Arno Abendschön
Mitglied
Als ich zur Schule ging, war gerade eine Kurzform des Gymnasiums Mode, das Aufbaugymnasium. Der große Vorteil an der Sache sprang meinen Eltern gleich ins Auge: „Da hat er drei Jahre weniger.“ Und sie schickten mich erst mit dreizehn aufs Gymnasium. Heute bezweifele ich, dass das klug war.
Mit mir machten sich viele auf den gleichen Weg. Am Aufbaugymnasium mussten sie sechs Parallelklassen für den Jahrgang einrichten. Einige unserer neuen Lehrer sprachen hämisch vom „Sammelbecken“. Das alte Gebäude fasste die Heerscharen der Bildungswilligen kaum. Kunst- und Musikunterricht fand in primitiven Räumen unter dem Dach statt. Dort hinauf führte eine schmale, sehr steile Treppe. Wie hätte man im Notfall siebzig Schüler schnell in Sicherheit bringen können?
Der Musiklehrer versuchte vergeblich, uns mit Tonleitern vertraut zu machen. Die meisten von uns mussten ihm amusisch vorkommen. Oder wir sangen die immer gleichen Volkslieder und zogen die Strophen wie Kaugummi in die Länge. Da spielte er uns noch lieber Musikbeispiele der Klassik vor. Von Zeit zu Zeit riss er uns mit einer gehässigen Bemerkung aus unseren Träumen: „Wenn ihr glaubt, dass ich euch unterhaltsame Stunden bereiten will, dann irrt ihr euch gewaltig.“ Sein Unterricht führte zu nichts, außer zu Langeweile.
Einmal geschah doch etwas. Eine Klaviersonate von Beethoven rauschte vorbei und wir überließen uns unseren Gedanken. Wir saßen recht unbequem auf Drehschemeln ohne Halt für den Rücken. Plötzlich begann sich die Silhouette meines Nebenmanns zu verändern, ich bekam es aus einem Augenwinkel mit. Ich drehte mich nach ihm um. Er kippte gerade der Länge nach hintenüber, das Gesicht wie entgeistert. Ich begriff nicht, was vorging. Und schon schlug er mit dem Hinterkopf hart auf.
Alle sprangen auf. Beethoven wurde abgestellt. Der Lehrer bahnte sich einen Weg durch die aufgeregten Schüler. Man bettete den Kopf des Gestürzten auf ein Kissen. Er war noch ohne Bewusstsein. Weiter nahm ich nichts an ihm wahr. Wir wurden hinausgeschickt. Man versorgte ihn im Musikraum. Mitten in der Sportstunde stieß er wieder zu uns. „Alles in Ordnung – nichts passiert.“ Er wollte nicht darüber reden.
Er war tatsächlich Epileptiker, sie fanden es erst jetzt heraus. Ich beobachtete ihn näher. Er war von Anfang an ein ruhiger und mittelmäßiger Schüler gewesen. Jetzt wurde er noch stiller. Seine Leistungen erreichten nur noch Untermittelmaß. Und er bemühte sich sehr, nicht aufzufallen. Kinder sind manchmal ungerecht oder sogar grausam. Ich sah die Sache damals so an: Er hatte dieses interessante Leiden und machte nichts daraus. Gezeichnet – und fühlte sich nicht ausgezeichnet.
Im Jahr darauf wurde er von der Schule genommen. Ja, es gibt welche, die würden gern unauffällig in der Reihe sitzen bleiben, auf einfachem Drehschemel, wenn sie nur dürften. Warum, zum Teufel, muss ich immer wieder an ihn denken?
Mit mir machten sich viele auf den gleichen Weg. Am Aufbaugymnasium mussten sie sechs Parallelklassen für den Jahrgang einrichten. Einige unserer neuen Lehrer sprachen hämisch vom „Sammelbecken“. Das alte Gebäude fasste die Heerscharen der Bildungswilligen kaum. Kunst- und Musikunterricht fand in primitiven Räumen unter dem Dach statt. Dort hinauf führte eine schmale, sehr steile Treppe. Wie hätte man im Notfall siebzig Schüler schnell in Sicherheit bringen können?
Der Musiklehrer versuchte vergeblich, uns mit Tonleitern vertraut zu machen. Die meisten von uns mussten ihm amusisch vorkommen. Oder wir sangen die immer gleichen Volkslieder und zogen die Strophen wie Kaugummi in die Länge. Da spielte er uns noch lieber Musikbeispiele der Klassik vor. Von Zeit zu Zeit riss er uns mit einer gehässigen Bemerkung aus unseren Träumen: „Wenn ihr glaubt, dass ich euch unterhaltsame Stunden bereiten will, dann irrt ihr euch gewaltig.“ Sein Unterricht führte zu nichts, außer zu Langeweile.
Einmal geschah doch etwas. Eine Klaviersonate von Beethoven rauschte vorbei und wir überließen uns unseren Gedanken. Wir saßen recht unbequem auf Drehschemeln ohne Halt für den Rücken. Plötzlich begann sich die Silhouette meines Nebenmanns zu verändern, ich bekam es aus einem Augenwinkel mit. Ich drehte mich nach ihm um. Er kippte gerade der Länge nach hintenüber, das Gesicht wie entgeistert. Ich begriff nicht, was vorging. Und schon schlug er mit dem Hinterkopf hart auf.
Alle sprangen auf. Beethoven wurde abgestellt. Der Lehrer bahnte sich einen Weg durch die aufgeregten Schüler. Man bettete den Kopf des Gestürzten auf ein Kissen. Er war noch ohne Bewusstsein. Weiter nahm ich nichts an ihm wahr. Wir wurden hinausgeschickt. Man versorgte ihn im Musikraum. Mitten in der Sportstunde stieß er wieder zu uns. „Alles in Ordnung – nichts passiert.“ Er wollte nicht darüber reden.
Er war tatsächlich Epileptiker, sie fanden es erst jetzt heraus. Ich beobachtete ihn näher. Er war von Anfang an ein ruhiger und mittelmäßiger Schüler gewesen. Jetzt wurde er noch stiller. Seine Leistungen erreichten nur noch Untermittelmaß. Und er bemühte sich sehr, nicht aufzufallen. Kinder sind manchmal ungerecht oder sogar grausam. Ich sah die Sache damals so an: Er hatte dieses interessante Leiden und machte nichts daraus. Gezeichnet – und fühlte sich nicht ausgezeichnet.
Im Jahr darauf wurde er von der Schule genommen. Ja, es gibt welche, die würden gern unauffällig in der Reihe sitzen bleiben, auf einfachem Drehschemel, wenn sie nur dürften. Warum, zum Teufel, muss ich immer wieder an ihn denken?