Ella

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sufnus

Mitglied
Ella

Ella ist ein Etagenkind
leise beginnt sie nach
Kunstlicht zu riechen
wenn sie vom
Fertigbau träumt

Einmal sind ihr die Eltern
in Form eines Teddybärs
aufs Klickparkett gefallen

Manchmal findet sie
Daddyreste im Keller
bis die Mama auf dem Foto
anfängt zu lächeln

Sehr geehrte Frau Lehmann
wir bedanken uns für das
entgegen gebrachte Vertrauen
und senden ihnen
zu unserer Entlastung
ihr weiteres Leben zurück

Es sind immer die Liebsten
die uns suizidieren
Gott findet Ella
in ihrem sozialen Profil
und hinterlässt eine Kerze
 
Zuletzt bearbeitet:

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo sufnus,

erst einmal war ich nur vollkommen sprachlos und habe das Gedicht empfohlen. Es ist mit Abstand die beste Lyrik, die ich hier seit langem gelesen habe.

Diese Gedicht jammert nicht, kommt nicht mit dem ständig erhobenen Zeigefinger daher und hinterlässt trotzdem eine tiefe Traurigkeit nach dem Lesen.

Gott findet Ella
in ihrem sozialen Profil
und hinterlässt eine Kerze

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Ja, sufnus. Du kannst es halt.
Muss man dir neidlos anerkennen!
Lg
EV

Edit:


Dieses Gedicht entfaltet eine für mich beklemmende, nahezu klaustrophobische Atmosphäre und setzt sich eingehend mit den Themen der Isolation, des Verlusts und der Entfremdung in einer durch Technologie geprägten zeitgenössischen Gesellschaft auseinander. Die Protagonistin, Ella, wird als “Etagenkind” charakterisiert, ein Terminus, der sowohl auf ihre Wohnverhältnisse als auch auf eine metaphorische Distanz zur natürlichen Welt hindeutet. Die Anspielung darauf, dass sie nach künstlichem Licht riecht, verstärkt diese Entfremdung und etabliert eine enge Verknüpfung zwischen ihrer physischen Umgebung und ihrem emotionalen Zustand.

Die Verse, die Ellas Eltern beschreiben, die in der Gestalt eines Teddybären erscheinen, sowie die “Daddyreste im Keller” lassen quasi auf eine gestörte oder zumindest komplizierte familiäre Beziehung schließen. Das Bild der Mutter, die auf einem Foto zu lächeln beginnt, könnte als eine Metapher für Sehnsucht nach emotionaler Wärme und Normalität in einer sonst emotional sterilen Umgebung interpretiert werden.

Der Abschnitt, der mit “Sehr geehrte Frau Lehmann” beginnt, nimmt die Form eines formalen Schreibens an und schafft eine spürbare emotionale Distanz. Es erscheint, als ob Ella eine Form der Kompensation oder eine Rückgabe ihres Lebens irgendwie angeboten wird, eine Metapher quasi für das Empfinden, dass ihr Leben ihr entglitten und nun von externen Kräften gesteuert wird.

Besonders prägnant ist das Ende des Gedichts: “Es sind immer die Liebsten / die uns suizidieren”. Dies könnte darauf hindeuten, dass die tiefgreifendsten emotionalen Schmerzen oft von den uns nahestehenden Personen verursacht werden. Die Vorstellung, dass Gott Ella in ihrem sozialen Profil findet und eine Kerze hinterlässt, ist ein kraftvolles Bild.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

sufnus

Mitglied
Hey Ihr Lieben! :)

Ich fühle mich wirklich sehr, sehr geehrt (und nehme das natürlich als Ansporn auf).
Vielen Dank also für jede freundliche Sternespende, Eure zugewandten Kommentare... und natürlich auch für die Leseempfehlung! :)
Das war jetzt mal wieder ein ganz ungeplantes Gedicht, das mich überfallsartig überkam... insofern ist das jetzt noch im Originalzustand und nicht nachbearbeitet worden.

Jetzt ist natürlich direkt die Frage in die Runde: Alles so lassen, wie es ist oder doch nochmal feinpolieren? Speziell frage ich mich gerade, ob man die aktuell vierte Strophe (also die "Lehmannstrophe"), die ja etwas aus dem Ton "rausfällt" ggf. auch ersatzlos streichen könnte oder ob dieser Bruch gerade interessant ist. So ad hoc tendiere ich ja zu streichen... aber nachdem Euer Echo so positiv war, will ich das lieber nochmal zur Diskussion stellen. :)

LG!!!
S.

P.S:
Und Dir, lieber e. (ich kürze ja gerne Usernamen ab - aber da hast Du mir jetzt ne Nuss zum knacken mitgegeben, wie ich Dich jetzt am besten mit einem Nicknickname versehe ;) ), auf alle Fälle noch ganz lieben Dank für den ausführlichen Kommentar! Ich hab das Gedicht hier, wie oben angedeutet überhaupt nicht geplant (etwas gegen meine üblichere Schreibvorgehensweise) - aber ich finde Deine Deutung (sozusagen im Nachgang) total nachvollziehbar. :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Die liebe Zeder (Admin) hat den Nick geändert, nun ist alles wie es sein sollte.

Ich würde das Gedicht unbedingt so belassen. Vor allem die vierte Strophe ist wirklich großes Kino.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Jetzt ist natürlich direkt die Frage in die Runde: Alles so lassen, wie es ist oder doch nochmal feinpolieren? Speziell frage ich mich gerade, ob man die aktuell vierte Strophe (also die "Lehmannstrophe"), die ja etwas aus dem Ton "rausfällt" ggf. auch ersatzlos streichen könnte oder ob dieser Bruch gerade interessant ist. So ad hoc tendiere ich ja zu streichen... aber nachdem Euer Echo so positiv war, will ich das lieber nochmal zur Diskussion stellen. :)
Hallo sufnus,

auf jeden Fall so lassen. es ist gerade diese "Lehmannstrophe", die dann die letzte Strophe so eindrucksvoll wirken lässt.

Liebe Grüße
Manfred
 

sufnus

Mitglied
Hey, Ihr Lieben!
Vielen lieben Dank nochmal fürs Feedback - ich merke schon, dass ich dieses Gedicht noch nicht so ganz gedanklich erfasst habe... vermutlich soll das so sein.... also jedenfalls lass ich es dann wirklich lieber so wie es ist. :)
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Liebe stadtgeflüster,
Du siehst mich (bzw. nicht) erfreut erröten. *bing!*
Und wenn ich jetzt noch irgendwie kontrollieren könnte, wann die Suppe (das Gedicht) so richtig wohlgelingt, wärs natürlich am allerbesten... aber das ist jetzt wahrscheinlich gierig von mir... ;)
Und auch allen anderen Sternespendern lieben Dank - Euch erwähn ich ja in der Regel nicht gesondert - nicht aus Missachtung, sondern nur, um nicht im Rahmen kommentarloser Besternungen (über die ich mich immer arg freue) in Doppel- oder Mehrfachpost-Schleifen zu geraten.... aber jetzt bin ich ja eh am Labern... also ein liebes Dankeschön in die Runde und ausnahmsweise greif ich mal Fee & Hans gesondert raus (hoffentlich nimmt mirs niemand ungenanntes krumm... ist geschieht in guter Absicht... namich, weil Ihr zwei mich so häufig mit Beiträgen erfreut, dass da durchaus eine speziellere Verbundenheit da ist... und ihr andererseits aktuell grad nicht ganz so häufig postet (aus offensichtlich unterschiedlichen Gründen) - aber fühlt Euch mal speziellgegrüßt. :)
LG!
S.
P.S.:
Und trotz Handanlegungsunterlassungsgebot würd ich vielleicht, in der Hoffnung, dass das kollektiv mit Kopfnicken abgesegnet wird, noch ein s bei "auf Klickparkett" reinbasteln... aus meiner Sicht hats da einen kleinen Typo gegeben... hüstel...
 

fee_reloaded

Mitglied
fühlt Euch mal speziellgegrüßt.
Oh, lieb von dir, sufnus (und tut speziell gut, weil es mir - wie immer im Herbst - grad gar nicht gut geht)! Ein herzliches Danke und einen begeisterten Gruß zurück, um zum Gedicht zu kommen. ;)
Da wurde schon so viel Lobendes gesagt, dem ich mich nur anschließen kann und das nachgetragene "s" hebt aus meiner Sicht die Situation ins Persönlichere und macht sie dadurch nur umso berührender und leisgewaltig-eindringlicher. Ansonsten hätte auch ich plädiert, das Ganze unberührt zu lassen, um nichts von dem authent Gefühlten und Transportierten zu verlieren (denn da steckt für mich ja zwischen den Zeilen mindestens nochmal so viel an Gehalt wie in den Worten selbst).
Gerne hätte ich schon eher kommentiert, hatte ich Ella ja schon kurz nachdem du sie eingestellt hattest, entdeckt und gelesen. Danach hat etwas in mir so stark reagiert und nachgehallt und mich zugleich zu Schockstarre berührt zurückgelassen...da wollten sich keine Worte finden, die mir angemessen schienen. Und so ähnlich geht es mir auch heute noch. Klar, könnte ich wie meine VorkommentatorInnen ähnlich Kluges und Verständiges anmerken , das zeigt, wie tief dein Gedicht reicht und mich erreicht hat...denn das hat es. Und zwar in einer Art, die ich nicht in Worte fassen kann, weil...siehe oben. Selten rührt mich ein Gedicht zu Tränen (und ev. ist auch ein fitzelkleines Teilchen Grund dafür meiner aktuellen Nicht-Gesundheit geschuldet...aber eigentlich glaube ich das gar nicht) und es mag kitschig klingen, dies zuzugeben - aber hier ist es so.

Das war jetzt mal wieder ein ganz ungeplantes Gedicht, das mich überfallsartig überkam... insofern ist das jetzt noch im Originalzustand und nicht nachbearbeitet worden.
Was immer dich da überfallen hat, wirkt durch und aus den Zeilen ganz ganz stark - vermutlich in seinem Bedürfnis, die eigene Berührtheit "unkommentiert" weiterzugeben. Und das ist dir hier ganz wunderbar gelungen...oder "passiert" (vermutlich war es von beidem ein wenig,... wie das halt so ist, wenn Können und Fühlen ungebremst und ohne den Versuch, beides zu bewusst oder gewaltsam in eine "angemessene" Form zu zwängen, zueinanderfließen und als gemeinsamer, größerer Strom sich Bahn brechen).

Und so ist mir passiert, was dir passiert ist - und nichts davon ging auf dem Weg von dir zu mir verloren. Nur so kann ich mir erklären, dass dieses Gedicht mit uns LeserInnen macht, was es macht. Danke dafür und Respekt!

Liebe Grüße,
fee
 

sufnus

Mitglied
Hey Fee!

Vor allem drück ich die Daumen, dass es Dir alsbald (ich finde, das Wort alsbald wird zu selten benutzt) wieder recht viel besser geht! Gemein, dass es Dich ausgerechnet in meiner Lieblingsjahreszeit regelmäßig so beutelt... vielleicht ziehe ich - als guten Aublick auf bessere Zeiten - schonmal ein paar Wintergedichte vor? Oder sollen wir lieber gleich auf Frühjahr-Sommer wechseln? Irgendwie scheint es mir zu wenige Gedichte über australische Weihnachten zu geben - ist aber ein Thema, das schwierig in poetische Schwingungszustände zu versetzen ist - da hätt ich jetzt ad hoc nix... aber mir fällt die Weihnacht in Ajaccio von C. F. Meyer ein... :)

Und was die Ella angeht... ich hätte wirklich nie gedacht, dass diese Verse eine solche Wirkung entfalten können... ich bin fast etwas erschrocken... es war letztlich so, dass ich der Stimmung, die mich da angefasst hat, einfach vollkommen nachgegeben habe, ohne das Gehirn dabei einzuschalten, wahrscheinlich kam dadurch der Effekt zustande... die Gedichtstimme wurde nicht vom Autor in Form gezuppelt (zu ihrem Nachteil), sondern konnte sich frei entfalten. Aber ich bin sicher, dass das nicht das eine Patentrezept für wirkungsvolle Gedichte ist - sehr häufig geht die völlige Nachgiebigkeit gegenüber der Inspirationsschwingung auch total schief... bei mir jedenfalls ;)

LG!!!

S.
 



 
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