Spiegelberg
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M - oder ein paar Stimmen darin
Dort hinten der Bach heisst "Klemm", sagst du und faltest den Stadtplan wieder zusammen. Sie nickt. Die andern gehen schweigend weiter. Unterwegs die Leute sind verkapselt und verdächtigen ihr eigenes Lächeln. Gegen sie bist du ein grimassierender Clown. Auch du. Und du und du und du ... Ja keine Belästigung! - herrscht es uns stumm an. Ein Schall, echolos. Allenthalben die Physiognomien wie eingeschnappte Türen. Wer weiss, vielleicht liegt es am stumpfen Licht. - Beidseits des Bachs sind alte Mühlen wie Perlen, deren Glanz längst ermattet ist, am Ufer aufgereiht. Schwer und ohne Gedächtnis liegen die granitenen Mahlsteine im Gras. Drei Graugänse, ein Ganter und zwei Weibchen, dümpeln mittig im begradigten Bach. Denn die Klemm führt fast kein Wasser mehr. Die Klemm ist jetzt seicht und stark veralgt. Wie du nähertrittst, sprühen vor lauter Argwohn die Obsidianaugen des Gänserichs. Schwarze Funken gehen aufs Wasser nieder. Siehst du sie? Seht ihr - er und sie und du dahinten - sie auch? Ja, jetzt kann ich sie sehen. Auch ich sehe sie, sagt ein Dritter. Ich ebenfalls, meint ein anderer etwas verspätet. Doch wenn dein Blick sich erhebt, wenn du hochschaust, kannst du die letzten Ausläufer der Berge erblicken. Sie zeichnen sich ab zwischen den engen Zeilen der Häuser, tauchen auf in Höhe der Traufrinnen. Unvermittelt an einer Strassenecke. Nahe der Ebene ziehen sie sich hin, langfädig und scheinbar ohne Ende. Eine Linie bar jedweder Spannung, wie ein Sprungseil, das schlaff und ohne sich zu kringeln auf die Erde niedergleitet. Weil jetzt die Kinder, um sich Kurzweil zu bereiten, anderswo ein neues Spiel beginnen und ihr Gerät achtlos liegen lassen. Der Erdton der Hügel spielt da und dort ins Lilafarbene. Und hineingeritzt ist wie bei einer Kupferradierung die helle Schraffur der Rebstöcke. Du siehst filigran Gehäkeltes, sie hinwiederum fein Ziseliertes. Er aber getriebenes Metall. Und schliesslich ein anderer erblickt Tausende von Nadeln, die in einem zu Boden gesunkenen Kissen stecken. So sehen darin alle etwas, das sie selbst Stück für Stück hervorbringt und kenntlicher macht. Mitunter reckt eine Hütte ihr Haupt und erklimmt die Anhöhe. Stemmt ihren First empor, dehnt den Giebel himmelwärts und trumpft auf mit einer Gaube. Weinlauben werden sommers zum Luginsland, zur Besen- oder Straussenbeiz, in die die Heiterkeit kurz Einzug hält. Jetzt aber stehen die Reben stramm im abfallenden Gelände. Reihum eingewurzelt am Hang, harren sie aus in der beinhart gefrorenen Erde. So einsam und ach so klamm ... Die Kunst des Weinbaus und Kelterns, liest man auf einem Schild beim Treffpunkt für Ortsbegehungen, wurde von Eroberern importiert, weil sie in der Fremde nicht verzichten wollten auf die Annehmlichkeiten der im Stich gelassenen Heimat. Hienieden punktieren zwei drei Kirchturmspitzen soeben die dünne Haut des Himmels. Blassgelbes tritt aus, zerläuft, verzittert und erstarrt. Gerinnender Eiter, schlägst du vor. Wie Eidotter, sagt sie. Nein, wie eine Glasur, widerspreche ich. Als schwömme jetzt wie auf heisser Milch, die rasch erkaltet, ein dünner eingedickter Film, sagt ein Vierter. Unsinn, es ist eine Art Aspik, entgegnet ein anderer. Ausserdem: Da drüben die karminroten Klinker der Herz-Jesu-Kirche entsprechen exakt dem verhaltenen Glimmen einer Glut, die demnächst erstirbt ... Zu oft, liest du in einer Broschüre, die dir auf dem Fremdenverkehrsamt ausgehändigt wurde, zu oft sind hier Horden brandschatzend und mordend eingefallen und haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Und blieben sie einmal aus, waren es die Bewohner selbst, die sich zusammenrauften, um die in den eigenen Reihen leidlich Geduldeten zu befehden und für vogelfrei zu erklären. Es half nichts, wenn die auf Zusehen hin Gelittenen, denunziert und attackiert, Reissaus nahmen. Sich klemmaufwärts schlugen und in Steinbrüchen oder Wäldern Zuflucht suchten. Sogleich wurden sie aufgespürt und zur Strecke gebracht. Wie Iltisse, an die Stalltür genagelt. Wie abgeschossene Häher. Sie rühmen sich ihres ruppigen Umgangs miteinander, denkst du jetzt. Denn der Charme ist für sie abwegig, mag vielleicht angehen nahebei im Westen, wo die Welschen wohnen. Zu viel Anstrengung und die Sorge ums Morgen sind hochkant auf ihre Schultern gewuchtet, wüst aufs Haupt gehäuft und ins Herz gestapelt. Wie in Kammern gepfercht. Doch jeglicher Rührseligkeit wird der Rücken gekehrt, dem Gejammer sofort die Tür gewiesen. Möge all dies das Geschäft von Mimen und Simulanten sein. Von Leuten, die die Verstellung zu ihrem Beruf gemacht haben. Wir sind anders, sagen ihre zerknitterten Gesichter, reden stumm die verkniffenen Münder. - Ein Alter tritt rauchend vor ein verglastes Gebäude und lallt etwas, das der Vorübergehende als Gruss versteht, den er sogleich erwidert. Du wünschst ebenfalls einen guten Tag. Und sie sagt: "Hallo." Auch ich grüsse zurück. Es ist, bemerkst du nach ein paar Schritten dich wendend, ein Haus für Betagte. Und die Betagten, die hier betreut werden, sind alle plemplem ... Bei der alten Gerberei hängen Gesprächsfetzen in der Luft. Handwerker sticheln einen Gesellen. Die Äusserung - halb scherzhaft, halb ernst - wird gemacht, dass Nähe nicht zugelassen werden darf, wo sie fehl am Platz ist. Wo sie nicht hinpasst zu Leuten, deren Abweichlertum man schon von Weitem wittert. Möglich, dass dein Ohr geträumt hat, sage ich. Alles nur Einbildung, sagt sie. Was ist - denkst du, und geht es, wer weiss, auch ihr durch den Kopf - wenn die Gleichschaltung im Land unmerklich vonstattengeht und sich von einer Nackenverspannung, ausser dass sie chronisch ist, kaum unterscheidet? Im Innenhof befinden sich ineinander gestellt und aufgetürmt Töpfe, Schalen, Vasen, Krüge und Wannen aus gebranntem Ton. Allesamt sienarot. Gleich nebenan riecht es nach frisch abgeseihter Teigware. Man würde jetzt gerne die Trattoria stürmen und sich dreist Zutritt zur Küche verschaffen, um dem Koch die Kelle, mit der er die Nudeln abschmeckt, zu entreissen ... Weiter oben vor einer Scheune am Bach steht ein stämmiges, fuchsbraunes Pferd. Eine Blesse nimmt fast die gesamte Stirn in Besitz und dünnt sich zum Maul hin aus. Das rechte Hinterbein ist angewinkelt wie bei Menschen; so sich entlastend und darauf wartend, dass die Verspannung sich löst. Sein massiver Schädel steckt, den Duft durch die Nüstern inhalierend, halbwegs im Stroh, gestopft in ein hochgestelltes Fass. Wie du daherkommst, ruht das dir zugekehrte Auge, von flachsblonden Fransen bewimpelt, gross und etwas traurig auf dir. Unverwandt auf dir und mir und ihr und ihm. Auf allen und allem, was neu ist und fremd. Wer immer auch auftaucht, wem immer es einfällt zu erscheinen und in seinen Gesichtskreis zu treten, der links und rechts wie von Scheuklappen beengt ist durch die Scheunentore.
M - oder ein paar Stimmen darin
Dort hinten der Bach heisst "Klemm", sagst du und faltest den Stadtplan wieder zusammen. Sie nickt. Die andern gehen schweigend weiter. Unterwegs die Leute sind verkapselt und verdächtigen ihr eigenes Lächeln. Gegen sie bist du ein grimassierender Clown. Auch du. Und du und du und du ... Ja keine Belästigung! - herrscht es uns stumm an. Ein Schall, echolos. Allenthalben die Physiognomien wie eingeschnappte Türen. Wer weiss, vielleicht liegt es am stumpfen Licht. - Beidseits des Bachs sind alte Mühlen wie Perlen, deren Glanz längst ermattet ist, am Ufer aufgereiht. Schwer und ohne Gedächtnis liegen die granitenen Mahlsteine im Gras. Drei Graugänse, ein Ganter und zwei Weibchen, dümpeln mittig im begradigten Bach. Denn die Klemm führt fast kein Wasser mehr. Die Klemm ist jetzt seicht und stark veralgt. Wie du nähertrittst, sprühen vor lauter Argwohn die Obsidianaugen des Gänserichs. Schwarze Funken gehen aufs Wasser nieder. Siehst du sie? Seht ihr - er und sie und du dahinten - sie auch? Ja, jetzt kann ich sie sehen. Auch ich sehe sie, sagt ein Dritter. Ich ebenfalls, meint ein anderer etwas verspätet. Doch wenn dein Blick sich erhebt, wenn du hochschaust, kannst du die letzten Ausläufer der Berge erblicken. Sie zeichnen sich ab zwischen den engen Zeilen der Häuser, tauchen auf in Höhe der Traufrinnen. Unvermittelt an einer Strassenecke. Nahe der Ebene ziehen sie sich hin, langfädig und scheinbar ohne Ende. Eine Linie bar jedweder Spannung, wie ein Sprungseil, das schlaff und ohne sich zu kringeln auf die Erde niedergleitet. Weil jetzt die Kinder, um sich Kurzweil zu bereiten, anderswo ein neues Spiel beginnen und ihr Gerät achtlos liegen lassen. Der Erdton der Hügel spielt da und dort ins Lilafarbene. Und hineingeritzt ist wie bei einer Kupferradierung die helle Schraffur der Rebstöcke. Du siehst filigran Gehäkeltes, sie hinwiederum fein Ziseliertes. Er aber getriebenes Metall. Und schliesslich ein anderer erblickt Tausende von Nadeln, die in einem zu Boden gesunkenen Kissen stecken. So sehen darin alle etwas, das sie selbst Stück für Stück hervorbringt und kenntlicher macht. Mitunter reckt eine Hütte ihr Haupt und erklimmt die Anhöhe. Stemmt ihren First empor, dehnt den Giebel himmelwärts und trumpft auf mit einer Gaube. Weinlauben werden sommers zum Luginsland, zur Besen- oder Straussenbeiz, in die die Heiterkeit kurz Einzug hält. Jetzt aber stehen die Reben stramm im abfallenden Gelände. Reihum eingewurzelt am Hang, harren sie aus in der beinhart gefrorenen Erde. So einsam und ach so klamm ... Die Kunst des Weinbaus und Kelterns, liest man auf einem Schild beim Treffpunkt für Ortsbegehungen, wurde von Eroberern importiert, weil sie in der Fremde nicht verzichten wollten auf die Annehmlichkeiten der im Stich gelassenen Heimat. Hienieden punktieren zwei drei Kirchturmspitzen soeben die dünne Haut des Himmels. Blassgelbes tritt aus, zerläuft, verzittert und erstarrt. Gerinnender Eiter, schlägst du vor. Wie Eidotter, sagt sie. Nein, wie eine Glasur, widerspreche ich. Als schwömme jetzt wie auf heisser Milch, die rasch erkaltet, ein dünner eingedickter Film, sagt ein Vierter. Unsinn, es ist eine Art Aspik, entgegnet ein anderer. Ausserdem: Da drüben die karminroten Klinker der Herz-Jesu-Kirche entsprechen exakt dem verhaltenen Glimmen einer Glut, die demnächst erstirbt ... Zu oft, liest du in einer Broschüre, die dir auf dem Fremdenverkehrsamt ausgehändigt wurde, zu oft sind hier Horden brandschatzend und mordend eingefallen und haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Und blieben sie einmal aus, waren es die Bewohner selbst, die sich zusammenrauften, um die in den eigenen Reihen leidlich Geduldeten zu befehden und für vogelfrei zu erklären. Es half nichts, wenn die auf Zusehen hin Gelittenen, denunziert und attackiert, Reissaus nahmen. Sich klemmaufwärts schlugen und in Steinbrüchen oder Wäldern Zuflucht suchten. Sogleich wurden sie aufgespürt und zur Strecke gebracht. Wie Iltisse, an die Stalltür genagelt. Wie abgeschossene Häher. Sie rühmen sich ihres ruppigen Umgangs miteinander, denkst du jetzt. Denn der Charme ist für sie abwegig, mag vielleicht angehen nahebei im Westen, wo die Welschen wohnen. Zu viel Anstrengung und die Sorge ums Morgen sind hochkant auf ihre Schultern gewuchtet, wüst aufs Haupt gehäuft und ins Herz gestapelt. Wie in Kammern gepfercht. Doch jeglicher Rührseligkeit wird der Rücken gekehrt, dem Gejammer sofort die Tür gewiesen. Möge all dies das Geschäft von Mimen und Simulanten sein. Von Leuten, die die Verstellung zu ihrem Beruf gemacht haben. Wir sind anders, sagen ihre zerknitterten Gesichter, reden stumm die verkniffenen Münder. - Ein Alter tritt rauchend vor ein verglastes Gebäude und lallt etwas, das der Vorübergehende als Gruss versteht, den er sogleich erwidert. Du wünschst ebenfalls einen guten Tag. Und sie sagt: "Hallo." Auch ich grüsse zurück. Es ist, bemerkst du nach ein paar Schritten dich wendend, ein Haus für Betagte. Und die Betagten, die hier betreut werden, sind alle plemplem ... Bei der alten Gerberei hängen Gesprächsfetzen in der Luft. Handwerker sticheln einen Gesellen. Die Äusserung - halb scherzhaft, halb ernst - wird gemacht, dass Nähe nicht zugelassen werden darf, wo sie fehl am Platz ist. Wo sie nicht hinpasst zu Leuten, deren Abweichlertum man schon von Weitem wittert. Möglich, dass dein Ohr geträumt hat, sage ich. Alles nur Einbildung, sagt sie. Was ist - denkst du, und geht es, wer weiss, auch ihr durch den Kopf - wenn die Gleichschaltung im Land unmerklich vonstattengeht und sich von einer Nackenverspannung, ausser dass sie chronisch ist, kaum unterscheidet? Im Innenhof befinden sich ineinander gestellt und aufgetürmt Töpfe, Schalen, Vasen, Krüge und Wannen aus gebranntem Ton. Allesamt sienarot. Gleich nebenan riecht es nach frisch abgeseihter Teigware. Man würde jetzt gerne die Trattoria stürmen und sich dreist Zutritt zur Küche verschaffen, um dem Koch die Kelle, mit der er die Nudeln abschmeckt, zu entreissen ... Weiter oben vor einer Scheune am Bach steht ein stämmiges, fuchsbraunes Pferd. Eine Blesse nimmt fast die gesamte Stirn in Besitz und dünnt sich zum Maul hin aus. Das rechte Hinterbein ist angewinkelt wie bei Menschen; so sich entlastend und darauf wartend, dass die Verspannung sich löst. Sein massiver Schädel steckt, den Duft durch die Nüstern inhalierend, halbwegs im Stroh, gestopft in ein hochgestelltes Fass. Wie du daherkommst, ruht das dir zugekehrte Auge, von flachsblonden Fransen bewimpelt, gross und etwas traurig auf dir. Unverwandt auf dir und mir und ihr und ihm. Auf allen und allem, was neu ist und fremd. Wer immer auch auftaucht, wem immer es einfällt zu erscheinen und in seinen Gesichtskreis zu treten, der links und rechts wie von Scheuklappen beengt ist durch die Scheunentore.
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