Er geht einfach

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um.
Das hat er noch nie gemacht.

Kein richtiger Abschied, keine Umarmung, keinen Kuss.

Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.

Dabei ist sie doch seine große Liebe, wie er immer beteuert.
Jeden Tag schmust er mit ihr und murmelt in ihr Haar: Ich hab dich lieb.

Sie sind doch schon vier Jahre zusammen, soll jetzt alles anders werden?

Was soll sie jetzt machen?

Vor allen Dingen nicht weinen. Brust raus, Bauch rein, Schultern straffen, Haltung bewahren und nach Hause gehen.

Er geht einfach...

ihr kleiner Sohn, in den Kindergarten.
 
L

lilaluna

Gast
Hallo Doc,

schau mal:
Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um.
Das hat er noch nie gemacht.
[blue]Da im Nachfolgenden festgestellt wird, dass "er" ebengerade nichts macht, ist der Einleitungssatz widersinnig. Besser:

"Das war noch nie:[/blue] kein richtiger Abschied, keine Umarmung, kein[blue](en)[/blue] Kuss. Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um."

Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.
Dann kommt eine Rückblende, die ins Plusquamperfekt gehörte:

"Dabei [blue]war[/blue] sie doch seine große Liebe [blue]gewesen[/blue], wie er immer beteuert [blue]hatte[/blue].
Jeden Tag [blue]hatte[/blue] er mit ihr [blue]geschmust[/blue] und [blue]"ich hab dich lieb"[/blue] in ihr Haar [blue]gemurmelt.[/blue]

Sie [blue]waren[/blue] doch schon [blue]seit[/blue] vier Jahre zusammen, soll [blue](besser Konjunktiv II: sollte)[/blue] jetzt alles anders werden?

Was soll[blue]te[/blue] sie jetzt machen?"

Vor allen Dingen nicht weinen. Brust raus, Bauch rein, Schultern straffen, Haltung bewahren und nach Hause gehen.
Der Schlusssatz
Er geht einfach...

ihr kleiner Sohn, in den Kindergarten.
ist in der gewählten Form weder schön noch witzig.

Besser: [blue](Name des Kindes) geht seit heute in den Kindergarten.[/blue]

Vielleicht kannst du das eine oder andere für Dich verwenden?

Liebe Grüße

lilaluna
 

Val Sidal

Mitglied
Lilaluna,

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Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um.
Das hat er noch nie gemacht.
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Da im Nachfolgenden festgestellt wird, dass "er" ebengerade nichts macht, ist der Einleitungssatz widersinnig.
[blue]… die Kritik trifft nicht – „er“ macht eben „nur“ Schritte, was er so noch nie gemacht hat. Für eine Mutter, eine einschneidende Erfahrung.[/blue]
Daher, der Vorschlag:
Besser:

"Das war noch nie: kein richtiger Abschied, keine Umarmung, kein(en) Kuss. Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um."
[blue].. ist keine Verbesserung, sondern eine Verschiebung der emotionale Haltung der Mutter; allerdings empfinde ich den Nominativ beim „Kuss“ auch passender.[/blue]
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Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.
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Dann kommt eine Rückblende, die ins Plusquamperfekt gehörte:

"Dabei war sie doch seine große Liebe gewesen, wie er immer beteuert hatte.
Jeden Tag hatte er mit ihr geschmust und "ich hab dich lieb" in ihr Haar gemurmelt.
[blue]… ja, die Interpretation als Rückblende ist möglich, wird aber der Erzählabsicht nicht gerecht. Im Kopfkino der Mutter findet kein Schnitt und keine Rückblende statt. Plusquamperfekt würde ein abgeschlossenes, vergangenes Geschehen implizieren. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Sie konstatiert im inneren Monolog eine Differenz, deren eine Seite Vergangenheitsbezug enthält. [/blue]
Sie waren doch schon seit vier Jahre zusammen, soll (besser Konjunktiv II: sollte) jetzt alles anders werden?

Was sollte sie jetzt machen?"
[blue]Konjunktiv II würde ebenfalls zu einer Verschiebung des emotionalen Wertes führen. Im Original ist die interne (nicht ausgesprochene), aber empfundene Antwort: „Nein!“ Mit Konjunktiv dagegen: „Hoffentlich nicht …?“
[/blue]
Der Schlusssatz

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Er geht einfach...

ihr kleiner Sohn, in den Kindergarten.
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ist in der gewählten Form weder schön noch witzig.

Besser: (Name des Kindes) geht seit heute in den Kindergarten.
[blue]… welche der beiden Varianten schön, witzig, besser ist mag jeder Leser für sich beantworten.

Lilaluna, deine Kritik ist wohl überlegt und gut begründet. Sie wird allerdings der Erzählabsicht nicht gerecht; Deine Vorschläge würden keine bessere, sondern eine andere Geschichte ergeben.[/blue]
 
L

lilaluna

Gast
Meine Kritik will niemanden "treffen", wie du irrig annimmst, Val Sidal. Sie weist auf logische Fehler und sprachliche Mängel des Textleins hin. Das ist alles. Es ist mir gleich, ob sie der Autor annimmt oder nicht. Es steht ganz in seinem Belieben.

Nur eins geht halt leider nicht: Evidente Mängel schönreden zu wollen. Sie bleiben trotzdem bestehen.

Das Feine an der deutschen Sprache ist, dass sie, wenn sie beherrscht wird, mehrdimensional sein kann. Plappert man alles im Indikativ präsens, wird die Erde wieder zur Scheibe. Wer schon mal etwas vom Sinn der Zeitenfolge gehört hat und weiß, was ein "Irrealis" ist, hat die Chance, auch aus einem Kurzprosastückerl etwas vergnüglich zu lesendes, Dreidimensionales zu machen, wo so viel Spannung aufgebaut wird, dass eine Pointe am Ende wirklich zündet.

Im Italienischen gibt's einen "Indicativo Trapassato remoto", den die deutsche Sprache nicht kennt: Eine Handlung der Vergangenheit ist nicht abgeschlossen, sondern reicht bis in die Gegenwart hinein: era stato imbecile ist das normale Plusquamperfekt (Indicativo Trapassato prossimo) und lässt sich 1:1 übersetzen mit "er war ein Schwachkopf gewesen". Im Trapassato remoto hieße der Satz fu stato imbecile und ist im Deutschen nicht 1:1 wiederzugeben. Du brauchst dazu den Irrealis als Krücke und schreibst: "Er war ein Schachkopf gewesen. Sollte er noch einer sein?" Umgangssprachlich könnte man auch übersetzen: "Er war immer schon ein Schwachkopf gewesen".

Natürlich glaubt die Mutti nicht wirklich, dass ihr Söhnchen sie ab sofort nicht mehr mag und nicht mehr mit ihr schmust, wie er das bis gerade eben noch getan hatte (Plusquamperfekt!), und fragt sich deshalb, was sie jetzt machen sollte. Sollte, nicht solle - dass die Frage rein rhetorisch ist, erschließt sich durch die Pointe am Ende, die ohne Zweifel besser käme, wenn der Schlussatz in richtigem Deutsch formuliert wäre.

Liebe Grüße

lilaluna
 

Val Sidal

Mitglied
Lilaluna,

Meine Kritik will niemanden "treffen", wie du irrig annimmst, Val Sidal.
... "trifft" in der Sache nicht. Über meine Annahmen zu spekulieren, kann zu spaßigen Schlussfolgerungen führen.

Deine italienischen Ausführungen sind interessant, führen jedoch an meinem eigentlichen Hinweis vorbei: Dein Verweis auf eine Rückblende ist aus dem Text nicht ableitbar.

Die von Dir vorgeschlagene sprachliche Glättung verändert den Charakter der Geschichte. Gelegentlich will ein Autor seine Figuren bewusst sprachlich unvollkommen denken/sprechen lassen, um ihre Konturen zu schärfen oder ihre emotionale Verfassung pointiert zu präsentieren. Diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen hat mit "Schönreden" von Mängeln nichts zu tun.
 
L

lilaluna

Gast
Ich hab Docs Text nicht "geglättet", sondern vorgeschlagen, ihn zu plausibilisieren, in die richtigen Zeiten zu setzen und die falsche Syntax der Pointe zu bereinigen. Dadurch wird der recht einfache "Charakter der Geschichte" in keiner Weise verfremdet, sondern gewönne an Klarheit und Eleganz.

Ich glaube nicht, dass hier jemand eine Mutti "gezielt sprachlich unvollkommen zeichnen wollte" (??) - dazu besteht doch gar kein Anlass. Jedenfalls keiner, der sich dem User erschlösse. Der kundige Leser denkt nicht "wow, was für eine kunstvoll verfremdete Erzählsprache!", sondern stolpert über ziemlich simple Fehler.

Ich glaube, Doc wird selber wissen, was er aus den Vorschlägen zu machen hat. Ich trau ihm das zu.

Liebe Grüße

lilaluna
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Veränderte ich den Text laut Lilalunas Vorschlägen, sähe er wie folgt aus:

Das war noch nie: kein richtiger Abschied, keine Umarmung, kein(en) Kuss. Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um. Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.
Dabei war sie doch seine große Liebe gewesen, wie er immer beteuert hatte.
Jeden Tag hatte er mit ihr geschmust und "ich hab dich lieb" in ihr Haar gemurmelt. Sie waren doch schon seit vier Jahren zusammen, sollte jetzt alles anders werden? Was sollte sie jetzt machen?

Vor allen Dingen nicht weinen. Brust raus, Bauch rein, Schultern straffen, Haltung bewahren und nach Hause gehen.
Michael geht seit heute in den Kindergarten.


Aus dem munter plätschernden Wildbach ist ein Kanal geworden.

Ich werde gar nichts verändern. Der kleine Junge geht nämlich nicht erst seit heute in den Kindergarten, sondern schon länger. Nur heute verhält er sich anders. Er geht einfach ... und braucht und will keine Abschiedszeremonie mehr.

Das ist alles.

Die Mutter tut sich offenbar schwer damit, weiß aber, dass sich ihre eigentliche Beziehung nicht ändern wird - deshalb der Indikativ. Er wird weiterhin mit ihr schmusen. Nachdem er die Ablösung geschafft hat, muss sie sie noch leisten.

Wobei ich natürlich im Sinn hatte, dass es sich zu Beginn nach einer Beziehung zwischen Erwachsenen anhören sollte. :)

Auf jeden Fall ist es nicht nötig, sich für den Text und für mich die Nacht um die Ohren zu hauen. :) Ich bedanke mich aber herzlich für alle Meinungen.

Schönen Sonntag, Doc
 
L

lilaluna

Gast
Die ganze Nacht war's nicht, Doc. Ich war sowieso auf, und es waren nur ein paar Minuten, so wie die hier.

Auch wenn Du den lektorierten Beitrag absichtlich so setzt:
Das war noch nie: kein richtiger Abschied, keine Umarmung, kein(en) Kuss. Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um. Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.
Dabei war sie doch seine große Liebe gewesen, wie er immer beteuert hatte.
Jeden Tag hatte er mit ihr geschmust und "ich hab dich lieb" in ihr Haar gemurmelt. Sie waren doch schon seit vier Jahren zusammen, sollte jetzt alles anders werden? Was sollte sie jetzt machen?

Vor allen Dingen nicht weinen. Brust raus, Bauch rein, Schultern straffen, Haltung bewahren und nach Hause gehen.
Michael geht seit heute in den Kindergarten.
würde er nur dann zum "Kanal", wenn der Interpret nicht vom Blatt lesen könnte.

Scheitern würde Dein Quelltxtlein sprachlich auf jeden Fall, wenn es ebenso gesetzt würde. Er sähe dann nämlich so aus:
Er geht einfach und dreht sich nicht einmal mehr nach ihr um.
Das hat er noch nie gemacht. Kein richtiger Abschied, keine Umarmung, keinen Kuss. Sie kann ihn schon nicht mehr sehen, er ist in der Menge verschwunden.
Dabei ist sie doch seine große Liebe, wie er immer beteuert.
Jeden Tag schmust er mit ihr und murmelt in ihr Haar: Ich hab dich lieb. Sie sind doch schon vier Jahre zusammen, soll jetzt alles anders werden? Was soll sie jetzt machen?

Vor allen Dingen nicht weinen. Brust raus, Bauch rein, Schultern straffen, Haltung bewahren und nach Hause gehen. Er geht einfach...ihr kleiner Sohn, in den Kindergarten.
Im übrigen wiederhole ich:
Meine Kritik will niemanden "treffen", wie du irrig annimmst, Val Sidal. Sie weist auf logische Fehler und sprachliche Mängel des Textleins hin. Das ist alles. Es ist mir gleich, ob sie der Autor annimmt oder nicht. Es steht ganz in seinem Belieben.
Liebe Grüße

lilaluna
 

John Wein

Mitglied
Hallo Doc,
Also mir hat‘s gefallen, auch wie du hier den überraschenden Schluss präsentierst. Ich als Vater kann mich gut in die Situation hineinversetzen.
JW
 

HelenaSofie

Mitglied
Ja, liebe Doc,

mich hast du aufs Glatteis geführt. Bis zum Schluss habe ich geglaubt, es handelt sich um eine Frau - Mann - Beziehung. Deinen Ausdrucksstil, die Schilderung im Präsens finde ich passend und richtig für solche Gedanken. Ich hatte das Gefühl neben dir zu stehen und das Ganze zu beobachten.
Und am Ende kam mir der Gedanke, dass sie sicher gute Ratschläge bezüglich Loslassen bekommt. Sie weiß das alles selbst, aber das Herz spricht eine andere Sprache.
Falls du doch noch eine Kleinigkeit ändern willst:
Er geht einfach,
ihr kleiner Sohn, in den Kindergarten.

Ich grüße dich und wünsche dir eine gute neue Woche
HelenaSofie
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber John, freut mich, wenn Du Dich hineinversetzen konntest!
Liebe Helena, Du hast auch verstanden, was ich meinte! Vielen Dank für die freundliche Bewertung.
Liebe Lilaluna, Du schreibst, dass es Dir egal sei, ob der Autor Deine Vorschläge annimmt oder nicht. Dann ist es ja gut, auch wenn Du Dich trotzdem ziemlich ins Zeug legst. :)

Allen liebe Grüße, Doc
 

Grauschimmel

Mitglied
Es geht nicht so einfach!

Hallo liebste Doc, nette Geschichte aus dem Leben… nur glaube ich nicht, dass die Prota wirklich daran interessiert ist, dass der Kleine ihre Liebe in wachsende Selbstständigkeit „veredeln“ wird…
es sei denn, sie geht nicht nur in der Phantasie des Lesers einen Schritt weiter und stellt sich dem Leben. So ein kleiner Nachsatz für den Feierabend nach dem Kindergarten, ihre ernsthaften Absichten, in/aus Liebe, einen Rückfall in ihre falsche „Selbstliebe“ vorzubeugen, hat mir gefehlt. Der könnte z.B. lauten: Sie nahm sich fest vor mit ihm die Schleifen und das Po-Abwischen ab sofort regelmäßig zu üben.Dann könnte man den Kindergarten weglassen!
Trotzdem mit höchster 8-tung gelesen, ganz ohne den verblassenden lila Mondschleier!
Lieber Gruß von Grauschimmel!
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Grauschmimmel, vielen Dank für die gute Bewertung und den Kommentar.
Zuerst ging es um den Überraschungseffekt, dass es....aber das schrieb ich bereits.
Einen Nachsatz muss der Leser für sich selbst finden. Der Kindergarten ist notwendig fürs soziale Lernen - aber nicht fürs Schleifebinden und fürs Säubern, das lernt man zu Hause oder gar nicht. Die unmittelbare Erziehungshoheit haben noch immer die Eltern und nicht der Staat.


Das ist aber nun ein ganz anderes Thema und gehört nicht hierher.

LG Doc
 
Hallo Doc,
Ich fand Deine Geschichte einfach packend und absolut nachvollziehbar. Dagegen empfand ich die Kritiken als kleinlich. Eine völlig korrekte Zeitenfolge kann auch steif wirken, und das wäre hier sehr schade gewesen.
Also ja nichts verändern!
LG Eberhard
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eberhard, ich habe nichts verändert und werde es auch nicht tun.
Er geht weiter einfach in den Kindergarten, der kleine Sohn.

Vielen Dank für den freundlichen Kommentar!
LG Doc
 
S

Steky

Gast
Also, mir gefällt der Text ausgezeichnet, vorallem dir Verwirrung, die dann zum Schluss ins rechte Licht gesetzt wird. Natürlich könnte man den Text jetzt in alle Fälle zerlegen etc, aber da ich keine höhere Schulbildung genossen habe, kann ich mich dazu nicht äußern. Ich habe nichts auszusetzen. Ein starker Text. LG Steky
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebes Nichts, nichts verstehe ich besser als Deinen Kommentar, durfte ich es doch noch ein Mal öfter erleben. :)
Lieber Steky, es kommt nicht auf die (höhere) Schulbildung an, sondern auf die Herzensbildung. Die hast Du, wenn der Text bei Dir ankommt.
Nochmals vielen Dank für die Reaktionen, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet!
Gruß an alle, Doc
 



 
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