Einsamkeit

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Mistralgitter

Mitglied
nachts um 3
auf dem Bahnsteig Gleis 2
sitze ich in meinem Sessel
weich und bequem
direkt unter einer Neonleuchte

hinter mir am Treppen-Geländer steht ein Mädchen
und singt
[ 4]über ihre Traurigkeit
[ 4]den Wunsch nach Veränderung der Welt
und wenn sie kurz Luft holt
lese ich vor
[ 4]vom Weinberg
[ 4]vom Lachen und Lieben

wir stehen in einem Wettbewerb
der kurzen Worte und langgezogenen Melodien
niemand stört uns
die Menschen schlafen doch um diese Zeit
noch nicht einmal ein Zug rattert vorbei
 
G

Gelöschtes Mitglied 19679

Gast
Mir gefällt das Gedicht! Ein gut getroffenes leises Stimmungsbild - die Verlorenheit, Einsamkeit beider Figuren, - anrührend. Klar könnte man einiges kürzen, aber wäre es dann noch dieser eine festgehaltene Moment?
Danke, war schön zu lesen!

Lieben Gruß,
Monika
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Mistralgitter,

eine sehr gut eingefangene Momentaufnahme, bei der ich nur über einen Punkt gestolpert bin:
hinter mir am Treppen-Geländer steht ein Mädchen
und singt
über ihre Traurigkeit
den Wunsch nach Veränderung der Welt
und wenn sie kurz Luft holt
Lässt Du das Mädchen stehen, sollte es seine Traurigkeit und wenn es kurz Luft holt heißen. Oder Du änderst das Mädchen in eine (sehr) junge Frau.

Gruß Ciconia
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Ciconia,
du hast natürlich richtig recht!
Seltsamerweise ist mir diese grammatische Ungenauigkeit überhaupt nicht aufgefallen.
Wie ich es nun lösen will, weiß ich im Moment nicht so richtig. Mal sehen.
Danke jedenfalls für dein genaues Hingucken.
LG
MG
 
Hallo Mistralgitter,
die geschilderte Situation im Bahnhof ist wunderbar dicht.
Allerdings finde ich, die beiden ersten Zeilen der letzten Strophe können fehlen (von "wir stehen" bis "Melodien"), da diese Erklärung sich aus der Szene ohnehin ergibt..
Herzliche Grüße
Karl
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Karl,
Danke für dein Lesen und deine Bewertung, aber ich weiß nicht recht, ob ich deinem Einwand folgen will. Da es sich der Einordnung nach um Lyrik handelt, ist folglich der Autor gehalten, so knapp wie möglich zu bleiben - Überflüssiges zu streichen, Doppeltes auszulassen. So erwartet man es. Aber ist die Stelle wirklich überflüssig, kann man sie weglassen, sodass der Text gewinnt? Ich weiß es nicht.
Es ist jedoch mal wieder ein Text, der sich eigentlich jeglicher Einordnung hier in der LE widersetzt. Wenn ich es als Prosa eingestellt hätte - was dann? Wäre es dann anders?
Ich bin unschlüssig.
Viele Grüße
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
nachts um 3
auf dem Bahnsteig Gleis 2
sitze ich in meinem Sessel
weich und bequem
direkt unter einer Neonleuchte

hinter mir am Treppen-Geländer steht sie
und singt wie ein Mädchen
[ 4]über ihre Traurigkeit
[ 4]den Wunsch nach Veränderung der Welt
und wenn sie kurz Luft holt
lese ich vor
[ 4]vom Weinberg
[ 4]vom Lachen und Lieben

wir stehen in einem Wettbewerb
der kurzen Worte und langgezogenen Melodien
niemand stört uns
die Menschen schlafen doch um diese Zeit
noch nicht einmal ein Zug rattert vorbei
 

Mistralgitter

Mitglied
nachts um 3
auf dem Bahnsteig Gleis 2
sitze ich in meinem Sessel
weich und bequem
direkt unter einer Neonleuchte

hinter mir am Treppen-Geländer steht ein Mädchen
und singt
[ 4]von der Traurigkeit
[ 4]dem Wunsch nach Veränderung der Welt
und wenn es kurz Luft holt
lese ich vor
[ 4]vom Weinberg
[ 4]vom Lachen und Lieben

wir stehen in einem Wettbewerb
der kurzen Worte und langgezogenen Melodien
niemand stört uns
die Menschen schlafen doch um diese Zeit
noch nicht einmal ein Zug rattert vorbei
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Hallo Mistralgitter

Mir gefällt die Atmosphäre, lebendig dargestellt etwas prosa-artig im Erzähstil und wenige lyrisch-sprachlichen Feinheiten, dafür aber wie gesagt inhaltlich toll!

LG,
Peter
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Peter,

Danke für deinen Kommentar. Ja, der Text ist schwierig einzuordnen. Aber umso besser, wenn er dir trotzdem gefällt.

Viele Grüße
Mistralgitter
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Karl Feldkamps Vorschlag ist erwägenswert.
Und das bedeutet sehr viel für dieses Gedicht, ich meine: mehr als nur, ob man die beiden Zeilen wegläßt oder nicht:
und singt
[ 4]von der Traurigkeit
[ 4]dem Wunsch nach Veränderung der Welt
und wenn es kurz Luft holt
lese ich vor
[ 4]vom Weinberg
[ 4]vom Lachen und Lieben

wir stehen in einem Wettbewerb
der kurzen Worte und langgezogenen Melodien
Es sieht nämlich aus wie ein bloßes Gedicht-Postulat statt des Gedichts.
Du kannst ja nicht behaupten, "kurze Worte und langgezogene Melodien" wären Substanz eines Wechselgesangs, und es nicht einlösen.
Also: entweder sind die eingerückten Gesangszeilen selbst "kurze Worte und langgezogene Melodien", dann braucht man es nicht zu behaupten, muß also als nachträgliche Behauptung wegbleiben,
- oder sie sind es nicht und man muß es behaupten, aber dann ist es eine nicht eingelöste Selbstforderung (ein Postulat).

Und das wäre doch ziemlich albern, findest Du nicht?

grusz, hansz
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Mondnein,
irgendwie versteh ich die Einwände nicht. Ich lass deinen Kommentar daher einfach mal so stehen, bedanke mich aber für deine Mühe.
LG
MG
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Vielleicht könntest du

wir stehen in einem Wettbewerb
der kurzen Worte und langgezogenen Melodien
niemand stört uns
die Menschen schlafen doch um diese Zeit
noch nicht einmal ein Zug rattert vorbei
komplett streichen und den Text "Wettstreit" oder ähnlich nennen.

Wobei ich die letzte Zeile

noch nicht einmal ein Zug rattert vorbei
eigentlich lyrisch passend finde. Die sollte vielleicht nicht verlorengehen. Aber der Wettbewerb selbst geht ja aus dem Vorhergehenden eindeutig hervor. Die folgende Erklärung ist wenig lyrisch für meinen Geschmack.
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Cellist,

irgendwie hab ich den Eindruck, dass meine Leser zum Thema Einsamkeit etwas anderes haben wollen als ausgerechnet diesen Text.
Tut mir Leid.
Vielleicht klappt es ja ein anderes Mal.
Danke jedenfalls für deine Mühe.

Viele Grüße
Mistralgitter
 



 
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