Erzählrunde (Sonett)

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Mistralgitter

Mitglied
Erzählrunde


Immer noch sprechen sie voller Entsetzen

über das Grauen in dunkelster Zeit,

wie man sie trieb, bis die Mäntel in Fetzen,

Schuhe zerfielen, die Jacke, das Kleid.



Jenseits der Wiesen, durch Täler, durch Flüsse

stolperten, rannten und wateten sie,

ängstlich die Blicke, verwundet durch Schüsse,

knochig die Hände, Gesichter und Knie,



bis sie den Zufluchtsort letztendlich fanden,

Hütten und Zelte mit Wärme und Licht,

Helfende, die ihre Wunden verbanden.

Zurück kehrten Leben und Zuversicht.



Still werden Menschen, wenn sie davon reden,

einig im Wunsch um den Frieden für jeden.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Mistralgitter, ich habe den Text in "Gereimtes" geschoben, soviel ich sehe, hat es keine feste Form, wie zum Beispiel Sonett, Ballade, Limerick usw.

Das Gedicht wirft wichtige Probleme auf.
Sie in Reimform zu fassen ist nicht ganz einfach.
Du beschreibst die Erlebnisse und das Grauen, aber auch die Hoffnung auf Frieden.

Das Gedicht ist weitgehend im Keuzreim verfasst, die letzte Strophe, als Resüme, verwendet dann Paarreim.

Der Reim und die Stropheneinteilung strukturieren es.

Viele Grüße von Bernd
 

Mistralgitter

Mitglied
feste Form

Hallo Bernd,

kann man denn nicht erkennen, dass es sich um ein Sonett handelt? Mit dem englischen Reimschema
abab – cdcd – efef – gg?

Es hat in jeder Zeile 11 bzw.10 Silben und einen regelmäßigen Versfuß - allerdings einen Daktylos statt eines Jambus (das ist der einzige Fehler!) - und beginnt regelmäßig (mit einer Ausnahme) mit einer betonten Silbe. Also bedient sich das Ganze einer "festen Form".

Dass die Zeilen so auseinanderfallen, also so große Zwischenräume haben - dafür kann ich nichts - das hat das System aus irgendwelchen Gründen so gemacht.

Herzliche Grüße
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
Erzählrunde

Immer noch sprechen sie voller Entsetzen
über das Grauen in dunkelster Zeit,
wie man sie trieb, bis die Mäntel in Fetzen,
Schuhe zerfielen, die Jacke, das Kleid.

Jenseits der Wiesen, durch Täler, durch Flüsse
stolperten, rannten und wateten sie,
ängstlich die Blicke, verwundet durch Schüsse,
knochig die Hände, Gesichter und Knie,

bis sie den Zufluchtsort letztendlich fanden,
Hütten und Zelte mit Wärme und Licht,
Helfende, die ihre Wunden verbanden.
Zurück kehrten Leben und Zuversicht.

Still werden Menschen, wenn sie davon reden,
einig im Wunsch um den Frieden für jeden.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Mistralgitter, ich hatte die Sonettform nicht gesehen. Daktylen in Sonetten sind selten.
Schreibe bitte die Form in Klammern neben den Titel.
Es ist wieder in den festen Formen.
 

Mistralgitter

Mitglied
Erzählrunde

Immer noch sprechen sie voller Entsetzen
über das Grauen in dunkelster Zeit,
wie man sie trieb, bis die Mäntel in Fetzen,
Schuhe zerfielen, die Jacke, das Kleid.

Jenseits der Wiesen, durch Täler, durch Flüsse
stolperten, rannten und wateten sie,
ängstlich die Blicke, verwundet durch Schüsse,
knochig die Hände, Gesichter und Knie,

bis sie den Zufluchtsort letztendlich fanden,
Hütten und Zelte mit Wärme und Licht,
Helfende, die ihre Wunden verbanden.
Zurück kehrten Leben und Zuversicht.

Nachdenklich wird man, wenn sie davon reden,
einig im Wunsch um den Frieden für jeden.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Über die Form des Sonetts gab es hier in den vergangenen Jahren viele Diskussionen.

Dein Form ähnelt in der äußeren Gestalt den Shakespeare-Sonetten.
In der inneren Form unterscheidet es sich jedoch. (Keine Jamben, sondern Daktylen.) Es weicht damit stark von den klassischen Sonetten ab. Sie sind untypisch für Sonette, werden aber auch von anderen verwendet.

Der leichte daktylische, fast tänzerische Rhythmus steht in starkem WIderspruch zu dem tragischen Inhalt. Er macht das Zufällige und Sprunghafte der Reise deutlich, die ja nicht freiwillig aufgenommen wurde.

Das Thema ist aktuell. Es ist sehr aktuell.
Ein Versuch, dem Grauen zu entkommen.
 

Mistralgitter

Mitglied
Ganz herzlichen Dank, Bernd, für diesen Kommentar, der zeigt, dass selbst Texte, die formal aus der Reihe tanzen, deswegen nicht gleich unter den Tisch fallen müssen, sondern auch eine Aussage beherbergen können.
LG
Mistralgitter
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
Mit Interesse habe ich Dein Sonett gelesen und die Diskussion darüber. Natürlich ist es ein Sonett, ein geradezu klassisches, wenn man die Zeit nach 1850 betrachtet ( z.B. R.-M.Rilke "Frühling ist wiedergekommen").
Als einziges stört mich der Rhythmus in Zeile 12. Ein Vorschlag von mir:
Helfende, die ihre Wunden verbanden
spendeten Leben und Zuversicht
mfg
Hermann Knehr
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Hermann Knehr,

Danke für die Beschäftigung mit meinem Sonett und der beruhigenden Auskunft, dass es sich noch auf dem Boden der "richtigen Sonette" befindet.
Und zielsicher hast du einen Schwachpunkt angesprochen, der mir erst im Nachhinein aufgefallen ist, für den ich aber noch keine Lösung weiß. Denn auch dein Vorschlag ist noch nicht optimal, denn ihm fehlen Silben.
Ich arbeite nach wie vor aber auch noch an den beiden Schlusszeilen. Auch die gefallen mir noch nicht hundertprozentig.
Es gibt also noch einiges zu tun.

Viele Grüße
Mistralgitter
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Auch mir gefällt es sehr.

Auf dem Boden der richtigen Sonette?
Ja, ich denke schon, ansonsten wären die meisten Rilke-Sonette gar keine, auch im Expressionismus ist mit dem Sonett viel experimentiert worden.

Gerne gelesen und
L.G
Patrick
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Patrick,

Danke für deine Rückmeldung und deine Wertung! Ich freue mich natürlich sehr und will zusehen, dass dies nicht mein erstes und letztes bleibt ;-)
Und wenn es Freiraum für Experimente im Rahmen der Sonette gibt, dann bin ich erleichtert. Bisher ging ich davon aus, dass es strenge Regeln gibt, die man keinesfalls übertreten darf.

LG
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
Erzählrunde

Immer noch sprechen sie voller Entsetzen
über das Grauen in dunkelster Zeit,
wie man sie trieb, bis die Mäntel in Fetzen,
Schuhe zerfielen, die Jacke, das Kleid.

Jenseits der Wiesen, durch Täler, durch Flüsse
stolperten, rannten und wateten sie,
ängstlich die Blicke, verwundet durch Schüsse,
knochig die Hände, Gesichter und Knie,

bis sie den Zufluchtsort letztendlich fanden,
Hütten und Zelte mit Wärme und Licht,
Helfende, die ihre Wunden verbanden.
Zurück kehrten Leben und Zuversicht.

Still wird’s im Raum durch die Art, wie sie reden.
Unhörbar wächst der Wunsch: Frieden für jeden.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
du hast natürlich recht, bei meinem Vorschlag (der sicher nicht optimal ist) ist der letzte Daktylus zum Trochäus mutiert. Das ist aber am Schluss eines Gedichtes oftmals bewusst so gesetzt, weil es einen gewissen rhythmischen Abschluss bildet. Nun ist dein Gedicht aber an dieser Stelle noch nicht zu Ende, es sei denn du würdest die letzten beiden Zeilen (die eh noch in Arbeit sind) als eine Art Epilog formulieren.
Viele Grüße
Hermann Knehr
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Hermann,
wie du siehst, hab ich die letzten beiden Zeilen heute noch mal verändert. Ob das so gut ist, weiß ich noch nicht endgültig. Aber zu der von dir bearbeiteten Zeile hab ich irgendwie noch keine neue Idee.
Vielleicht kommt sie noch?
Dieses enge Korsett aus Versmaß und Reim ist doch eine ziemliche Herausforderung für mich.
Danke aber für dein Dranbleiben.
Viele Grüße
Mistralgitter
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Korsett aus Versmaß und Reim wird ergänzt durch das Kleid aus Sinn und Klang.
 

Mistralgitter

Mitglied
Erzählrunde

Immer noch sprechen sie voller Entsetzen
über das Grauen in dunkelster Zeit,
wie man sie trieb, bis die Mäntel in Fetzen,
Schuhe zerfielen, die Jacke, das Kleid.

Jenseits der Wiesen, durch Täler, durch Flüsse
stolperten, rannten und wateten sie,
ängstlich die Blicke, verwundet durch Schüsse,
knochig die Hände, Gesichter und Knie,

bis sie den Zufluchtsort letztendlich fanden,
Hütten und Zelte mit Wärme und Licht,
Helfende, die ihre Wunden verbanden.
Menschliche Nähe bekam ein Gesicht.

Still wird’s im Raum durch die Art, wie sie reden.
Unhörbar wächst der Wunsch: Frieden für jeden.
 



 
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