Einstweilen

Vitelli

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Es war dunkel. Ich weiß nicht, ob ich die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Um mich herum fühlte es sich feucht an. Und kalt. Ich glaub, ich lag im Bett. Ich konnte mich nicht bewegen. Wollte es aber auch nicht. Ich hörte ein Rauschen. War ich tot? Atmete ich noch? Soweit möglich, konzentrierte ich mich. Ich meinte, dass sich mein Brustkorb hob und senkte. Und je länger ich mich darauf fokussierte, desto sicherer war ich mir. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Auf einmal erhellte sich die Dunkelheit; es blieb aber weiterhin dunkel. Ich hörte etwas. Es klang wie Stimmen - die eine hoch, die andere tief. Die hohe schrie. Ich konzentrierte mich. Sie schrie meinen Namen. Glaube ich. Und immer wieder: W-A-R-U-M?
Ich fühlte etwas auf meiner Stirn. Etwas Warmes. Es war eine Hand. Ein beruhigend schönes Gefühl. Ich versuchte meine Hand auszustrecken, und eine weitere Hand ergriff sie. Die Stimme schrie nun nicht mehr, sondern sprach gleichmäßig und sanft. Was sie wohl sagte?

Die Dunkelheit verlor ihre graue Schattierung, und die Kälte wich aus meinem Körper. Die Stimme sprach leiser und leiser, bis sie ganz verstummte. Und ich fühlte auch keine Hand mehr auf meiner Stirn. Ich spürte nur noch ganz schwach, dass meine Hand gehalten wurde. Ich wollte sie greifen, festhalten. Aber sie schien mir zu entgleiten. Und dann – dann ließ ich einfach los.

Sterben ist wie Einschlafen. Nacheinander verlierst du deine Sinne.
 
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Ofterdingen

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Hallo Vitelli,

"Es war dunkel. Ich weiß nicht, ob ich die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Um mich herum fühlte es sich feucht an. Und kalt. Ich glaub, ich lag im Bett." Woran denkt der geneigte Leser jetzt? Vermutlich, dass er es mit einem Bettnässer zu tun hat.

" Soweit möglich, konzentrierte ich mich. Ich meinte, dass sich mein Brustkorb hob und sank." Die Vergangenheit von sich senkt ist nicht *sich sank, sondern sich senkte. Dass der Brustkorb sich hebt und senkt, soll ziemlich oft vorkommen. Tut er es nicht mehr, bedeutet das, dass der betreffende Mensch nicht mehr atmet, also wahrscheinlich tot ist. Soviel ich weiß, können sich Tote nicht mehr konzentrieren. Dein Ich-Erzähler konzentriert sich ein paar Sätze weiter gleich nochmal, als er eine Stimme hört, doch als erster seiner Sinne scheint an diesem Punkt das Gehör nachzulassen und er ist sich im Zweifel, ob er seinen Namen hört, und das, obwohl die Stimme schreit und er sich, wie du sagst, konzentriert. Oder der Ich-Erzähler hört durchaus, dass die Stimme "Vitelli !!!" schreit , ist sich jedoch nicht sicher, ob die Stimme ihn meint oder irgendwelche Kälber (italienisch vitelli = Kälber).

" Auf einmal erhellte sich die Dunkelheit; es blieb aber weiterhin dunkel." Erinnert mich an " Dunkel war’s, der Mond schien helle,/ schneebedeckt die grüne Flur,/als ein Wagen blitzesschnelle,/ langsam um die Ecke fuhr. " In diesem Gedicht sind das lustige Unsinns-Sätze, doch mir scheint, du willst weder lustig sein noch absichtlich Unsinn verbreiten. Also besser, du entscheidest dich, ob es hell ist oder dunkel.

"Die Dunkelheit verlor ihre graue Schattierung" Die Dunkelheit hat keine graue Schattierung. Wenn da eine graue Schattierung ist, nennt man das Dämmerung.

Gehörst du zu den Autoren, die denken: Je mehr Unlogisches, Widersinniges, Verwirrendes, desto höher die literarische Qualität? Ich als Leser denke nicht so.

Gruß,
Ofterdingen
 
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Vitelli

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Moin Ofterdingen.

Danke, dass du dir Zeit genommen hast, auf meinen Text einzugehen.

Wie heißt es doch gleich? Wenn man's erklären muss, ist es eh scheiße. Aber ich tue es trotzdem.

"Es war dunkel. Ich weiß nicht, ob ich die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Um mich herum fühlte es sich feucht an. Und kalt. Ich glaub, ich lag im Bett." Woran denkt der geneigte Leser jetzt? Vermutlich, dass er es mit einem Bettnässer zu tun hat.
Und da hat der geneigte Leser vllt. gar nicht so unrecht, denn: Wenn ein Mensch stirbt, leert sich zwangsläufig seine Blase. Der Ich-Erzähler könnte sich aber auch beispielsweise die Pulsadern aufgeschnitten haben.

"
Soweit möglich, konzentrierte ich mich. Ich meinte, dass sich mein Brustkorb hob und sank." Die Vergangenheit von sich senkt ist nicht *sich sank, sondern sich senkte.
Das ist in der Tat ein unverzeihlicher und v.a. peinlicher Lapsus - danke für den Hinweis.

Dass der Brustkorb sich hebt und senkt, soll ziemlich oft vorkommen. Tut er es nicht mehr, bedeutet das, dass der betreffende Mensch nicht mehr atmet, also wahrscheinlich tot ist. Soviel ich weiß, können sich Tote nicht mehr konzentrieren.
Was ich versucht habe zu vermitteln, ist, dass der Protagonist - nach einem Selbstmordversuch - im Sterben liegt. Er ist schon halb hinüber, wenn man so will, und nicht mehr klar bei Verstand. Nun weiß er nicht, ob er schon tot ist. Weil ihm seine Sinne abhanden kommen, muss er sich konzentrieren. Und dadurch dass sich sein Brustkorb hebt und senkt, wird ihm klar, dass er noch lebt.

Dein Ich-Erzähler konzentriert sich ein paar Sätze weiter gleich nochmal, als er eine Stimme hört, doch als erster seiner Sinne scheint an diesem Punkt das Gehör nachzulassen und er ist sich im Zweifel, ob er seinen Namen hört, und das, obwohl die Stimme schreit und er sich, wie du sagst, konzentriert. Oder der Ich-Erzähler hört durchaus, dass die Stimme "Vitelli !!!" schreit , ist sich jedoch nicht sicher, ob die Stimme ihn meint oder irgendwelche Kälber (italienisch vitelli = Kälber).
Nun ja. Wie gesagt, er verliert seine Sinne und nun öffnet sich die Tür und er hört Stimmen. Man ruft seinen Namen, er ist sich dessen aber nicht sicher, weil er schon ziemlich weggedöst ist. Apropos: Vitelli: Ein junges Tier, das (in diesem Fall) seine Herde verlässt. Aber auch abgeleitet von vitalis, sprich: zum Leben gehörig, lebensfähig, lebenswert.

Wie du schon leidlich festgestellt hast, mag ich Widersprüche.

" Auf einmal erhellte sich die Dunkelheit; es blieb aber weiterhin dunkel." (...) " In diesem Gedicht sind das lustige Unsinns-Sätze, doch mir scheint, du willst weder lustig sein noch absichtlich Unsinn verbreiten. Also besser, du entscheidest dich, ob es hell ist oder dunkel.
Was ich meinte ist: Das Licht geht an (die Leute, die reinkommen, schalten es ein), der Ich-Erzähler kann es aber nur noch bedingt wahrnehmen. Schließe mal die Augen im Dunkeln und schalte dann das Licht an ... - da merkst/"siehst" doch eine Veränderung, oder nicht?

"Die Dunkelheit verlor ihre graue Schattierung" Die Dunkelheit hat keine graue Schattierung. Wenn da eine graue Schattierung ist, nennt man das Dämmerung.
Schau mal einen alten Schwarz-Weiß-Film, da siehst du, was alles möglich ist. Und in diesem Fall, um die Brücke zu "es erhellte sich die Dunkelheit" zu schlagen, bedeutet es: Das (eigene) Licht geht/ist aus.

Gehörst du zu den Autoren, die denken: Je mehr Unlogisches, Widersinniges, Verwirrendes, desto höher die literarische Qualität? Ich als Leser denke nicht so.
Nein. Ich glaube nicht, dass sowas die literarische Qualität perse steigert. Die Art wie ich schreibe ist aber nun mal mein Stil, und der ist nicht zufällig. Mein Text hat dich nicht erreicht, ja. Ich finde ihn aber nicht unlogisch. Vielleicht einigen wir uns darauf, dass wir uns einig in der Differenz sind.

Viele Grüße von den Kälbern
 
Hallo Vitelli,

schade, dass du es direkt erklärt hast. Ich wäre ganz gerne auf eine eigene Interpretation gekommen.

Und da hat der geneigte Leser vllt. gar nicht so unrecht, denn: Wenn ein Mensch stirbt, leert sich zwangsläufig seine Blase.
Nicht unbedingt. Nicht bei jedem, ich habe das Gegenteil erlebt.
Aber es könnte sein.

Ansonsten kann ich die Geschichte jetzt gar nicht unbeeinflusst beurteilen. Leider hatte ich die Kommentare schon gelesen.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Vitelli

Mitglied
Hallo SilberneDelfine.

schade, dass du es direkt erklärt hast. Ich wäre ganz gerne auf eine eigene Interpretation gekommen.
Ja, ärgert mich selbst. Fühlte mich nur iwie genötigt Stellung zu beziehen.

Gott schenke mir Geduld ... und zwar sofort.

Viele Grüße,
Vitelli
 



 
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