Eisskulpturen

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ENachtigall

Mitglied
Eisskulpturen

manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die jungenhafte Art
wie einen Ball
deinen Tod
in der Hand zu haben
mal ein Dribbeln
mal gekickt
doch nie aus den Augen
immer nah dran


manchmal
vermisse ich dich
noch
vor allem die Art
mit den Töpfen zu klappern
in der Küche
am Samstagabend
zum Radio
mit einem Glas Wein
Essen zaubern
so unverschämt normal


manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die Art
verpuppter Beschwörung
nie
liebte jemand
mich so
wie du
wer ahnt darin
die schlüpfrige Drohung


manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die Eisskulpturen
zu denen du
meine wärmsten Gesten
liebtest
sie ragten bizarr
ins Menschenleer
vertriebener Freunde


am meisten aber
vermisse ich
den Tag
als du
Socken brachtest
ans Krankenbett
für ewig kalte Füße
aus bester Wolle
drei Paar





Dezember 05
 

BikeXdream

Mitglied
Hallo, :)

ein sehr liebevoll und schön geschriebenes Gedicht,
das mich berührt!
Es hat etwas sehr persönliches, oder!?

Es ist wohl eher "Prosalyrik", da ich weniger einen Rhythmus bzw. Versmaß finde!?
(Aber ich selbst verstehe von den fachlichen Dingen auch noch zu wenig! ;) )

nie
hätte jemand
mich so
geliebt wie du
wer ahnt darin
die schlüpfrige Drohung
Meinst du hier mit "schlüpfriger Drohung" das "hätte", also die Vergangenheitsform, die besagt dass er Dich zu dem Zeitpunkt als er das sagte, gar nicht mehr liebte?
(Sonst hätte er ja sagen müssen "Niemand liebt Dich so wie er", oder!? )
Jedoch "Drohung"!? Warum "Drohung"? Womit wurde gedroht?


Auf jeden Fall spricht es mich an, und ich kann was damit anfangen!


LG
Bike :)
 

ENachtigall

Mitglied
die Drohung

Hallo Bike,

persönlich und Prosalyrik? Ja, das ist es wohl. Aber eben vorwiegend "Liebe".

Zu den zitierten Textzeilen:

nie
hätte jemand
mich so
geliebt wie du

ist hier indirekte Rede.
Die Drohung darin steckt im "wie" das von der vermissten Person als einzigartig "gut" gemeint war, vom lyrischen Ich aber ob der Kälte, sagen wir, unerträglich wurde.
Du hast recht, dass es durch das "hätte" uneindeutig ist. Ich werde es verbessern. Danke!

schönen Sonntag
Elke
 
B

bonanza

Gast
sehr schön geschriebenes "gefühl-denken-andenken".
die zentrierte form finde ich (fast immer) unpassend.

bon.
 
P

Prosaiker

Gast
heute scheint der tag guter lyrik zu sein.

manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die Eisskulpturen
zu denen du
meine wärmsten Gesten
liebtest
sie ragten bizarr
ins Menschenleer
vertriebener Freunde
wie ungemein verdichtet, interpretationsoffen bei aller eindeutigkeit, wie eindrucksvoll das bild. und es ist nicht das einzige, was mir in deinem gedicht wirklich gut gefällt. du verbindest alltägliche inhalte und an und für sich völlig unpoetische begriffe mit sehr schöner lyrik, ich bewundere es, wenn dichtern dies gelingt. die waage zu halten zwischen etwas stilisiertem/unechtem und etwas wahrhaftigem. mir ist noch nie aufgefallen, wie schön und flüssig sich ein "dribbeln" in ein gedicht einarbeiten lässt. danke dafür.
vg,
Prosa.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Prosa,

ich habe mich sehr über Deinen detailierten Kommentar gefreut. Tatsächlich habe ich tagelang "gebrütet", bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Den von Dir zitierten Abschnitt wollte ich ursprünglich in einen ganz anderen Zusammenhang stellen, der aber zu konstruiert wirkte. Wichtig war mir letztendlich, eine kleine Liebesgeschichte zum Thema "Kälte" aus der Perspektive des von Verständnis und Verzeihen geprägten, nostalgischen Rückblicks zu skizzieren.
Ich finde es klasse, wie engagiert und talentiert Du selbst schreibst und kommentierst.

Alles Gute
Elke
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo ENachtigall,

ja, ein gelungener Text! Fein gesponnen, einfach gut.
Mir gefällt (ein 'aber' sei mir gestattet) die Darstellung nicht; daher dieser Vorschlag:

Eisskulpturen

Manchmal vermisse ich dich noch -
sogar die jungenhafte Art,
wie einen Ball
deinen Tod
in der Hand zu haben:
mal ein Dribbeln
mal gekickt
doch nie aus den Augen, immer nah dran


Manchmal vermisse ich dich noch -
vor allem die Art,
mit den Töpfen zu klappern
in der Küche (das könntest du streichen)
am Samstagabend
zum Radio:
mit einem Glas Wein
Essen (zu?) zaubern
so unverschämt normal


Manchmal vermisse ich dich noch -
sogar die Art verpuppter Beschwörung:
Nie liebte jemand mich so wie du.
Wer ahnt darin
die schlüpfrige Drohung?

(Durch die Satzzeichen und die andere Darstellung sollte diese Strophe aus dem Rahmen fallen ... meiner Meinung nach)


Manchmal vermisse ich dich noch -
sogar die Eisskulpturen
zu denen du
meine wärmsten Gesten liebtest:
sie ragten bizarr
ins Menschenleer
vertriebener Freunde


Am meisten aber vermisse ich den Tag -
als du Socken brachtest
ans Krankenbett
für ewig kalte Füße:
aus bester Wolle
drei Paar


Grüße von Zeder
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Zeder und namaqool,

danke, für die Aufmerksamkeit und freundlichen Worte zu meinem Gedicht.

Dir, Zeder, im besonderen Dank für die Idee der alternativen Darstellung. Ich zaudere noch, ob ich den Vorschlag umsetze, der durch den Gewinn an Sprachfluss auch den Charakter insgesamt verändert. - Noch hänge ich zu stark an der interpunktionslosen Version, die in ihrer bruchstückhaften Art diese Unbeholfenheit vermittelt.

Dir, namaqool, Dank für den wohltuenden Vergleich.

Mit meinen besten Wünschen für einen individuell passenden Ausklang des Jahres!

Gruß
Elke
 

Perry

Mitglied
Hallo Elke,
auch mir gefallen diese Erinnerungsbilder an eine "besondere" Liebe ausnehmend gut. Ich nehme an, das lyrische Du hatte eine lebensbedrohende Krankheit, an der es letzlich verschied. In diesem Zusammenhang finde ich die "schlüpfrige" Drohung (wie bereits von Bike angesprochen) nicht ganz passend.
Vorschlag:
wer ahnt dahinter
das drohenden Ende
LG
Manfred
 

ENachtigall

Mitglied
schlüpfrige Drohung

Hallo Perry,

ich danke Dir für Deinen Kommentar. Ich verstehe, dass es nicht so leicht rüberkommt, wie das "schlüpfrig" hier gemeint ist. Es ist in seiner Bedeutung als glatt, glitschig, rutschig gemeint und [red]kann[/red] aus der Beschwörung
nie
liebte jemand
mich so
wie du
als bösartige Variante schlüpfen (und als solche dann auch in seiner anderen Lesart als zweideutig, unzüchtig gelten).

Was die Vermutung einer "lebensbedrohlichen Krankheit" betrifft, hast Du damit nicht unrecht, wenn Du z.B. Suchtkrankheiten, Narzistische oder Borderline Persönlichkeitsstörungen mit einbeziehst, die Angehörige oder/und Partner zu sog. Co-Kranken machen.

Hoffentlich sind meine Erklärungen hilfreich.

Grüße von

Elke
 

gareth

Mitglied
Die kleinen Gesten sind es,

die uns manchmal ein Leben lang im Gedächtnis haften.

Ein sehr vielschichtiges Gedicht.
Ich vermisse Dich, scheint die Aussage zu sein. Aber es beginnt mit "manchmal" und dann steht da immer in der dritten Zeile eines jeden Verses dieses einsame Wort "noch" ganz für sich alleine. Es scheint demnach nicht ganz sicher zu sein, ob die Erinnerung wirklich dauerhaft sein wird.

Auch von Liebe ist die Rede. Aber nur von der Liebe dessen, der angesprochen wird. Die Erinnerung gilt anscheinend nicht einer eigenen Liebe; sie gilt dem Wissen, um des eigenen Wesens und der eigenen Handlungen willen geliebt worden zu sein.

Kleine Hinweise auf vertriebene Freunde und unerklärt bleibende Hinweise auf "schlüpfrige Drohung" lassen den gebrochenen Charakter einer Beziehung ahnen.
So jedenfalls habe ich es gelesen.

Der Schluss ist ein wunderbares Bild. Eine dieser kleinen Gesten. Hilflos und anrührend.

Sehr schön, tief und bildreich.

Findet
gareth
 

ENachtigall

Mitglied
kleine Gesten

Hallo gareth,

danke für die besonders sorgfältige Art der Auseinandersetzung mit meinem Gedicht. Du hast viele Aspekte sehr gut nachempfunden, die mir wichtig waren, hineingelegt zu werden - z. B. das "noch".
Die Erinnerung gilt anscheinend nicht einer eigenen Liebe;
Diesen Aspekt habe ich bislang "übersehen" - er setzt meine Gedanken darüber neu in Gang!

Schönen Sonntag

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Überarbeitung

Ich habe eine Stelle des Gedichtes in Strophe drei verändert, die damals von mehreren Lesern angesprochen wurde. Ich denke, es ist dadurch verständlicher geworden.

Eisskulpturen

manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die jungenhafte Art
wie einen Ball
deinen Tod
in der Hand zu haben
mal ein Dribbeln
mal gekickt
doch nie aus den Augen
immer nah dran


manchmal
vermisse ich dich
noch
vor allem die Art
mit den Töpfen zu klappern
in der Küche
am Samstagabend
zum Radio
mit einem Glas Wein
Essen zaubern
so unverschämt normal


manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die Art
wie du sagtest
nie
hätte jemand
mich so geliebt
wie du
spät erkannte ich
darin die Bedrohung


manchmal
vermisse ich dich
noch
sogar die Eisskulpturen
zu denen du
meine wärmsten Gesten
liebtest
sie ragten bizarr
ins Menschenleer
vertriebener Freunde


am meisten aber
vermisse ich
den Tag
als du
Socken brachtest
ans Krankenbett
für ewig kalte Füße
aus bester Wolle
drei Paar

_________________________
geringfügig verändert
Oktober 2006
 

ENachtigall

Mitglied
Danke gareth,

ja ich glaube, so kann es bleiben. Irgendwie spukte mir das noch im Kopf herum, deshalb wollte ich das erledigen, wenn ´s auch nur ´ne Kleinigkeit ist.

Schönen Abend

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Eisskulpturen



Manchmal vermisse ich dich noch
Sogar die jungenhafte Art
wie einen Ball deinen Tod
in der Hand zu haben
mal ein Dribbeln, mal gekickt
doch nie aus den Augen
immer nah dran

Manchmal vermisse ich dich noch
Vor allem die Art mit den Töpfen zu klappern
Samstagabend zum Radio
mit einem Glas Wein
Essen zaubern
so unverschämt normal

Manchmal vermisse ich dich noch
Auch deine Stimme wenn du schworst
nie liebte jemand
mich so wie du
das klang doch
nicht bedrohlich

Manchmal vermisse ich dich noch
Sogar die Eisskulpturen
zu denen du meine wärmsten Gesten liebtest
sie ragten bizarr
ins Menschenleer
vertriebener Freunde

Am meisten aber vermisse ich den Tag
als du mit Socken kamst
ans Krankenbett
für ewig kalte Füße
aus bester Wolle
drei Paar


© elkENachtigall
Dezember 2005
 



 
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