Es ruckelt im Raum

Es ruckelt im Raum

Wuschschsch-Krach-Zack-Bumm! Wirklich eine Wucht, dieses Game auf dem Systemrechner. Und die Grafik auf dem Hauptschirm erst! Natürlich war das allerstrengstens verboten; schon das Laden eigener Software konnte zu unehrenhafter Entlassung führen.

Aber Xirp fühlte sich im Recht: Hatten sie ihn doch ganz alleine auf diese lange, langweilige Fahrt geschickt, um irgend einem blöden Pulsar den Puls zu fühlen. Und dann war nicht mal ‘ne anständige Spielkonsole an Bord gewesen! Und sowieso war das System in dieser Phase absolut unterbeschäftigt. Also wer sollte das jemals merken?

Da, jetzt kamen sie wieder und Zack, Zack, Zack, noch drei feindliche Schiffe eliminiert – wie realistisch das alles wirkte!
Doch irgend etwas war merkwürdig. Er war viel zu lange schon Raumpilot, als dass ihm die kleine Bewegung, der gänzlich unprogrammgemäße Ruck seines Schiffes entgangen wäre. Schnell fegte er den Spiele-Mist vom Screen, zoomte in alle Richtungen, aber da war nichts, rein gar nichts. Weit und breit nur schönstes, reinstes Vakuum, normale Hintergrundstrahlung, sonst nichts. Und alle Systeme voll im Soll!

Also kontrollierte Xirp die Direktanzeigen an den Kabinenwänden, und bald hatte er den Fehler: Eine der Steuerdüsen gab Impulse ab. Er spürte jetzt, auch ohne auf die Instrumente zu sehen, wie das ganze Schiff langsam in eine Drehung geriet. Ob seine Spiele-Software irgendwie? Aber das war ja komplett unmöglich, war doch alles doppelt und dreifach und extra-redundant abgesichert! Dennoch: keine Reaktion der Steuerdüse auf Befehle, das Drehmoment stieg unaufhaltsam. Jetzt poppte auch noch ein Alert auf: „In 15 Minuten wird die Fliehkraft die Außenantennen abreißen.“ Alarm schrillte.

Entschlossen zerschlug er die kleine Sicherungsscheibe und drückte den Knopf für den Emergency-Reset. Der Alarm war weg, nur der leise, hohe Pfeifton der Steuerdüse war hörbar. Drei Minuten dauerte der Restart. Das Ballerspiel war weg. Nur die bescheuerte Steuerdüse pfiff weiter und reagierte immer noch nicht. Wie sollte sie auch, fiel ihm ein, schließlich werden bei einem Restart ja alle Daten übernommen. Es half nichts, er musste raus.

Rein in den Raumanzug, den Universalschlüssel geschnappt, Klappe auf und zu der bösen Steuerdüse hingerobbt. Xirp brauchte nicht mal zu schrauben, das Ding hatte einen Ausschalter. Entspannt lehnte er sich zurück. Das hätte er nicht tun sollen. Erschrocken sah er, wie das ganze Schiff unter ihm wegglitt und sich das Sicherungsseil anmutig wie eine satte Seeschlange durch den Raum ringelte. Der Karabinerhaken war nicht eingeklinkt.

Xirp nahm den Universalschlüssel und warf ihn mit vollem Schwung in die Tiefe des Raumes. Das wirkte. Es verlangsamte seine Fluchtgeschwindigkeit, doch es reichte nicht. Es schien, als würde er in eine Umlaufbahn um sein Schiff eintreten. Der Rechner im rechten Handschuh ermittelte, dass er ungefähr 83 Jahre lang in einer stark elliptischen Bahn alle drei Wochen einmal sein Schiff umkreisen würde. Danach käme es wieder in Griffnähe.

Was nun? Den Sauerstoff als Treibgas verwenden? Verdammt schlechte Idee. Es gab keine gute Lösung, eigentlich gar keine. Er zog die Druckbänder seines Raumanzugs am Oberschenkel ganz fest zu und zerrte sich den langen schweren Stiefel vom rechten Bein. Vielleicht würde es funktionieren. Schmerzhaft schoss das Blut in das nunmehr außendrucklose Bein und blähte es auf wie einen Elefantenfuß. Wie einem in solchen Situationen der letzte Schwachsinn durch den Kopf geht: „Jetzt weiß ich endlich, warum die Dinger Extremitäten heißen“, dachte er. Gleichzeitig platzte die kleine Wunde auf, die er sich beim Rasieren der Unterschenkel zugezogen hatte und sandte einen dünnen Blutstrahl ins All. Man fragt sich, warum sich ein Raumpilot auf Alleinfahrt die Unterschenkel rasiert? Wir wissen es nicht. Sein ganzer Kreislauf sackte ab und im Kopf entstand eine dröhnende Leere, als hätte er 20 Stunden am Stück Space-Invaders gespielt.

Trotzdem, sein eiserner Wille und die geschulten Reflexe ließen es ihn vollenden. Konzentriert und mit aller Kraft schleuderte er den ollen Stiefel von sich, und so exakt hatte er vom Raumschiff weg gezielt, dass er nun ruhig und langsam wie ein Fisch zu diesem hin schwebte und fast automatisch durch die Luke glitt. Schnell pellte er sich aus dem Raumanzug, das Blut sabberte immer weiter und das Bein tat höllisch weh, aber es war wenigstens noch dran.

Der Druckverband aus der Bordapotheke war so lang, dass man mehrere Mumien damit hätte einwickeln können. Die Verbandsschere war, wie alle Verbandsscheren, zu stumpf. Als er endlich den letzten Millimeter des elastischen, zähen Verbandes durchgezwickt hatte, entspannte es sich mit einem Ruck und drückte dabei die Schere tief in das geschundene Bein. Schmerzgekrümmt und wütend schleuderte er die Schere von sich. Sie prallte von der Kabinenwand ab, flog weiter zum Steuerpult, wo sie mit der Spitze die Sicherungsscheibe eines weiteren Knopfes durchschlug und diesen betätigte. Irgendwas von „Emergency ...“ stand darauf. Xirp bemerkte es nicht; auch nicht den kleinen Ruck, der durchs Schiff ging. Er war mit sich selbst beschäftigt.

Endlich konnte er sich auf seinem Kapitänssessel entspannen. Er hatte sich bereits den zweiten pangalaktischen Donnergurgler eingeschenkt, die Flasche hatte er natürlich illegal aufs Schiff geschmuggelt, und er war froh darüber. Das Bein brannte nur noch verhalten. Sinnend schaute er auf das Chaos. Der zerfleddert daliegenden Raumanzug, die großen Blutflecken überall, der ausgeschüttete Verbandskasten. All das konnte er morgen in Ordnung bringen. Zur Entspannung legte er die Mini-Hörspielreihe „Skurrile Tode“ auf; es tat so gut, in sich das Leben zu spüren, während die armen Schweine in diesen gruseligen Stories alle hopps gingen. Er war stolz darauf, es geschafft zu haben. Schade nur, dass er seine Geschichte wohl niemandem würde erzählen können, seine Rolle war zwar heldenhaft, aber wohl doch auch etwas peinlich. Zuweilen warf er einen gelangweilten Blick auf das kleine Statusdisplay neben der Hauptsteuerung, wo die Meldungen permanent durch rauschten. Alles war gut.

Die kleine Rakete mit der großen Sprengkraft war ihrem Mutterschiff weit voraus. Seit ihrem Abschuss suchte sie den Feind, denn schließlich musste es einen Grund für ihren Start geben. Sie zoomte in alle Richtungen, aber da war nichts, rein gar nichts. Weit und breit nur schönstes, reinstes Vakuum, normale Hintergrundstrahlung, sonst nichts. Nach einer kleinen Unregelmäßigkeit in ihrer Bahn, einem kleinen Schlenker, empfing sie ein Signal aus dem bisher toten Winkel hinter sich: „Space Invaders 3“, so lautete die Kennung. Schnell prüfte sie die Target-Listen und stellte fest: Das war ein legitimes Ziel und zügig zu eliminieren.

Das Raumschiff bemerkte natürlich den Anflug. Selbstverständlich wären im Falle eines feindlichen Raketenangriffs sofort, auch ohne Zutun des Piloten, alle Schotten dicht gemacht und alle Schutzschilde aktiviert worden. Aber es war ja keine feindliche Rakete. So beschränkte es sich auf die kleine Statusmeldung: „Angriff auf Space Invaders 3“. Xirp sah die Meldung, bevor sie vom Schirm rollte. Er dachte: „Erstaunlich, wie diese blöde Gaming-Software sich im System festgekrallt hat! Na, auch dieses Problem werde ich morgen lösen.“ In den Mini-Hörspielen kam gerade eine von Xirps Lieblingsstellen, wo die Katze auf den Steuerhebel des Baggers springt und der Bagger deshalb den Kollegen in der Grube entzwei reißt. Heftig, heftig das! Darauf einen Donnergurgler! Während er das Glas kippte, traf die kleine Rakete mit der enormen Sprengkraft und pulverisierte das Raumschiff, Xirp und den Donnergurgler; sie hätte auch alles im Umkreis von 10 Kilometern pulverisiert, wenn da was gewesen wäre als reines, unverfälschtes Vakuum und ein bisschen Hintergrundstrahlung.
 



 
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