Episode während einer ruhigen Nachtschicht

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Hagen

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Die Taxen am Bahnhof standen bewegungslos wie Frau Lot nach der Geschichte mit Sodom und Gomorra.
Wie jeder rechtschaffende Taxifahrer ging ich ins Speakeasy am Bahnhof, Kaffee trinken.
Im Speakeasy war auch nichts los, eine Atmosphäre wie bei einer Sorgerechtsverhandlung. Einige Herren waren am Darten, drei Herren saßen an der Theke rum und Linda ruhte mit geschlossenen Augen, an den Gläserschrank gelehnt, in einem Zwischenstadium aus Erwartungshaltung und Tiefschlaf.
„Hey Ace!“ Sie hatte kein Augenlid, keinen Muskel ihres Körpers bewegt als ich mich an die Theke setzte.
„Linda, meine Schöne! Machst Du mir bitte einen Kaffee, recht schön stark.“
Ich hätte es nicht zu sagen brauchen, der Kaffee war in Arbeit bevor ich ausgesprochen hatte. Zur Begrüßung spreizten wir wie üblich Zeige- und Mittelfinger zum ’Peace-Zeichen’ und wir legten die Fingerspitzen kurz aneinander.
„Hey“, einer der Herren an der Theke, „seid ihr von einer Sekte, oder was?“
Ich wollte ihm gerade einen erzählen, von unserer Zeit am Groom Lake, auf der Area 51, und wie wir die UFOs der Aliens getestet hatten, da kam Bertram rein:
„Hey, die haben `Doppelwhisky´ zusammen geschlagen!“
„Wer?“ Ich begann Zigaretten zu drehen.
„Naja, drei so Typen. Kaum saßen die in seinem Taxi, da haben die sich eine angedampft. `Doppelwhisky´ hat denen das verboten, da haben die Ruck Zuck zugelangt. – Tja.“
Während an der Theke die übliche Diskussion über den Nichtraucherschutz losging, drehte ich weiter.
In mir machte sich die Vermutung breit, dass sich derartige Gesetze irgendwie an eine fiktive Bürgerschaft richten. Für die Menschen, die diese Gesetze ertragen müssen, machen sie zunehmend weniger Sinn; - nur die Feindschaft gegenüber der Regierung wächst.
Ich malte ein kleines Herzchen auf eine Zigarette und reichte sie Linda.
Sie lächelte und ich gab ihr Feuer.
„Hey, hier ist doch Rauchverbot!“ Einer der Herren an der Theke.
„Welches Rauchverbot?“ fragte Linda, gab eine duftende Rauchwolke von sich und stellte mir meinen Kaffeepott hin. Ich trank einen Schluck Kaffee und sagte: „Angesichts unserer liebreizenden Wirtin stelle ich die Behauptung auf, dass da wo Engel sind, auch Wolken sein sollten!“
Die üblichen Argumente flogen daraufhin hin und her, ich fühlte mich etwas unverstanden.
Als ich meine Zigarette ausgedrückt und den Kaffeepot geleert hatte, ging ich wieder zum Taxi, und da stand auch schon einer davor. „Sind sie der Taxifahrer?“
„Ja. Wo wollen wir denn hinfahren?“
„Nach Burgdorf. Wir müssen aber noch den Karton mitnehmen.“
„Kein Problem.“
Hinter dem Taxi stand ein Umzugskarton. Ich ließ die Heckklappe aufschnappen und packte den Karton um ihn einzuladen. Die anderen Taxen waren alle weg, ich fragte mich wohin, - aber egal.
„Bitte seien sie vorsichtig, da ist Geschirr drin. Das handbemalte Chinaporzellan von meiner Freundin, ihr Wok, ihre Kimonos und so...“
Trüge er einen weißen Kittel, stünde er hinter dem Tresen einer Apotheke, ich hätte mich von ihm beraten lassen und von ihm fast jedes Medikament gekauft.
„Ich verstehe“, sagte ich und verlud den Karton vorsichtig in dem Kofferraum, „können wir dann?“
„Ja, natürlich. Und fahren sie bitte vorsichtig.“
„Selbstverständlich.“
Unterwegs erzählte er mir, dass er noch nicht wüsste, wie er den Futon nach Burgdorf kriegen sollte und das ihn seine Freundin wegen eines anderen Kerls verlassen hatte, und ihn eben angerufen hatte, er solle ihr doch mal eben schnell ihre Sachen bringen.
„Moment mal! Ihre Freundin ist ihnen weg, wegen eines anderen, und jetzt will sie, dass sie ihr ihre Sachen hinterher schleppen?“
„Ja, sie hat doch so einen empfindlichen Rücken. - Kriegen wir einen Futon in dieses Taxi?“
„Auf gar keinen Fall! - Ein Futon ist doch so was wie ein Bett, nicht wahr?“
„Ja, natürlich.“
„Und auf diesem wird sie sich dann mit ihrem neuen Kerl vergnügen! Das wollen sie unterstützen? - Soll sie sich doch ihre Klamotten selber abholen.“
„Sie hat doch nur einen Micra.“
„Ah, ja! - Da wäre mindestens dieser Karton rein gegangen, und noch etliches mehr! Den Futon hätte sie zur Not aufs Dach von diesem Micra binden können - wenn sie schon zu einem anderen Kerl zieht! - Wahrscheinlich lief die ganze Geschichte schon eine ganze Weile. Meiner Erfahrung nach verlassen Frauen ihr Nest nicht, bevor sie ein neues gefunden haben. - Ich habe eine derartige Geschichte auch schon mal durchgemacht und mich runter ziehen lassen. - Und jetzt fahre ich Taxi.“
„Hm.“ Er bohrte mit der Zunge in seiner Wange. Seine Augen waren zu Schlitzen zusammen gekniffen.
„Soll ich noch weiter machen?“ fragte ich.
„Nein, nein. - Wie lange werden wir noch brauchen?“
„Fünf Minuten.“
„Gut.“ Er zückte sein Handy und drückte eine Taste. „Ja, ich bin’s. Wir sind gleich bei dir. Komm’ schon mal runter. - Wie? - Ja, ein Taxi. - Ja, dein Teegeschirr und so. - Nein, aber das mit dem Futon machen wir später. - Wo soll ich denn jetzt einen Transporter her kriegen? - Dann musst du eben mal auf dem Sofa schlafen. - Dafür kann ich nichts. - Und jetzt komm’ schon mal runter, wir sind gleich da.“
Er steckte sein Handy wieder weg und blieb schweigsam bis der rechte Vorderreifen meines Taxis die Bordsteinkante an der Stelle streichelte, an der eine junge Frau stand. Diese wiederum erweckte den Eindruck der Oberkassiererin in einem gehobenen Supermarkt.
Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit blieb ich sitzen, während der Mann neben mir raus sprang und die Tür zuknallte. Der Gestik nach zu urteilen führten die beiden einen intensiven Gedankenaustausch über Beziehungsobliegenheiten. Ich tippte die Stationstasten des Radios durch und ließ den Sender, der ’Fortuna Imperatrix Mundi’ aus der Carmina Burana von Carl Orff spielte, stehen. Es passte wunderbar zusammen, das wild gestikulierende Pärchen und die kraftvolle Musik; - ein kundiger Dramaturg hätte es nicht besser inszenieren können.
Das Musikstück dauerte in etwa solange wie der intensive Meinungsaustausch an dessen Ende der Mann den Karton aus dem Kofferraum hievte und etwas hart absetzte. Die Übergabe schien nicht so zu funktionieren wie geplant, ich bekam es nicht genau mit, aber als die Dame den Karton aufhob, war die Musik zuende und ich vermeinte scheppernde Geräusche zu hören. Der Mann zuckte die Achseln, die Frau schleppte den Karton wutentbrannt davon. Der Mann kam mit unbewegter Miene wieder an Bord.
„Darf ich hier rauchen?“
„Nur zu.“
„Wissen sie“, er fingerte eine Zigarettenbox aus seiner Tasche, „eigentlich wollte ich es mir ja abgewöhnen, zumal sie mich immer rausgeschickt hat, auf den Balkon, wenn ich mal eine rauchen wollte...“
„Ja, so fängt es immer an! - Wo wollen wir den jetzt mal hinfahren?“
„Am besten zurück zum Speakeasy.“
„Dann wollen wir uns auf den Weg machen.“
Unterwegs erzählte er mir, dass sie mindestens einmal die Woche den Schlauch von der Dusche abgerissen hatte, - „wie schafft sie das nur?“ – „und dann gab es dauernd Diskussionen über Heilfasten, Pinkeln im Sitzen und ob wir uns nicht einen kleinen Gemüsegarten anschaffen sollten... Ich kann mir vorstellen, wie das ausgesehen hätte!“
„Ich auch! - Sie hätten in dem blöden Beet rumackern dürfen, während ihre Lebensgefährtin, gewandet in hübscher Gärtnerkluft und mit modischem Hut auf dem Kopf Anweisungen gibt.“
„Mein Gott!“
„Eben. Sowas kommt dabei raus.“
Das ging so weiter, bis er beim Speakeasy von Bord ging.
Am Bahnhof standen wieder alle Taxen Lehrtes. Ich rollte langsam ans Ende der Schlange, stellte den Motor ab, den Sitz etwas zurück und mir vor, weiterhin eine ruhige Nachtschicht zu haben.
 



 
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