Erstes romantisches Erlebnis

schmurr

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Mein Leben in Heidelberg hätte mit einem durchschlagenden Erfolg beginnen können, denn gleich in dem ersten der Orchester, in denen ich im Laufe der Zeit spielte, fand ich eine Frau, die mir sehr gefiel. Sie war klein und Krankenschwester, wie auch meine jetzige Frau („relativ klein“, korrigiert sie mich); wir hätten hervorragend zusammengepasst. Aber als ich sie ansprach, sagte sie sofort, sie habe schon einen Freund. Dabei hatte ich etwas ganz Unverfängliches gesagt und nicht etwa um ihre Hand angehalten.

Ich kam nach Heidelberg in der Hoffnung, zumindest bei den Erstsemestern würden die Karten gelegentlich neu gemischt, aber jede Studienanfängerin (außer denen, die einen Medizinstudenten suchten) hatte entweder einen schmachtenden Galan in ihrem Heimatdorfe, oder sie hatte einen vor Ort.

Wenigstens war ich noch gerade rechtzeitig vor meinem Umzug von dem Irrglauben vieler Schüchterner losgekommen: Wenn jemand in meiner Nähe lachte, war das nicht auf mich gemünzt, und selbst wenn Freunde über etwas lachten, was ich sagte, war das kein Auslachen, sondern sie fanden es gut, was ich gesagt hatte, und sie lachten gern und waren mir dankbar, dass ich ihnen eine Gelegenheit zum Lachen verschafft hatte. So war ich vielleicht doch nicht völlig ungeeignet für Kontakte.

Tatsächlich hatte ich in meinem ersten Heidelberger Jahr so viele gesellige Gelegenheiten wie später nie wieder: der Geburtstag eines Orchesterfreunds auf dem Boxberg, von dem ich auf die schneebedeckte Ebene hinuntersah, die Party im Studierendenwohnheim Neuenheimer Feld, deren Ergebnis später verraten werden wird, eine Fete in Ziegelhausen, von der ich mit Fieber zurück nach Hause gefahren werden musste, und eine Erstsemesterparty in der Altstadt, auf der Studentinnen ein Lied über Öchslein sangen, das mich rührte und uns Männer wohl auch rühren sollte.

Dass ich nun in dieser romantischen Stadt studierte, war für meine Klassenkameraden eine Versuchung. Einmal waren Alex und Peter gleichzeitig bei mir zu Besuch. Frau D. hatte mir erlaubt, ihr Gästezimmer zu benutzen (eigentlich nur für meine Schwester...).

Zu dritt zogen wir zum Philosophenweg. Da standen zwei hübsche Mädchen und betrachteten das Panorama. Die eine hieß Paola (gesprochen: Paula) und kam aus Parma, die andere Rosella und kam aus Reggio Emilia. Es entspann sich Interesse zwischen uns, und nicht nur kulturelles.

Nun waren wir ja für ein romantisches Tableau ein Mann zuviel. Peter zog sich großmütig zurück. Er hatte auf Rat seines Vaters einen Seemannslehrgang gemacht und auf seinen Seereisen, genauer gesagt während der Landaufenthalte, schon Erfahrungen mit Frauen machen dürfen. Ich weiß nicht mehr, wie wir uns wiederfanden; das Ende war ja offen, und es gab keine Handys.

Wir schlugen uns ins Unterholz, um den neugierigen Blicken der Tausenden Touristen zu entgehen. Ich streichelte Paola, Alex streichelte Rosella. Die magische Atmosphäre wurde durch eine mysteriöse Melodie aus Alex‘ Kassettenrecorder verstärkt; ich glaube, es war Solveigs Lied von Grieg. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, bei der Besteigung des Philosophenwegs ein solches Gerät mitzuschleppen in der Hoffnung auf ein erotisches Erlebnis...

Dann kam es Alex in den Sinn, dass er lieber Paola wollte und ich Rosella nehmen sollte. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, und die Mädchen nahmen uns diese überraschende Wendung nicht übel. Bald ließen wir alle Hüllen fallen und wälzten uns nackt im Gestrüpp... nein, den Satz habe ich erfunden. In Wirklichkeit durften ihre erogenen Zonen nicht berührt, geschweige denn entblößt werden; auch Küsse waren tabu.https://www.leselupe.de/#_edn1

Trotzdem, und obwohl wir uns danach nicht mehr sahen, entspann sich ein Briefwechsel, und schließlich besuchte Alex Paola in Parma, ich Rosella aber nicht. Vor kurzem schrieb mir Alex, dass sich die Mädchen damals, als wir zu viert in seinem Auto durch die Heidelberger Innenstadt fuhren, über meine mit tonloser Stimme vorgetragenen Hinweise an ihn belustigten – „links… rechts…“ – und sie nachäfften. Ich kann mich nur dunkel daran erinnern, weiß aber noch, dass mir die Entscheidung, sie nicht zu besuchen, leichtfiel.

Viele solche schönen Erlebnisse hätten folgen können, wenn ich nur einen vorzeigbaren Freund dafür gehabt hätte. Aber alle präsentablen hatten schon eine Freundin, und die, die keine hatten, waren alle unbeholfen, wie Bernd und ich. Und selbst wenn ein Mädchen mich für akzeptabel hielte, würde sie Unbehagen angesichts Berndes empfinden, und ich müsste dann wie Faust Gretchen antworten: „Es muss auch solche Käuze geben…“

Hatte Peters erster Besuch mir das Tor zur Welt der Liebe ein Stück weit aufgestoßen, wurde sein zweiter Besuch zu einer Katastrophe für mich und für Heidelberg. Es wäre nicht passiert, wenn er allein gekommen wäre, aber er kam mit einem Freund. Es wäre auch nicht passiert, wenn dieser Freund Bäcker oder Student oder ein sonstiger normaler Zeitgenosse gewesen wäre, aber er war Seemann. Und es wäre auch nicht passiert, wenn dieser Seemann nach seiner letzten Seereise ein paar Tage festen Boden unter den Füßen gehabt hätte, aber er kam frisch von einer solchen.

Kurz nachdem ich die beiden wieder verabschiedet hatte, war es mir, als kröche in meinem Zimmer etwas umher. Es war ein Kakerlak. Ich tötete ihn, wie auch die folgenden. Aber dann sah ich auch im Kühlschrank von Frau D. (den ich mitbenutzen durfte) diese unliebsamen Kerbtiere. Es lag auf der Hand, dass ich Frau D. meine Anwesenheit nicht länger zumuten konnte. Ich wollte sowieso endlich in der Innenstadt wohnen. Es war so uncool, wenn ich einem Mädchen sagen musste: „Wir fahren jetzt mit dem Bus 10 oder 11 vom Uniplatz zum Bismarckplatz, und dort nehmen wir die Straßenbahn Nr. 3 bis Rohrbach-Markt und warten dann auf den Bus Nr. 40 zum Hasenleiser, oder wir fahren mit der Straßenbahn eine Station weiter bis Ortenauer Straße und gehen fünf Minuten zu Fuß.“



https://www.leselupe.de/#_ednref1 Heute behauptet Alex, damals beide geküsst zu haben, und dass ich mit Paola angebändelt hätte... Wir lassen alles gelten.
 
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