Elysion - Fortsetzung

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Morrigan

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HI Leutchen!

Habe wieder ein bißchen an meiner Fantasyader gebastelt und will das Ergebins mal öffentlich zur Disskusion stellen. Nach dem etwas grausamen AUftakt - s. erster Beitrag - dachte ich ein bißchen Tragik und Gesellschaftskunde kämen ganz gut. Hoffe es gefällt!

Liebe Grüße Morrigan

Das Fest der Inoa

„Sile! Sile kommst du? Wir wollen los! Nun mach schon! Beeile dich!“
Ergeben und mißmutig trat Sile aus ihrer Hütte und trabte den steinigen Weg zum Dorfeingang hinunter. Unter dem großen, massiven Steintor warteten bereits ihre Freundinnen Mao, Kenda und Asta, die aufgeregt miteinander tuschelten. Sile verdrehte im Geiste genervt die Augen.
„Muß ich wirklich mitkommen?“ fragte sie maulend, als sie endlich das hohe Tor erreicht hatte. Kenda zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe.
„Natürlich mußt du, was ist denn das für eine Frage! Es ist Tradition, daß die Inoa-Mädchen sich ihren Blumenschmuck selbst herstellen! Glaub ja nicht, das eine von uns dir diese Arbeit abnehmen wird!“
Sie legte Sile neckend die Hand auf den sonnengebräunten Arm, doch diese schüttelte nur leicht den Kopf. Sie wollte sich gar nicht um das Blumensammeln drücken, sie wollte sich um das ganze Inoa Fest drücken! Doch ihre Freundinnen drängten bereits zu Aufbruch und so liefen sie bis zu dem steilen Felsabhang, der das Dorf begrenzte, breiteten die Flügel aus uns glitten lautlos dem Tal entgegen.
„Es ist doch völliger Unsinn!“, dachte Sile bei sich, als sie in den Wirbeln der warmen, aufsteigenden Luft nach dem bequemsten Weg suchte, „Warum sollte ich an diesen Narrheiten teilnehmen, die doch gar nichts mit mir zu tun haben?“
Das Inoa Fest, das an diesem Abend im Dorf gefeiert werden sollte, war eine alte Tradition der Gargoyles und hatte sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Inoa bedeutete in der Sprache der Alten schwebende Tänzer, oder auch Krieger und das Inoa Fest bildete eine Art Initiationsritus oder auch Balztanz. Den Inoa-Männern war es allein bei diesem Fest erlaubt Waffen zu tragen und damit umzugehen, denn im allgemeinen lebten die Gargoyles mit allen Völkern Elysions in Frieden und verabscheuten Gewalt.
„Ob Mantou heute abend mit mir fliegen wird, was meinst du?“ fragte Mao und stieß Sile leicht von der Seite an.
„Was interessiert es mich?“
„Nun komm schon! Du willst doch sicher auch, daß dich heute abend jemand auffordert, oder?“
„Auffordern? Aufspießen wäre wohl das richtige Wort!“
Die Tradition verlangte von den Inoa-Männern, daß sie die Frau ihrer Wahl mir wilden Sprüngen und Waffenkunststücken beeindruckten. Im Laufe der Jahre war daraus ein festgelegter Tanz geworden, dem die Feiernden zu folgen hatten.
„Du weichst mir aus! Komm schon, wer ist es? Dolka? Besto?“
Sile schnaubte nur abfällig. Sie hatte nicht vor sich von jemandem auffordern zu lassen. Es war ihr einfach peinlich etwas so albernes wie dieses Balzritual mit jemandem zu fliegen, den sie schon ihr Leben lang kannte und für den sie daher nicht mehr empfand, wie für einen ihrer kleinen Brüder.
„Nein, ich denke ich werde nicht fliegen. Ich werde mich nach dem Tanz um das Feuer zurückziehen.“ entgegnete sie so würdevoll wie möglich.
Mao riß entsetzt die Augen auf.
„Aber . . . aber wenn du nicht fliegst, dann . . .“
Sile flog einen großen Schwung und hielt sich dann genau vor ihrem erschrockenen Gesicht an einer stetigen Luftsäule fest.
„Aber was? Ah ich weiß schon! Aber dann kannst du nicht Mutter werden? Dann kannst du nicht . . . wie nennen es die Menschen? Heiraten? Nein? Gut! Wer sagt denn das ich überhaupt einen von diesen Bauerntölpeln will?“
Sie ließ die Anderen weit hinter sich, als sie sich unter der warmen Luftströmung wegduckte und wie ein Adler dem Dorf der Menschen entgegen schnellte.

„Mama, Mama Sile ist da, sie ist endlich gekommen!“
Die kleine Marietta stürmte ihr schon am Eingang des Dorfes entgegen und wäre beinahe über einen Stein gestolpert so aufgeregt fuchtelte sie mit den kurzen Armen in der Luft herum. Sile landete vorsichtig, strich sich sorgfältig das Haar hinter die Ohren und das kurze Kleid glatt, das sie zum fliegen trug, dann breitete sie die Arme aus und fing das kleine Menschenmädchen auf. Ihr blondes Haar floß wie flüssiger Sonnenschein über ihre dunkle Haut und mischte sich mit ihrem schwarzen Haar.
„Sile endlich bist du da! Ich habe schon den ganzen Tag auf dich gewartet! Stimmt’s Mama? Den ganzen Tag!“
„Ja das stimmt, mein Kleines!“
Mariettas Mutter Hanna küßte Sile auf beide Wangen, dann hakte sie sich bei ihr unter und schlenderte den Weg entlang, an dem zu beiden Seiten die bescheidenen Häuser der Menschen aufragten.
„Ich habe gehört heute ist der große Tag?“ neckte Hanna sie und lachte über ihr mißmutiges Gesicht.
„Ich finde das gar nicht so lustig!“ brummte Sile und betrat hinter Hanna das kleine Haus am Ende der Dorfstraße in dem Hannas Familie lebte.
„Ach mach dir nichts daraus! Du wirst es überleben. Und wenn du nicht fliegst, dann hast du auch keine Verpflichtungen!“
„So und wer macht dich zu einer Expertin in Gargoyle Angelegenheiten?“
„Das Leben.“ antwortete Hanna und lächelte warm.
Es stimmte, daß Hannas Dorf schon seit Jahrhunderten mit den ‘Gargoyles vom Berg’ in Freundschaft lebte und mit ihnen regen Handel trieb. Und seit Sile Marietta aus dem Dorfteich gefischt hatte, als sie noch ein kleines Baby war, verband sie mehr als nur Freundschaft mit Hanna und ihrer kleinen Tochter.
„Ja aber du verstehst trotzdem nicht. Das Fliegen bei der Inoa ist das, was für euch die Zeremonie vor eurem Hohepriester ist. Es ist der einzig anerkannte Weg . . . nun ja Mutter zu werden!“
„Und du möchtest gern Mutter sein?“ fragte Hanna und ihr Gesicht war plötzlich wieder ernst.
Sile nickte nur, etwas beschämt über ihr freizügiges Geständnis.
„Nun warum fliegst du dann nicht?“
„Weil ich keinen der Männer aus meinem Dorf will! Wir kennen uns schon ewig . . . als ich noch ein Kind war, haben wir und gegenseitig an den Haaren gezogen!“
Hanna kicherte albern und Sile funkelte sie wütend an.
„Nein sei bitte nicht böse, aber es ist nur . . . bisher hatte ich immer meine Zweifel, ob wir wirklich dieselben Urahnen haben, wie es die Steinweisen und die Neriaden immer behauptet haben, aber jetzt . . . Nein hör mir zu!“, fügte sie schnell hinzu, als Sile sich ärgerlich abwenden wollte, „Wenn du niemanden au deinem Dorf heiraten willst, dann mußt du andere Gargoyledörfer aufsuchen und sehen, ob du dort dein Glück finden kannst.“
Sicher hatte Hanna recht. Die Gargoyles waren neben den Neriaden, die die Flüsse und Meere bewohnten, das einzige Volk von Elysion, daß keine großen Städte, kein eigenes Land besaß. Die Menschen, die Drachenkriegerinnen, die Elfen, die Feen, die Gnome und selbst die Flo’ohras hatten von den Steinweisen in grauer Vorzeit eines der sechs Territorien zur Besiedelung erhalten, die von den drei großen Flüssen Elysions abgegrenzt wurden. So hatten sie die blutigen Konflikte beendet und Frieden gesät. Jedes dieser Territorien war natürlich an die Lebensverhältnisse des jeweiligen Volkes angepaßt, so erhielten etwa die Gnome das Gebiet der Burcha Höhen, in denen sie das Eisenerz und die anderen Metalle schürften mit denen sie Handel trieben. Nur den Gargoyles hatte man erlaubt sich über das gesamte Lichtreich zu verteilen, denn sie brauchten Hügelketten, an deren Hängen sie in der dünne Luft ihre Nahrung anbauen konnten und im ganzen Lichtreich war keine Höhe ausgedehnt genug, eine ganze Population aufzunehmen. Daher gab es überall Gargoyledörfer, jedoch . . .
„Ich kann meine Mutter nicht verlassen!“, entschied Sile und sackte ein wenig zusammen, „Sie hat sonst niemanden, der ihr hilft die Kleinen großzuziehen.“
Hanna legte ihr begütigend die Hand auf den Arm.
„Du bist noch jung! Warte ab!“
Marietta hatte der Unterhaltung bisher staunend zugehört, als verstünde sie, das hier etwas Wichtiges besprochen wurde, doch nun meldete sich ihr kindlicher Abenteuergeist.
„Sile? Fliegst du ein wenig mit mir? Bitte!“
Sile wandte sich zu ihr um und ihr ernstes Gesicht wurde von einem Lächeln erhellt. Sie strubbelte ihrer kleinen Freundin übermütig mit der Hand durch das Haar.
„Also gut, aber nur ein wenig! Ich darf meine neuen Sandalen nicht beim Rennen verderben!“
Marietta stieß ein spitzes Jubelgeschrei aus und rannte bei Arme wie Flügel ausgestreckt nach draußen.
„Kinder! So leicht glücklich zu machen!“ seufzte Hanna und lächelte.
Sile erwiderte das Lächeln.
„Wenigstens mit ihr kann ich noch unbeschwert fliegen!“ sagte sie mit nur einem kleinen Tropfen Traurigkeit in der Stimme.
Von draußen drangen plötzlich laute Stimmen herein, die über irgend etwas erbost stritten und Hanna fuhr, wie elektrisiert zusammen.
„Ach diese furchtbaren Pflanzen!“, schimpfte sie und begleitete Sile nach draußen, „Ich habe zwei Flo’ohras für meinen Garten eingestellt. Du weißt ja die Kräuter dort sind nie richtig gewachsen. Aber statt sich darum zu kümmern, geraten sie sich den ganzen Tag lang in die Haare . . . naja oder in die Ranken, wie auch immer!“
Sie schenkte Sile noch ein flüchtiges Lächeln, dann eilte sie hinters Haus, wo das Geschrei immer mehr anschwoll.

Natürlich spielte Sile nicht nur ein bißchen mit Marietta und natürlich vergaß sie die Zeit, bis sie Hanna mit einem Korb voller Frühlingsblumen daran erinnerte, daß sie anderweitig erwartet wurde. Sile nahm die Blumen als das entgegen, was sie waren: ein wohlmeinendes Geschenk einer guten Freundin. Es milderte ein wenig ihren Unmut über ihren Verwendungszweck. Während sie in langsamen Runden zu ihrem Dorffelsen hinaufglitt, flochten ihre flinken Finger geschickt einen bunten Kranz aus Veilchen, Rosen und Nelken, der einen betörenden Duft verbreitete.
Mao und die Anderen waren natürlich schon vor Stunden zurück gekommen und aalten sich nun in den heißen Quellen im Berginneren, um sich auf ihren ‘großen Tag’ vorzubereiten, doch Sile hatte keine Lust ein Bad zu nehmen. Für sie würde es ja auch kein großer Tag werden.
„Hallo Mutter! Ich bin zurück!“ rief sie und betrat die niedrige Lehmhütte.
Ihre Mutter Leha eile ihr aus der Küche entgegen. Sie schien sehr aufgeregt und verängstig.
„Mutter? Was ist denn los? Ich . . .“ begann Sile ratlos, doch Leha brachte sie mit einer raschen Handbewegung zum schweigen.
„Dein Vater möchte mit dir sprechen! Er ist sehr aufgebracht, also reize ihn nicht, hast du mich verstanden?“
Sile nickte, verstand aber nicht das geringste. Als sie den großen Wohnraum betrat, erhob sich ihr Vater von seinem Stuhl und die Augen mit denen er sie anblickte waren hart, wie Basalt.
„Tochter, ich möchte mit dir reden. Setz dich!“ befahl er ihr kalt.
Sile ließ sich auf einen Hocker fallen. Der angstvolle Gesichtsausdruck ihrer Mutter ging ihr nicht aus dem Kopf. Was war hier geschehen?
„Deine Freundinnen Mao und Asta waren heute bei uns und haben uns erzählt, du wollest bei deiner Inoa nicht fliegen, ist das richtig?“
Mao und Asta? Warum hatten sie das getan? Und warum kochte in ihrem Vater eine solche Wut?
„Ja aber Vater . . . ich verstehe nicht . . .“ stammelte sie verwirrt und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
„Beantworte nur meine Frage!“
„Ich . . . ich hatte nicht vor zu fliegen . . . aber was . . .“
Ihr Vater, Morag, stieß ein tiefes Grollen aus und stützte sich mir beiden Händen auf die alte Tischplatte.
„Also wirklich! Ich wollte es nicht glauben, aber. . .“
Die Verwirrung in ihrem Inneren gärte langsam aber sicher zu Wut.
„Vater willst du mir jetzt nicht sagen, was . . .!“
„Schweig!“, brüllte Morag und Sile sprang erschrocken auf, „Du bist eine Verräterin! Eine Schande für unsere Familie!“
„Aber Morag bitte . . .“ ersuchte ihre Mutter ihn zu beschwichtigen, doch er stieß sie wütend von sich.
„Und du ebenfalls! Du hast es doch gewußt, oder etwa nicht! Du und deine Schlangenbrut!“
Ihre Vater erhob die Hand und bevor Sile wußte, wie ihr geschah, warf sie sich vor ihre Mutter und blitzte Morag aus wutsprühenden Augen an. Er war größer als sie, doch sie war um einiges jünger und stärker und er wußte es.
„Elendes Pack!“ spie er ihnen entgegen und verließ das Zimmer.
Leha brach weinen und zitternd auch dem Fußboden zusammen. Sile hielt sie fest umschlungen und wartete, das sie sich beruhigen würde. Auch sie zitterte, aber vor sengendem ungezügeltem Zorn. Hätte sie nicht ihren Vater über so viele Jahre hinweg geliebt und geachtet, dann wäre sie ihm jetzt nachgerannt und sie hätte ihn getötet. Bei den Geistern der Alten, sie hätte es getan! Doch statt dessen redete sie begütigend auf ihr Mutter ein, die sich nur langsam von dem Schrecken erholte.
„Ganz ruhig Mutter, er wird dir nichts tun! Er ist weg, ganz ruhig!“ sprach sie mit sanfter Stimme auf sie ein, doch ihre Mutter schüttelte nur immer wieder den Kopf.
„Du darfst ihn nicht hassen, hörst du?“
Sile versteifte sich.
„Mutter ich glaube ich kann ihn jetzt nicht mehr lieben, nachdem er . . .“
Sie fand nicht die richtigen Worte die Gefühle auszudrücken, die in ihr tobten. Wut, Trauer, Haß, Enttäuschung, Angst . . . es war ein unüberschaubares Chaos und am liebsten wäre sie einfach davongelaufen.
„Nein das mußt du! Er . . . er liebt dich nur zu sehr! Er ist so ungeheuer stolz auf dich, daß er dich Mantou zur Frau versprochen hat. Deshalb ist er so ungehalten. Aber du wirst doch mit ihm fliegen, oder? Bitte tu es für mich!“
Mantou? Das war es also! Fast hätte Sile über diese ganze Situation gelacht, so grotesk erschien ihr dies alles! Und ausgerechnet Mao hatte sie verraten! Ha das war einfach köstlich! Ein köstlicher Scherz, nur leider ging er auf ihre Kosten!
„Mutter ich kann nicht mit ihm fliegen, weil ich ihn nicht will!“
Ihre Mutter senkte ergeben den Kopf.
„Ich habe es gewußt. Ich wußte, das du nicht nachgeben würdest, aber insgeheim habe ich mich doch an diese Hoffnung geklammert. Dein Vater wird dich verstoßen, ist dir das klar?“
Sile nickte traurig. Es tat ihr weh daran zu denken, daß sie ihre Mutter und ihre Geschwister verlassen mußte und nicht zurückkehren konnte - jedenfalls nicht solange ihr Vater noch lebte.
„Aber du mußt gleich gehen! Wenn dein Vater zurückkommt, dann wird er es verhindern! Du weißt das er es kann!“
Ja sie wußte es und diese Gewißheit nährte ihren Haß. Sie umarmte ihre Mutter ein letztes Mal und ließ es zu, daß ihre Tränen ihr Haar netzten. Dann stand sie auf und holte ihren Umhang und ein langes Kleid aus ihrem Zimmer, die sie zusammen mit einem kleinen Holzkamm und ihren Winterstiefeln in ein Bündel stopfte, das sie sich einfach um den Hals hängen konnte. Ihre Mutter winkte ihr noch nach, als sie den gewundenen Pfad entlang lief und im Gegenlicht des Ofenfeuer, das durch die geöffnete Tür drang, sah sie so alt und zerbrechlich aus, daß es Sile die Tränen in die Augen trieb.
So verließ sie das Dorf das beinahe zwei Jahrzehnte lang ihr Zuhause gewesen war und stürzte sich von der Felsenklippe in eine unbestimmte Reise. Erst als sie über Hannas Dorf hinweg flog bemerkte sie, daß sie immer noch den Blumenkranz im Haar trug und riß ihn herunter. Mit einem zufriedenen Lächeln sah sie zu, wie er in der Tiefe verschwand. Dann konzentrierte sie sich nur noch auf das perlende Gefühl der Freiheit unter ihren Schwingen.
Weit weit unter ihr stand eine zarte Menschin vor ihrem kleinen Haus am Ende des Dorfes und wünschte dem vorüberfliegenden Schatten ihrer Schwester eine gute Reise.
 



 
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