Der Autor dankt für die Kritik und hat die Geschichte überarbeitet.
Ende einer Ehe
Da liegt sie nun im Staub, meine Frau. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich das getan habe. Aber weit und breit gibt es hier, mitten im Wald, keine Menschenseele, außer mir. Folglich habe ich sie tot gemacht. Und da ist der pampelmusengroße Stein in meiner Hand. Und die Erinnerung an meine Tat, so wie ich sie schon tausendmal vorher in meiner Fantasie geschaffen habe, ist noch ganz frisch: Ich schlug ihr einfach von hinten einen Stein auf den Schädel. Und als sie bewusstlos zu Boden gefallen war, da habe ich nicht mehr aufhören können, ihr mit dem Stein auf den Kopf zu schlagen.
Meine Frau sieht nicht mehr schön aus. Nein, das tut sie nicht. Von ihrem einst so hübschen Gesicht gibt es keine Spur mehr. Der Schädel, eine einzige, zertrümmerte, blutige Sauerei, aus der immer noch, wie zäh dahinschleichendes Magma, ihr waberndes, schwabbeliges Hirn blutig in den Dreck des Waldbodens kriecht.
Endlich ließ ich den Stein los und war eine Sekunde irritiert, weil er geräuschlos auf dem Boden ankam. Der Waldboden dämpft, flüsterte irgendetwas in meinem Kopf. Die Gummihandschuhe blieben noch an meinen Händen. Wer weiß, wo DIE hier überall nach Spuren suchen. Da bin ich lieber vorsichtig.
Ich schaute noch einmal auf den ausblutenden, leblosen Körper im Dreck. Dann wollte ich drauf spucken, um meiner Abscheu, für diese Frau, noch ein letztes Mal Ausdruck zu verleihen. Doch eine wispernde Stimme in meinem Kopf bewahrte mich vor dieser Torheit: "Schon mal was von genetischem Fingerabdruck gehört, den sie aus deinem Speichel extrahieren werden?"
Gut, mein genetischer Fingerabdruck durfte sich nach geltendem Recht in keiner Datenbank der Welt befinden. Aber wer will und wer kann das kontrollieren?
Wenn der Hausarzt einem Blut für eine Routineuntersuchung abzapft, dann könnten die Leute im Labor sonst was mit der Blutprobe anstellen, ohne das irgendwer einen Schimmer davon hätte.
Ich wollte mich gerade herumdrehen, um den bedrückenden Ort meiner finstersten Fantasien, die nun also doch Wirklichkeit geworden waren, zu verlassen, da hörte ich plötzlich einen Ast knacksen. Im nächsten Moment jagte ein Belgischer Schäferhund aus dem Dickicht hervor und sprang an mir hoch. "Brutus! Brutus!" hörte ich jemanden schreien, während ich mechanisch den blöden Köter am Gnick packte und mit eiserner Hand zurück auf den Boden drückte. Verdammt! Wo kommen die denn urplötzlich her? Hier war doch niemand, fluchte ich.
"Brutus! Verdammt, komm her!" schrie die Stimme, die nun schon bedrohlich näher kam. Ich fühlte Schweißperlen auf meiner Stirn, während ich fieberhaft überlegte, wie ich mit dem Besitzer dieses dämlichen Viehs fertig werden könnte. Jetzt noch erwischt zu werden, war nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Wird er mir zuhören, wenn ich ihm meine Motiv erkläre? Sicher nicht. Menschen sehen einen Mord und fantasieren sich gleich was von Gerechtigkeit zusammen. Natürlich zu Gunsten der Leiche, die da sowieso nichts mehr von hat. Er wird mich anzeigen. Er wird mich gleich sehen und die Sauerei, die ich auf dem Waldboden verursacht habe. Er wird dafür sorgen, dass ich hinter Gitter komme. Während mir diese Gedanken wie Raketen durch mein Hirn schossen, versuchte ich erst einmal Herr über den Hund zu verden.
Ich setzte mich auf seinen Rücken, natürlich nicht so, dass er unter meinem Gewicht zusammengebrochen wäre, sondern in der Art, dass ich die Kontrolle über ihn hatte. Schließlich war der Köter wie in einer großen Schraubzwinge zwischen meinen Beinen eingeklemmt und wird mir gleich, wenn der Besitzer auftauchen wird, keine Probleme mehr bereiten. Selbst dann nicht, wenn der Idiot "Fass" sagen würde. Mir schlug mein Herz bis zum Hals, angesichts meiner prekären, geradezu ausweglosen Lage. Weglaufen! Lauf schnell weg! Aber nein, macht keinen Sinn. Der Köter würde mir hinterher hechten und mich möglicherweise noch beißen. Nein. Keine Chance. Aber da war ja noch das Messer, das ich zum Pilze ausstechen mitgenommen hatte. Gerade als ich dem Köter mein feines Messer an die Kehle hielt, knackten Äste und ein Jäger betrat die kleine, abgeschiedene Lichtung. Mit einem Blick erkannte er die Situation und schaute mich mit unmenschlich zornigen Augen und einer geradezu unerschütterlichen Unerschrockenheit an, als wäre er die personifizierte Gerechtigkeit. Ich war so perplex, dass ich vergaß, dem blöden Vieh die Kehle durchzuschneiden.
"Du verfluchtes, mieses Dreckschwein!" schrie er mit solcher Verachtung, dass ich befürchtete, er werde mich im nächsten Moment erschießen. Im selben Augenblick zeigte sein imposantes Jagdgewehr direkt auf meinen Kopf und ich wünschte, ich würde das nur träumen.
Was jetzt, was jetzt, dachte ich verzweifelt und sah mich schon mit einer Kugel im Kopf neben der Leiche meiner Frau liegen. Die Augen des Jägers funkelten, wie die eines Irren, der felsenfest davon überzeugt war, dass man einen Mord nur mit der Hinrichtung des Mörders vergelten könne. Du mußt dein Leben retten, raunte eine innere Stimme. Dein Messer. Du hast ein Messer in der Hand. Tu was damit.
"Hör mal, Arschloch!" brachte ich schließlich mit dem Mut und der Kraft der Verzweiflung hervor. "Werf sofort die Waffe weg! Sonst schneid ich Deinem dämlichen Köter die Kehle durch! Glaub mir, ich hasse Hunde genauso sehr, wie meine Katze das tut."
Wie ich befürchtet hatte, verfehlten meine Worte ihre Wirkung. Verständlich, dass der Waldmann etwas dagegen hatte, dass ich seinem Hund weh tat. Zornig erwiderte er, dass ich in der selben Sekunde, in der Blut fließt, eine Schrotladung im Kopf haben würde.
"Na wenn schon!" schrie ich spontan, und hiel mich ebenso spontan für verrückt, "dann bist Du nicht besser als ich. Dann bist Du auch ein Mörder! Einen Menschen abzuknallen, um einen dämlichen Köter zu retten, das verzeiht Dir kein Gericht."
Ich war verrückt. Wie konnte ich so einen Blödsinn sagen? Was hatte ich davon, wenn ein Gericht ihn verurteilt und ich tot war.
Der Jäger überlegte nicht lange und meinte: "Ich sage, ich habe Dich in Notwehr erschossen, weil Du Dein Messer nach mir geworfen hast."
Daran zweifelt ich keine Sekunde. In der Hoffnung dadurch eventuell doch noch mein Leben zu retten und meinen Widersacher versöhnlicher zu stimmen, warf ich demonstrativ langsam, so dass er meine Niederlage genießen konnte, mein Messer fort und ließ danach den Hund, aus der Umklammerung meiner Beine, frei.
"Und jetzt! Willst Du mich immer noch erschiessen?" fragte ich, mit leiser Hoffnung das Schlimmste verhindert zu haben.
Er schüttelte zögerlich den Kopf, als ob er sich noch nicht ganz entschieden hätte und zielte gnadenlos weiter mit der tödlichen Waffe auf meinen Kopf.
Mein Herz raste wie verrückt. Wenn er die Waffe nicht bald fortnimmt, werde ich noch einen Herzschlag bekommen und tod umfallen, bevor er mich erschießt oder sonst was tut, dachte ich und versuchte diese unerträgliche Anspannung mit Zählen von natürlichen Zahlen zu lösen. Eins, Zwei, Drei .... Bei Funfundachtzig hatte ich eine Idee: Laß dich fallen. Dann kommt er nachschauen, was mit dir ist. Dann kannst du ihn überwältigen. Aber dazu kam es nicht mehr.
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sich eine Hand, nach einer Ewigkeit der Ungewissheit, von der Waffe löste und zielstrebig in einer seiner Jackentaschen verschwand, um kurz darauf wieder mit einem Handy zu erscheinen.
Er würde die Bullen anrufen. Ich hatte verloren, so oder so. Jetzt, wo ich überleben werde, war mir die Durchführung meiner Idee zu gefährlich. Lebensgefährlich.Wenn ich mich ruhig verhalte, werde ich überleben. Das ist das Wichtigste. Zwar nicht das, was ich mir erträumt hatte, aber immerhin werde ich nach der lebenslänglichen Haftstrafe, zu der ich sicher verurteilt werde, in Frieden weiter leben können.
Plötzlich erklang ein Schuss. Vor den Füssen des Jägers wirbelte Staub und Dreck hoch, um sogleich wieder herabzuregnen. Jaulend rannte der Hund fort. Ungewöhnlich für den Hund eines Jägers, dachte ich spontan. Noch bevor ich mich selbst über den plötzlichen Knall erschrak.
"He, Arschloch! Schmeiß auf der Stelle Deine Knarre fort und wirf mir Dein Handy her!" schrie ein Mann, der urplötzlich, seitlich von uns, aus dem Gehölz trat und den Jäger mit einer Pistole bedrohte. Mein Gott, dachte ich. Was für ein irrwitziges Glück. Der kommt ja wie gerufen. Dann hegte ich plötzlich Zweifel, ob dieser Unbekannte wirklich ein Glück für mich war. Vielleicht dachte er, der Jäger wollte mich erschiessen und hatte erst mal dafür gesorgt, dass er seine Waffe weg warf. Aber wenn der Jäger ihm gleich alles erzählt ....
Der Jäger wurde kreidebleich und an seiner Hose wurde ein feuchter Fleck sichtbar, der schnell größer wurde. Trotz der Ungewissheit, ob der Unbekannte nun ein Segen für mich war oder nicht, mußte ich grinsen. Ein Erwachsener, der sich in die Butz macht, ist einfach in jeder Lebenslage zu komisch. Jedenfalls war ich, trotz Lebensgefahr immer noch trocken.
Mit zittrigen Händen warf der Jäger seine Waffe fort und dem Unbekannten das Handy hin.
"Gut so, Arschloch! Jetzt zeig uns, wie schnell Du laufen kannst, sonst verpass ich Deinem Arsch eine dicke, fette Kugel!"
Der Jäger lief, stolperte, fiel in den Dreck, stand auf und lief weiter, als wären die Hunnen hinter ihm her.
"So, Meister, jetzt verschwinden wir besser auch", meinte der Unbekannte und steckte seinen Revolver in den breiten Gürtel seiner Jeans.
"Wer sind Sie? Warum ...?"
"Keine Panik, Mann. Ich bin auf Ihrer Seite. Kommen Sie jetzt, wir müssen schleunigst hier fort!"
Ohne seine Beweggründe zu verstehen, folgte ich ihm. Erst mal hier weg, das hatte Priorität vor allem anderen.
Wir liefen etwa fünf Minuten durch wegloses Gelände. Dann kamen wir auf einen zugewachsenen, schmalen Waldweg, auf dem ein pechschwarzer Land Rover parkte.
Wir stiegen ein und der Unbekannte bretterte mit einem solchen Affenzahn durch den Wald, dass ich dachte, gleich bricht eine Achse auf dem holprigen Weg. Es war ein echter Höllenritt, der mich – hoffentlich – aus der Hölle herausbrachte. Ich wußte immer noch nicht, wer dieser Mensch war und warum er mich aus den Fängen des Jägers und damit auch der Polizei geholt hatte. Jedenfalls hatte er sich dadurch auch strafbar gemacht. Fluchthelfer eines Mörders. Wir saßen also in einem Boot. Bleibt nur die Frage, nach seinem Motiv. Und worüber ich mich immer noch wunderte, als das Grün der Bäume und Büsche an den Fenstern des Wagens vorbeirauschte, war, wieso der Unbekannte so urplötzlich zu gegen war. Bevor ich meine Frau erschlagen hatte, hatte ich mich doch gewissenhaft umgeschaut, dass ich nicht überrascht werde und in Ruhe den Tatort verlassen kann. Ein Rätsel. Überhaupt alles, der Hund, der Jäger, der Unbekannte. Die hätten gar nicht da sein dürfen. Beim Pilze suchen hatte ich die Gegend doch genauestens erforscht.
Nach etwa zwanzig Minuten kamen wir auf einen Feldweg, und näherten uns einem einsamen Bauernhof.
Er gehörte dem Unbekannten. Er fuhr seinen Land Rover in eine Scheune und eine Minute später saßen wir, in schwarzen Ledersesseln, in seinem riesigen Wohnzimmer und hatten jeder ein großes Glas Whiskey vor uns. Den hätte ich jetzt gebraucht, aber bevor ich einen Schluck nahm, wollte ich endlich wissen, warum dieser Mann mich da rausgeholt hatte.
"Warum habe .... ?" wollte ich fragen, aber der Unbekannte winkte ab und begann zu erzählen.
"Wissen Sie, Landwirtschaft lohnt sich heute nicht mehr. Damit kommt kein Bauer mehr auf einen grünen Zweig. Und weil ich mir schon als kleiner Bub, beim Schafe hüten, mörderische Geschichten ausgedacht hatte, da dachte ich mir, arbeite als Autor. Deshalb hab ich meine Kühe, Ziegen, Schweine, Schafe und Hühner verkauft bzw. geschlachtet und das Fleisch verhökert. Das Land liegt seit drei Jahren brach. Eigentlich ein Blödsinn, dass ich noch hier wohne. Aber hier habe ich eben meine Ruhe zum Schreiben."
"Aber warum haben Sie mich vor dem Jäg....?"
"Warum? Tja, warum? Ich kam gerade ganz zufällig vorbei, als Sie den Stein aufhoben und damit den Schädel von ..."
"...meiner Frau ..."
"..eingeschlagen haben. Ich dachte: Wart mal ab, was passiert, wenn gleich dieser bescheuerte Jäger vorbeikommt. Der schlich nämlich ganz in der Nähe herum. Ja, das hab ich gemacht. Aber wie der Sie mit der Flinte bedroht hat und mit seinem verfluchten Handy die Bullen anrufen wollte, mußte ich natürlich dazwischen gehen."
Die Geschichte klang ziemlich suspekt und platt noch dazu. Ein Bauer, der sich zum Krimiautor wandelt und ganz zufällig zur Stelle ist, als ich meine Frau erschlage, und mich dann auch noch mit einem Revolver bewaffnet vor dem Jäger beschützt. Also sowas, das ist doch einfach unglaublich.
"Warum mußten Sie dazwischen gehen?"
"Weil ich von Menschen wie Ihnen lebe. Ich will Ihre Geschichte hören, um Sie dann aufzuschreiben und damit mein Geld zu verdienen. Und Mördern und Verbrechern, denen ich einen guten Krimi zu verdanken habe, die bring ich doch nicht in den Knast. Das kann ich doch nicht zulassen. Vielleicht kann man später mal wieder irgendwie ins Geschäft kommen."
"Verstehe, verstehe", sagte ich erstmal, obwohl mir die Sache immer unglaubwürdiger erschien. Gut. Mörder liefern sicher tolle Ideen für Krimis, aber dann sitzen sie bereits hinter Gittern. Welcher Mörder, der noch frei herumläuft, wäre so dämlich seine Taten einem Autoren zu beschreiben? Und welcher Autor würde sich strafbar machen und einen Mörder nach dem Interview in die Freiheit entlassen? Das kann einfach nicht wahr sein.
"Aber eine Frage hätte ich da noch: Wieso waren Sie ausgerechnet heute genau dort, wo ich ..."
"Zufall, würde ich sagen. Vielleicht auch Instinkt. Irgendwie habe ich immer so eine Ahnung vorher, wann und wo ein Mord geschieht. Und dann lege ich mich dort auf die Lauer und meistens passiert es dann auch. Dann habe ich wieder eine neue Story, mit der ich Kohle mache."
Der Mann erzählte mir das, ohne die Spur eines Grinsens im Gesicht. Ich war verwirrt. Das klang einfach zu fantastisch, um Tatsache zu sein. Wollte der mir einen Bären aufbinden? Ich war mir nicht sicher. Bei seiner Erklärung sah er nämlich aus, als glaube er tatsächlich, was er sagte. Merkwürdig. Oder war der Mann einfach nur irre und ich hatte das Pech ihm zu begegnen, weil er mich gleich vielleicht im Keller auseinanderschneiden möchte? Ich nahm mein Glas und nippte an meinem Whiskey. Seltsam, er brannte überhaupt nicht in meiner Kehle, wie er es sonst immer macht.
"Sagen Sie mal, was ist denn das für ein komischer Whiskey, der schmeckt so eigenartig, wie stinknormales Quellwasser, würde ich sagen."
Hätte ich das einem anderen Menschen erzählt, wäre er sicher irritiert. Aber dieser Kerl, der mir immer noch nicht seinen Namen gesagt hatte, erklärte, als wäre es das selbstveständlichste von der Welt, dass mein Whiskey nach Wasser schmeckte:
"Das ist ganz normaler Whiskey. Sicher schmeckt er Ihnen fad, weil Sie gerade so starke Erlebnisse hatten."
Das könnte natürlich ein Grund sein. Aber richtig überzeugt war ich nicht. Ich nippte noch einmal an dem Whiskey und stellte fest, dass er immer noch wie einfaches Wasser schmeckte. Und als ich das Glas zurück auf den Tisch stellte, erschrak ich ziemlich heftig über den kleinen Goldfisch in meinem Glas.
"Verflucht! Wie kommt denn plötzlich ein Goldfisch in meinen Whiskey. Ich meine, in mein Glas."
Der Unbekannte lachte laut, geradezu völlig hysterisch, eben richtig idiotisch. Der Kerl machte sich über mich lustig. Er hatte mich wohl verarscht, indem er mir tatsächlich Wasser ins Glas gefüllt hatte, zusammen mit einem Scherzartikel, der anfangs unsichtbar war.
Als er sich wieder beruhigt hatte, griff er mit beiden Händen seinen Kopf und stellte ihn auf den Tisch. Nur der Körper ohne Kopf sass noch im Sessel. Abartiger geht´s wohl nicht mehr, dachte ich. Aber ein Scherz war dies nun offensichtlich nicht mehr. Denn der Kopf auf dem Tisch lachte: "Hahaha. Eh, Mann, kannst Du das auch?"
Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Ja, natürlich, das alles hier ist so seltsam, so unglaublich und abgefahren, dass ich endlich Worte fand, für diesen ganzen Quatsch: "Was ist das hier? Ist das etwa ein Traum?"
Der Kopf auf dem Tisch kicherte und meinte: "Klar, was sollte es denn sonst sein, Du Träumer?!
In dem Moment wurde der Raum, der Körper und der Kopf des Unbekannten durchsichtig. Um schließlich ganz zu verschwinden und einem weißen Kittel Platz zu machen.
"Hallo! Hallo! Können Sie mich hören?" fragte eine Stimme, die eindeutig von dem weißen Kittel herrührte.
Ich wollte "Ja" sagen, höhrte aber nur ein Seufzen.
Ich probierte es noch einmal und brachte ein kaum wahrnembares, gehauchtes "Ja" zustande.
"Ganz wunderbar", sagte der Kittel, der sich Stunden später als Krankenschwester entpuppt hatte.
Sie war es dann auch, die mir sagte, dass ich es schaffen würde. Gut. Es schaffen, das klingt gut, dachte ich und schlief ein.
Tage später konnte ich wieder einigermassen klar denken und fragte mich, was passiert war?
Hatte der Jäger mir in den Kopf geschossen, nachdem ich meine Frau totgeschlagen hatte?
Es vergingen noch Stunden der Ungewissheit. Aber dann, als mir der Arzt alles erklärte, war ich überglücklich, dass ich nichts Schlimmes getan hatte. Alles war nur ein Traum gewesen. Der Bauer, der den Kopf auf den Tisch gestellt hatte, das war mir klar. Aber auch der Totschlag, der Hund und der Jäger gehörten zu diesem Traum. Ich hatte alles nur geträumt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich und ein Mörder, nein, da bin ich doch gar nicht der Typ für. Gut, ich weiß nicht, wie oft ich daran gedacht und davon geträumt hatte, es meiner Frau endlich auch mal zu zeigen. Aber ich war mir immer klar darüber, dass ich niemals so tief sinken wollte, außer im Traum.
Ich hatte nichts getan. Gar nichts. Nur meine Frau hatte etwas getan. Und dies war, seit drei Jahren Ehe, der Gipfel ihrer Schikanen. Sie hatte mich mit der Axt bearbeitet. So, wie sie es mir in den letzten Monaten öfter prophezeit hatte. Nachbarn waren durch meine Schmerzensschreie aufmerksam geworden und hatten die Polizei alarmiert. Aber als sie eintrafen, war meine Frau schon über alle Berge verschwunden. Nur ich lag halb abgeschlachtet und so gut wie tot in einer Blutlache auf dem Küchenfußboden, während mein Kätzchen neben mir hockte und jammerte.
Ende einer Ehe
Da liegt sie nun im Staub, meine Frau. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich das getan habe. Aber weit und breit gibt es hier, mitten im Wald, keine Menschenseele, außer mir. Folglich habe ich sie tot gemacht. Und da ist der pampelmusengroße Stein in meiner Hand. Und die Erinnerung an meine Tat, so wie ich sie schon tausendmal vorher in meiner Fantasie geschaffen habe, ist noch ganz frisch: Ich schlug ihr einfach von hinten einen Stein auf den Schädel. Und als sie bewusstlos zu Boden gefallen war, da habe ich nicht mehr aufhören können, ihr mit dem Stein auf den Kopf zu schlagen.
Meine Frau sieht nicht mehr schön aus. Nein, das tut sie nicht. Von ihrem einst so hübschen Gesicht gibt es keine Spur mehr. Der Schädel, eine einzige, zertrümmerte, blutige Sauerei, aus der immer noch, wie zäh dahinschleichendes Magma, ihr waberndes, schwabbeliges Hirn blutig in den Dreck des Waldbodens kriecht.
Endlich ließ ich den Stein los und war eine Sekunde irritiert, weil er geräuschlos auf dem Boden ankam. Der Waldboden dämpft, flüsterte irgendetwas in meinem Kopf. Die Gummihandschuhe blieben noch an meinen Händen. Wer weiß, wo DIE hier überall nach Spuren suchen. Da bin ich lieber vorsichtig.
Ich schaute noch einmal auf den ausblutenden, leblosen Körper im Dreck. Dann wollte ich drauf spucken, um meiner Abscheu, für diese Frau, noch ein letztes Mal Ausdruck zu verleihen. Doch eine wispernde Stimme in meinem Kopf bewahrte mich vor dieser Torheit: "Schon mal was von genetischem Fingerabdruck gehört, den sie aus deinem Speichel extrahieren werden?"
Gut, mein genetischer Fingerabdruck durfte sich nach geltendem Recht in keiner Datenbank der Welt befinden. Aber wer will und wer kann das kontrollieren?
Wenn der Hausarzt einem Blut für eine Routineuntersuchung abzapft, dann könnten die Leute im Labor sonst was mit der Blutprobe anstellen, ohne das irgendwer einen Schimmer davon hätte.
Ich wollte mich gerade herumdrehen, um den bedrückenden Ort meiner finstersten Fantasien, die nun also doch Wirklichkeit geworden waren, zu verlassen, da hörte ich plötzlich einen Ast knacksen. Im nächsten Moment jagte ein Belgischer Schäferhund aus dem Dickicht hervor und sprang an mir hoch. "Brutus! Brutus!" hörte ich jemanden schreien, während ich mechanisch den blöden Köter am Gnick packte und mit eiserner Hand zurück auf den Boden drückte. Verdammt! Wo kommen die denn urplötzlich her? Hier war doch niemand, fluchte ich.
"Brutus! Verdammt, komm her!" schrie die Stimme, die nun schon bedrohlich näher kam. Ich fühlte Schweißperlen auf meiner Stirn, während ich fieberhaft überlegte, wie ich mit dem Besitzer dieses dämlichen Viehs fertig werden könnte. Jetzt noch erwischt zu werden, war nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Wird er mir zuhören, wenn ich ihm meine Motiv erkläre? Sicher nicht. Menschen sehen einen Mord und fantasieren sich gleich was von Gerechtigkeit zusammen. Natürlich zu Gunsten der Leiche, die da sowieso nichts mehr von hat. Er wird mich anzeigen. Er wird mich gleich sehen und die Sauerei, die ich auf dem Waldboden verursacht habe. Er wird dafür sorgen, dass ich hinter Gitter komme. Während mir diese Gedanken wie Raketen durch mein Hirn schossen, versuchte ich erst einmal Herr über den Hund zu verden.
Ich setzte mich auf seinen Rücken, natürlich nicht so, dass er unter meinem Gewicht zusammengebrochen wäre, sondern in der Art, dass ich die Kontrolle über ihn hatte. Schließlich war der Köter wie in einer großen Schraubzwinge zwischen meinen Beinen eingeklemmt und wird mir gleich, wenn der Besitzer auftauchen wird, keine Probleme mehr bereiten. Selbst dann nicht, wenn der Idiot "Fass" sagen würde. Mir schlug mein Herz bis zum Hals, angesichts meiner prekären, geradezu ausweglosen Lage. Weglaufen! Lauf schnell weg! Aber nein, macht keinen Sinn. Der Köter würde mir hinterher hechten und mich möglicherweise noch beißen. Nein. Keine Chance. Aber da war ja noch das Messer, das ich zum Pilze ausstechen mitgenommen hatte. Gerade als ich dem Köter mein feines Messer an die Kehle hielt, knackten Äste und ein Jäger betrat die kleine, abgeschiedene Lichtung. Mit einem Blick erkannte er die Situation und schaute mich mit unmenschlich zornigen Augen und einer geradezu unerschütterlichen Unerschrockenheit an, als wäre er die personifizierte Gerechtigkeit. Ich war so perplex, dass ich vergaß, dem blöden Vieh die Kehle durchzuschneiden.
"Du verfluchtes, mieses Dreckschwein!" schrie er mit solcher Verachtung, dass ich befürchtete, er werde mich im nächsten Moment erschießen. Im selben Augenblick zeigte sein imposantes Jagdgewehr direkt auf meinen Kopf und ich wünschte, ich würde das nur träumen.
Was jetzt, was jetzt, dachte ich verzweifelt und sah mich schon mit einer Kugel im Kopf neben der Leiche meiner Frau liegen. Die Augen des Jägers funkelten, wie die eines Irren, der felsenfest davon überzeugt war, dass man einen Mord nur mit der Hinrichtung des Mörders vergelten könne. Du mußt dein Leben retten, raunte eine innere Stimme. Dein Messer. Du hast ein Messer in der Hand. Tu was damit.
"Hör mal, Arschloch!" brachte ich schließlich mit dem Mut und der Kraft der Verzweiflung hervor. "Werf sofort die Waffe weg! Sonst schneid ich Deinem dämlichen Köter die Kehle durch! Glaub mir, ich hasse Hunde genauso sehr, wie meine Katze das tut."
Wie ich befürchtet hatte, verfehlten meine Worte ihre Wirkung. Verständlich, dass der Waldmann etwas dagegen hatte, dass ich seinem Hund weh tat. Zornig erwiderte er, dass ich in der selben Sekunde, in der Blut fließt, eine Schrotladung im Kopf haben würde.
"Na wenn schon!" schrie ich spontan, und hiel mich ebenso spontan für verrückt, "dann bist Du nicht besser als ich. Dann bist Du auch ein Mörder! Einen Menschen abzuknallen, um einen dämlichen Köter zu retten, das verzeiht Dir kein Gericht."
Ich war verrückt. Wie konnte ich so einen Blödsinn sagen? Was hatte ich davon, wenn ein Gericht ihn verurteilt und ich tot war.
Der Jäger überlegte nicht lange und meinte: "Ich sage, ich habe Dich in Notwehr erschossen, weil Du Dein Messer nach mir geworfen hast."
Daran zweifelt ich keine Sekunde. In der Hoffnung dadurch eventuell doch noch mein Leben zu retten und meinen Widersacher versöhnlicher zu stimmen, warf ich demonstrativ langsam, so dass er meine Niederlage genießen konnte, mein Messer fort und ließ danach den Hund, aus der Umklammerung meiner Beine, frei.
"Und jetzt! Willst Du mich immer noch erschiessen?" fragte ich, mit leiser Hoffnung das Schlimmste verhindert zu haben.
Er schüttelte zögerlich den Kopf, als ob er sich noch nicht ganz entschieden hätte und zielte gnadenlos weiter mit der tödlichen Waffe auf meinen Kopf.
Mein Herz raste wie verrückt. Wenn er die Waffe nicht bald fortnimmt, werde ich noch einen Herzschlag bekommen und tod umfallen, bevor er mich erschießt oder sonst was tut, dachte ich und versuchte diese unerträgliche Anspannung mit Zählen von natürlichen Zahlen zu lösen. Eins, Zwei, Drei .... Bei Funfundachtzig hatte ich eine Idee: Laß dich fallen. Dann kommt er nachschauen, was mit dir ist. Dann kannst du ihn überwältigen. Aber dazu kam es nicht mehr.
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sich eine Hand, nach einer Ewigkeit der Ungewissheit, von der Waffe löste und zielstrebig in einer seiner Jackentaschen verschwand, um kurz darauf wieder mit einem Handy zu erscheinen.
Er würde die Bullen anrufen. Ich hatte verloren, so oder so. Jetzt, wo ich überleben werde, war mir die Durchführung meiner Idee zu gefährlich. Lebensgefährlich.Wenn ich mich ruhig verhalte, werde ich überleben. Das ist das Wichtigste. Zwar nicht das, was ich mir erträumt hatte, aber immerhin werde ich nach der lebenslänglichen Haftstrafe, zu der ich sicher verurteilt werde, in Frieden weiter leben können.
Plötzlich erklang ein Schuss. Vor den Füssen des Jägers wirbelte Staub und Dreck hoch, um sogleich wieder herabzuregnen. Jaulend rannte der Hund fort. Ungewöhnlich für den Hund eines Jägers, dachte ich spontan. Noch bevor ich mich selbst über den plötzlichen Knall erschrak.
"He, Arschloch! Schmeiß auf der Stelle Deine Knarre fort und wirf mir Dein Handy her!" schrie ein Mann, der urplötzlich, seitlich von uns, aus dem Gehölz trat und den Jäger mit einer Pistole bedrohte. Mein Gott, dachte ich. Was für ein irrwitziges Glück. Der kommt ja wie gerufen. Dann hegte ich plötzlich Zweifel, ob dieser Unbekannte wirklich ein Glück für mich war. Vielleicht dachte er, der Jäger wollte mich erschiessen und hatte erst mal dafür gesorgt, dass er seine Waffe weg warf. Aber wenn der Jäger ihm gleich alles erzählt ....
Der Jäger wurde kreidebleich und an seiner Hose wurde ein feuchter Fleck sichtbar, der schnell größer wurde. Trotz der Ungewissheit, ob der Unbekannte nun ein Segen für mich war oder nicht, mußte ich grinsen. Ein Erwachsener, der sich in die Butz macht, ist einfach in jeder Lebenslage zu komisch. Jedenfalls war ich, trotz Lebensgefahr immer noch trocken.
Mit zittrigen Händen warf der Jäger seine Waffe fort und dem Unbekannten das Handy hin.
"Gut so, Arschloch! Jetzt zeig uns, wie schnell Du laufen kannst, sonst verpass ich Deinem Arsch eine dicke, fette Kugel!"
Der Jäger lief, stolperte, fiel in den Dreck, stand auf und lief weiter, als wären die Hunnen hinter ihm her.
"So, Meister, jetzt verschwinden wir besser auch", meinte der Unbekannte und steckte seinen Revolver in den breiten Gürtel seiner Jeans.
"Wer sind Sie? Warum ...?"
"Keine Panik, Mann. Ich bin auf Ihrer Seite. Kommen Sie jetzt, wir müssen schleunigst hier fort!"
Ohne seine Beweggründe zu verstehen, folgte ich ihm. Erst mal hier weg, das hatte Priorität vor allem anderen.
Wir liefen etwa fünf Minuten durch wegloses Gelände. Dann kamen wir auf einen zugewachsenen, schmalen Waldweg, auf dem ein pechschwarzer Land Rover parkte.
Wir stiegen ein und der Unbekannte bretterte mit einem solchen Affenzahn durch den Wald, dass ich dachte, gleich bricht eine Achse auf dem holprigen Weg. Es war ein echter Höllenritt, der mich – hoffentlich – aus der Hölle herausbrachte. Ich wußte immer noch nicht, wer dieser Mensch war und warum er mich aus den Fängen des Jägers und damit auch der Polizei geholt hatte. Jedenfalls hatte er sich dadurch auch strafbar gemacht. Fluchthelfer eines Mörders. Wir saßen also in einem Boot. Bleibt nur die Frage, nach seinem Motiv. Und worüber ich mich immer noch wunderte, als das Grün der Bäume und Büsche an den Fenstern des Wagens vorbeirauschte, war, wieso der Unbekannte so urplötzlich zu gegen war. Bevor ich meine Frau erschlagen hatte, hatte ich mich doch gewissenhaft umgeschaut, dass ich nicht überrascht werde und in Ruhe den Tatort verlassen kann. Ein Rätsel. Überhaupt alles, der Hund, der Jäger, der Unbekannte. Die hätten gar nicht da sein dürfen. Beim Pilze suchen hatte ich die Gegend doch genauestens erforscht.
Nach etwa zwanzig Minuten kamen wir auf einen Feldweg, und näherten uns einem einsamen Bauernhof.
Er gehörte dem Unbekannten. Er fuhr seinen Land Rover in eine Scheune und eine Minute später saßen wir, in schwarzen Ledersesseln, in seinem riesigen Wohnzimmer und hatten jeder ein großes Glas Whiskey vor uns. Den hätte ich jetzt gebraucht, aber bevor ich einen Schluck nahm, wollte ich endlich wissen, warum dieser Mann mich da rausgeholt hatte.
"Warum habe .... ?" wollte ich fragen, aber der Unbekannte winkte ab und begann zu erzählen.
"Wissen Sie, Landwirtschaft lohnt sich heute nicht mehr. Damit kommt kein Bauer mehr auf einen grünen Zweig. Und weil ich mir schon als kleiner Bub, beim Schafe hüten, mörderische Geschichten ausgedacht hatte, da dachte ich mir, arbeite als Autor. Deshalb hab ich meine Kühe, Ziegen, Schweine, Schafe und Hühner verkauft bzw. geschlachtet und das Fleisch verhökert. Das Land liegt seit drei Jahren brach. Eigentlich ein Blödsinn, dass ich noch hier wohne. Aber hier habe ich eben meine Ruhe zum Schreiben."
"Aber warum haben Sie mich vor dem Jäg....?"
"Warum? Tja, warum? Ich kam gerade ganz zufällig vorbei, als Sie den Stein aufhoben und damit den Schädel von ..."
"...meiner Frau ..."
"..eingeschlagen haben. Ich dachte: Wart mal ab, was passiert, wenn gleich dieser bescheuerte Jäger vorbeikommt. Der schlich nämlich ganz in der Nähe herum. Ja, das hab ich gemacht. Aber wie der Sie mit der Flinte bedroht hat und mit seinem verfluchten Handy die Bullen anrufen wollte, mußte ich natürlich dazwischen gehen."
Die Geschichte klang ziemlich suspekt und platt noch dazu. Ein Bauer, der sich zum Krimiautor wandelt und ganz zufällig zur Stelle ist, als ich meine Frau erschlage, und mich dann auch noch mit einem Revolver bewaffnet vor dem Jäger beschützt. Also sowas, das ist doch einfach unglaublich.
"Warum mußten Sie dazwischen gehen?"
"Weil ich von Menschen wie Ihnen lebe. Ich will Ihre Geschichte hören, um Sie dann aufzuschreiben und damit mein Geld zu verdienen. Und Mördern und Verbrechern, denen ich einen guten Krimi zu verdanken habe, die bring ich doch nicht in den Knast. Das kann ich doch nicht zulassen. Vielleicht kann man später mal wieder irgendwie ins Geschäft kommen."
"Verstehe, verstehe", sagte ich erstmal, obwohl mir die Sache immer unglaubwürdiger erschien. Gut. Mörder liefern sicher tolle Ideen für Krimis, aber dann sitzen sie bereits hinter Gittern. Welcher Mörder, der noch frei herumläuft, wäre so dämlich seine Taten einem Autoren zu beschreiben? Und welcher Autor würde sich strafbar machen und einen Mörder nach dem Interview in die Freiheit entlassen? Das kann einfach nicht wahr sein.
"Aber eine Frage hätte ich da noch: Wieso waren Sie ausgerechnet heute genau dort, wo ich ..."
"Zufall, würde ich sagen. Vielleicht auch Instinkt. Irgendwie habe ich immer so eine Ahnung vorher, wann und wo ein Mord geschieht. Und dann lege ich mich dort auf die Lauer und meistens passiert es dann auch. Dann habe ich wieder eine neue Story, mit der ich Kohle mache."
Der Mann erzählte mir das, ohne die Spur eines Grinsens im Gesicht. Ich war verwirrt. Das klang einfach zu fantastisch, um Tatsache zu sein. Wollte der mir einen Bären aufbinden? Ich war mir nicht sicher. Bei seiner Erklärung sah er nämlich aus, als glaube er tatsächlich, was er sagte. Merkwürdig. Oder war der Mann einfach nur irre und ich hatte das Pech ihm zu begegnen, weil er mich gleich vielleicht im Keller auseinanderschneiden möchte? Ich nahm mein Glas und nippte an meinem Whiskey. Seltsam, er brannte überhaupt nicht in meiner Kehle, wie er es sonst immer macht.
"Sagen Sie mal, was ist denn das für ein komischer Whiskey, der schmeckt so eigenartig, wie stinknormales Quellwasser, würde ich sagen."
Hätte ich das einem anderen Menschen erzählt, wäre er sicher irritiert. Aber dieser Kerl, der mir immer noch nicht seinen Namen gesagt hatte, erklärte, als wäre es das selbstveständlichste von der Welt, dass mein Whiskey nach Wasser schmeckte:
"Das ist ganz normaler Whiskey. Sicher schmeckt er Ihnen fad, weil Sie gerade so starke Erlebnisse hatten."
Das könnte natürlich ein Grund sein. Aber richtig überzeugt war ich nicht. Ich nippte noch einmal an dem Whiskey und stellte fest, dass er immer noch wie einfaches Wasser schmeckte. Und als ich das Glas zurück auf den Tisch stellte, erschrak ich ziemlich heftig über den kleinen Goldfisch in meinem Glas.
"Verflucht! Wie kommt denn plötzlich ein Goldfisch in meinen Whiskey. Ich meine, in mein Glas."
Der Unbekannte lachte laut, geradezu völlig hysterisch, eben richtig idiotisch. Der Kerl machte sich über mich lustig. Er hatte mich wohl verarscht, indem er mir tatsächlich Wasser ins Glas gefüllt hatte, zusammen mit einem Scherzartikel, der anfangs unsichtbar war.
Als er sich wieder beruhigt hatte, griff er mit beiden Händen seinen Kopf und stellte ihn auf den Tisch. Nur der Körper ohne Kopf sass noch im Sessel. Abartiger geht´s wohl nicht mehr, dachte ich. Aber ein Scherz war dies nun offensichtlich nicht mehr. Denn der Kopf auf dem Tisch lachte: "Hahaha. Eh, Mann, kannst Du das auch?"
Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Ja, natürlich, das alles hier ist so seltsam, so unglaublich und abgefahren, dass ich endlich Worte fand, für diesen ganzen Quatsch: "Was ist das hier? Ist das etwa ein Traum?"
Der Kopf auf dem Tisch kicherte und meinte: "Klar, was sollte es denn sonst sein, Du Träumer?!
In dem Moment wurde der Raum, der Körper und der Kopf des Unbekannten durchsichtig. Um schließlich ganz zu verschwinden und einem weißen Kittel Platz zu machen.
"Hallo! Hallo! Können Sie mich hören?" fragte eine Stimme, die eindeutig von dem weißen Kittel herrührte.
Ich wollte "Ja" sagen, höhrte aber nur ein Seufzen.
Ich probierte es noch einmal und brachte ein kaum wahrnembares, gehauchtes "Ja" zustande.
"Ganz wunderbar", sagte der Kittel, der sich Stunden später als Krankenschwester entpuppt hatte.
Sie war es dann auch, die mir sagte, dass ich es schaffen würde. Gut. Es schaffen, das klingt gut, dachte ich und schlief ein.
Tage später konnte ich wieder einigermassen klar denken und fragte mich, was passiert war?
Hatte der Jäger mir in den Kopf geschossen, nachdem ich meine Frau totgeschlagen hatte?
Es vergingen noch Stunden der Ungewissheit. Aber dann, als mir der Arzt alles erklärte, war ich überglücklich, dass ich nichts Schlimmes getan hatte. Alles war nur ein Traum gewesen. Der Bauer, der den Kopf auf den Tisch gestellt hatte, das war mir klar. Aber auch der Totschlag, der Hund und der Jäger gehörten zu diesem Traum. Ich hatte alles nur geträumt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich und ein Mörder, nein, da bin ich doch gar nicht der Typ für. Gut, ich weiß nicht, wie oft ich daran gedacht und davon geträumt hatte, es meiner Frau endlich auch mal zu zeigen. Aber ich war mir immer klar darüber, dass ich niemals so tief sinken wollte, außer im Traum.
Ich hatte nichts getan. Gar nichts. Nur meine Frau hatte etwas getan. Und dies war, seit drei Jahren Ehe, der Gipfel ihrer Schikanen. Sie hatte mich mit der Axt bearbeitet. So, wie sie es mir in den letzten Monaten öfter prophezeit hatte. Nachbarn waren durch meine Schmerzensschreie aufmerksam geworden und hatten die Polizei alarmiert. Aber als sie eintrafen, war meine Frau schon über alle Berge verschwunden. Nur ich lag halb abgeschlachtet und so gut wie tot in einer Blutlache auf dem Küchenfußboden, während mein Kätzchen neben mir hockte und jammerte.