Empfindsame Fußreise von der Donau zum Rhein

Ich will wieder zurückblicken auf jene Schwabenreise. Im Typoskript von damals lag sie nur wenige Monate zurück, daraus sind für den heute Redigierenden Jahrzehnte geworden.

Donauwörth, meine erste Station, machte auf mich mit farbigen Fassaden und quirligem Leben sogleich einen bayerisch-schwäbischen, auf jeden Fall süddeutschen Eindruck. Ich logierte zwei Nächte in einem Gasthof an der Reichsstraße, nahe dem Liebfrauenmünster, die erste von so vielen Kirchen, in die ich auf dieser Reise trat. Mir ist vor allem ihre scheußliche Betonkanzel aus der Nachkriegszeit im Gedächtnis geblieben. Viel harmonischer fand ich die frühere Klosterkirche Heilig Kreuz. Zeigen die Deckengemälde nicht byzantinischen Einfluss, ungewöhnlich für eine barocke Kirche? Ich ging am Ankunftstag im Städtchen herum, saß an manch idyllischem Ort, auch an der Wörnitz. Der Zusammenklang von ruhigem Fluss, Wiesenufer, hohen Bäumen und dem Blick auf das weiß-gelbe Kloster sprach mich besonders an. Ich begann mich zu entspannen und Eindrücke aufzunehmen, die ich im Winter in der Großstadt entbehre. Besuchenswert sind in Donauwörth auch die Reste der alten Stadtbefestigung, nun eingebettet in Parkanlagen und Privatgärten. Weder zu übersehen noch zu überhören waren die vielen Motorradfahrer, die den ganzen Nachmittag und Abend über die Flussbrücken sowie die Reichsstraße auf und ab fuhren; eine etwas geräuschvolle Art, sich zu präsentieren und am sozialen Leben teilzunehmen.

Am Tag zwei, Pfingstsamstag, brach ich vormittags in Richtung Kaisheim auf, vom Donauwörther Stadtrand durch Wälder, die schon zur Frankenalb zählen. Die eingestreuten Felder verströmten den Duft von blühendem Raps. Aus solchen intensiven gelbgrünen Farbflecken tauchte der Turm der alten Abteikirche auf, zunächst nur die Spitze, dann die unteren Geschosse, schließlich der ganze Klosterkomplex, der jetzt bayerisches Staatsgefängnis ist. Das Nebeneinander von gut restaurierten barocken Fassaden und Stacheldraht, Vergitterungen sowie Wachtürmen berührte seltsam. Die Kirche selbst, ein gutes Beispiel für Zisterzienserarchitektur des Mittelalters, kann besichtigt werden. Ihre Größe weist darauf hin, wie bedeutend das Kloster einmal war. Schön ist der Umgang um den Chor, in dem sich in einer Nische ein krasses Beispiel findet, wie Tod zur Schau gestellt werden kann. Man hat sich dafür vor Zeiten die Gebeine eines Heiligen beschafft und sie in einem einsehbaren Schrein präsentiert, mit reich bestickter Prunkdecke über dem hingestreckten Skelettleib und mit nacktem Totenschädel.

Ich ging dann über die Landstraße nach Leitheim. Diese Seite der Alb ist beinahe lieblich, so sanft und leicht hügelig. Man blickt von ihr über die Donauebene und über das Lechfeld bis zu den Türmen von Augsburg. Die Leitheimer Sommerresidenz der Kaisheimer Äbte ist ein hübscher, eleganter Bau und war leider innen gerade nicht zu besichtigen. Ich war jetzt hungrig, fand aber am Ort keine geöffnete Speisewirtschaft. Im nächsten Dorf gab es zwar eine, doch sie war komplett von einer Hochzeitsgesellschaft in Beschlag genommen. Ich musste also mit leerem Magen noch Stunden bei großer Hitze bis Donauwörth gehen. Aber die weiche Landschaft gefiel mir so gut, dass ich kaum auf die Strapazen achtete.

Am Pfingstsonntagmorgen trennte ich mich bei rechtem Sommerwetter von Donauwörth. Ich folgte dem weiten Tal der Wörnitz etwa zwei Stunden lang und hatte eine weitere durch hügeligen Wald bis Harburg zu gehen, wo ich gut schwäbisch aß. Auf die Burg selbst warf ich nur im Vorübergehen einige Blicke. Eine Besichtigung hätte einen Großteil des Nachmittags ausgefüllt. Ich gewann rasch an Höhe, jetzt auf der Schwäbischen Alb, zog über die erste Wacholderheide und stand auf einer Anhöhe, die schon einen Blick ins Ries hinunter erlaubte. Dann kamen große, dichte Wälder. Wo sie am Albrand aufhörten, lag unter mir das Kloster von Mönchsdeggingen. Ich betrat den Klosterhof und ließ mich von der Schenke aus in mein vorbestelltes Zimmer führen. Es lag im ersten Stock eines der beiden Hauptflügel des Barockbaus und war sicher die großartigste Unterkunft auf der ganzen Reise. Das sehr große und hohe Zimmer lag an breitem Gang, der mit prächtiger Fensterfront auf den Innenhof sah. Dieser Trakt stieß unmittelbar an die Kirche. Ich hörte vom Zimmer aus sowohl den Chorgesang wie auch das Orgelspiel. Als ich vom Abendessen zurückkehrte, sah ich beim Betreten des Gebäudes, wie am anderen Ende des Ganges eben der Priester mit dem Ministranten aus der Sakristei in die Kirche hastete, wie Werktätige zur U-Bahn, wenn sie spät dran sind. Es hatte nämlich schon vor geraumer Zeit geläutet. Aus dieser Perspektive machte der Kultus einen etwas prosaischen Eindruck. Übrigens fand im Dorf Mönchsdeggingen eben ein „Spiel ohne Grenzen“ statt – nicht das originale fürs Fernsehen -, das ich mir am Nachmittag eine Stunde lang ansah, dabei nicht nur die Mitspieler, sondern auch den einen oder anderen Zuschauer im Auge behaltend. Ich schlief vorzüglich in meinem Klosterbett. Eigentlich wäre das eine ideale Unterkunft, wenn man nur Ruhe und eine stimmungsvolle Umgebung sucht.

Am Tag darauf hatte ich bei großer Hitze noch einen halben Tag bis Nördlingen zu gehen, erst durch dichte Wälder, dann über die Vorberge und die Hügel hinunter ins Ries und hinein in die alte Stadt auf eiförmigem Grundriss. Ich quartierte mich gegenüber vom Daniel in einem altertümlichen Gasthof mit knarrenden Treppen ein, in dem schon die römisch-deutschen Kaiser Friedrich der Dritte, Maximilian und Karl der Fünfte sowie später auch Goethe geschlafen hatten. Ich blieb dort zwei Nächte. Am Pfingstmontag verbrachte ich den Nachmittag mit stundenlangen Spaziergängen durch die Stadt, besah auch die Georgskirche von innen. Anderntags bestieg ich zuerst den Daniel, genoss die Aussicht und wanderte nordwärts über Wallerstein bis Maihingen, wo ich die nächste alte Klosterkirche kennenlernte und eine Kleinigkeit aß. Dann brachte mich ein Bus, der umständlich und so für mich sehr ersprießlich durch die Dörfer am Nordrand des Rieses fuhr, nach Oettingen. Hier hatte ich vier Stunden Aufenthalt, fast zu viel für das zwar ansehnliche, doch auch sehr kleine Städtchen. Ich saß lange herum und las Zeitung. Das Wetter war noch immer sommerlich warm. Erst während der Rückfahrt abends mit dem Bus nach Nördlingen begannen Regen und ein Gewitter, die die ganze Nacht anhielten.

Es regnete auch häufig, als ich mit dem Bus von Nördlingen nach Bopfingen fuhr und von da über die herrliche Hochfläche des Härtsfelds nach Neresheim ging. Dies ist eine der Gegenden, die ich mir für erneuten Besuch vormerke. Beim Wirt in Elchingen gab es einen bei Arbeitern aus der Umgebung sowie Lkw-Fahrern beliebten Mittagstisch. Ich mischte mich unter sie und fiel, hoffe ich, nicht weiter auf. In Neresheim musste ich in einem Gasthof an der Hauptstraße Unterkunft nehmen. Die Lastwagen waren eine große Plage, ich hatte zum Glück meine Ohrstöpsel mit. In Balthasar Neumanns Klosterkirche war ich gleich zweimal an nur einem Nachmittag, so überwältigend ist sie. Tags darauf zog ich wieder westwärts und kam nachmittags in Königsbronn an, wo ich ein Zimmer in der uralten Klosterschenke dicht beim Brenztopf bekam. Die nach der Zerstörung im 16. Jahrhundert neugebaute Kirche konnte ich nicht von innen betrachten, auch den erhaltenen Torbau nicht.

Den folgenden Tag, das Wetter war wieder sommerlich, durch die schönen Albuchwälder zum Rosenstein und ich sah das Remstal unter mir liegen. In Heubach fand ich keine Unterkunft, nahm daher den Bus nach Schwäbisch Gmünd. Sonderbare, groß gewordene Kleinstadt, die mich, warum nur, ausgerechnet an Frankfurt erinnerte. Ich hatte ein ziemlich komfortables Zimmer am Marktplatz. Nachmittags war ich stundenlang in der Altstadt unterwegs, um die Gassen, Plätze und Kirchen kennenzulernen. Es gab da einen hübschen Jungen, der an einer Kirchenpforte Eintrittsgelder kassierte und Karten verkaufte. Ich muss wohl gestutzt haben, als ich seiner ansichtig wurde, und er schien den Strom zwischen uns zu bemerken. Er wurde recht nervös, seine Stimme klang unsicher und sehr tief, als er den Preis der von mir ausgesuchten Karte nannte. Später saß ich auf dem Platz hinter der Kirche, mitten unter vielen anderen. Kurz vor vier verließ der junge Mann die Kasse und bezog in der Tür mit Blick nach draußen Posten. Er wachte darüber, dass sich die Kirche allmählich leerte und niemand mehr hineinging. Gleichzeitig behielt er mich im Auge, auch als ich zwischendurch einmal den Platz wechselte. Pünktlich schloss er ab und verschwand im Innern der Kirche. Ich war gespannt, was nun geschehen würde – gar nichts. Nur meine Ruhe war dahin.

Am Tag darauf gab es ein häufiges Auf und Ab. Von Schwäbisch Gmünd nahm ich erst den Bus bis Waldstetten und ging hinauf aufs Kalte Feld, am Segelflugplatz vorbei. Es war der höchste Punkt, den ich auf der Alb erreichte. Ich blieb nicht lange oben, stieg hinab nach Degenfeld und kam weiter talwärts bis Weißenstein, wo ich zu Mittag aß. Dann ins Roggental hinübergewechselt und diesem gefolgt bis Eybach. Bei großer Hitze das steile Felsental hinaufgeklettert und über die Hochfläche zum Ödenturm gelangt, wo ich auf Geislingen hinabschauen konnte. Unten war es mühsam, eine Unterkunft für zwei Nächte zu finden. Den Tag dazwischen nutzte ich vormittags zu einem Gang hoch über dem Filstal bis nach Deggingen. Ich kam vom Wald herunter, inspizierte die Wallfahrtskirche Ave Maria und aß im Dorf zu Mittag. Ein Bus brachte mich zurück nach Geislingen, für das ich mir den Nachmittag reserviert hatte. Zwangsläufig wurde ich enttäuscht, eine schwäbische Industriestadt an einem Sonntag eben und die hübsche, kleine Altstadt auch kaum belebt.

Anderntags verließ ich das Gebirge und fuhr mit der Bahn ins offenere Oberschwaben. Das Umsteigen in Ulm nutzte ich, um mir wieder einmal das Münster anzusehen. Dann Saulgau, ein angenehmes Städtchen, voll Freundlichkeit, Bedächtigkeit und reeller Genüsse. In guter Erinnerung ist mir der Gang durch die Wiesen zum Kloster Sießen, dessen farbige Kirche ich auch innen beschaute. Ich übernachtete in Saulgau in einem alten Gasthof im Zentrum. Vom Zimmer ging der Blick auf eine Baustelle mit regem Betrieb. Tiefbauarbeiter gossen das Betonfundament für die Rekonstruktion eines Fachwerkhauses. Der Anblick so vieler halbnackter Männer war ernüchternd. Er passte nicht zu verbreiteten Vorstellungen von athletischen Naturburschen auf dem Bau. Ein Dunkelhaariger von Mitte bis Ende zwanzig war der Hübscheste. Sein stattlicher Bauchansatz fiel mir erst unangenehm auf, doch stellte ich bald fest, wie viel Harmonie der Arbeiter im Ganzen ausstrahlte. Er war sehr fleißig, dabei den fülligen Körper mit Umsicht bewegend, auf schmalen Graten balancierend. Er schien etwas Besonderes, etwas Feineres unter ihnen zu sein. Der Polier rief seinen Namen, es war eine Koseform, stets in sonderbar dunkel lockendem Ton, so wie man einen Kater aus dem Garten ins Haus ruft. Die Kollegen bezeigten ihm einen förmlichen Respekt, wie sonst unter Bauarbeitern nicht üblich. Er war hübsch und ernst, selbst sein seltenes Lachen hatte etwas Sonores. Er gefiel mir viel besser, als ein beliebiger Bodybuilder mit leerem Gesicht es je tun könnte.

Von Saulgau ging ich ins zentrale Oberschwaben hinein. Schussenried enttäuschte mich ein wenig. Dem Ortsbild fehlt es an Geschlossenheit, die einzelnen Funktionen (Kurort, Ziel für Kunstreisende, psychiatrische Anstalt) schienen mir unverbunden nebeneinander zu bestehen, obwohl doch die Psychiatrie im alten Kloster untergebracht ist. Die barocke Klosterbibliothek kam mir weniger großartig vor als jene von Wiblingen oder St. Gallen. Nach dem Besuch von Kirche und Bibliothek saß ich auf einer der Bänke im Park daneben, um Zeitung zu lesen. Aber ich kam nicht dazu. Nacheinander setzten sich zwei Insassinnen der Klinik zu mir. Sie suchten das Gespräch, denn sie hielten mich für einen Neuzugang der Anstalt. (Sollte mir das zu denken geben?) Besonders von der Jüngeren erfuhr ich viel über das Leben dort. Sie selbst ist manisch-depressiv und hat gelegentlich Jesus- und Marienerscheinungen. Sie erzählte eine Dreiviertelstunde lang.

Inzwischen war es sehr heiß geworden. Ich fuhr am Tag darauf von Schussenried mit dem Bus bis Biberach und ging erst von dort zu Fuß weiter nach Ochsenhausen, einem der Höhepunkte meiner Reise. Die herrliche und gut erhaltene Stiftsanlage, die Kirche mit ihrer organischen Verbindung von Gotik und Barock, die weite, luftige Hochfläche, auf der der alte Klostermarkt liegt – alles sagte mir sehr zu. Ich quartierte mich zwei Nächte in einem behaglichen Gasthof ein. Zeitweise saß ich unterhalb vom Kloster in den Wiesen am Rande eines kleinen Bachs und las Proust. Die Kirche erschien mir innen wie ein in allen Farben erblühender Frühlingswald. Ochsenhausen war wieder ein Ort, wo unaufhörlich Motorräder durchbrausten, vor allem von weither; es liegt an der Hauptachse vom Allgäu zur Alb. Das Personal im altertümlichen, weitläufigen Gasthof war ungewöhnlich herzlich. Morgens entdeckte ich eine Reisegruppe Kunstinteressierter beim Frühstück. Ihr Reiseleiter, ein junger Mann mit sehr kurzen Haaren, warf mir einen möglicherweise eindeutigen Blick zu. Leider war für mich in einem anderen Raum gedeckt, in einem Gelass mit Butzenscheiben. Von Ochsenhausen ging ich ohne Rucksack in einem halben Tag bis Gutenzell, um wieder ein Kloster zu besehen, und noch ein wenig rotabwärts.

Tags darauf bei fast ständigem Regen nach Rot an der Rot. Auch der Klassizismus dieser Klosterkirche gefiel mir, besonders die Prospekte der Chororgeln. Und wie hoch die Kanzel lag. Ich wäre gern von Rot weitergefahren, weil es mir zu sehr regnete, doch es ging kein Bus. Ich musste bis Tannheim gehen, dort gab es einen Bahnhof und einen Zug, der nach Memmingen verkehrte. Die alte Stadt hätte mich zum Herumschlendern verleiten können. Aber es war feuchtkühl draußen und in den Gasthöfen kein Zimmer frei. Telefonisch konnte ich mir eine einfache Unterkunft in Ottobeuren sichern, wohin mich ein Bus brachte. So konnte ich auch noch die riesige Kirche dort sehen. Ihre Kuppeln sind wie eine Abfolge von Himmeln. Eine Stunde war ich danach im Klostermuseum. Am stärksten beeindruckte mich die Statue Rudolfs des Zweiten im Kaisersaal. Wie ist er so finster, so fatalistisch. Die Landschaft des unteren Allgäus erschien mir langweilig: eintönige Wiesen und eintönige Fichtenwälder.

Am anderen Morgen brachte mich der Bus zurück nach Memmingen. Das Wetter war noch schlechter geworden, Dauerregen und sehr kühl. Ich versuchte, eine der alten Kirchen zu besichtigen - sie war nur nachmittags offen. Dann wollte ich ein Zimmer in Bad Wurzach bestellen. Es misslang mir, eins telefonisch reservieren zu lassen. In diesen Tagen waren Tausende in Oberschwaben unterwegs und auf Quartiersuche. Ich sah ein, dass es wie bisher nicht weitergehen konnte. In Ochsenhausen hatte ich schon mittags um eins gerade noch das letzte Zimmer bekommen. Also hieß es, den im Verlauf der Tour wohl schon aufgeweichten Begriff Fußreise noch etwas weiter zu fassen und früher als vorgesehen an den Bodensee zu fahren. Ich rief im mir schon bekannten Hotel in Nußdorf an, nahe Überlingen, und ließ mir gleich für sechs Nächte ein Zimmer reservieren.

Ich fuhr über Lindau, das ich bei einem Bummel im Regen kennenlernte, nach Überlingen. Dort hatte das Wetter sich schon gebessert und blieb erträglich bis zu meiner Abreise. Ich ging zu Fuß die mir schon im Vorjahr liebgewordene Uferpromenade entlang, vom Bahnhof West bis nach Nussdorf hinaus. Im Hotel fühlte ich mich wieder wohl und willkommen. Am folgenden Tag, einem Sonntag, ging ich nach Salem und nahm teil an einer Führung durch das frühere Kloster, jetzt Internat. Schade, dass man diese Schätze nur im Vorbeigehen betrachten konnte, dass keine Muße möglich war. Nachher wanderte ich Richtung Bodensee, leider ohne Karte, und verirrte mich mehrfach. Statt in Meersburg kam ich in dem weniger attraktiven Uhldingen heraus. Ich nahm den Bus nach Meersburg, aber diese alte Stadt ist kaum mehr als eine Karikatur ihrer selbst. Die durchziehenden Massen verderben alles. Nur vom See aus ist die Stadt noch als schön zu erleben, wie ich Tage später herausfand.

Montags fuhr ich bis nach Weingarten, um die Basilika dort zu sehen, von der mir jedoch allein das Chorgitter wirklich gefiel. Die Kirche ist vor allem groß und bei ihren Dimensionen kommt der milde Glanz des süddeutschen Rokoko nicht recht zur Geltung. Auf dem Rückweg promenierte ich am Friedrichshafener Seeufer und blickte voller Verlangen auf die Ostschweizer Berge, Robert Walsers spätes Land mit der Seele suchend …

War ich dann dienstags nicht auf der Reichenau? Ich ging über den Damm hinüber und durchquerte die ganze Gemüseinsel, sah die drei alten Kirchen, von denen mich die in Oberzell tiefer beeindruckte. Auf dem Rückweg war ich kurz in Konstanz und fuhr am Mittwoch gleich dorthin. Jetzt widmete ich mich dem Rosgartenmuseum und auch dem Münster. Dann am Seeufer promeniert und mich spontan für den Heimweg zu einer Seereise entschlossen, auf der am Horizont auch wieder Meersburg erschien als herrliche Kulisse.

Am Donnerstag schließlich ging ich von Nussdorf bis Ludwigshafen und erreichte dabei die Marke von dreihundert Kilometern: So viel war ich auf dieser Reise jetzt insgesamt gewandert und wollte es damit bewenden lassen. Unterwegs hatte ich schöne Tiefblicke und leider auch Einblicke in die Waldschäden oberhalb von Sipplingen. Hier war kein älterer Nadelbaum mehr gesund.

Am Freitag brachte mich ein Zug den Hochrhein entlang nach Basel, wo mich auf dem Badischen Bahnhof ein Freund abholte. Wir aßen in seiner Wohnung. Nachmittags spazierten wir durch die Stadt, dann musste er zu einer Sitzung und abends waren wir einige Zeit in einem Szenelokal - nicht weiter beschreibenswert. Mein Freund war samstags erst durch ein Straßenfest in Anspruch genommen. Ich wollte nicht dabei sein und studierte stattdessen daheim die Rede, die er dafür vorbereitet hatte. Später gab es irgendwo am Stadtrand eine große Freiluftfete. Ambitioniertes Anderssein wirkte da wieder nur formlos, die Besucher eine amorphe Masse ohne Reiz für mich. Doch mein Freund sagte: Aber es ist doch unser Fest … Am Sonntag fuhr er zu einer Sitzung nach Zürich. Ich wollte nicht mitkommen und ging lieber ins Historische Museum. Abends mit ihm essen gewesen. Sprachen wir über seine Rede vom Vortag? Ich erinnere mich nicht genau. Was ich ihm damals gewiss verschwieg, war etwas von mir in seinem Vortrag Entdecktes, war ein Widerspruch zwischen öffentlich erhobenem Postulat und privater Lebensführung. Ein erster Riss zeigte sich. Aber das ist schon eine andere Geschichte …

Am Tag darauf fuhr ich zurück in den Norden. Außer Basel habe ich, wie ich nun, sechsunddreißig Jahre später, leider feststellen muss, keinen dieser Orte je wieder gesehen:

DONAUWÖRTH + KAISHEIM + LEITHEIM + HARBURG + MÖNCHSDEGGINGEN + NÖRDLINGEN + MAIHINGEN + OETTINGEN + NERESHEIM + KÖNIGSBRONN + SCHWÄBISCH GMÜND + GEISLINGEN + DEGGINGEN + ULM + SAULGAU + SIESSEN + BAD SCHUSSENRIED + OCHSENHAUSEN + GUTENZELL + ROT AN DER ROT + MEMMINGEN + OTTOBEUREN + LINDAU + ÜBERLINGEN + SALEM + UHLDINGEN + MEERSBURG + WEINGARTEN + FRIEDRICHSHAFEN + REICHENAU + KONSTANZ + LUDWIGSHAFEN AM BODENSEE + BASEL
 



 
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