Er hieß Heinrich

Vielleicht hätte aus uns etwas werden können. Wenn nicht unsere Vornamen der Sache im Weg gestanden hätten.
Es war in der sechsten Klasse. Er hieß Heinrich. Meine Initialen waren A. B. Wie jeder weiß, hat Heinrich VIII seine zweite Ehefrau Anne Boleyn hinrichten lassen, angeblich wegen fünffachen Ehebruchs, in Wahrheit aber, weil er die Ehe mit ihr nicht für ungültig erklären lassen konnte und eine andere heiraten wollte.
Woher wusste ich das im sechsten Schuljahr? Geschichte war ein ganzes Jahr lang aufgrund Lehrermangels ausgefallen. Und den dicken Shakespeare-Band hatte ich zwar aus der Bibliothek nach Hause geschleppt, aber nie und nimmer in drei Wochen ganz gelesen.

Wenn Heinrich im Unterricht etwas sagte, fiel mir ein, was Heinrich VIII getan hatte. Ich beschloss, mich von Heinrich fernzuhalten. Man konnte ja nie wissen. Warum hatten seine Eltern ihm einen so furchtbaren Namen gegeben? Natürlich redete ich mit niemandem darüber.

Zwei Jahre später musste ich das Gymnasium verlassen. Zuhause fiel mir beim Schulbücher aussortieren ein altes Klassenfoto in die Hände. Heinrich stand ganz vorne. Mir war immer aufgefallen, wie braungebrannt er war. Und hübsch. Ich betrachtete das Foto lange.

Schade, dass ich nie mit ihm geredet hatte.
 



 
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