen schreiende Kinder den nervigen Singsang aus den Lautsprechern. Oliver und Gaby steuerten wieder mal eine Umkleidekabine an. Die Kabinen in diesem Kaufhaus empfand Oliver als eine besondere Zumutung. Ein riesiger Raum, in dessen Mitte Stühle aufgereiht waren - Lehne an Lehne, wie im Warteraum eines Flughafens. Dort saßen sie, seine Leidensgenossen. Ehemänner beim Einkaufsbummel, brav mit den Tüten und der Handtasche der Gattin beladen und die Augen gebannt auf jede Bewegung des Vorhanges vor sich richtend. Oliver reihte sich unter mitfühlenden Blicken in die Männergruppe ein. Das Warten begann und dann, eine Art von Gymnastik, denn jedes Mal wenn sich ein Vorhang öffnete, richtet sich der davor sitzenden Mann aus seiner zusammengesunkenen Position auf und blickte erwartungsvollen drein. Schloss sich der Vorhang, ließ die Körperspannung nach und der Mann sackte zusammen. Es war keine angenehme Vorstellung für Oliver, dass er höchstwahrscheinlich eine ebenso jämmerliche Figur abgab. Aber wenigstens bekam er einen Kuss, als Gaby das nächste Mal in der Umkleide verschwand. Mittlerweile drangen aus der Kabine merkwürdige Geräusche an Olivers Ohr und Sekunden später stand Gaby vor ihm. „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht?“ Sie drehte sich vor dem Spiegel hin und her und betrachtete ihre Beine. Oliver, langerprobter Ehemann, war schon in Position und rief begeistert: „Toll, der Minirock steht dir aber sehr gut!“ Dieser Ausruf musste genau das richtige Maß an Begeisterung beinhalten, sonst löste er möglicherweise eine Grundsatzdiskussion über die Stärke der Beziehung aus.
„Findest du? Meinst du nicht meine Oberschenkel sind zu dick?“
„Quatsch! Du hast tolle Beine, vor allem jetzt wo du so abgenommen hast.“ Gaby schmollte.
„Vorher waren sie also hässlich!?“ Oliver verdrehte die Augen.
„Natürlich nicht! Du drehst mir die Worte im Mund herum.“
„Schon gut, schon gut, aber ich habe keine passenden Sandalen und meine Hautfarbe! Quarkweiß wäre geschmeichelt.“
„Mensch, Gaby! Wo ist das Problem? Kauf dir ein paar Schuhe und geh auf die Sonnenbank oder warte bis zum Urlaub. In Griechenland kriegst du bestimmt braune Beine.“ Gaby zögerte und starrte betrübt auf ihr Spiegelbild.
„Meine liebe, junge Dame! Vertrauen Sie ihrem Gatten. Ich bin, wenn ich so sagen darf, ganz seiner Ansicht. Ihre Wirkung in diesem Ensemble ist ausgesprochen feminin.“ Oliver und Gaby schauten gleichzeitig auf. Ein vornehmer, älterer Herr lüftete seinen Hut und verbeugte sich galant. Bewundernd betrachtete er Gabys Erscheinung. „Da hörst du es! Dem Herrn wirst du ja wohl glauben.“ Oliver lächelte seinem Gegenüber zu. Dieser hatte immer noch Gabys Beine im Blick, was er sich nach Olivers Ansicht langsam verkneifen könnte.
„Ich überlege es mir noch“, murmelte Gaby und verschwand hinter dem Vorhang, um die restlichen Sachen anzuprobieren. Der Rock wurde natürlich nicht gekauft, dafür ein Mantel, der extrem günstig im Preis war, eine Handtasche, von der Frau nie genug haben kann und einen Jogginganzug, da sie auf jeden Fall wieder anfangen wollte zu laufen. Voll bepackt fuhren sie ins Erdgeschoss und durchquerten, auf dem Weg zum Ausgang, die Herrenabteilung.
„Sieh mal hier, der Anzug wäre doch was für mich.“ Oliver zeigte auf ein herabgesetztes Ausstellungsstück.
„Ja, nicht übel, aber dich wollte ich nächsten Samstag neu einkleiden.“
„Ach lass mal, wenn das Zeug hier passt, können wir uns das schenken.“
Oliver gratulierte sich im Stillen. Er eilte zur nächsten Umkleidekabine und schlüpfte in die Hose. Perfekt! Das Hemd und der Blazer saßen ebenfalls wie angegossen. „Sehr schick!“, musste Gaby zugeben.
„Sag ich doch. Die Hose nehme ich noch in blau, so habe ich gleich was zum Kombinieren.“
Oliver zückte die Brieftasche und steuerte auf die Kasse zu.
„Willst du nicht woanders vergleichen?“ Gaby versuchte mit ihm Schritt zu halten.
„Wieso denn? Sieht gut aus und ist günstig. Was will man mehr.“ Gaby gab auf. Sie kannte das ja schon. So kaufte Oliver immer ein.
Mit qualmenden Sohlen ging es endlich Richtung Parkhaus. Auf der Schildergasse fiel Gaby eine junge Frau auf.
„Liebling, sieh mal. Die hat ungefähr meine Figur und ihr steht der Minirock echt gut.“ Oliver atmete tief durch.
„Ich hab doch gesagt, dass du super aussiehst. Jedes Mal das gleiche, warum fragst du mich überhaupt, wenn du sowieso nicht auf mich hörst?“
„Nicht böse sein! Aber ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte.“
„Tja, deine Kollegen wären bestimmt begeistert gewesen. Und erst dein Boss. Dem hättest du etwas mehr Bein gezeigt und schon wäre die anstehende Beförderung dir gewesen.“
„Mmmm! Da könntest du Recht haben. Lass uns schnell zurück gehen, bevor der Rock weg ist.“ Gaby drehte sich um und schlängelte sich durch die Menge, zurück ins Kaufhaus. Oliver sah ihr entgeistert nach.
„Gibt es denn so was?! Ehrliche Komplimente überhört sie, aber die wildesten Übertreibungen überzeugen sie. Erklär mir einer die Frauen.“ Kopfschüttelnd folgte er seiner Frau und hoffte, dass damit der Einkaufsbummel endgültig vorüber war.
 

van Geoffrey

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Alltagsphänomene und Alltagsunlogik

Ja, da wird das ewig unterschiedliche Kaufverhalten von Frauen und Männern thematisiert.
Gaby wirkt insgesamt witziger als Oliver, und ich hätte ihm etwas mehr Humor vergönnt.
Ein paar eingestreute witzige Metaphern zum Einkaufsritual könnten der Geschichte ebenfalls gut tun.

Eine der besten Passagen ist die hier:

"Mach ich.“ Oliver schnappte sich das Teil, peilte die Ständer mit den Blusen an und fand, welch Wunder, direkt die richtige Größe. Zwar war die Farbe ein wenig dunkler, aber das konnte doch nicht so tragisch sein. Als Ausgleich nahm er einfach eine hellere Bluse mit. Gaby gefielen beide. Gekauft wurde natürlich keine, denn es bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass sie eine schönere und preisgünstigere Bluse fanden.

Das ist herrlich unlogisch. So kennen und mögen Männer die Frauen seit der Steinzeit. Erfrischende Alltagsunlogik. Erfrischend wahr.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Ilona!

Mit einem Schmunzeln habe ich deine Geschichte gelesen:
Ich hab nichts anzuziehen!“ Der tragischste aller Sätze! Wer kennt das nicht? Oliver hat dabei noch Glück, dass er diesen Ausruf nur einmal im Jahr hören muss. Mitfühlen konnte ich bei Gaby besonders bei dem ausgiebigen Frühstück im Café (ich find, es gibt nichts schöneres…)
Neben dem Satz den Van Geoffrey zitiert hat, musste ich auch hierüber grinsen:
"Dort saßen sie, seine Leidensgenossen. Ehemänner beim Einkaufsbummel, brav mit den Tüten und der Handtasche der Gattin beladen und die Augen gebannt auf jede Bewegung des Vorhanges vor sich richtend."

...denn sehr oft fallen mir in den Kaufhäusern genau diese Männer auf, und dann tun sie mir leid….

Tatsächlich eignet sich dieses Thema für eine Kurzgeschichte. Ilona passt sich ihrem Schatz ja an – und Oliver ist wirklich die Geduld in Person. Ansonsten liesse sich das Thema hier und da noch stark vertiefen, denn der Satz:

„Mensch, Gaby! Wo ist das Problem? Kauf dir ein paar Schuhe und geh auf die Sonnenbank oder warte bis zum Urlaub!"

...könnte ja auch wieder Frust auslösen….Fühlt man sich da nicht vernachlässigt?

Amüsierte Grüsse!
Ji
 

Ji Rina

Mitglied
P.S.

Nicht Ilona passt sich ihrem Schatz an - sondern Gaby. Ilona hat diese Geschichte geschrieben, Ji...
Ganz ruhig...

Mit Gruss,
Ji
 

Ilona B

Mitglied
Hallo van Geoffrey,
vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text.
Schön das ich Euch ein wenig unterhalten konnte. :)
Ich dachte, dass Oliver insgesamt ein wenig trockener wirken sollte, denn schließlich wollte er nicht mit zum Bummel und ich finde Personen wirken realer, wenn sie unterschiedlich sind.
Herzliche Grüße Ilona


Hallo Ji,
Dir auch vielen, lieben Dank für die Kommentare und mach Dir keine Gedanken, der Versprecher ist gar nicht so falsch. Es steckt einiges an Eigenerfahrung in dem Text. ;)
Aufgrund Eurer Anregungen überlege ich, ob ich die Geschichte noch ausbaue oder eventuell eine neue in der Richtung schreibe. Mal sehen.
Übrigends gehe ich auch total gerne Frühstücken, was ich aber mit Freundinnen mache, denn mein Mann steht da wirklich nicht drauf und hat auch nicht die nötige Ausdauer. :D
Herzliche Grüße Ilona
 

Kai Kernberg

Mitglied
Hallo Ilona, ehe es keine Kaufhäuser mehr gibt, müssen Geschichten wie Deine niedergeschrieben werden! Du beschreibst die Orte, Stimmungen und Geschehnisse authentisch und die Leser/innen können dabei zur einen oder anderen Seite halten (und zwischendurch auch wechseln). Ein schönes Zeitzeugnis mit Schmunzelfaktor und Mitleidensessenz. VG Kai
 



 
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