Einmal im Leben so essen wie die Reichen

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Einmal im Leben so essen wie die Reichen

Irgendwo in Berlin um 1900:

Herschel Breitkreutz legte Geld auf den Tisch und sagte zu seiner Frau: „Schau, das hab ich verdient, heute am Sonntag, beim Herrn Geheimrat. Sein WC war wieder mal verstopft und ich habe das Rohr frei gemacht.“
„Ach,“, seufzte seine Frau, „ich möchte nur mal wissen, wie diese klugen Leute das immer wieder schaffen. Sie behaupten, die Adele, der Dorftrampel, sei es gewesen.“
„Nein,“, entgegnete Herschel, „ich glaube, sie können sich nicht auf das WC umstellen, sind noch zu sehr an das Plumpsklo gewöhnt. Da konnten sie ja alles Mögliche reinwerfen. Sie denken einfach nicht daran, dass das Rohr nicht so viel schlucken kann, wie sie ihm anvertrauen.“
„Ja, ja,“, führte die Frau munter das Gespräch fort, „unsereiner benutzt das Klopapier geschickt von beiden Seiten und die Reichen wickeln die halbe Rolle ab für einmal wischen! Wie viel hat der Herr denn gegeben?“
Sie zählt die Münzen. „Ei, fünf Groschen! Da hat er sich aber in Unkosten gestürzt! Da hast du ja mehr Geld nach Hause gebracht, als du noch an der Straßenecke auf der Fiedel gespielt hast.“
„Nein,“ erwiderte Herschel verlegen, „die Frau Geheimrat persönlich hat mir das Geld gegeben, Frau Geheimrat persönlich, Rachele!“
„Aha, die Frau Geheimrat. Am Sonntag. Nun ja, jeder heiligt seinen Feiertag auf seine Weise. Hoffentlich bleibt das nicht dein einziger Verdienst in dieser Woche. Die Vorräte neigen sich rapide dem Ende zu.“
Der Mann machte „Hm.“, und rieb sich das Kinn.
Die Frau sah ihn forschend an: „Soso, die Frau Geheimrat. Wollte sie vielleicht sonst noch was von dir?“ – „Ja.“ – „Ei was? Da bin ich aber mal gespannt!“
Der Mann druckste herum. Rachel fragte in etwas versöhnlicherem Ton: „Nun lass es schon raus, mein Herschele, wird so schlimm nicht sein.“
Er atmete auf und berichtete: „Die Frau Geheimrat hat gefragt, ob ich am 18. April bei ihr aufspielen könnte.“ – „Ja, und? Geht ja nicht, du hast ja keine Fiedel mehr.“
„Hm, das hab ich auch betracht. Meine arme Fiedel! Und dann hat der Kerl noch gesagt, ich soll arbeiten gehen wie ein Christenmensch.“
„Nu, nu.“, versuchte Rachel zu trösten. „Dieser . . . dieser . . . dieser beschikkerte Christ hat sicher nicht gewusst, dass Juden in dieser Stadt keine Arbeit bekommen. Sonst hätte er deine Fiedel bestimmt nicht zerschlagen. Und außerdem – wer am frühen Nachmittag schon betrunken ist, ist sicher ein ganz armer, geplagter Mensch. Walte Gott, dass er nicht auch noch Frau und Kinder hat. Was hast du der Frau Geheimrat geantwortet?“
„Ich hab überlegt, ob ich mir die Fiedel von Moische borgen sollte und ihm dann die Hälfte vom Geld abgeben. Aber dann fiel mir ein, dass Moische sicher wissen wollen würde, wie viel er bekommt und das kann ich doch nicht sagen, wenn ich nicht weiß, was Frau Geheimrat zu geben betrachtet. Da hab ich ihr versprochen, dem Moische Bescheid zu sagen, damit er aufspielt.“
„Gut, sag es ihm. Aber vergiss die Vermittlungsgebühr nicht.“
„Was denn für eine Vermittlungsgebühr? Ich will Moische doch nicht verheiraten!“
Eine Weile ist es still. Dann gibt die Frau zu bedenken: „Im April sind Einsegnungen. Der Bernhard von Frau Geheimrat ist wohl gerade im entsprechenden Alter. Hat Frau Geheimrat den Anlass genannt, was wird sein am 18. April?“
„Nein, das hat sie nicht.“
„Moische und seine Familie werden uns nicht mehr grüßen, wenn du ihn zu einer Einsegnung schickst.“
„Eijeijei, oiwoiwoi.“ Herschel schlug die Hände vor das Gesicht. Nach einer Weile nahm er sie wieder herab und sprach mit leuchtenden Augen: „Rhebekka." - "Das gute Kind ist mit ihrem kleinen Bruder spazieren gegangen." - "Aber sie versteht sich doch so gut mit Adele. Sie wird fragen ganz unauffällig, was am 18. April ist und dann werde ich es wissen und dann kann ich dem Moische Bescheid sagen, und wenn es eine Einsegnung ist, dann kann ich ihn bei Frau Geheimrat entschuldigen mit einer frommen Lüge. So wäre allen geholfen!“
Wieder trat für eine Weile Stille ein. Da Herschel aber nicht aufhörte, seinen Oberkörper wie im Gebet zu wiegen, fragte die Frau nach: „Nu, Herschele, da ist doch noch irgendwas. Lass es raus, komm, lass es raus, du kannst ja sonst die Nacht nicht schlafen.“
„Ach,“, seufzte der Mann, „du kennst mich zu gut, mein Rachele. Ja, da ist noch was. Als ich da in der Diele stand und darauf wartete, dass ich mein Geld bekomme, kam Adele mit einem Teller vorbei und darauf war . . . , also du ahnst nicht, was darauf war. Es duftete sooo herrlich und war so flach wie Kreplach, und Adele rief in den Salon hinein: „Gnädige Frau, ich bringe dem Herrn Geheimrat jetzt sein Ommlett ins Arbeitszimmer.“ – „Und weiter?“ „Ommlett, Rachele! Wenn ich das nur einmal essen könnte! Einmal in meinem Leben möchte ich essen wie die Reichen. Bitte, liebes Weib, mach mir ein Ommlett!“
„Soso, ein Ommlett willst du. Und, wie mach ich ein Ommlett?“
„Aber Rachele, du bist doch die beste Köchin der Welt, du wirst es wissen!“
„Nein, ich weiß es nicht. Hab ich noch nie gehört von ein Ommlett.“
Etliche Minuten saßen die Eheleute mit gesenkten Köpfen nebeneinander. Und wieder war es der Mann, der den rettenden Einfall hatte: „Rhebekka. Unser gutes Kind Rhebekka wird fragen die Adele, dann wirst du es hören und wirst mir machen ein Ommlett, damit ich einmal im Leben essen kann wie die Reichen.“

Montag: „Rhebekka, hast du gefragt die Adele, wie man macht Ommlett?“ – „Nein, Papa.“ – „Aber du wirst es noch tun, ja, mein gutes Kind?“ – „Ja, Papa.“

Dienstag: „Rhebekka, hast du gefragt die Adele, wie man macht Ommlett?“ – „Nein, Papa.“ – „Aber du wirst es noch tun, ja, mein gutes Kind?“ – „Ja, Papa.“

Mittwoch: „Rhebekka, hast du gefragt die Adele, wie man macht Ommlett?“ – „Nein, Papa.“ – „Aber du wirst es noch tun, ja, mein gutes Kind?“ – „Ja, Papa.“

Donnerstag: „Rhebekka, hast du gefragt die Adele, wie man macht Ommlett?“ – „Nein, Papa.“ – „Aber du wirst es noch tun, ja, mein gutes Kind?“ – „Ja, Papa.“

Freitag: „Rhebekka, hast du gefragt die Adele, wie man macht Ommlett?“ - „Ja, Papa.“ – „Oh du mein gutes Kind, komm und sag es deiner Mutter, damit sie mir macht das Essen der Reichen.“
„Papa, am 18. April ist . . .“ – „Ei, das ist gar nicht so wichtig, zuerst das Ommlett, Libinke. Frau, hör zu.“
Das Mädchen errötete und zögerte mit der Rede. Erst nach mehrmaliger Aufforderung durch den ungeduldigen Vater sprach es: „Man braucht ein Ei.“ – „Siehst du, Frau, ein Ei. Ich wusste doch, dass ein Ommlett etwas Besonderes ist.“
„Ja, ja.“, nickte Rachel. „Ein Ei. Woher nehm ich ein Ei ohne einen Pfennig Geld? Ich habe nur eines, das brauche ich für das Essen am Sabbat.“ – „Nu, dann nimmst du den Rest vom Ei.“ – „Was für einen Rest? Doch nicht die Schale!“ – „Was weiß denn ich. Du bist die Hausfrau, du wirst es einrichten.“ – „Aber Herschele, wir sind fünf Menschen, was ist da ein Ei für ein gutes Mahl? Da ist kein Rest. Dein Ommlett muss auskommen ohne Ei.“
„Na gut.“, resignierte der Mann. „Mach das Ommlett ohne Ei. Ich freu mich schon so darauf. Weiter, Rhebekkele, was braucht es noch?“
„Einen Löffel Zucker.“ – „Was, einen ganzen Löffel Zucker?“, erregte sich Rachel. „Nehmen wir doch nie Zucker an den Tee und nur ein Paar Krümel aufs Brot, und jetzt einen ganzen Löffel für EIN Ommlett? Das geht nicht. Kann das Ommlett auskommen ohne Zucker, Herschele?“
Der Mann nickte ganz langsam: „Muss es wohl. Aber ich werde ein Ommlett essen. Was braucht es noch, Libinke?“
Das Mädchen zögerte wieder, aber es half nichts, der Vater wollte sein Omelett. Leise sagte sie: „Es müssen fünf Esslöffel Milch hinein.“
„Eijeijei, oiwoiwoi!“, zeterte die Mutter. „Fünf Esslöffel! Ja, ja, das Essen der Reichen! Hab ich nur einen Viertelliter Milch, den muss ich stark verdünnen, damit das Baby drei Tage davon trinken kann, wird uns ja noch ganz blass und krank ohne Milch! Das Ommlett muss auskommen mit Wasser statt Milch.“
Aufseufzend und müde fragte der arme Jude: „Was noch, Rhebekka, Kind, braucht es noch viel?“
„Nein, Papa, nur noch vier bis fünf gehäufte Esslöffel Weizenmehl.“
„W E I Z E N M E H L?“, entrüstete sich die Mutter. „Willst du einen Feiertag mitten in der Woche haben? Gott der Gerechte, WEIZENMEHL! Woher nehme ich Weizenmehl?“ – „Haben wir das nicht?“, fragte der Mann kleinlaut.
„Nein, haben wir nicht. Du weißt wohl nicht, wie teuer das ist! Nicht mal alle Christen können sich so etwas leisten. Dein Ommlett muss auskommen mit dem, was wir haben.“ – „Gut, meine liebe Frau. Aber ich werde Ommlett essen, einmal im Leben essen wie die Reichen!“ – „Ja, aber vier Löffel Mehl kann ich nicht drangeben. Darf das Ommlett kleiner sein als das vom Herrn Geheimrat?“ – „Ja, ja, nur mach es mir endlich!“
Rhebekka begab sich davon, froh, nicht auch noch sagen zu müssen, dass die Reichen ihr Omelett mit Butter braten, denn diese Köstlichkeit gab es bei ihnen nicht einmal am höchsten Feiertag.
Nach kurzer Zeit war das Omelett fertig. Herschel bestaunte es mit aufgerissenen Augen. „Hmmm, wie das duftet. Aber nicht so wie beim Herrn Geheimrat.“
Er nahm einen Bissen. „Und dunkler ist es auch als beim Herrn Geheimrat. Hattest es zu lange auf dem Feuer, hm?“, fragte er schelmisch und nahm noch einen Bissen. „Hm. Schmeckt säuerlich. Ist zuwenig Salz drin oder vielleicht gar keins.“ – „Von Salz war nicht die Rede.“ – „Ach,“, brauste Herschel auf, „das weiß ja sogar ich als Mann, dass Salz ans Essen kommt!“
Er nahm noch einen Bissen. „Ist so klebrig, das Ommlett. Schmeckt eigentlich überhaupt nicht. Möchte nur wissen, was die Reichen daran finden? Also, von mir aus bräuchte es das Zeug nicht zu geben.“
„Amen.“, nickte die Frau.
Der Mann schob den Teller von sich. Er wischte den Mund ab und sagte dann bedächtig: „Wie lautet das achte Gebot? Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Kind, Magd oder Knecht noch sonstiges Hab und Gut. Da füge man hinzu: und auch sein Essen nicht!“

Nebenbei: am 18. April gab die Frau Geheimrat eine Soiree. Moische spielte auf und Herschel bekam einen Teil seines Verdienstes.
 
M

Miriam

Gast
Hallo,

wie benutzt man denn Klopapier beidseitig?

Iggiittttttttttt!!!!!!

Gruss
 
M

Miriam

Gast
Die Geschichte ist realistisch mit jued. sense of humour.:)

Deutsche Juden sind so, wie Du sie beschrieben hast. Aber die sind auch eine "Gesellschaft" fuer sich.

Diese vielen Jiddischen Ausdruecke. Baeh!!! Da befaellt mich als Israeli immer das Grausen.:)

Bis dann
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
eijeijei,

dabei habe ich mich mit dem jiddischen schon sehr stark zurückgehalten! na, macht ja nix. im gegenzug habe ich ja noch nie n israeli reden hören . . .
ganz lieb grüßt
 
M

Miriam

Gast
Das Jiddische ist aber dennoch viel enthalten. Zum Beispiel MOISCHE, in hebrae. Moshe.:)

Kannst ja mal auf http://www.kolisrael.com
gehen. Dort kannst Du auch israel. Radio und somit die Sprache hoeren. :)

Shabbat Shalom
 



 
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