Erlkönigs Glocke

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Fest umschlungen in den Armen
liegt das Kind dahingerafft.
Warum mußt der Knabe darben?
Vater hat es nicht geschafft.
Aus den Augen schwer
strömen Tränen sehr.
Weil die Wege nicht hergaben,
daß er retten konnt‘ den Knaben.

Fieberwahn ließ ihn erschauern,
auf der Hast durch Sumpf und Moor.
Deshalb tat es zu lang dauern,
bis erreicht man Hof und Tor.
Düstere Gestalt
griff nach ihm eiskalt.
Während fern Irrlichter flimmern,
hörte man den Jungen wimmern.

Sprach von Schatten, Kreaturen,
die ihn in die Nebel ziehn.
Jagten körperlos durch Fluren.
Niemand kann dem Spuk entfliehn.
Es hofft jedermann,
man entkommen kann.
Wenn auch wild die Herzen schlagen,
muß man doch das Schlimmste wagen.

Also los! Er ist zu retten,
wenn nur schnell der Ritt gelingt.
Wenn in warmen, weichen Betten
Hoffnung von Genesung singt.
Mittels’ nem Gebet
ist’s noch nicht zu spät.
Draußen herrschen Nacht und Winde.
Vater greift nach seinem Kinde.
 

Mimi

Mitglied
Warum steht das in "Experimentelle Lyrik" ?
Ich lese hier "bloß" ein Reimgedicht in 4 Strophen...
 
Weil das für mich ein Experiment war, die Werke von zwei Lyrikern zu verbinden.
Und das scheint es, weil ihr es ja verwendet habt, um es zu verschieben.

Danke auch für's Betrachten.
 

SánchezP

Mitglied
Hallo Heiko,

von guten Parodien bin ich ohnehin ein Fan, aber ich bin noch nie auf die Idee gekommen, zwei Gedichte in einem Werk zu parodieren – das finde ich echt klasse!

Das einzige was mich etwas stört, ist der Rhythmus; an einigen Stellen stockt es bei mir beim Lesen etwas.

Viele Grüße
Sánchez
 
Nun, zunächst einmal recht herzlichen Dank für deine Bewertung und deine netten Worte.
Bezüglich des "stockenden Rhytmuses" mußt du dich schon bei Friedrich Schiller beschweren. Er schuf die Vorlage:

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.


Quelle: Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke

Gruß, Heiko
 

SánchezP

Mitglied
Hallo Heiko,

genau, die erste Strophe des Originals ist in Trochäen verfasst, und so wie ich das sehe, hast du dich in allen Strophen deines Werkes daran orientiert.

Fast immer passt es bei dir ja auch, nur über manche wenigen Stellen bin ich gestolpert:
  • S1: hergaben
  • S2: Irrlichter, düstere
  • S3: Es
Das ist natürlich sehr kleinlich, sorry, ist mir beim ersten Lesen halt aufgefallen.

Insgesamt finde ich dein Gedicht aber sehr schön und vor allem originell:)!

Viele Grüße
Sánchez
 
Das mit den Hebungen und Senkungen bekomme ich nie so recht hin, wie das manchmal beschrieben wird.
Liegt vielleicht auch an meinem sächsischen Einschlag in der Sprache, das manches anders klingt.
Ich habe das auch mal in "Der rote Ball" thematisiert. Welche Silbe betont man nun?

Aber danke, daß du so ausführlich dich mit meinem Gedicht beschäftigt hast.
Grüße, Heiko
 



 
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