Emma

Coccinelle

Mitglied
Vanessa setzte sich die Sonnenbrille auf. Doch auch diese würde ihr, ausser der optischen Verschleierung, die Schmerzen nicht nehmen können. Genauso wie die drei Morphin die sie sich reingezogen hatte. Irgendwie musste sie den Tag überstehen. Nicht ihretwegen, da hätte sie schon längst aufgegeben. Sie musste stark bleiben für Emma. Die Kleine hatte es nicht verdient in einem solchen Umfeld gefangen zu sein. Nichts von dem bunten schönen Leben da draussen mitzukriegen. Stattdessen mit Schmerz, Angst und Trauer aufzuwachsen.
Warum musste ihr Termin denn ausgerechnet heute sein? Eine Verschiebung kam nicht in Frage. So hätte sie null Chancen auf den Job. Dabei würde sie diesen so dringend brauchen. Um ihre Tochter aus diesem Wahnsinn zu befreien. Und um ihr das Leben von einer harmonischen Seite, welches mit viel Liebe gefüllt wäre, zeigen zu können. Sie mit anderen Kindern spielen zu lassen – draussen in der Natur. Jene Emma bislang nur von Kinderbüchern kannte.
Wie gerne hätte sie ihre kleine Tochter in die Arme genommen und ihr gesagt, dass jetzt alles gut wird. Mama hätte bald einen Job, würde heimlich Geld verdienen, sodass sie Beide ein neues Leben beginnen können. Ohne Angst vor Schlägen, Erniedrigungen oder einer erneuten Vergewaltigung. Vanessa war innerlich schon längst gestorben. Doch dass Emma immer wieder diesen Grausamkeiten ausgeliefert war, damit konnte sie nicht umgehen. Könnte sie doch nur diese blöde Tür öffnen. Die Tür die täglich zwischen ihnen und einem normalen, glücklichen Leben stand.
Vanessa setzte ihr Ohr ganz dicht an das dunkle Holz. Sie wollte ihrer Tochter Nahe sein. So nahe es die Situation denn erlaubte. Ganz leise hörte sie Emma jammern. Sie war wahrscheinlich die ganze Nacht wach geblieben. Und obwohl sie das Ritual einer brutalen Vergewaltigung nur zu gut kannte, begriff ihr junger Verstand nicht, warum dies alles geschah.
„Guten Tag Mister Smith.“ Vanessas Spiegelbild zeigte ein verkrampftes, gequältes Lächeln. „Vanessa, so wird das nie etwas! Streng dich gefälligst an. Es geht um mehr, als nur einen blöden Job. Es geht um unser Leben. Emma setzt alle Hoffnung in dich! Enttäusch sie nicht.“
Voller Mut und letzter Kraft machte sie sich bereit für das Gespräch mit dem Personalchef.
Sie übte noch eine Weile vor dem Spiegel, um ganz sicher zu sein die richtige Gestik und den passenden Tonfall gefunden zu haben. Sie wollte überzeugend sein. Sie sollte den Job erlangen, niemand sonst.
„He Alter, was glotzt du denn so blöd? Bist du schwul oder was?“ Mike fühlte sich im Beisein seines Kumpels stark und unbesiegbar. Sein Alkoholpegel raubte ihm auch noch das letzte Fünkchen Anstand und liess ihn unkontrolliert vor sich her labern.
„Hör auf Mike. Der Typ ist es nicht wert.“
„Lass mich Tony. Und wie der Typ es wert ist.“ Der Blondschopf stand mühselig auf und wackelte auf seinen dünnen Beinen rüber zu John. Seine ozeanblauen Augen funkelten in der Sonne, die durch das Fenster hinter John in die Bar hereinbrach. John rührte sich nicht. Er hatte wieder einmal schlechte Laune. Lange musterte er den schlanken, grossen und sehr betrunkenen Typen, der ihm immer näherkam. Sollte er es vielleicht mit ihm machen? Eigentlich käme er gerade richtig und erst noch freiwillig. Ihn hatte er nicht zwingen müssen. Dies ersparte ihm viel Arbeit. Nicht wie bei all den anderen. Bei ihm würde es einfacher sein.

„Sag schon, warum glotzt du mich die ganze Zeit so blöd an? Willst du mir einen blasen?“ Mike beugte sich vor und lachte sich halb tot. Er wusste die Verteidigung seines Kumpels hinter sich und wagte sich noch weiter hinaus.
„Oder sollte ich lieber dir an die Wäsche?“ Mike suchte mit seiner Hand nach Johns Schritt und wollte gerade anfangen zu grabschen, als dieser ihn an den blonden, halblangen Haaren packte.
Er sah ihm intensiv in die Augen. Sein Blick war böse und kontrolliert. Tony stand auf, um John zu markieren nicht weiter zu gehen. Doch es schien ihn nicht zu interessieren.
Seine Aufmerksamkeit galt Mike allein.
„Sag mal Junge, hängst du an deinem Leben?“ John hielt noch immer den Blondschopf in seiner Faust und zog zeitgleich seine Waffe aus der Jackentasche.
„Komm mit mir mit. Ich habe eine Überraschung für dich. Wenn du leben willst, dann bewegst du jetzt deinen zuckersüssen Arsch hier raus und steigst in meinen Wagen.“ John blieb die Ruhe selbst. Er hatte dieses Szenario schon so oft wiederholt, er hätte es im Schlaf gekonnt.
Tony wusste, dass er von Mike und John ablassen sollte, wenn er seinen Freund retten wollte. Also blieb er lieber stehen.
„Steig ein. Heute wird ein wunderbarer Tag. Emma wartet auf dich. Du wirst deinen Spass haben.“
John schwitze vor Erregung während Mike immer blasser wurde. Er spürte wie sich Panik in ihm breitmachte und er nichts dagegen tun konnte. Solange er tun würde, was dieser Geisteskranke von ihm verlangte, solange würde er am Leben bleiben. Davon war Mike überzeugt.
 



 
Oben Unten