entmenschlichung

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anbas

Mitglied
entmenschlichung

wortlos waren wir
schon häufig
an vielen orten
schwiegen eisern
als schlangen menschen
vor super marktkassen
oder als fahr gastmasse
im öffentlichen
nah verkehr

nun erobern automaten
schleichend unsere sprache
nehmen leergut an
verkünden halte stellen
oder stehen bereit
zum ab kassieren

wir sprechen
durch tasten druck
gebärden still
vor monitoren, displays & co.
während die innere stimme
nach dem passenden
anschluss sucht

"Ab sofort
wird die Aufforderung
'Zurückbleiben bitte'
durch einen Piep-Ton ersetzt.
Steigen Sie dann bitte
nicht mehr ein!"

erklang kürzlich
die ansage vom band
in hamburger u-bahnhöfen

und anderswo sind bereits
die ersten züge
unbemannt unterwegs
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo anbas,
ich halte den text thematisch für äußerst interessant.
sprachlich will er mir auf den ersten blick nicht "rund" erscheinen. ich kann das im moment nicht sehr genau erklären.


es liegt auf jedenfall nicht an der schlichten sprache(prosa oratio). die finde ich hier angemessen.
vielleicht ist esdas chronolgische und das vergleichende in den strophen
(nun, während, häufig,...)

einen vorschlag spontaner natur hätte ich zur steigerung der "entmenschlichung".

vielleicht wäre es eine überlegung wert die letzte strophe um ein wort zu erweitern:

"und anderswo sind bereits
die ersten "gesichts"züge
unbemannt unterwegs.

ein gute beobachtung

ralf
 

anbas

Mitglied
Hallo Ralf,

vielen Dank für Deine Gedanken. Mir geht es beim Lesen so, wie vermutlich vielen Autoren bei ihren eigenen Texten: Ich finde ihn rund ;). Möglicherweise ist es aber auch eine Stil-Geschmacks-Sache :D.

Wie auch immer - ich werde mir mit Blick auf Deine Anmerkung den Text noch ein paar Mal ansehen.

Die "gesichtszüge" sind ein schönes Wortspiel. Ich habe aber das Gefühl, dass ich dann einen weiteren Aspekt hineinbringe, der vom Rest ablenkt. Ich hatte bei diesem Gedicht eh schon meine Mühe, nicht ständig neue und weitere Nebenschauplätze zu eröffnen, sondern "hart" am Thema zu bleiben. Wie gesagt, es ist ein Bauchgefühl, dass ich es nicht machen sollte.

Nochmals vielen Dank - auch für "äußerst interessant" und "gute beobachtung"!

Liebe Grüße

Andreas
 
O

orlando

Gast
Huch,
hier offenbart sich ein ganz anderer Andreas als gewöhnlich.
Und noch dazu auf so professionelle Weise.
So wirkt das Gedicht nämlich auf mich: aussagestark und formal gut gelöst, insbesondere durch den Einschub.
Die Wortzersplitterungen entbehren in keinem Fall der Logik und passen ausgesprochen gut zur Pixelierung unserer Welt.
Und du hast leider Recht.
Sprache gerät allmählich in Vergessenheit, wird nahtlos ersetzt - gruselig!

Liebe, mäkelfreie Grüße
orlando
 

anbas

Mitglied
Liebe Heidrun,

über Dein Lob freue ich mich sehr. Ich denke, dass dieses Gedicht auch ein Ergebnis meiner "Begegnung" mit der Leselupe, ihren Autoren und deren unterschiedlichen Stilen ist.

Liebe Grüße

Andreas
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
O Mann, das ist richtig gut (getroffen), bin froh, dass ich mal bei der Lyrik vorbei geschaut habe. Die auf den ersten Blick sprachlichen Holprigkeiten verstärken nur den Eindruck der negativen Erfahrung, ohne Sprache auskommen zu müssen.

Mir kam sofort der Obdachlose in den Sinn, der in NYC in einem Zug saß, den niemand steuerte. Er saß jeden Tag dort, fuhr einfach hin und her, wenn es draußen zu kalt. Gesprochen hat er nicht, er wurde auch nicht angesprochen, und falls er nicht wegdöste, seine Elend durch Alkohol vergaß, dann hörte er nur die Ansage vom Band, wenn die Türen schlossen.

Was wohl aus ihm geworden ist?

Danke für die Erinnerung sagt mit lG,
Doc

P.S. Wir verlernen es noch, das Sprechen, mit dem auch etwas gesagt wird....ein Glück, dass manche wenigstens schriftlich etwas transportieren können.
 

anbas

Mitglied
Hallo Doc,

vielen Dank für Deinen Kommentar.

Ja, es geht um die Sprache. Doch mir geht es um noch etwas mehr. Das allerdings erschließt sich nicht sofort, ist mehr ein weiterer Gedanke, den ich beim Schreiben im Hinterkopf hatte.

Was fällt weg, wenn die Sprache wegfällt? Was für Folgen hat dies für uns im Alltag? Mir fällt da spontan ein, dass es weniger "menschelt". Noch mal ein Beispiel aus dem - bereits im Gedicht angesprochenen - Öffentlichen Nahverkehr. Als vor einigen Jahren eigeführt wurde, dass die Haltestellen per Band und nicht mehr vom Bus-, U-Bahn- oder S-Bahnfahrer angesagt wurden, fand ich das zunächst gut, da die Ansagen verständlicher wurden. Doch es ging auch die "persönliche Note" verloren. Vor ein paar Wochen hatte ich im Bus einen Fahrer, der die Haltestellen selber ansagte. Dazu gab es noch weitere Kommentare und Bemerkungen ("Nächste Haltestelle 'Helmut-Schmidt-Universität' - die wurde so nach unserem Altkanzler benannt" oder zu Beginn der Fahrt "Ich möchte alle dazu gestiegenen Fahrgäste herzlich begrüßen und wünsche eine gute Fahrt"). In meiner Kindheit gab es auch so einen Busfahrer. Man, was war der mir manchmal mit seinem Gelaber auf die Nerven gegangen - als ich jetzt nach jahrelanger Pause wieder mal von solch einem Original gefahren wurde, merkte ich, dass da in den letzten Jahren auch etwas verloren gegangen ist.

Soweit meine weiteren Gedanken zu diesem Text.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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