Erfolgsopfer

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lietzensee

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Erfolgsopfer

Eines Morgens saß er da, das Gesicht vor dem Bildschirm, die Finger über der Tastatur gespreizt. In seinem Kopf formulierte er. In seinem Kopf formulierte er eigentlich immer.
Durch das offene Fenster drang Vogelgesang. Gesang der Vögel klingt wie Hohn! Er schloss den Satz mit einem Ausrufezeichen, obwohl er doch vorerst nur in seinem Kopf stand. Dann erhob er sich vom Stuhl und ging im Zimmer umher. Sehr vorsichtig steckte er den Kopf aus dem Fenster. Er lauschte. Da sangen nur Vögel. Das war vielleicht ein gutes Zeichen. Aber wahrscheinlich war es ein schlechtes Zeichen.
Wieder setzte er sich auf den Stuhl vor den Bildschirm. Ihr wolltet mir nicht glauben! Seine Finger zuckten. Er fluchte. Er ballte seine Hände zu Fäusten und versuchte, die Fassung zu behalten. Dann formulierte er: Ich habe recht gehabt! Das war korrekt, aber nicht konkret genug. Ich habe euch oft gewarnt! Dies hatte er schon zu oft geschrieben. Er spreizte die Finger und verkrampfte sie. Immer wieder habe ich gewarnt! Immer wieder und überall, aber niemand wollte mir glauben, dass die NETZE ZUSAMMENBRECHEN würden! Er schlug die Fäuste auf die Tastatur und den Kopf gegen den Bildschirm. Er hatte recht behalten. Nun gab es kein Internet mehr, um darüber zu posten.
 
Zuletzt bearbeitet:
In seinem Kopf formulierte er eigentlich immer.
Das kenn ich, es ist sehr lästig. Noch schlimmer: Es färbt allmählich aufs mündliche Formulieren im Gespräch ab, das dann ebenso tastend, mit ständigen kleinen Korrekturen und Neuansätzen verläuft, als säße man am Computer. Bis der Gesprächspartner genervt reagiert.

Den Text habe ich neulich schon amüsiert gelesen, wollte nicht erneut der Erste sein, der ihn lobt. Das wird so leicht missverstanden. Aber es wäre doch schade, wenn der witzige kleine Einfall, der in genau der richtigen Länge ausgearbeitet ist, unbeachtet bliebe.

Zum Inhalt: Mir ist beim Schreiben am Computer mal etwas vergleichbar Katastrophales passiert. Euphorisiert durch ein halbes Glas Rotwein stieß ich dieses schwungvoll um, so dass der Rest Wein in den Router floss. Woraufhin sich einige Dampfwölkchen aus ihm erhoben ... Na ja, bei der Neuausstattung habe ich dann endlich auch auf Windows 10 umstellen lassen.

Freundlichen Gruß an den Autor
Arno Abendschön
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Arno,
vielen Dank für deine freundliche Antwort und dass du den Text noch mal aus der Versenkung geholt hast! Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich auch die ersten Sätze mal beim Abwaschen formuliert.
Es freut mich, dass du die Länge hervorhebst. Ich versuche Texte immer so kurz wie möglich zu halten. Die Grundidee eines Textes soll seine Länge ganz ausfüllen. Ich mag Kleider sozusagen lieber eng geschnitten, als im schlabbrigen Hip Hop Look. In einem längeren Text hätte die Pointe sicher lahm gewirkt.
Das mit dem Rotwein war sicher bitter, bzw herb. Plötzlich ohne Rechner dazustehen, fühlt sich merkwürdig unvollständig an. Da zucken wirklich die Schreibfinger ins Leere. Hattest du bei dem Unfall auch Geschriebenes verloren? Dann könntest du zumindest sagen, dass du deinen Text in Rotwein ertränkt hast. Ich glaube, das war eine Hinrichtungsform im römischen Reich - aber nur für besonders angesehene Personen.

Ich habe in den Text jetzt noch mal Absätze eingefügt.

Viele Grüße
lietzensee
 
Ich versuche Texte immer so kurz wie möglich zu halten. Die Grundidee eines Textes soll seine Länge ganz ausfüllen.
Sehr wichtig, lietzensee. Insoweit kann man durchaus Texte von dir als vorbildlich ansehen. Andererseits gibt es natürlich auch die Kategorie des episch Breiten. Sie hat dann ihre Berechtigung, wenn Idee und Stoff dafür die Basis bilden.

Da zucken wirklich die Schreibfinger ins Leere. Hattest du bei dem Unfall auch Geschriebenes verloren?
Ich durfte ca. 10 Tage pausieren, war nicht schlimm. Verluste sind nicht eingetreten, da die Festplatte nicht betroffen war. Außerdem wird einmal im Quartal extern gespeichert.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 



 
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