einzug

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
einzug

gewöhnlich lebte ich die wände
meiner wohnung entlang
durchglitt die harte schale
um meinen eigentlichen zweck

doch nun ziehe ich ein in mein haus
fülle die räume die ich bewohne
schmücke die wände mit bildern und spiegeln
schau nun von innen zum fenster hinaus

tritt ein durch die tür mein gast
da ich dein staunen nun versteh
hüpft mir das herz wir leben ja
gemeinsam eine neue dimension
 

Scal

Mitglied
Vermutlich, wie fast immer, müsste wohl ein (vielleicht hier leseluphistorischer?) Hintergrundkontext mitgelesen werden.
Sehr subjektiv und momentan: Im Unterschied zu früheren Texten, zu denen nur Lesende mit weitreichenden Kenntnissen im pythagoreischen und hegelianischen Geheimwissenschaftsbereich einen erahn- oder erfassbaren Zugang finden konnten (wenn überhaupt), sind Deine inspiriationsumklungenen Texte neuerdings nunmehr bedeutend zutrittsfreudiger gestaltet. Das Besondere Deiner außergewöhnlichen Fähigkeiten tritt mit-teilsamer zutage.

Gruß
Scal
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo Scal,

Nichts muß in der Lyrik, und schon gar nicht immer.
"Subjektiv" ist keine brauchbare Kategorie beim Analysieren von Lyrik. Denn wie auch sonst im Leben ist alles subjektiv, und zugleich objektiv, so ein Attribut sagt doch nichts. Und die einen meinen, es muß alles subjektiv sein, und die anderen, objektiv ist besser, also das hilft nicht.

Was sind denn pythagoreische und hegelianische "Geheimwissenschaften"? Nun ja, nun - nein.

Aber völlig unverständlich ist mir die Rede vom Hintergrundkontext. Bei so einer schlichten Metapher!

Für das Besondere meiner "außergewöhnlichen Fähigkeiten" bin ich naturgemäß blind, so wie das Auge sich nicht selber sehen kann, es sei denn im Spiegel, und in dem ist es sich gleichzeitig allzu vertraut.

Hallo Lé,
Zu der Zweidimensionalität der Wandtapeten kommt die dritte Dimension der Räumlichkeit, allerdings metaphorisch bildhaft.

grusz, hansz
 

ENachtigall

Mitglied
Was für ein aufgeräumt einladendes Gedicht für ein(en) Mondnein!
Die Metapher des Hauses hast du als ideale Kulisse konstruiert; sowohl zur anschaulichen
Vorstellung der 2 so differenten Akteure, als auch für den Ort der Möglichkeit einer neuen Art von Begegnung. Die wie beiläufig vollzogene Handlung der Umgestaltung birgt in und an sich jedoch auch eine revolutionäre Macht-/Verantwortungsübernahme.
Spannend bleibt die Frage, wie „der Gast“ auf die neue Umgebung reagiert.
In jedem Fall ein meisterhaft entwickeltes Stück Mondneingeschichte! wie ich finde.

Beeindruckt grüßend,
Elke
 

Scal

Mitglied
So nebenbei noch angefügt, wie von einem, der mit einem ziemlich zerknitterten Reclamheftchen (Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts) in der Hosentasche im Frühling spazieren geht:


Ich sagte nur was ich im Anblick von … so bei mir dachte,
im März an einem Samstagvormittag,
und tippte auf die Tastatur wie ein Subjekt.

Gedanken, unversteckt, spontan so hingereckt
wie sie, die neben mir und gerne bäckt,
es manchmal pflegt
mit anderem
zu tun.

Dann will sie wissen,
wie der Apfelkuchen mir geschmeckt.

Wenn ich dann gar zu sehr gelehrt
ihr wahre Backkochkunst erklär(t),
dann wundert sich
ihr objektives? subjektives? Ich.

-

ps: Äpfel/ Birnen – ist mir schon klar.

Frühlingsgruß

Scal (Poesieliebhaber)

Schöner Kommentar von Elke Nachtigall.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dankeschön, Scal,

für das anregende Kommentieren.
Ich muß ein wenig nach-erklären: "Subjekt" und "Objekt" sind mir als altem Kant-Interpreten wesentliche philosophische Schlüsselbegriffe. Ich bin in der Nordkurve von Kant, Fichte und Schelling bis Hegel und zugleich in der Südkurve von Kant, Schopenhauer, Rückert bis Deussen zuhause, zweihäusig so zu sagen. Und bin so genauigkeitsbeflissen in die Logikdiskussion von Parmenides, Platon, Gorgias bis Proklos versunken, versenkt ... daß alles Lesen und Schreiben vom "Subjekt" mir die Feder splißt. Siehe Hanshan und Shidê,

grusz, hanshanszi
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Liebe Elke,

es ist eine Ehre, einen Kommentar von Dir zu bekommen, und einen so freundlichen!
Die wie beiläufig vollzogene Handlung der Umgestaltung birgt in und an sich jedoch auch eine revolutionäre Macht-/Verantwortungsübernahme.
Die Lesart schmeichelt mir, es liegt aber auch nahe, dem Lyri einen ganz unrevolutionären, fast schon quietistischen Rückzug in die Innerlichkeit zu unterstellen. Etwa, weil die Raumerweiterung die sonst nur filmisch-projektive Imagination zur dreidimensionalen Parallelwelt aufbläht.

Spannend bleibt die Frage, wie „der Gast“ auf die neue Umgebung reagiert.
In jedem Fall ein meisterhaft entwickeltes Stück Mondneingeschichte! wie ich finde
Wenn "Gast" einfach den "Leser" dieses oder jedes Gedichts meint, würde ich heute, 45 Jahre später, betonen, daß der Leser das Gedicht macht, jedes. Auch wenn der verwandlungsverlorene Autor einst der erste Leser des Liedes war und etwa 40 Jahre lang der einzige Leser des Liedes blieb. (So viel zur Mondneingeschichte).

grusz, hansz
 

Scal

Mitglied
Es gibt einen Seelenort in mir, der Deine "Subjekt-Sensibilität" gut nachvollziehen kann, weil mich die Thematik auch interessierte und interessiert.
Andeutungsweise meine Sicht: Subjekt und Objekt sind begriffliche Sichtungen des lebendig anwesenden, sich vollziehenden Denkens. Das Denken erblickt sich, tätig anwesend, in seinen Inhalten als tätig anwesend, subjektiv/objektiv. Aber das sind natürlich Themenbereiche, die ins Kontemplative führen und vieler erörterungsbedürftiger Gespräche bedürften; andernorts. Eine Woche wandern, meint die unrealistische Phantasie.

Gruß
Scal
 
G

Gelöschtes Mitglied 22298

Gast
ganz wunderbar

ich vermute, dass das von innen zum fenster hinausschauen nicht ohne grund so formuliert ist

aber es fängt ja schon damit an


gewöhnlich lebte ich die wände
meiner wohnung entlang

so etwas hat literarische qualität


gruß
gun.
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Die Verse

gewöhnlich lebte ich die wände
meiner wohnung entlang


gefallen mir auch ausnehmend gut.

Was wär, wenn du den letzten Vers weglässt?

Das scheint mir so erklärend und der "fehlende Vers" in der Strophe hätte auch was mE

LG
atira
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Meinst Du, Atira,

mit dem "letzten Vers" die dritte Strophe?
Ich habe heute (45 Jahre nach diesem Gedicht zwischen Abitur und Zivildienst) Bedenken dieser Strophe wegen: Wenn das Lyri das "Staunen" des Leser-Gastes nun "versteht, zeigt es sich als bescheuerten Narziß. Was für eine alberne Selbstgefälligkeit! Und dann noch das süße Herzhüpfen - sowas würde ich heute nicht mehr schreiben.

Deshalb bin ich auch nicht so überzeugt davon, trotz der indirekten Kritik an dem, was ich "sonst" so geschrieben habe, daß die Einladung des Narziß an die Echofreundin, in seinem subjektiven Teich zu ertrinken, dem Leserinnenleben wirklich entgegenkommt. Ich halte die pubertären Lieder nicht für wesentlich besser als die der letzten acht Jahre. Manche dieser alten Kölner Flora-Gewächshaus-Besuche sind hippieske avantgarde. Ich nahm auch schon mal die Schreibmaschine an den Fühlinger See mit.

grusz, hansz
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Hans,

ich plädiere sehr dafür, die Authentizität dieses Dokuments im Nachhinein nicht zu zertrümmern. Das Leben erlebt und erledigt sich selbst - verständlich. Begnadet ist und sei, wer dieses in Würde zu repräsentieren vermag. Nicht mehr und weniger ist dir n.m.E. hier gelungen.

Beeindruckt hat mich die Frische, die geradewegs aus der Lebensfreude dieser dritten Strophe springt; im Kontrast zur ersten, die ein in Unsicherheit geratenes, äußerst verletzliches Individuum beschreibt. Strophe zwei ver- und behandelt (zwischen) beide(n) Extreme(n). - Man könnte sagen, das Gedicht ist bindegewebt.

Da du uns LeserInnen nun wissen lässt, welcher Lebensphase das Stück entsprungen ist, wird nachvollziehbar, dass jenes "überdimensionale Empfinden" - das sowohl in der Unsicherheit als auch in der Euphorie zutage tritt - wohl auch den Architekten in sich weckte, der sich entpuppenden adoleszenten Verkörperung ein adäquates Territorium zum kreieren.

Der Unterschied zur heutigen Architektur deiner Texte ist zwar enorm, dennoch hielt ich es in meiner Naivität spontan für aktuell. Viva el arquitecto.

Buenos dias,
Elke
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Hallo Hansz,

Das war also ein Jugendgedicht? Manchmal denke ich sowieso, Lyrik schreibt am besten in der Jugend und man sollte beizeiten damit aufhören, wie Rimbaud oder Dylan Thomas. Jim Morrison vs. Bob Dylan! Jugendlicher Narzissmus hat immerhin Charme, während er später nur noch peinlich ist (man denke nur an die vielen Grantler in den Foren. ;)), wie auch das süße Herzhüpfen.

Ja, meinte ich, also ohne die Major Tom-Effekt am Ende: Die Poesie als reine Überlebensdroge: wir lebe ja (noch immer)!: ;)

gewöhnlich lebte ich die wände
meiner wohnung entlang
durchglitt die harte schale
um meinen eigentlichen zweck

doch nun ziehe ich ein in mein haus
fülle die räume die ich bewohne
schmücke die wände mit bildern und spiegeln
schau nun von innen zum fenster hinaus

tritt ein durch die tür mein gast
da ich dein staunen nun versteh
hüpft mir das herz wir leben ja


LG
atira
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Hansz, "wuchtig" ja, schon auch, aber eher vom Begrifflichen her "zu weit", und damit
klingt es irgendwie banal. Dabei hast du mit dem 3.Vers den Leser ja schon! Er entdeckt sich neu: Ah Ja!: Wir leben ja (endlich, neu, noch)!

LG
atira
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist wie das Umräumen von Büchern. Man reißt eines aus dem Kontext des Ortes, Buchnachbarn, der memorierten Erinnerungen und dann steht es erst einmal platt an einem neuen Ort. Nur so als Buch. Aller Metadimensionen beraubt.

so fühl ich das,
cu
lap
 



 
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