Erlebtes

Astoria

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Treffpunkt

Man sieht es ihr an, der von Wind, Sonne, Regen und uns Kindern gebeutelten Holzbude. Sie ist mindestens . . . ich glaube sogar noch älter. Ich kenne sie schon ein Leben lang. Sie war unser Treffpunkt in der Jugendzeit und ist es heute noch für die jetzige junge Generation. Wir haben sie nicht sonderlich gepflegt nur immer notdürftig erhalten, Löcher geflickt, zu unserem eigenen Schutz vor dem Wetter. Nah dem Bauernhaus, dicht umgeben mit alten Fliederbüschen, steht sie sichtgeschützt für Fremde. Das Bauerngehöft, der Hinrichs, dem Verfall preisgegeben, ist der Dorfjugend vorbehalten. Es ist ihr Domizil – Versteck von dem jeder weiß und das von jedem auch älteren Dorfbewohner gehütet wird weil er es in seiner Jugend ebenso bewohnte. Hier spielt sich die Freizeit ab, die wenige, welche die Kinder haben weil wir in den Höfen ihrer Eltern kräftig mittun müssen.
Das Terrain um die Bude ist Spielplatz für die Kleinen, Bolzplatz für die Schuljugend und nachts Knutschplatz für die halbreifen Jungs mit diversen Dorfschönheiten. An der Lautstärke des Gekreisches erkennt man die Intensitäten der Rangeleien.
Vom Treffpunkt startet die Jugend, Unternehmungen in die nähere und weitere Umgebung. Abenteuer werden hier abgesprochen, geplant und materiell vorbereitet. Er ist Bunker, Lager und zuweilen Nachtlager.
Die drei alten wuchtigen, in manchem Sturm standhaft gebliebenen, Linden im Hof, der in den ehemalige Gemüsegarten übergeht, könnten gewiss eine ordentliche Menge großer und kleiner Abenteuer erzählen die sich in ihrem Bereich abgespielt haben. Vom Scheunenbrand im letzten Hochsommer, der von den spielenden Kindern entdeckt und dadurch schnell gelöscht werden konnte; vom Knecht Ewald, den man erst nach mehreren Tagen des Geschehens erhängt im Dachboden des ehemaligen Herrenhauses fand. Weil, so sagte man, die Magd Frieda ihn nicht wollte; vom Bauern Lehmann, der zwei seiner altersschwache Maschinen heimlich nachts, mit seinem Knecht Siegmar auf dem alten Gehöft entsorgte, und so den Unwillen der Nachbarn auf sich zog. Der Gemeinderat hatte solches Tun strikt verboten. Es löste Sturm aus bei anderen Bauern welche diesen Frevel nicht vollbrachten, aber gern getan hätten. Denn die Entsorgung solcher Dinge geht ins Geld.
Die alten Bäume könnten auch erzählen wie sich das überschüssige Wasser nach dem Wolkenbruch vor vielen Jahren, aus dem gewöhnlich träge dahinfließenden Bächlein und dem Teich, am oberen Dorfeingang, durch die Anliegen einen neuen Weg bahnte und die Keller, voll mit geernteten Gemüse, Rüben und Kartoffeln, überspülte und alles ersoff. Das Scheunenhaus und die Stallungen bis zu den Grundmauern unterspülte, unbrauchbar machten. Für den alten Hinrichbauern der Ruin. Für ihn war es ein trauriger Grund sich zur Ruhe zu setzen, seinen Hof aufzugeben.
Verwunderlich, das Domizil wurde trotz seines ruinösen Zustandes nie baupolizeilich gesperrt. Traute sich bisher keiner den Treff zu beseitigen, der Jugend den „Freizeitpark“ zu nehmen? Einen neuen zu gründen dazu fehlt der Gemeinde die Möglichkeit.
Vor einigen Jahren war unsere Holzbude plötzlich von zwei jungen Burschen unseres Alters besetzt. Der eine stellte sich als Fritz Hinrichs vor und für uns total überraschend, als Eigentümer des Grundstücks samt Holzbude. Er hätte es von seinem Großvater geerbt der schon vor fünf Jahren verstorben war und nannte sogar persönliche Details seines Opas. Es gab keinen Grund das zu bezweifeln. Aber was wird nun? Er hat keinerlei Interesse aufzubauen. Es soll so bleiben wie es ist. Doch der Sohn des Bürgermeisters kannte sich aus und lies sich die Personalien geben und meinte: „Gut zu wissen an wen wir uns nun wenden müssen mit der Beseitigung der einsturzgefährdeten Ruine.“ Einerseits ist es gut wenn die Ruine gesichert beziehungsweise beseitigt wird aber was geschieht mit unserem Treffpunkt?
Es war und ist unsere Freiheit, unser Treffpunkt.
 



 
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