Erinnerung an Buck

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jimKaktus

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Erinnerung an Buck


Es war früher Nachmittag. Ich lasse ich mich auf diese Bank nieder. Musste wieder mal nachdenken.

«Halleluja!» rief ich mir ohne jede Begeisterung zu und öffnete eine Büchse Bud Ice. Hoffentlich würden um diese Zeit keine Jogger vorbeikommen. Jogger fand ich deprimierend.

Ein Wort: «Schnauze.»

Die Stimme klang hohl. «Warst du das?», wollte ich wissen. Ich musste mich vergewissern, dass es der
Abfalleimer war, der mir den Mund verbot.

Der Abfalleimer sagte: «Halt die Schnauze. Immer kommen irgendwelche Typen vorbei, denen gekündigt wurde, die von der Frau verlassen wurden - und ich muss es ausbaden

«Hast DU das gesagt?» fragte ich unläubig. «Ich brauch Urlaub. - Und ich brauch nen Job.»

«Schnauze, sag ich. Du bist langweilig. Wenn du nen Job braucht, dann geh los und such dir einen.»

«Wozu? Sie haben gesagt, ich tauge nichts.»

«Kein Wunder. Schau dich doch an, du bist ganz verdreckt. Wo hast du denn gearbeitet?»

Du bist ganz verdreckt. Das einmal von einem Abfalleimer zu hören, hätte ich mir nicht träumen lassen. «Bei Taco Bell

«Hast es ja weit gebracht.»

«Und du? Bist Chef-Mülleimer oder was.»

Jetzt schwieg er.

«War nicht so gemeint. Wie heißt du? Hast du nen Namen?»

Den hatte er: «Ich bin Buck. Ich würd dir die Hand geben, aber ...»

«Nett dich kennen zu lernen. Ich bin James. Buck von bucket

«Nee, von Buck», nörgelte Buck.

«Ach so. Okay.»

«Meinst du, die Knicks werden es dieses Jahr schaffen?»

«Du interessierst dich für Basketball?»

«Jeder anständige New Yorker interessiert sich für Basketball.»

Das stimmte. «Wird schwer, wenn Marbury weiter verletzt ist», gab ich meine Einschätzung.

Er nickte, wie mir schien. Ich trank einen Schluck Bier. Dann gab Buck seine Prognose ab. Ich hörte zu und holte meine Zigaretten raus, um zu rauchen. Ein wirklich außergewöhnlicher Mülleimer, dachte ich.

«Au ja, gib mir auch eine!»

«Willst du? Wo soll ich sie dir denn hinstecken?»

«Das ist Ironie, Mann. Willst du mich abfackeln?»

«Du hast gesagt, du willst eine haben. Also hätte ich dir eine gegeben.» Es war schwer einzuschätzen, wann Buck etwas ernst meinte und wann nicht. Weil er keine Miene verzog. Wie denn auch?

«Ich hab Hunger», sagte ich, nachdem wir die Chancen der Knicks bei den Meisterschaften zur Genüge analysiert hatten. «Ich hab Hunger.»

«Im Busch liegt ein nagelneues Truthahn-Sandwich.»

«Mit Mayonnaise?» Ich kletterte auf die Lehne und spähte ins Gebüsch. Es muss wie ein Kopfsprung ausgesehen haben, als ich vor lauter Vorfreude den Halt verlor. Es waren zum Glück keine Dornen da. Wieder auf den Beinen, schrie ich: «Warum hast du das gemacht?!» Und rieb mir den Ellenbogen, wo bald ein blauer Fleck blühen würde.

«Du glaubst aber auch alles.»

«Na hör mal, du bist ein sprechender Abfalleimer. Warum sollte ich dir NICHT glauben?»

«Das musst du mir näher erläutern.»

«Na du bist einfach ziemlich intelligent für nen Abfalleimer.»

«Wenn ich sage, dass ich eine verzauberte Prinzessin bin: Küsst du mich dann?»

Ich: «Selbstverständlich.»

Er: «Ich bin eine verzauberte Prinzessin.»

Ich: «Vergiss es.»

Er: «Willst du nicht, dass dein Traum in Erfüllung geht? Tu nicht so verständnislos. Jeder hat doch einen Traum. Ich zum Beispiel wäre gern ein Basketballkorb, alright? Ich könnte Anfernee Hardaway beim Slam Dunk in die Augen sehen. Was also ist dein Traum?»

Ich kam ins Erzählen. Ich erzählte von meinem Wunsch, Schauspieler zu werden und konnte gar nicht aufhören und sang schließlich Tonight, tonight aus der Westside Story, wobei ich auch die Maria stellenweise mitsang (im Falsett, versteht sich). Er lauschte mir aufmerksam. Bis zu dem Punkt, als ein schwarzer Hund auf mich zu rannte.

Ich sprang auf. Der schwarze Hund rannte auf mich zu. Ich hinter die Bank. Der Hund mir nach. Ich immer um die Bank rum. Der Hund mir nach.

«Hab einfach keine Angst!» empfahl Buck.

«Das sagst du so einfach», keuchte ich und rannte weiter. Immer um die Bank rum.

«Stell dich hinter mich! James! Stell dich hinter mich!» Da ergab es sich schon von selbst. Ich stand hinter Buck und schaute den Hund an. Der Hund stand mit seinen vier Beinen auf der andern Seite und schaute mich an. Doch plötzlich ging eine Veränderung in ihm vor. Er legte sich vor Buck und mir auf die Erde. Ich glaube sogar, er hat gewinselt. Wir hörten einen Pfiff. Der Hund sprang auf, sah in die Richtung, wo der Pfiff herkam, ließ seine Zunge raushängen und war weg.

«Wow, danke Buck. Wie hast du das gemacht?»

«Ich hab gar nichts gemacht, mein Freund. Das hast du ganz allein geschafft.»

Ich konnte es nicht glauben. War es denn möglich, dass ich - ohne wenigstens ein BISSCHEN Hilfe von einem kompetenten Mülleimer - einen Hund niederstarrte? Ich konnte es nicht glauben.

«Du musst dir mehr zutrauen», forderte Buck. «Wir sind in Amerika, Mann. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, für die meisten von uns ...»

«Kannst du nicht leise sein? Hast du keine Freunde, dass du dich mit nem Mülleimer unterhalten musst?» Vor mir stand ein Penner. Er trug einen zerschlissenen braunen Mantel, eine Wollmütze von undefinierbarer Farbe und einen grauen Rauschebart. Er wirkte verschlafen, musste hier grad irgendwo aufgestanden sein. Und er hielt mit einer Hand den Hund von eben an seinem Halsband fest. «Ist ja guuut. Wir gehen uns jetzt was zu essen suchen.» Ohne Gruß zog er ab, ein dickes Bündel Klamotten über der Schulter. Der Hund lief vorneweg.

«Wo kam DER jetzt her?»

«Sie tauchen auf, und dann tauchen sie wieder unter. Hättest ihn fragen können, wie er sein Leben so findet - um auf unser Thema zurück zu kommen.»

«Was meinst du?»

«Ich meine, dass du jetzt losgehn und dir nen neuen Job suchen solltest. Du bist doch nicht erst seit gestern arbeitslos, hab ich recht? Warum versuchst du es nicht mal im Zoo? Du kannst doch gut mit Tieren umgehen.»

«Spinnst du?»

«Ich spinne nicht. Da ist ne Stelle freigeworden. Fass mal in mich rein. Da müsste irgendwo ne Zeitung sein.»

Ich förderte ein Schwulenmagazin und eine Windel zutage. Dann fand ich eine zusammengeknüllte Zeitung. Gleich auf der ersten Seite von hinten (ich fange jede Zeitung und jedes Buch grundsätzlich von hinten an) stieß ich auf einen Artikel: PFLEGER VON BÄR ZERRISSEN. «Und jetzt soll ich da hingehn und - als Nachtisch oder was.»

«Lies den Artikel. Der Bär wurde eingeschläfert. Außerdem gibts im Zoo nicht nur Bärenkäfige zu reinigen.»

Du darfst keine Angst haben. Du musst an dich glauben. Denk positiv! Das sind Sätze, die für mich immer wie leere Werbebotschaften geklungen haben. Anscheinend muss man sie erst von einem Abfalleimer gesagt bekommen, damit man sie glaubt. Jedenfalls tat ich, was er gesagt hat. Nun war ich Robbenfütterer und nahm Schauspiel- und Tanzunterricht. Das alles hatte ich Buck zu verdanken.

Eines Tages ging ich mit einer Büchse Bud Ice und Zigaretten (obwohl ich aufgehört hatte!) in den Central Park und setzte mich dort auf verschiedene Bänke. An jeder Bank war ein Abfalleimer befestigt. Ich sagte: «Hi! Erinnerst du dich? Ich bins, James!» Aber die Abfalleimer schwiegen. Dreimal dachte ich, ich säße auf der richtigen Bank. Die Abfalleimer schwiegen.

Ich lief durch den Park: «Buck? Buck!» Ich traf hilfsbereite Leute, die mit mir meinen Hund suchen wollten. Ich fing an, an mir zu zweifeln. Da hörte ich: «Hoho! James! Alter Freund!» Ich ging den Weg weiter und ...

Es gab eine herzliche Umarmung, die auf Außenstehende vermutlich merkwürdig gewirkt hätte. Ich klopfte Buck den Rücken, wie man das bei alten Freunden halt macht. Es machte klong, klong ... Aber ich akzeptierte Buck wie er war. So wie er mich akzeptiert hatte.

«Ich dachte, ich schau mal vorbei.» sagte ich.

«Nett von dir. Bist der erste.»

Er meinte, der erste von all den Typen, die sich bereits auf seiner Bank ausgeheult hatten, denen er Mut gemacht hatte und die ihn dann einfach vergessen hatten. «Die andern haben dich einfach hängen lassen?»

«Tja so ist das.» entgegnete Buck, fröhlich, aber mit ein bisschen Melancholie. «Sie lassen mich hier hängen und stopfen mich mit Müll voll.»

«Das ist Scheiße!» entfuhr es mir. Das konnte so nicht bleiben nach allem, was dieser lebenslustige Abfalleimer für mich getan hatte. Ich musste mich revanchieren. «Sag mal, Buck ... Hast du irgendeinen Traum?»

Eine Weile sagte er nichts. Aber ich konnte fühlen, dass ihn mein Angebot zutiefst rührte. Dann, mit leiser Stimme, einmal frei von Ironie, antwortete er: «Ich möchte einmal den Grand Canyon sehen.» Und schluchzte laut auf.

«O Mann, Buck, ist das wahr? Mann, das werden wir machen. Hörst du? Kein Witz. Wir fahren nach Colorado. Jetzt sofort. Moment.» Ich kramte in meiner Jackentasche.

«Du verarschst mich, oder?, Bruder? Das ist nicht dein Ernst.»

«Mein voller Ernst.» erwiderte ich und es fühlte sich verdammt gut an, das zu sagen. Ich kramte in meiner anderen Jackentasche und fand mein Schweizer Armeemesser.

Fünf Minuten später hatte ich Buck abgeschraubt und ihm zur Tarnung die Mülltüte angezogen. Bei mir zu Hause rief ich meinen Boss an, um mich für die nächsten drei Tage zu entschuldigen. Dann packte ich meine Sachen. Heut abend würden wir vielleicht schon in Ohio sein. Aber wir kamen nur bis Pittsburg.

«Sir, darf ich Ihren Führerschein sehen.» Der freundliche Polizist hatte sich runter gebeugt und lugte ins Auto. Während er meinen Führerschein kontrollierte, fragte er: «Sir, warum steht ein Mülleimer auf Ihrem Beifahrersitz und ist angeschnallt?»

«Naja, man muss doch seine Fracht sichern, oder nicht?» entgegnete ich keck.

«Sir, warum trägt der Mülleimer ein T-Shirt und ein Basecap der New York Knicks?»

Darauf wusste ich keine Antwort.

«Sir, ich muss Sie bitten, aus dem Wagen auszusteigen.»

Ich sah hilfesuchend zu Buck rüber. Er schaute mich nur an, so als wollte er sagen: «Ist schon okay.»

Ich würde gern wissen, was aus Buck geworden ist. Manchmal frage ich nach ihm. Das Problem ist bloß, solange ich nach ihm frage, werden sie mich hier nicht rauslassen. Sie haben mich ins Ohio State Mental Hospital gesteckt!!!

Es ist tragisch. Du glaubst an was, und dann holt dich irgendwann die «Realität» ein, die gesammelten Meinungen der anderen. Noch sehe ich Buck vor mir und höre, was er zu mir gesagt hat. Ich muss meine Aufzeichnungen irgendwo deponieren, wo sie keiner findet. Und wenn sie mich zur «Realität» bekehrt haben und ich mir selbst nicht mehr glaube, hol ich sie wieder vor und erinnere mich. Hoffentlich.
 

GabiSils

Mitglied
Nimmst du bitte noch die paar Tippfehler raus, Jim?

Das hier:

>> War es denn möglich, dass ich - ohne wenigstens ein BISSCHEN Hilfe von einem kompetenten Mülleimer - einen Hund niederstarrte? <<

ist eine meiner Lieblingsstellen.

Nach Abschluß der Schreibaufgabe bitte unbedingt verschieben. Bekomme ich es für die Kurzgeschichten?

Gruß,
Gabi
 



 
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