Ente à l'orange

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Klaus K.

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Ente à l'orange

Mein Name ist Fred. Meine neue Freundin heißt Carolin, sie ist etwas ganz Besonderes. Ich mag sie, nein, ich mag sie sehr. Wir passen wohl gut zueinander, so mein Empfinden, obwohl wir uns erst relativ kurz kennen. Jetzt möchte sie mal mit mir essen gehen, "ganz schick", so sagte sie. Also mußte ich mir etwas einfallen lassen, wer auf Freiersfüßen wandelt, der darf um Gottes willen nicht knausern. Also war eher einer dieser Gourmet-Tempel angesagt, ich wollte mich ja nicht blamieren.
In der Pfalz hatte kürzlich ein lokaler Gastronom einen "Michelin-Stern" verliehen bekommen, also nichts wie hin, allein natürlich, die Lage mußte ja erst einmal sondiert werden, die Preisgestaltung natürlich auch. Ich habe unter anderem auch Betriebswirtschaft studiert, davon waren aber bei mir maximal zehn Prozent verwertbar und eventuell sogar anwendbar verblieben, die Überprüfung eines Preis-/Leistungsverhältnisses gehörte zum Glück auch dazu.

Ich war also da und inspizierte. Der Inhaber, der konnte vor Kraft kaum laufen. Er plusterte sich auf wie ein Pfau, ich durfte einen Blick in das Innere seines Restaurants werfen. Das genügte, denn zum Glück waren fast alle Tische besetzt. Was sah ich? Die Teller der Gäste, groß wie Wagenräder. Und irgendwo auf dem weißen Porzellan mit der blauen Umrandung dann ein Inselchen, eine Kleinigkeit, genannt "hors d'oeuvre". Für ein "amuse gueule" vorab, diese Aufmerksamkeit aus der Küche, waren die Teller eindeutig überdimensioniert. Vorgesehen also für eine Vorspeise, wie man auch dem dezenten Getuschel der Damen am Tisch vor mir entnehmen konnte. Vorspeisen, winzig, putzig, eingerahmt von grünem und rotem Blattwerk. Das mußte die Inspiration für Shakespeare's "Viel Lärm um Nichts" gewesen sein, schoß es mir durch den Kopf.
"Ohne Resevierung geht hier gar nichts, mindestens eine Woche vorher! Die Zeiten mit einfach vorbeikommen und essen sind vorbei", so der Maitre de cuisine. Ich hatte jetzt schon genug, bedankte mich und ging. Im nächsten Leben werde ich Sterne-Koch, den ganzen Kram mit Abitur, Studium und den weiteren Ehren konnte man sich dann sparen. Ich war in der siebten Klasse sitzengeblieben, daher bitte ich für die folgende Aussage um Verständnis: Teller, groß wie Wagenräder, das war es! Eine Lupe dazu, fertig!
Und dann gleich die passende sensationelle Preisgestaltung, da ging jedem Kaufmann das Herz auf - vor Freude! Ich überschlug den durchschnittlichen Umsatz mit Getränken pro Person, multiplizierte mit der Anzahl der Gäste, ging dann davon aus aus, dass das Restaurant diese einmal täglich umwechseln konnte, und kam auf eine beachtliche Größenordnung. Gastronomie, verlass' mich nie, auch wenn man jetzt sämtliche Kostenfaktoren gegenrechnete. Es lohnte sich, mit Stern. Garantiert. Feldforschung beendet.-

Unser Abend war da, ich hatte reserviert. Carolin war allein vom Ambiente begeistert, ich hingegegen hatte einfach nur Hunger. Der Meister der Kochkunst schaute persönlich vorbei, erkannte mich aber nicht, denn ich trug diesmal der Situation angemessen einen Anzug mit Krawatte. Er empfahl seine "Carte du Jour", bissig wie immer sagte ich ganz leise zu Carolin:"Das ist das Zeug, was zuerst weg muß!". Ich entlockte ihr zwar damit zumindest ein Lächeln, mußte aber trotzdem vorsichtig sein, denn irgendwie wirkte sie dabei doch etwas pikiert. Vorsicht Fred, es geht um etwas!
Auf jeden Fall, wir wählten aus. Irgendwelche Langusten in Aioli, beide, danach in meinem Fall ein Entrecôte-Schwergewicht, und Carolin "Canard à l'orange". Dazu jeweils einen sündhaft teuren Wein, weiß zu den Schalentieren, danach rot für mich, Carolin blieb bei dem Weisswein, wegen ihrer Ente, diesem Überbleibsel der ehemals wohl eher nicht quakenden Flugsaurier. Die Auswahl der Desserts hatten wir uns für später aufgehoben.
"Bist du eigentlich auch handwerklich begabt, Fred?" fragte sie mich.
"Hmmm.....wieso?"
"Weißt du, ich habe doch diesen kleinen Garten. Und einen Rasenmäher, so einen mit Elektrokabel. Das Gehäuse ist aus Metall, und an der einen Seite hat sich die Verkleidung gelöst und schleift auf dem Boden beim Mähen. Gleichzeitig pustet das Ding jetzt die Schnipsel dort raus, die kommen dadurch nicht mehr in den Auffangbehälter....meinst du, du kannst das reparieren?"
Das fing ja gut an!
"Hast du denn nicht mein Buch gelesen, Carolin?"
"Welches Buch?"
"Mit dem Rasenmäher auf du und du! - ein Bestseller, da steht doch alles drin!"
"Kannst du sowas oder nicht, Fred?"
"Carolin, du hast hier einen völlig durchgeistigten Menschen vor dir, derart profane Tätigkeiten sind mir ein Gräuel! Frag' mich was zur Linguistik, Semantik, Text- und vergleichenden Literaturwissenschaft, frag' mich zum edukativen Aspekt in der englischen Jugendbuch-Literatur, zur betriebswirtschaftlichen Deckungsbeitragsrechnung - aber bitte nicht zur unterschiedlichen Anwendung von Blechschrauben oder Schrauben mit Gewinde und Kontermuttern!"
Der Abend war fast gelaufen. Ich hatte es beinahe jetzt schon vermasselt. Die Vorspeise kam, ich war erst einmal gerettet.....
"Du willst es also überhaupt nicht wenigstens einmal versuchen?"
"Selbstverständlich versuche ich es! Morgen nachmittag bin ich da!"
Gerettet, haarscharf an der Katastrophe vorbei. Die Langusten waren jetzt verspeist, der Hauptgang nahte.
"Ich glaube, da kommt deine Ente hereingeflattert - quak, quak, ich will zur Carolin! Och, die sieht aber nett aus, mit ihrem Orangenscheibchen obendrauf!"
"Möchtest du mal probieren?"
"Nein danke, ganz lieb.....aber der Orangengeschmack, weißt du, der ist dann doch sehr intensiv, und das Entrecôte würde dann leiden...."
Sie probierte jetzt den ehemals flugfähigen Paddelbruder. "Oh, das schmeckt wirklich toll! Ganz anders als beim Chinesen!"
"Sehr gut, gut gewählt! Ich habe das auch schon mal versucht, ich meine die Zubereitung, als meine Schwester und mein Schwager zu Besuch da waren..... "
"Du kannst kochen, Fred? Hast du da auch ein Buch geschrieben?" Punkt für sie! "Mit der Ente beim Orangenpflücken, oder so?" Kess, aber gut.
"War ein Bestseller. Es wurden insgesamt sechsundzwanzig Exemplare verkauft. Die gebührende Wertschätzung erfolgte daher nicht, ich hab's dann aufgegeben."
"Aber du könntest es noch? Kochen, Ente à l'orange, für mich?"
Die Chance! Sie würde zum ersten mal zu mir nach Hause kommen, in meine Wohnung! Das war doch ihr Wink mit dem Zaunpfahl, sozusagen. Wunderbar, alles entwickelte sich in die gewünschte Richtung, jetzt nur keinen Fehler mehr! "Am kommenden Samstag bist du mein Gast! Und deinen Rasenmäher nehme ich mir auch vor, gleich morgen!"

Der weitere Abend verlief dann völlig harmlos und bedurfte somit keiner weiteren besonderen Erwähnung. Unsere Unterhaltung drehte sich in erster Linie noch um berufliche und familiäre Belange. Festzuhalten bliebe lediglich vielleicht noch die Rechnung für unser opulentes Mahl. Ich hatte bislang noch nie einen derartigen Betrag für ein Abendessen zu zweit ausgeben müssen. Noch nie, und will das auch nicht und nie mehr. Ich fuhr Carolin noch nach Hause, kam am nächsten Nachmittag wie versprochen zu ihr und kümmerte mich um den Rasenmäher. Eine Blechschraube genügte, sie war glücklich, was wollte man mehr? Wir verabredeten uns für den kommenden Samstag um acht Uhr. Wie besprochen bei mir, also auf zur Entenjagd! Quak,quak...!

Mein Onkel hatte eine Hütte an einem kleinen See, Familienbesitz seit ewigen Zeiten. Dreihundert Kilometer, die sich lohnen sollten.
Vor Ort Kerzen, Petroleumlampen und Plumpsklo. Aber er war Jäger, bei ihm gab's dann alles was kreucht und fleucht ganz frisch. Und für meine Angebetete war ja wohl kein Weg zu weit, und mit einem selbsterlegten Enterich als Liebesbeweis sollte man doch Eindruck schinden können. Mit den selbstgepflückten Orangen, da mußte ich mir dann allerdings noch etwas überlegen. Zum Glück hatte ich noch das Originalrezept für die professionelle Zubereitung.
Onkel Manfred öffnete seinen Gewehrschrank. "Ente?"
"Ja, Ente!"
"Kaninchen geht immer, Hasen auch...Enten, da muß ich ans Wasser, hier, halt mal!" Er reichte mir eine der doppelläufigen Flinten.
"Onkel Manfred, mit so etwas hat sich Hemingway erschossen - mehr fällt mir dazu nicht ein!"
"Nenn' deine verdammte Ente dann von mir aus Hemingway, aber jetzt gehst du einfach solange angeln, bis ich zurück bin! Die Ruten findest du im Schuppen! Und ich will Ergebnisse sehen, wenn ich zurückkomme!"
Onkel Manfred. Klare Ansagen. Ich fing einen Barsch. Er kam mit einer Ente und zwei Hasen zurück. Frisch, frischer ging es nicht. Dreihundert Kilometer zurück bis zum Supermarkt, wegen der Orangen.

Der Samstag nahte. Die Ente war längst von ihrem Federkleid befreit, ich hielt mich streng an die Anleitung, sie brutzelte bereits im Römertopf. Die Sauce hatte ich genau nach französischem Originalrezept zubereitet, bereits abgeschmeckt, alles bestens. Für mich gab es - na, was wohl wohl - ein Entrecôte, ich machte mir ja nichts aus dem Federvieh mit dem Orangengeschmack. Alles war vorbereitet, alles im Griff!
Sie kam, pünktlich. Küßchen links, Küßchen rechts, ein Geschenk in der Hand. "Das ist für dich!"
"Ein Buch! Oh, danke!"
"Du wirst es brauchen!"
"Mit dem Schraubenzieher unterwegs!" Der Titel traf mich dann doch. Eindeutig ein Flohmarkt-Fund, ein Ratgeber aus der Mitte des letzten Jahrhunderts!
"Carolin, du Schlingel! Das tut weh!"
"Der Rasenmäher ist wieder kaputt! Deine Schraubkünste waren voll daneben!"
"Lass' uns erst essen - vielleicht kann ich das damit erst einmal wieder gutmachen, einverstanden?"
"Na klar, oh ich freu' mich schon auf deine Ente à l'orange! Und das duftet ja hier ....."
"Nimm' Platz, dein Maitre de cuisine kommt sofort! Der Wein kommt dann auch gleich!"
Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben. Mit der Orangenscheibe obendrauf garniert. Brust und Keule bereits tranchiert. Die Sauciere halb gefüllt. Mein Entrecôte war fertig und jetzt kamen auf einer separaten Platte auch alle Beilagen ebenfalls auf den Tisch.
"Bon appetit!"
Sie hatte ein Stück von ihrer Ente abgeschnitten und biss jetzt drauf. "Huch! Mein Zahn! Was ist das? Mein Gott, was ist das?" Ganz vorsichtig förderte sie jetzt mit ihrer Gabel etwas von dem zartrosa Entenfleisch aus dem Mund zurück. "Klack" machte es, und dabei fiel etwas mit auf ihren Teller! Da war ein Stück von einem weißen Zahn, und daneben, was war das? Hemingway! Eine Schrotkugel, eine kleine übersehene verdammte Schrotkugel!
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Sehr gerne gelesen @Klaus K.: Was Männer alles tun, wenn sie ... äh ... eine Dame in ihre Wohnung locken wollen.
In diesem Falle: Muss er dann wohl auch noch die Krone fürs Zähnchen berappen. Beim 3-Sterne-Dentisten (das sind die Schwerverdiener, die gleich nach den Köchen kommen). ;)
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo Isbahan,
merci, und "3-Sterne-Dentisten", das trifft es auf den Punkt! Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Kochkunst bei uns zur "Wissenschaft" erklärt wird.
 

Hagen

Mitglied
Hallo Klaus,
das war mal wieder eine Geschte nach meine Herzen; - also aus dem täglichen Leben!
Bevor ich die Wunderbare Ulrike kennenlernte, bin ich auch öfter in allen verfügbaren Fettnäpfchen rumgetrampelt. (eine normale männliche, pardon menschliche Reaktion!)
Die Spitze war, dass eine mich zuhause besuchende Frau verlangte den 'Ollen Tisch', sie meinte den Billardtisch, meinen ganzen Stolz, doch rauszuschmeißen!

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt' schön fröhlich, gesund und munter!
Herzlichst
Yours Hagen

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Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst.
Er gibt auch anderen eine Chance!
 

Klaus K.

Mitglied
@ Hagen
Vielen Dank für die Bewertung! Einen Billardtisch entsorgen zu wollen, das grenzt an Frevel! Man darf einem Mann sein Spielzeug nicht wegnehmen, die erwähnte Dame war offensichtlich in dieser Hinsicht völlig ahnungslos!

@ onivido
Auch hier ein lautes "Gracias", zweimal inzwischen, denn du hattest mich ja bereits vorher mit einem bislang von mir unbeantworteten Kommentar erfreut!

Gruesse an euch zurück, Klaus
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das war sehr vergnüglich zu lesen!

Was doch ein Anzug ausmachen kann ... Fred wurde bei seinem zweiten Besuch im Restaurant nicht erkannt!

Und 300 km für die Orangen ... tztzt ... das ist nicht klimakonform. :)

Fred ist viel zu nett für Carolin. Bringt sie brav nach Hause und repariert den Mäher und kocht ... Menno, und es passiert nichts!

Very amused grüßt

DS
 

Klaus K.

Mitglied
@ DS

Sie ist wieder da, unsere (manchmal) doch sehr nette Cerbera!
Der gesamte Text wird Bestandteil einer Biographie! "Casanova, ganz anders..."

LG, Klaus K.
 



 
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