Emmas großer Auftritt

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Julia N.

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Wo sind denn nur meine Glückssocken? Emma wühlte verzweifelt in einem riesigen Wäscheberg in ihrem Zimmer. Ausgerechnet heute, wo sie ihren großen Auftritt hatte, konnte sie die Socken nicht finden. Sie hatten die Abschlusswoche in der Grundschule und jeder sollte in der Turnhalle etwas vorführen. Da sie schon seit einigen Jahren zauberte, hat ihr Papa, der von Beruf Zauberer war, vorgeschlagen, dass sie ein paar Kunststücke aus ihrem Zauberkoffer vorführen soll.

„Aber nicht mit Sprechen, das kann ich nicht“, hatte sie ihm damals geantwortet.
„Wir können dir auch ein Programm zusammenstellen, was du zur Musik vorführen kannst. Lass mal deinen Zauberkoffer sehen.“
Die beiden hatten über Wochen an dem Programm gefeilt, die richtigen Kunststücke ausgewählt und die passende Musik gefunden. Emma war froh, dass sie so einen tollen Zaubererpapa hatte.

Sie nahm den Zauberkoffer mit den Utensilien.

„Emma, beeil dich, du bist spät dran. Hast du auch alles?“, rief Mama aus der Küche.
Mist, der Bus kommt gleich, dachte sie, ich muss los.

„Ich wünsch dir viel Erfolg, du schaffts…“

„Ja ja, Mama, ich weiß, Tschüs, bis nachher.“ Schon war sie auf der Straße.

In der Turnhalle stand die Generalprobe an. Noch waren nicht viele Leute da. Als sie an der Reihe war und ihre Musik anging, zeigte sie ein Seilkunststück, bei dem sie Knoten entstehen, ihren Platz wechseln und wieder verschwinden ließ. Einmal nahm sie den Knoten sogar ganz ab und warf ihn mit einer magischen Bewegung wieder auf das Seil, so wie sie es mit Papa geprobt hatte. Sie war sehr konzentriert und hielt das Seil immer ganz fest in der Hand.

Geschafft.

Als nächstes waren die drei Becher mit den drei Bällen an der Reihe.

Dabei war sie so nervös, dass sie alles durcheinander brachte. Die Becher wollten nicht so richtig, wie sie wollte. Verflixt noch mal. Was war denn heute los? Lag das vielleicht daran, dass sie die Glückssocken nicht gefunden hatte? Ein Becher sprang ihr aus der Hand, dabei rollte der kleine rote Ball direkt vor die Füße von Vanessa, ihrer Erzfeindin, die gerade einen total komplizierten Dancemove neben der Bühne einstudierte.

„Na, funktioniert wohl nicht, ne?“ Vanessa griff nach dem Ball und hielt ihn ihr mit gespreizten Fingern entgegen.

„Hab ich doch gleich gesagt, Zauberei ist nur für Jungs.“ Ihre Lieblingsrivalin war in Hochform.

Heiße Wut stieg in Emma hoch, als sie schnellen Schrittes auf Vanessa zuging.
„Stimmt gar nicht. Jetzt gib schon her. Mädchen können auch zaubern, wirst du noch sehen.“

Sie nahm den Ball, machte auf dem Absatz kehrt und würdigte Vanessa keines Blickes.



Emma nahm die Utensilien und ging wieder nach hinten. Voller Verzweiflung sprach sie leise zu den Zauberbechern.

„Hey, was ist denn nur los mit euch? Immer macht ihr, was ihr wollt! Aber könntet ihr nicht nur heute mal machen, was ich möchte? Ich wünsche mir so sehr, dass das heute klappt.“ Sie klopfte leicht mit dem Zauberstab gegen die Becher.

Auf einmal geschah etwas Ungeheuerliches.
Die Becher bewegten sich von alleine, drehten sich und sprachen mit ihr.

„Du musst nicht mit uns schimpfen“, krächzte der rote Becher.

„Hä, was passiert denn jetzt gerade? Träume ich?“, fragte Emma

„Nein, du träumst nicht“, antwortete der grüne Becher. „Du hast dir doch gewünscht, dass wir dir helfen. Und wenn du uns einmal mit dem Zauberstab berührst, hast du uns aktiviert, dann hörst du uns. Wir helfen dir natürlich gerne.“

„Ich nicht“, platze es aus dem blauen Becher.

„Ich habe keine Lust mehr, mich hier ständig rumschubsen zu lassen. Es reicht!“

„Warum hast du keine Lust?“, fragte sie.

„Ich hab in den letzten Wochen einfach zu viel mit dir geübt. Du führst mich zu oft vor. Ich brauche mal eine Pause“, entgegnete der Becher.

Emma überlegte angestrengt.

„Ich mache euch mal einen Vorschlag. Ihr zaubert jetzt noch einmal bei meinem Auftritt mit und dann lass ich euch Becher mal für ein paar Wochen in Ruhe und übe andere Kunststücke, okay?“

„Mmm, weiß nicht“, grummelte der blaue Becher.

„Können die anderen Utensilien auch sprechen?“, fragte sie.

„Nur, wenn du sie einmal mit dem Zauberstab berührst. Ich soll dir übrigens vom Seil ausrichten, dass die Knoten viel zu stramm waren und du es immer zu fest in deiner Hand hältst. Gerade hättest du es beinahe erwürgt“, antwortete der rote Becher.

„Oh, mein Gott“. Emma griff sich instinktiv an den Hals. „Das wollte ich natürlich nicht.“ Sie berührte einmal alle Utensilien mit dem Zauberstab und streichelte dann zärtlich über das Seil.

„Ist schon gut“, hauchte das Seil. Seine Stimme war von der Würgeaktion noch etwas angeschlagen.
„Ich weiß, dass du aufgeregt bist.“

Wie lange soll ich denn noch üben, bis ich die Aufregung mal endlich in den Griff bekomme, überlegte Emma. Gemeinsam studierten sie hinter der Bühne das Programm ein, Emma gab den Zauberutensilien immer kurze Hinweise, wer was zu tun hatte. Es klappte leider nicht immer.

Sie hatte Angst, es war nicht mehr lange bis zur Vorstellung. Ihre Hände waren kalt und zitterten.
Die Turnhalle füllte sich langsam. Sie lugte vorsichtig am Vorhang vorbei. War das Mama in der hintersten Reihe? Nein, oder? Sie winkte mal sicherheitshalber. Es passierte nichts.

Sie war als drittes an der Reihe. Als das erste Kind begann, prüfte sie noch mal ihre Utensilien. Dabei erstarrte sie vor Schreck.

„Wo ist der Zauberstab? Ohne den kann ich das Becherspiel nicht vorführen“ Sie sah sich panisch hinter der Bühne um. Das musste ja so kommen. Hätte sie doch heute bloß ihre Glückssocken gefunden.

Vanessa grinste hämisch.

„Wo ist er? Sag schon!“, stellte sie sie zur Rede.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, entgegnete die gespielt unschuldig.

„Das weißt du ganz genau“, sagte Emma.

Das zweite Kind betrat die Bühne, langsam wurde die Zeit knapp.

„Bitte, helft mir suchen“, flehte sie ihre Utensilien an.

„Guck doch mal in den Sachen der anderen? Vielleicht der Geigenkasten?“, schlug das Seil vor.

Sie näherte sich dem Kasten und hörte es schon von weitem dumpf klopfen und rufen.

„Holt mich hier raus, ich wurde entführt“, schrie der Zauberstab.

Emma öffnete hastig den Deckel und sah den Zauberstab. Die Todesangst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er starrte stumpf vor sich hin. Hoffentlich konnte er noch beim Becherspiel helfen, das geht einfach nicht ohne Zauberstab, dachte Emma.

Sie war nun dran, die Musik setzte ein, sie zeigte mit einem Lächeln das Seilkunststück vor und gab sich ganz viel Mühe, nicht zu fest zu drücken. „Ich danke dir, so war es besser“, hörte sie das Seil glücklich flüstern.

Dann kam der schwierige Teil mit dem Becherspiel. Ob der blaue Becher und der Zauberstab wohl mitmachen, dachte sie. Einen Versuch war es wert.

Sie schwang den Zauberstab, die kleinen Bälle erschienen und verschwanden unter den Bechern, wechselten ihre Plätze und verwandelten sich unter den Bechern sogar in Tennisbälle.

Vanessa stampfte wütend mit dem Fuß auf.

Emma winkte ihr zu und lächelte sie an. Jetzt bloß nichts anmerken lassen.

Das Publikum hörte gar nicht mehr auf, zu applaudieren.

Jetzt wollte sie schnell weg von der Bühne, sich bei allen bedanken. Ach hätte ich doch meine Glücks…..

„Guck mal“, sagte der rote Becher und zeigte auf ihre Beine.

„Die hattest du die ganze Zeit an!“

„Oh!“, sagte Emma. Nicht zu fassen.

„Danke. Danke euch allen.“ Sie herzte ihre Utensilien.

„Und bei euch bedanke ich mich natürlich auch“, sagte sie zu den Glücksocken und alle lachten.
 



 
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