Entkommen

Haki

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Die linke Hand hatte er an die rechte Seite seiner Rippen gepresst. Blut sickerte beständig durch seine Krallen. Das Atmen fiel ihm schwer. Wie lang er bereits unterwegs war auf der Suche nach einem Arzt... oder jemand anderem, der ihm helfen konnte, wusste er nicht mehr.
Die Sonne hatte schon seit geraumer Zeit den Zenit überschritten. Stunden, in denen er Ruhe und Hilfe suchte, und mit jedem Schritt an Schwäche zunahm. Bald würde die Sonne untergehen. Viel Zeit blieb ihm wohl nicht mehr, wenn er den nächsten Tag noch erleben wollte.
Den linken Fuß leicht nachziehend erreichte er eine alte, fast baufällige, Kneipe. In der kleinen Hafenstadt, in der er sich befand, schien ohnehin vieles herunter gekommen und baufällig zu sein. Die meisten Häuser waren unbewohnt. Putz bröckelte leise von den Wänden. Die heiße Nachmittagssonne tat ihr übriges, um alles vertrockenen zu lassen.
Selbst an der linken Seite des Weges im Schatten spürte er dennoch, wie sich die Sonne durch seinen langen dunklen Mantel in seinen Körper zu fressen schien.

Er stoppte. Aus dem Inneren der Kneipe drangen Stimmen an sein Ohr. Viele verschiedene Stimmen. Erknurrte kurz.
Normalerweise mied er die Menschen so gut es ging, doch - und das musste selbst er zugeben - jetzt brauchte er sie.
Vorsichtig öffnete er die alte Holztür, die nach kurzem Widerstand nach innen aufschwang. Die Kapuze ins Gesicht gezogen, trat er ein, musste mehrmals blinzeln, damit sich seine grünen Schlangenaugen an das dämmrige Licht gewöhnen konnten. Dann sah er sich um. Die Stimmem waren inzwischen leiser geworden, verstummten jedoch nicht gänzlich.
Sein Blick schweifte nach links, wo einige wenige Personen an einem runden Tisch saßen, Bier tranken und sich unterhielten. Direkt vor ihm war ein älterer Mann gerade dabei, hinter dem Tresen seine gesäuberten Gläser zu polieren. Vor ihm standen einzelne Barhocker in einer Reihe. Dann sah er nach rechts. Aus dieser Richtung vernahm er keine Stimmen mehr, nur noch starre Blicke, die ihn zu durchbohren schienen. Mit einem tiefen Atemzug zwang er sich, in die Gesichter der sechs Personen zu blicken. Eines davon kannte er besonders gut, war es doch einer der wenigen, die schon seit einer Weile an seinem Kopfgeld interessiert waren. Seine Begleiter waren wohl Soldaten aus der Hauptstadt, welche hier mit ihrem Schiff angelegt hatten.
Als er den Gedanken realisierte, dass es hier also noch mehr von ihnen geben musste, riss er den Blick los und fluchte. Ruckartig wandte er sich um, schlug die Tür auf und rannte - humpelte - so schnell er konnte nach links, den Weg hinunter ans Meer.
Nur wenige Schritte hinter ihm vernahm er bereits aufgeregte Stimmen, als die Kneipentür erneut aufgeschlagen wurde und seine Verfolger zum Vorschein kamen.
Der Bandit presste noch immer seine Klaue gegen seine Rippen. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie nun wieder mehr Blut aus seiner Wunde drang und zu Boden tropfte. Ihm wurde schwindlig. Hinter sich hörte er Schreie, er solle stehen bleiben und sich ergeben.
"Nein", murmelte er nur, auch wenn er bereits wusste, dass sie ihn einholen würden. Sie waren nicht mehr weit entfernt.
Dann sah er vor sich eine kleine Gasse, die nach links wegbog. Ohne zu zögern rannte er humpelnd hinein, nur um gleich im nächsten Moment fluchend stehen zu bleiben. Eine Sackgasse. Links und rechts nur graue Wände, vor ihm eine vier Schritt hohe Mauer, die er in seiner Verfassung nicht überwinden konnte. Er fluchte erneut. Zum Umkehren war es zu spät, da hinter ihm bereits sechs bewaffnete Personen in die Gasse stürmten.
Mit rasselnden Atemzügen drehte sich der Bandit zu ihnen um und wich zurück, bis er nur noch die kalte graue Wand im Rücken spürte. Sein Herz raste. Die Schmerzen in seiner Brust und seinem linken Bein waren beinahe unerträglich.
"Was verschafft mir die Ehre?", sprach nun der Vordere, der Kopfgeldjäger. Seine langen dunklen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Der braune Mantel ließ den Blick frei auf ein sorgfältig gearbeitetes Schwert, welches in diesem Moment gezogen wurde.
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Jägers, als der Bandit es ihm gleich tat. Er strich sie die Kapuze von seinem schuppenübersäten Wolfskopf und knurrte. Seine rechte Klaue umfasste den schwarzen Schwertgriff seins Katana.
Die Soldaten versperrten in dieser Zeit den Eingang der Gasse, die Gewehre schussbereit im Anschlag.
"Greif mich an, wenn du es unbedingt versuchen willst.", meinte der Jäger lächelnd. Der Bandit hingegen rührte sich nicht. Schweratmend und zitternd sah er ihn an, konnte das Gewicht seiner Waffe kaum halten.
Schulterzuckend kam der Jäger auf ihn zu, die Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Der Bandit knurrte erneut. Dann stieß er sich mit einem sichtbaren Ruck von der Wand ab und hob sogleich sein Schwert, um den ersten Schlag des Jägers abzuwehren. Dann setzte er selbst an, musste jedoch zurückweichen, als ein weiterer Angriff gegen ihn galt.
Was machte er hier eigentlich? Er war viel zu schwach, um zu kämpfen, konnte kaum seine Waffe heben und sollte gegen sechs gesunde Angreifer bestehen?
Schnellere Angriffe folgten, welche ihn zurücktaumeln ließen. Die meisten konnte er abwehren, einige wenige jedoch trafen sein Fleisch. Nicht tief genug, um ihn ernsthaft zu verletzen, doch wiederum tief genug, um ihn schäwcher werden zu lassen. Bis ihm schließlich mit einem wuchtigen Hieb das Katana aus der Hand gerissen wurde.
Sein Verstand arbeitete langsam. Einen Moment zu lang starrte er auf seine leere Hand, da war sein Feind heran und traf ihn mit hochgezogenem Knie in die Magengrube.
Der Bandit keuchte vor Schmerz und fiel wimmernd auf die Knie. Er umfasste mit beiden Armen seinen Unterleib und rang fast verzweifelt nach Luft.
Ein kurzer Augenblick verging, in dem nichts geschah. Es erfolgte kein neuer Angriff seines Gegners, als er sich langsam in die Höhe zu stemmen versuchte. Dickes Blut tropfte aus seinen Wunden zu Boden.
Als er schließlich stand, überkam ihn jedoch ein neues Schwindelgefühl, welches ihn gegen die Wand taumeln ließ. Er schüttelte den Kopf, wollte die Benommenheit loswerden, doch es gelang nicht.
Als der Jäger mit erhobener Klinge näher trat, presste sich der Bandit so weit es ging, an die Wand. Plötzlich machte sich Angst in seinem Körper breit. Zitternd versuchte er, sich in der Mauer festzukrallen, als ihm der Jäger das Schwert an die Kehle setzte.
"Bitte", flüsterte der Bandit. Seine Stimme brach ab.
"Wieso bist du hier?", entgegnete der Jäger. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen.
"Wieso?", wiederholte er zögernd. Dann wollte er etwas sagen, brachte jedoch keinen Ton hervor. Er versuchte, seinem Blick auszuweichen und schwieg.
"Sprich" Die Stimme des Jägers wurde bedrohlich leise. "oder ich sorge dafür, dass du den morgigen Tag nicht erleben wirst."
"Ich..." Er schluckte. Seine Kehle war auf einmal ausgetrocknet. "Ich brauche Hilfe." Wie zum Beweis ließ er den Blick frei auf die tiefe Wunde, die seine Brust zierte und immer noch dickflüssiges Leben aus ihm heraus presste.
Angeekelt wandte der Jäger den Blick von der Wunde, nahm das Schwert zurück und steckte es ein.
Mit verschwommenem Blick sah der Bandit ihn an und als Antwort erhielt er nur: "In deinem Zustand wird es für dich unmöglich zu fliehen." An die inzwischen näher kommenden Soldaten gewandt, fügte er hinzu: "Fesselt ihn und bringt ihn auf das Schiff." Dann drehte er sich noch einmal dem Banditen zu.
"Und bitte wehr dich nicht. Lebend bist du mehr wert."
 



 
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