Elms-Geflüster

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Tula

Mitglied
Elms-Geflüster

An einem Steg am Rand des Hafens ruht
der alte Kahn; ein aufgebahrter Sarg;
nur ohne Trauerzug, der in der Flut
der Jahre längst versank. Gleich einem Fluch

der Regengötter hängt an seinem Rumpf
ein ausgefranstes, braunes Leichentuch.
Der Moder auf dem Deck formt einen Sumpf,
aus dem ein abgestorbener Mast-Baum ragt.

Die Brücke steht als finsteres Verlies,
in das sich weder Laut noch Farbe wagt;
sogar der Schirm, der strahlend Richtung wies,
starrt schwarz und reglos in die Dunkelheit.

So spielt Freund Hein, es scheint zum Zeitvertreib,
mit ihm und seinem stählernen Gebein.

Doch neulich zog ein Flüstern um den Leib
und hauchte ihm aufs Neue Leben ein:

Aus seiner Tiefe drang im Atemzug
ein Ächzen, das die Sehnsucht in sich barg;
und aus den Ankerlöchern vorn im Bug
ertönte dumpf ein Lied von seiner Fahrt

durch Flaute, Sturm und Nächte ohne Sicht;
ihm blieb ein Logbuch, das er aufbewahrt.
Über den Bildschirm huschte plötzlich Licht
und durch die Luft ein Duft von Tamarind'.

Schon zerrte er und straffte alle Seile
zum Steg, so ungeduldig wie ein Kind.
Da stürzten sie herbei in großer Eile
und zurrten ihn voll Sorge wieder fest.
 
G

Gelöschtes Mitglied 21900

Gast
Es erinnert mich an eine Ballade Fontanes, erzählt von einem dunklen Geheimnis, ist in sprachliche Kultur eingefasst, wie sie hier nicht oft geboten wird, ist ein Hör- und Lesevergnügen. Bewundernswert, Tula.
Klaus.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Scal

Mitglied
Hallo Tula,

es ist wirklich spannend, wie hier die lyrische Phantasie die Segel ausspannt, bildhaft schildernd und erzählend.
Und wie sie sich zuletzt reimlos festzurrt. Toll!

LG
Scal
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Hallo Tula,

Das klingt wirklich wie ein Klassiker. Handwerklich sehr gekonnt, bildlich und irgendwie gruselig, und auf einen weiteren Ebene sehe ich darin eine Metapher für einen alten Menschen, der durch Fürsorge seiner Freiheit beraubt ist.

Was mir besonders gefällt ist dieser Duft nach Tamarind, wie schön sich darin Sehnsucht und Fernweh und Abenteuerlust spiegeln!

LG
atira
 

Tula

Mitglied
Hallo Klaus, Scal, atira und natürlich alle Sternchenzauberer

Vielen Dank euch allen, freut mich, dass ihr am letzten Geleit für diesen alten Kahn Gefallen gefunden habt. Mit mehr oder weniger Phantasie und Seemannsgarn im Spiel, er hätte uns gewiss viel Aufregendes oder gar Unglaubliches zu berichten, wenn er nur dazu in der Lage wäre.

Gerade dieses Unvermögen bringt uns auf die zweite Ebene der Deutung, wie von @atira treffend bemerkt. Nicht als zwingender Vergleich gedacht, aber eben doch als ein möglicher. Die Pflege des dementen, alten Menschen beinhaltet eben leider auch das Wieder-Festzurren, nach dem Aufbäumen und der plötzlichen inneren Unruhe, die niemand versteht. Und dahingehend haben alle Bilder im Gedicht ein menschliches Gleichnis, einschliesslich das aufbewahrte Foto-Logbuch auf dem Tischchen neben dem Bett.

Aber selbst der seemännische Bezug reicht eigentlich. Traurig der Anblick eines abgewrackten Schiffes, das so viele fremde Meere und Häfen gesehen hat. Aber wer geduldig wartet und aufmerksam lauscht, wird das Elms-Geflüster hören ...

LG
Tula
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Ja,
dieses Gedicht hat in der Tat etwas wunderbar balladenhaftes, passt auch sehr gut ins Sujet karibischer Piratengeschichten und Fliegender Holländer. Aber leider bricht es ab, noch ehe es richtig begonnen hat. Schade eigentlich. Ich wünsche mir nochmals 7 Strophen, in denen das besondere Schicksal dieses Wracks erhellt wird.

Und was ein Bildschirm dort verloren hat, verstehe ich auch nicht, er fällt aus dem Bild. Zugeständnis an die Moderne? Wink mit dem metaphorischen Zaunpfahl? Wirkt auf mich etwas gezwungen.

Im Text wird das Wrack metaphorisch zu einem Sterbenden, der mit letzter Kraft noch einmal aufbegehrt. Diesen aber nun wiederum als Metapher für einen angeschnallten Dementen oder Sterbenskranken zu präsentieren, scheint mir etwas jenseits des Guten. Man sollte die Bilder für sich sprechen lassen.

Grüße
JB
 

Tula

Mitglied
Hallo James
Die Idee der alten Piratenfleute hat natürlich auch etwas, aber das Wrack läge dann irgendwo auf einem verlassenen Strand unter Palmen. Also in der Tat eine modernere Variante, wobei zu bedenken ist, dass der maritime Radar, gewissermaßen das Auge des Schiffes, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erfunden wurde. Bordradio und andere Geräte beleben die Brücken der Schiffe also schon seit vielen Jahrzehnten. Das braune Leichentuch ist dabei der Rost, den der über den metallenen Rumpf fliessende Regen über die Jahre gebildet hat.

Die zweite Ebene muss der Leser nicht unbedingt annehmen, es soll ja auch kein direkter WIE-Vergleich sein. Aber es geht ums Sterben, um ein allmähliches Versinken, und andererseits um das letzte Aufbäumen, des Lebens schlechthin, über die Erinnerungen an glänzende Tage, mit Sicherheit um das eine oder andere Geheimnis, das nicht im Logbuch festgehalten wurde.

Ob der Vergleich hinkt? - Ich denke an nicht wenige Besuche einer bereits verstorbenen Angehörigen im Altersheim und die dementen Pflegefälle, die ich dabei sah, zur eigenen Sicherheit an Stuhl/Sessel gebunden, um bei den plötzlichen Anfällen innerer Erregung und Verrenkungen nicht rauszurutschen ... Gänzlich unpassend scheint mir das Gleichnis (nicht bildlich aber als Metapher) wirklich nicht zu sein. Ist natürlich Ansichtssache. Sicherlich muss es nicht Demenz sein, beim Festzurren dachte ich aber gerade an die erwähnten Bilder..

Dankend lieben Gruß

Tula
 



 
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