Erwählt

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Er hält sie sicher. Sie steigen
hinauf ins hohe Zirkuszelt;
an Muskeln, an Lichtern, an Seidenseilen.
Und wie ihr Blick so in den seinen fällt,
als sein sie einander
auserwählt,
sich ihre kreisenden Körper erschweigen,
die Griffe wie Küsse
an einander weilen;
als gäbe es unten
gar keine Welt.
Und nur dieses Schweben, in
dem er sie (und sie ihn) hält,
ins Licht
zwischen Lichter
aufgestellt,
erscheint mir mein Leben
seltsam erhellt.
Als hätt mich ein Kind
seinem Stofftier
erzählt.
 

sufnus

Mitglied
Hey Dio!
Deinen Gedichten kommentierend gerecht zu werden ist, wie ich finde, fast immer ganz besonders schwierig - und das ist natürlich als Kompliment an den Autor zu verstehen!
Ich glaube, was Deinen Texten regelmäßig innewohnt, ist ein tiefes Sehnen nach der Aufhebung aller Gegensätze von Denken & Fühlen im Mischgefäß der Sprachschönheit. In dieser Hinsicht lebt in Deinen Gedichten mehr als nur eine Erinnerung an rilkeanische Sprachharmoniebögen fort.
Um Dir in die ästhetischen Sphären folgen zu können, muss man m. E. tatsächlich in einen gewissen Ich-lass-mich-drauf-ein-Modus gehen, bei dem die kühle Ratio ein wenig runtergepegelt wird, denn vermutlich ist keine Sprache der Welt so schön, dass sie solchen Veredelungsbemühungen uneingeschränkt standhält und dabei völlig gegen Absturztendenzen ins Ästhetizistische gefeit bleibt.
So wird es auch bei diesem Gedicht im Mittelteil für mein Liking ein bisschen schwül und es droht ein kleines bisschen die Kitschgefahr: "Kreisende Körper" und "Blicke wie Küsse" sind schon ein bisschen zu viel von zu wenig und führen das Sprechen in den ebenso delikaten wie manchmal auch prekären Bereich des Soufflé-haften, wo bereits ein zweifelnder Windhauch genügen mag, um die Konstruktion zusammenfallen zu lassen, bis nur noch eine klebrige Zucker-Ei-Masse übrig bleibt.
Also wie jetzt?! Ist das hier ein heimtückisch mit wohlgesetzten Worten garnierter Totalveriss?
Aber mitnichten! Aber gar nicht!
Die letzten drei Zeilen sind ganz und gar mindblowingly fucking perfect!
LG!
S.
P.S.:
Aber wie vergeb ich jetzt in ähnlich differenzierender Weise Sterne für diesen Text?! Alles unter 5 ist irgendwie Quatsch, aber die volle Astraldröhnung triffts dann auch nicht so ganz... also... 5 Sterne für die Schlusswendung. :)
 
Ich habe mich sehr gefreut darüber, dass das Gedicht euch Spaß gemacht und erreicht hat und über eure Eindrücke und Notizen zum Text! Merci !

@SilberneDelfine: über die Spracbe zur Sprachlosigkeit - wunderbar ! Vielen Dank für Deinen selbst so poetischen Eindruck

@Franke Herzlichen Dank für die Empfehlung und Deinen Besuch. Ich habe mich sehr gefreut!

@sufnus Ganz herzlichen Dank für Deinen wie immer reichen und umfassenden “Expertenblick“ in die Zeilen und dazwIschen

Ich glaube, was Deinen Texten regelmäßig innewohnt, ist ein tiefes Sehnen nach der Aufhebung aller Gegensätze von Denken & Fühlen im Mischgefäß der Sprachschönheit
Das ist perfekt auf den Punkt gebracht und würde ganz wunderbar als Klappentext funktionieren. Ich werde mal mit meinem Verleger sprechen ;-)

delikaten wie manchmal auch prekären Bereich des Soufflé-haften, wo bereits ein zweifelnder Windhauch genügen mag, um die Konstruktion zusammenfallen zu lassen, bis nur noch eine klebrige Zucker-Ei-Masse übrig bleibt
Ich habe bei mir beobachtet, dass mich bestimmte Gedichte in bestimmten Stimmungen „finden“ oder ich für sie empfänglich bin und in anderen Situationen gar nicht berühren können. Je „aufgeladener“ sie sind, umso größer ist auch die Fallhöhe in solchen Momenten. Ich verstehe auch dass der Mittelteil den Eindruck von Übetreibung und Übersteigerung erwecken kann und ich befürchte, dass wird immer eine “Kardinalsgefahr“ meiner manieristischen Geschwätzigkeit bleiben.

mes compliments

Dio
 



 
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