Elegie der Marillensessel

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Elegie der Marillensessel
(aus dem dritten Buch des Chillmarillion, Abschnitt: Dadamanie)

Im Schatten der Spätsommerhalle, wo die Sessel aus Samt ihre Lehnen neigen, ruhen die Marillen in goldener Stille, vom Wind kaum berührt, vom Abschied getragen.

Die Polster, einst prall von Gesprächen, entfalten sich weich in Erinnerung ein. Ein Kern liegt offen auf rissigem Stoff, wie ein Wort, das zu spät fiel – blieb hängen am Haken.

Die Marille, gesprungen vom letzten Gedanken herunter, trägt süße Verglänzung im pelzigen Kleid. Ihr Duft ist ein Flüstern von einstigen Tagen, der einer Träne die Sesseligkeit schwört.

Und einer, der saß – nun sitzt er nicht mehr. Der Sessel bleibt warm, doch die Stimme ist fern. Die Lehne seufzt leise, das Holz knackt im Takt einer Uhr, die nicht weiß, wem sie noch gehört.

So endet das Mahl der gepolsterten Früchte, so schweigt die Parade der samtigen Zeit. Im Chillmarillion, wo Marillen versinken, bleibt nur der Sessel alleine – und du, einen Apfel im Kragen.

Im Schatten der Spätsommerhalle, wo die Sessel aus Samt ihre Lehnen neigen, ruhen die Marillen in goldener Stille, vom Wind kaum berührt, vom Abschied getragen.



———


Aus diesem Werk entwickelte sich in aller Stille, schwankend über Meereswellen,
der

Marillensessel-Elegiedetektor
Typologie:

  • erkennt poetische Möbelverlassenheit
  • diagnostiziert Fruchtverlagerung (Marille → Apfel)
  • registriert Uhrzeitverlust durch Lehnenknacken
  • aktiviert bei „Sesseligkeitsschwur“ und „Verglänzung“
  • speichert Schattenhallensätze in der Dadamanischen Bibliothek
Anwendungsbereich:

  • Spätsommerhallen
  • Gesprächspolsterarchivierung
  • Abschiedsfruchtanalyse
  • semantische Möbelrestaurierung
———

Archivcode: D.M-∞.33.E
Rubrik: Poetische Gerätekunde und Möbelmetaphysik
Titel: Elegie der Marillensessel
Untertitel: Aus dem dritten Buch des Chillmarillion, Abschnitt: Dadamanie
Autor: Bernd Hutschenreuther
Herausgeber: Institut für angewandte Sesseligkeit
 
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lietzensee

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Hallo Bernd,
der Text gefällt mir gut. Für mich funktioniert er wie ein surreales Gemälde. Aber die Farben sind nicht so grell, sondern aufeinander abgestimmt. Ich glaube, dass ich die beschriebene Stimmung selbst schon erlebt habe.

Ich würde den "Anhang" mit Typologie und Anwendungsbereich aber ersatzlos streichen. Der erste Teil lebt von der blumigen (fruchtigen?) Sprache. Das liest sich wie Butter. Der Bruch zu diesem technisch klingenden Anhang ist für mich dann zu groß. Auch der Ton ändert sich für mich zu stark. Während sich der erste Teil melancholisch liest, kommt der Anhang humorig daher. Hab Mut zu etwas Pathos.

Viele Grüße
lietzensee
 
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Bernd

Foren-Redakteur
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Hallo, Lietzensee, danke sehr.
Der erste Teil entstand zunächst unabhängig. Ma kann ihn unabhängig verwenden.

Den zweiten Teil habe ich unabhängig gemacht. Beide sind Teil der Universalbibliothek. Der zweite hängt am ersten.

Wir sind im "Experimentellen" Bereich. Ich werde aber eine Änderung machen. Ich mache eine Trennung.
 

petrasmiles

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Da sind die Geschmäcker verschieden!
ich empfinde den Anhang so richtig 'Berndisch', jeder Zauber trägt seine Entzauberung in sich, so wie die Idylle die Katastrophe. Die Überführung der Komponenten in ein 'Archiv' bewahrt sie - und zerstört sie.
Allerdings finde ich die Elegie ganz besonders - poetisch - gelungen, wie Lietzensee.

Liebe Grüße
Petra
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke Petra. Die Besonderheit dieses Archivs: Es ist in der Universalbibliothek, wie sie Borges und Lasswitz in ihren Werken beschrieben. Sie enthält alle Bücher in allen Sprachen, die mit Buchstaben geschrieben werden können und die (normale) Länge von Büchern nicht überschreiten. Sie enthält sogar unser Gespräch.
Der Katalog all dieser Bücher bleibt endlich, solange er nicht sich selbst enthält. Wird er größer, "explodiert" er, da jeder neue Katalogeintrag in einem neuen Katalog stehen muss und dadurch jede Katalogergänzung einen neuen Katalog erzeugt, und die Menge aller Kataloge passen nicht in die Bibliothek.


Ich habe mit meinem Wissen und ChaGPT überprüft. Ich kürze aber die Antwort.

.
  1. Zur Idee der Universalbibliothek (Bücher aller Sprachen, geschrieben mit Buchstaben, bis zu einer festen Maximallänge):
    Das entspricht genau dem Gedanken von Borges’ “La biblioteca de Babel” (1941) und geht historisch auf frühere Texte wie Kurd Lasswitz’ “Die Universalbibliothek” zurück. Borges formuliert die Bibliothek als Menge aller möglichen Bücher mit begrenzter Länge und Zeichenmenge (daher ist die Anzahl der möglichen Bücher bei festen Längen zwar riesig, aber kombinatorisch endlich). https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Bibliothek_von_Babel
  2. Zur Aussage „Der Katalog all dieser Bücher bleibt endlich, solange er nicht sich selbst enthält. Wird er größer, 'explodiert' er …“
    Das ist eine sehr treffende, anschauliche Formulierung des klassischen Katalogparadoxons (eng: catalogue paradox), das eng verwandt ist mit Russells Paradoxon: wenn man einen Katalog derjenigen Kataloge bildet, die sich nicht selbst enthalten, führt das unmittelbar zur Widerspruchsfrage „enthält der Katalog sich selbst oder nicht?“. Formal führt genau diese Selbstbezüglichkeit zu einem logischen Widerspruch — daher deine Metapher von „Explosion“, also: die einfache, unbeschränkte Bildung solcher Kataloge ist nicht widerspruchsfrei. https://mathworld.wolfram.com/CatalogueParadox.html
  3. Präzisierung / formale Einordnung:
    • Wenn die Bibliothek nur alle (endlichen) Strings einer festen Länge über einem Alphabet enthält (Borges’ Festlegung: Bücher mit z. B. 410 Seiten, x Zeichen pro Seite), dann ist die Gesamtheit der Bücher zwar astronomisch groß, aber endliche bzw. abzählbar (bzw. endlich für streng feste Längen). Borges selbst spielt mit diesem Punkt (Endlichkeit vs. scheinbare Unendlichkeit). Wikipedia
    • Das Paradoxon entsteht nicht primär durch die Menge der Bücher, sondern durch die Art der Katalogbildung: wenn Kataloge selbst wieder als Bücher in der Bibliothek auftreten und man unbedacht eine Regel wie „Nimm alle Kataloge, die sich nicht selbst listen“ anwendet, tritt das Russell’sche Problem auf. Mathematisch wird so etwas in der modernen Mengenlehre durch Einschränkungen (z. B. Zermelo/Fraenkel-Axiome, Typentheorie) gelöst, d. h. man verbietet bzw. reguliert unbeschränkte Selbstbezüglichkeit. Wikipedia+1
  4. Weiterführende, nützliche Quellen (Kurzliste)
    • Borges — The Library of Babel (Zusammenfassung / Originaltext). Wikipedia+1
    • Kurd Lasswitz — Die Universalbibliothek (frühere Fassung der Idee). kasmana.people.charleston.edu+1
    • Russell’s paradox (Erklärung, historische Einordnung; Lösungsideen in Axiomensystemen). Wikipedia
    • „Catalogue Paradox“ / MathWorld — kurze, formale Erwiderung des Katalogparadoxons. mathworld.wolfram.com
    • Popular- bzw. wissenschaftliche Analysen von Borges’ Idee und ihren mathematischen Implikationen (z. B. Artikel/Monographien, die Richard’s paradox, Berry-Paradox und Borges verbinden). rudyrucker.com+1
Woraus das folgt (konkret und knapp)
  • Inhaltlich ist deine Darstellung im Kern korrekt: du kombinierst die literarische Idee der „Universalbibliothek“ mit einem richtigen logischen Einwand (Selbstbezüglichkeit/Katalogparadox).
  • Wenn du die Passage formal präzisieren willst, empfehle ich zwei kleine Änderungen: erstens die Festlegung auf ein Alphabet + maximale Länge ausdrücklich nennen (so wie Borges es tut), zweitens das Wort „explodiert“ beibehalten (als schöne Metapher), aber kurz erklären: explodiert heißt hier formal „führt zu einem logischen Widerspruch / undefinierbaren Konstrukt“, der in der Standard-Mengenlehre nur durch Einschränkungen (Typisierung, Axiome) verhindert werden kann. Du könntest optional noch eine Fußnote zu Russell / Zermelo einfügen.
Soll ich dir eine überarbeitete Fassung deines Absatzes mit den vorgeschlagenen Präzisierungen und einer kurzen Fußnote mit Quellenangaben schreiben?

Du:
Mein Katalog hat eine andere Regel. Es entsteht bei jedem neuen Eintrag ein neuer Katalog zum Ausgabezeitpunkt. Das wird abgesichert, weil der aktuelle den letzten Katalog zugefügt belkommt, was einen neuen erzeugt.

ChatGPT:
Das ist eine sehr interessante Regel — sie verschiebt das Paradoxon von der logischen Selbstbezüglichkeit (à la Russell) in eine zeitlich-prozessuale Selbstreferenz, fast wie eine rekursive Funktion, die bei jedem Schritt eine neue Version ihrer selbst hervorbringt.
Ich fasse dein Prinzip einmal formal und konzeptuell:
(...)
  • Jeder Katalog enthält den vorherigen als Eintrag.
  • Dadurch ist Kn+1Kn+1 strikt größer als KnKn.
  • Der Prozess kann unendlich fortgesetzt werden, erzeugt aber eine Folge von endlichen Katalogen, nicht einen Widerspruch.
Formal gesprochen entsteht eine rekursive Hierarchie von Meta-Katalogen.
Jeder neue Katalog „explodiert“ nicht im Sinne eines logischen Widerspruchs, sondern im Sinne eines exponentiellen Wachstums der Metaebenen.
Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach – beschreibt genau solche rekursiven Selbstbezüge mit ständig höherer Metaebene.

Weitere Quellen:
 
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