Er stirbt

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Walther

Mitglied
Er stirbt

Als in nichts geronnene vergeblichkeiten
hängen sie in den hohlen gängen seiner
seele an den wänden: tote gefühle neben
toten freunden falsche versprechungen
neben heuchelein kalte wut neben kalter
rache

Es flüstern sich vergangene lieben
geheimnisse zu die er weder kannte noch
versteht – doch er ist bei verstand aber
war er je bei gefühl

Die rose vor dem fenster ist so blass so
blass wie sein so wässrig wie sein auge so
farblos wie seine iris: die lippen schrundig
brabbeln & wieder holen das immer
gleiche: vergib mir G?tt ich kanns nicht ich
kann nichts ich konnte nie anders als ich es
wollen sollte &

niemand hört ihn denn er ist ein nichts &
ein niemand er war nichts & niemand & lebt
noch sein nie gelebtes leben bis das atmen
er stirbt
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Walther, solche Typen, wie du einen beschreibst, sterben niemals aus. Man kennt sie, nimmt sie nicht ernst ("Der hat ja einen am Wirsing!"), wenn man kann, meidet man sie. Aber sie laufen einem immer wieder über den Weg, egal, wohin man geht, egal, woher man kommt. Was mir in deiner Aufzählung seiner Haltungen noch zu fehlen scheint, ist die Gefährlichkeit dieses Typen für einen sensiblen, sauber und ehrlich denkenden Menschen, der ihn am liebsten wie eine Fliege vom Esstisch jagen würde.

Als Gedicht finde ich es nicht überwältigend, hab schon Besseres von dir gelesen. Ist mir auch ein bisschen zu wortreich. Dichter, Herr Dichter!

blackout
 

Walther

Mitglied
Hi Blackout,
danke für dein statement. es freut mich, etwas zum text zu hören. man kann ihn für etwas "undicht" halten. ich denke allerdings, er ist genau richtig (sonst hätte ich ihn auch anders geschrieben). es ist jedoch extrem wichtig zu wissen, wie ein text wirkt. diesmal ist es sehr unterschiedlich und widersprüchlich, und das macht es nicht leichter, ihn weiterzuentwickeln!
so long und nochmals danke!
lg W.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20370

Gast
Als in nichts geronnene vergeblichkeiten
hängen sie in den hohlen gängen seiner
seele an den wänden
Brillant! So etwas will ich viel häufiger lesen.

Doch, ach, der Tod! Für sich - gut. Der Mensch - für sich, gut. Beides zusammen, und dann in einem - von mir gefühlt! - Gestus beiläufigen Beschreibens des dahinsterbenden Antlitzes, (schon bös genug), um ein verdecktes Schadenfroh ins Sterbebuch zu verewigen - ich könnte das nicht. Es ist eben der Tod, da gehen die Schranken bei mir runter. Dennoch: Das immer mehr Sprachbrüchige ab der Hälfte des Textes hat mir gut gefallen.

Na ja, nach allem...

Grüße von Dyrk
 

Walther

Mitglied
Hi Dyrk,
danke dir fürs wiederfinden des texts - und für die freundlichen worte zu einer der formulierungen. ich fand sie damals angemessen.
ich trage nichts nach, warum auch. wir sind alle nur menschen. keiner von uns ist unfehlbar. und keiner von uns schreibt nur gute texte.
lg W.
 

Andri Vento

Mitglied
Hallo Walther,
für mich ist es fast erschreckend realistisch, wenn ich auch sehr hoffe nicht irgendwann zu einem Gott zu winseln, sah ich mich dennoch selbst fatal in diesem Sterbebett. Bin ich das: noch bei Verstand, aber je bei Gefühl?
Bedrückt,
Andri
 

Walther

Mitglied
Hi Andri,
danke für deinen nachdenklichen eintrag. meine texte sind immer fiktion. dabei geht es um urmenschliches. das sterben, auch das verzweifelte, ist teil unseres lebens. also darf und muß es beschrieben werden.
ob die worte geeignet sind, kann man als autor nur eingeschränkt beurteilen, da man partei ist. wenn texte berühren, ist viel erreicht.
die situation, die das lyrich durchleidet, ist eine schwere. es ist schrecklich, wenn eine lebensbilanz so ausfällt.
lg W.
 

Walther

Mitglied
Hi Herbert,
danke vielmals. der text ist schmerzlich und schmerzhaft. er reizt zu widerspruch und kritik. das sollte er aber auch.
lg W.
 



 
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