Es wächst zusammen... Fortsetzung des Romans : Im falschen Geschlecht

Ruedipferd

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6.Teil

Es wächst zusammen, was…



Am frühen Vormittag kam richtig Leben in die Bude. Die Tür wurde aufgeschoben und voller Freude erlebte ich, wie einen Moment später Renes Bett an meiner Seite stand. Was für eine euphorische Begrüßung! Die beiden Krankenschwestern blickten sich überrascht an.

„Wie sieht er aus?“, fragte Rene. Mein Freund war etwas blass um die Nase und musste sich erst an die Schläuche und Kabel an seinem Körper gewöhnen, was ihm gar nicht behagte. Mir war es ebenso ergangen, aber die Erfahrung hatte mir gezeigt, dass auch er in wenigen Tagen wieder beweglicher sein wird.

„Recht klein, aber fein und mein“, antwortete ich wahrheitsgemäß und schmunzelte dabei.

„Ja, das sagte der Doc schon. Bei dir haben sie ihn absichtlich etwas kleiner gemacht, damit du mit deinem guten Zeugnis und deinem Grafentitel nicht übermütig wirst. Es liegt an den Bayern schlechthin. Die haben alle nur einen ziemlich Kurzen!“

Ich plusterte. Oh, Rene, wenn ich jetzt könnte, wie ich wollte und wie du es verdient hast!

„Irgendwann bin ich wieder fit und dann treffen wir uns in freier Wildbahn, du mein bester Freund aller Freunde. Im Übrigen steigt der HSV in der nächsten Saison ab und München wird Meister.“ Ha, damit hatte ich Renes wunden Punkt getroffen.

„Auf keinen Fall, wir werden euch das Leben sehr schwer machen. Aber es stimmt wirklich. Das ist kein Scherz. Wir Hanseaten haben Deutschlandweit die Längsten. Das kommt durch unsere Seefahrervergangenheit. Hamburg ist ja das Tor zur Welt und unsere Arme, äh, männlichen Attribute, mussten weit reichen, eben bis in die weite Welt hinaus.“

Oh Gott, wo war ich nur gelandet! Das konnte ja heiter werden. „Sag mal, was haben die dir gegeben? Stehst du unter Drogen?“ Die Schwestern beeilten sich, aus unserem Zimmer zu kommen. Danach sah es jedenfalls aus. Sie schlossen Rene noch schnell einen neuen Tropf an den Arm und verschwanden panikartig. Ich erzählte ihm von meinen vielen Telefonaten. Sein Handy lag in seinem Rucksack. Der war allerdings im Schrank. Er musste es einschalten und aufladen. Aber im Augenblick kam keiner von uns dran. Wir mussten eine Woche strikt im Bett bleiben.

Mutter kommt sicher nachher und kann uns alles bringen, dachte ich.

„Mum ist bestimmt bald da. Dann brauchen wir die Schwestern nicht scheuchen. Sie wollte nur etwas Shoppen gehen.“

„Oh, das kenne ich von meiner Mutter. Die brauchst du heute nicht mehr erwarten. Berlin hat zu viele Geschäfte!“

„Du kannst mein Handy nehmen und Kerrin anrufen“, bot ich ihm an.

„Danke, der HSV wird also doch im nächsten Jahr Meister, oder wie darf ich das verstehen?“

„Nein, mein Lieber, wir haben nur Waffenstillstand. Der Krieg fängt gerade erst an. Ich werde deinen nachmessen. Wehe, da ist mehr dran, als bei mir. Wobei, meiner ist natürlich der Schönste.“

Wir neckten uns weiter. Es war herrlich, wieder den besten Freund bei sich zu haben. Ich dachte an Conny. Andy und die anderen wollten demnächst aus dem Bootshaus anrufen. Rene telefonierte mit Kerrin.

Ich drehte mich um und schlummerte ein. Irgendwann erwachte ich und spürte, wie sich jemand an mir zu schaffen machte. Herr Melcher, der Assistenzarzt legte mich frei um mich zu verbinden.

Rene beugte sich vor. „Oh, darf ich mal sehen?“ Er betrachtete mein Ergebnis mit großem Interesse.

„Doc, meiner ist doch sicher größer, oder?“, fragte er Herrn Melcher

Der lächelte und fand das Spiel anscheinend sehr amüsant. „Ich glaube eher nicht. Unser Chef muss wohl bald zum Augenarzt. Er schneidet neuerdings sehr wenig vom Unterarm ab. Die Hautlappen werden bei jeder OP kleiner. Also, ich würde mir da keine großen Hoffnungen machen“, erklärte er ernst zu Rene gewandt. „Wegsehen?“, fragte er, als er sich an meinem Arm zu schaffen machte.

Ich nickte, drehte mich zu Rene um und streckte ihm die Zunge aus. Rene schrie auf und sah mich mitleidig und geschockt an. Er ahnte, dass sein Arm nicht besser ausschauen würde.

„Frieden?“, fragte er. Ich hielt ihm den gesunden Arm hin, an dem noch die Kanülen steckten. Wir drückten einander.

Der Arzt verzog die Lippen. „Der Tropf kommt gleich weg. Aber die Nadel soll noch drin bleiben, falls wir ein Schmerzmittel spritzen müssen. Vielleicht kann das alles morgen schon raus. Das entscheidet aber der Boss.“ Als ob man vom…

Die Tür ging auf. Doktor Dupret kam mit einer Schwadron junger Schwestern und Ärzte herein.

„Aha, da sind die beiden frischgebackenen Knaben. Nun, schauen wir uns den zweiten Herren an. Herr Färber aus Hamburg, wollen Sie Ihrem neuen Körperteil Guten Tag sagen? Bitte, Herr Kollege.“

Herr Melcher schob seinen kleinen Verbandswagen um mein Bett herum zu Rene. Gleich würden wir wissen, ob Hamburg oder Bayern Sieger war. Gespannt blickte Rene an sich herunter und in den Spiegel, den ihm der Doc hinstellte. Seine Miene erhellte sich zu einem glücklichen Strahlen. Das änderte allerdings nichts daran, dass sich die Länge von der meinen in nichts unterschied. Renes Penis war genauso klein wie meiner, oder genauso groß. Je nach Betrachtungsweise.

„Danke, Doc. Alles ok. Der gehört zu mir. Das passt alles sehr gut“, sagte Rene höchst erfreut. Ihm fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. Zufrieden legte er sich in sein Kissen zurück.

Dr. Melcher begann seinen Arm abzuwickeln. Rene riskierte einen kurzen Blick und drehte sich erschrocken zur Seite. Die Wunde konnte auch er sich nicht ansehen. Unser Operateur legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, das heilt alles zu. Ich habe einen Nerv mit transplantiert, so dass ihr später auch Gefühl darin habt. Nun braucht ihr zwei nur noch etwas Geduld und bitte, tobt nicht im Bett herum. Wenn ihr Sachen braucht, klingelt und die Schwestern helfen euch. Vor allem dürft ihr ohne Hilfe nicht aus dem Bett aufstehen. Das macht der Kreislauf nicht mit. Haltet euch an meine Anweisung. Bis morgen, meine Herren!“ Nachdem alle den Raum verlassen hatten, kam meine Mutter herein. Sie ging als erstes zu Rene, nahm seine Hand und strich ihm übers Haar. „Ich soll dir alles Liebe von deinen Eltern sagen. Sie rufen im Laufe des Abends an und sind erleichtert, dass du wieder wach und bei Max im Zimmer bist. Wenn du etwas brauchst, sag es, ich bin für euch zwei jetzt noch da und entlaste die Schwestern.“ Rene hatte plötzlich Tränen in den Augen, so sehr berührte ihn die Zuwendung meiner Mutter. „Danke, ich hätte gerne mein Handy, es ist im Schrank. Sie sind ja wie eine Mutter zu mir, ich fühle mich schon wie ein Prinz!“ Mum lachte. „Ich hol es dir, gut, hab ich jetzt eben zwei Söhne. Aber denk daran, Prinz Rene, Adel verpflichtet. Ich kann sehr streng sein und lege großen Wert auf Etiquette und gutes Benehmen!“

Sie brachte ihm seinen Rucksack und legte ihm die gewünschten Sachen so in den Nachtschrank, damit er an alles selbst herankam. Hach, da hatte ich also auf wundersame Weise einen Bruder bekommen. „Toll, Bruder Rene. Ich hab mir schon immer Geschwister gewünscht. Ich bringe dir alles bei, was du in der noblen adligen Gesellschaft zu beachten hast. Hab ich dir von Maren erzählt? Sie ist eine Baronin von Schönefels und hat mir damals Karten für den König der Löwen in Hamburg besorgt. Erinnerst du dich noch, Mum?“

Meine Mutter wusste alles. „Ja, Maren ist die Tochter einer langjährigen Freundin von Maximilians Großmutter. Ihre Familie stammt ebenfalls aus Ostpreußen. Sie arbeitet als Eventmanagerin und betreibt inzwischen eine eigene Firma. Wenn ihr irgendwo eine Veranstaltung sehen wollt, besorgt sie euch die schönsten Plätze. Max, du hättest sie ruhig mal anrufen können. Sie weiß über dich Bescheid und freut sich sicher, dass es dir gutgeht!“ Mutters Stimme klang vorwurfsvoll. Ich hatte tatsächlich viele Verpflichtungen nicht mehr wahrgenommen und mich stattdessen nur noch um meine Hamburger Freunde gekümmert. Das muss ich sofort ändern. Im Herbst beginnt das erste Semester in München an der Uni. Vielleicht kann mir Maren einen Veranstaltungsplan schicken. Ich versprach meiner Mutter mich im eigenen Interesse zu bessern. Sie strich mir daraufhin wie Rene übers Haar.

„Ich fahre übermorgen Nachmittag nach Hause“, erklärte sie. „Vater braucht meine Hilfe und ich habe Landfrauensitzung. Wenn ihr in vierzehn Tagen entlassen werdet, kommt einer von uns her und begleitet euch. Rene bleibt noch mindestens eine Woche bei uns und wird von Doktor Steiner mit betreut. Ihr benötigt eure Spritzen. Ich denke, der Doc hier wird sie euch vor der Heimfahrt geben. So, ihr zwei, habt ihr noch etwas Wichtiges für mich zu erledigen? Sonst will ich wieder in die Stadt. Ich habe nicht alles einkaufen können, was ich wollte.“

„Arme Berliner, die müssen sich fühlen, wie damals nach dem Krieg bei der Blockade. Wahrscheinlich hast du bereits alle Läden leer gekauft!“ Ich wollte nicht frech sein, aber witzeln musste ich doch.

Meine Mutter reagierte wie erwartet. „Du ungezogener Bengel. Du hast dich gar nicht verändert, bist noch genauso schlimm wie damals, als du Robert mit deinem schrecklichen Weihnachtsgedicht so zugesetzt hast!“

„Ach Mum, du weißt doch, das war nur die Spitze des Eisberges. Die schlimmsten Streiche kennst du gar nicht.“

Rene ereiferte sich. „Nein, Mum. Und erst in Hamburg. Dein Max ist ein ganz böser Finger. In was der mich alles reingezogen hat! Das willst du bestimmt nicht wissen!“

Ich warf Rene einen warnenden Blick zu. „Oh, ich denke, dass sich deine Eltern auch sehr für deine besonderen Ausflüge interessieren würden.“

„Ich hab nichts gesagt. Fahren Sie ruhig nach Hause, Adelheid. Max und ich kommen gut selbst klar und die Schwestern sind auch noch da. Vielleicht können wir mit einem Taxi zum Bahnhof fahren und allein den ICE nach München nehmen. Wir müssen doch nur einmal umsteigen.“

Ich dachte nach. „Wir müssen das Gepäck irgendwie transportieren, doch da kann uns der Taxifahrer gegen ein kleines Trinkgeld helfen und im Zug fragen wir den Schaffner. Auf jeden Fall kannst du morgen zurückfahren, Mum.“

Sie ging zu jedem von uns, küsste ihn auf die Stirn und herzte Rene zärtlich.

„Ob ich nun einen Sohn oder zwei zu betreuen habe, ist egal. Ihr seid beides Lausbuben.“ Sie wuschelte Rene liebevoll übers Haar.

Als sie draußen war, holten wir unsere Handys. Der Telefonmarathon begann. Ich schrieb massenhaft E-Mails. Für Hubertus hatte ich mir etwas Besonderes ausgedacht. Mein Vetter

erhielt ein sehr privates Foto und reagierte prompt. „Jungs, hier meldet sich euer Gewissen. Max, das sieht sehr gut aus. Er könnte etwas länger sein, aber er bleibt im Normbereich. Nicht jeder kann einen so langen haben wie ich.“ Ich hatte gottlob nicht vergessen, wie man sich wehrt.

„Danke, für die Blumen. Du weißt, wie schnell man in Amerika in den Knast kommen kann. Da lieben die anderen Häftlinge so lange Teile.“

Hubi kicherte. „Ich freu mich, dass es euch gut geht und ich bin ganz aufgeregt wegen der Reise. Übermorgen geht es los. Zwei ganze Jahre weg von zu Hause. Ihr werdet mir fehlen und das Bootshaus.“

„Du wirst uns auch sehr fehlen, Hubertus. Aber wir mailen einander und simsen. Gottseidank gibt es heute viele Kommunikationsmittel. Unsere kleine Beatrix jammert auch schon übers Internat. Sie ist ein richtiges kleines Ferkel und hat uns beiden angedroht, uns als Domina zu vermöbeln“, erzählte ich. „Oh je, da kommt einiges auf uns zu, wenn sie älter wird. Sie hat schon jetzt viel Power.“

Auf Renes Handy summte es. Conny war dran. Uns erwartete eine Konferenzschaltung.

. Er wünschte Hubertus viel Glück in den Staaten. Nach einigem Bitten gaben wir nach und schickten auch ihm ein Foto. Er freute sich und beruhigte uns, wegen der Länge. Alles sah gut aus und lag im Normbereich. In den nächsten Tagen werden immer mehr Drainagen abgenommen und irgendwann kam der große Moment, an dem wir zur selbständig zur Toilette sollten. Hoffentlich klappt alles. Conny grüßte uns von Kurt, Babs und Sina. Auch die Jungs vom Straßenstrich wünschten uns alles Gute. Der Frischgebackene Prinz Rene sah mich an. Whow, wo hatten wir überall Bekanntschaften! Was für ein Kontrast zu unserem bürgerlichen Leben. Hubertus verabschiedete sich. Er musste noch zur Uni. Mein Handy summte, kaum dass er sich aus klinkte. Andy war dran. „Max, Rene, wie geht es euch? Willkommen im Reich der Männer!“ Jacob und Mario grölten im Hintergrund. „Alles Roger, seid ihr im Bootshaus?“ „Ja, habt ihr schon Fotos?“ Rene nickte. „Ich schick euch gleich zwei Stück, aber die sind nur für uns. Dass mir niemand auf die Idee kommt, sie weiter zu geben. Beatrix darf die Fotos nie in die Finger kriegen. Die ist imstande und veröffentlicht uns auf youtube, die kleine Hexe!“ Die drei beschworen sich als Ehrenmänner. Mir war trotzdem nicht wohl bei der Sache. Es dauerte auch eine Weile, bis eine Reaktion kam. Die hörte sich vernichtend an. Andy druckste. „Also, die sind ziemlich kurz, meinen die zwei hier. Ist das alles oder wachsen die noch?“

Renes Augen waren klein geworden. Ungehalten kam er mir mit der Antwort zuvor. „Andy, da kommt im nächsten Jahr eine Pumpe rein und unten hängt uns der Doc zwei dicke große Eier dran. Die werden mindestens zehn Zentimeter länger. Ich schätze alles in Allem auf fünfundzwanzig Zentimeter im Endstadium.“

Das war maßlos übertrieben. Aber irgendwie mussten wir uns wehren. Das schuldeten wir unserem Selbstbewusstsein. Ich pflichtete Rene deshalb bei. „Ja, Andy, wir werden im nächsten Jahr wieder messen. Du kannst dir vorsorglich ein paar Gewichte dranhängen, wenn du mithalten willst“, rief ich frech ins Mikro. Sein Seufzen war deutlich zu hören. Er hatte die Flunkerei tatsächlich geglaubt.

„Der Trainer hat gefragt, wann du wieder Fußballspielen willst, Max“, meldete sich Jacob.

Ich musste passen. „Das wird solange ich in München studiere sicher nichts. Im September fahren wir. Andy geht mit und ich fürchte, die Wildensteiner Mannschaft wird in den nächsten Jahren ohne uns auskommen müssen. Nach dem Studium steigen wir irgendwo bei den alten Herren wieder ein und spielen bis an unser Lebensende für den Verein. Ich werde wieder reiten und das Kampfsporttraining fehlt mir natürlich. Versucht in der Zwischenzeit ein paar Nachwuchsspieler zu finden. Da sind einige Talente in den unteren Klassen, die uns würdig vertreten können“, forderte ich meinen Freund auf.

Andy und ich hinterließen im Fußballverein eine gewaltige Lücke. Normalerweise würden wir jetzt altersmäßig bei den Erwachsenen spielen und unsere erste Bezirksligamannschaft verstärken. Aber das konnten wir von München aus nicht schaffen und ohne gemeinsames Training ging gar nichts. Wir hätten dazu regelmäßig mit unseren Leuten trainieren müssen, um das Zusammenspiel und die Pässe zu üben. Schade, aber leider nicht zu ändern. Ich war mit meinem Muskelaufbau dank der Hormonbehandlung hervorragend in die Mannschaft integriert und konnte mich im Zweikampf gut durchsetzen. Mein Trainer freute sich zwar zum bestandenen Abitur, bedauerte es aber im Gegenzug seinen besten Stürmer zu verlieren. Es ging eben nicht alles auf einmal.

Andy verabschiedete sich aus der Schaltung und Conny musste an die Arbeit. Den Rest des Nachmittags beantworteten Rene und ich unsere Fanpost. Auf meinem Laptop kamen ständig Nachrichten ein. Wenig später meldete sich Beatrix. „Ich hab grad von Hubertus gehört, dass ihr Fotos versendet.“ „Aber nicht für dich, kleine Hexe. Dann können wir gleich nackt auf youtube posieren. Fotos gibt es nur für die Männer und die bleiben in diesem Fall unter sich.“ Sie schimpfte, bettelte, jammerte und zog eine riesen Show ab. Aber ich blieb hart. „Na gut, ich krieg schon, was ich will. Amüsiert euch schön und einen netten Abend wünsch ich euch!“ Schnippisch legte sie auf. Eine Vorahnung konnte ich nicht verhindern. Was führte Trixi im Schilde? Rene schluchzte laut. Kerrin war dran. Er konnte nicht anders und hatte seiner Freundin ein Foto geschickt. Sie meinte, das sehe alles sehr klein aus. Oh je, da musste etwas getan werden. Ich bat Rene um sein Handy.

„Kerrin, hier ist Max. Die Größe ist nicht entscheidend, wobei da im nächsten Jahr noch Eier dran kommen und die Pumpe eingebaut wird. Am Schluss hast du mindestens dreißig Zentimeter pure Freude, glaub mir. So tief kann dir deine Ärztin gar keine Vagina zaubern. Was macht Melli?“ Nein. Himmel, die mussten wir gleich noch anrufen. „Rene, ich hab‘ Melli vergessen. Oh, die ist mir doch glatt in der Aufregung durchgerutscht. Die bringt mich um!“

„Bleib ruhig, Max. Sie ist erst heute Morgen unters Messer gekommen. Vor morgen Nachmittag brauchst du dich nicht bei ihr melden. Ich sag euch am besten Bescheid, denn ich hab einen guten Draht zu ihrer Mutter. Sie ist bei ihr und hat mich vorhin angerufen. Es ist alles gut gelaufen. Sie liegt auf Intensiv. Sag Rene, ich bin nächsten Monat dran. Meine Zusage kam gestern. Ich hoffe, du hast Recht. Dreißig sind nicht zu verachten. Das bespreche ich mal mit der Ärztin. Gut, ihr zwei, ich muss Schluss machen. Bleibt ordentlich. Ich ruf Rene morgen an, dann könnt ihr euch bei Melli melden.“ Wir verabschiedeten uns. Rene sah mich dankbar an.

„Hach, das hast du gut gesagt. Es geht doch nichts über Freunde. Wir sollten zufrieden sein und uns nicht verarschen lassen. Die haben doch alle keine Ahnung und Hubertus liegt weit hinter Martin auf der ewigen Bestenliste.“

Ich klopfte mir wegen meiner Geistesgegenwart selbst auf die Schulter und wurde müde. Rene lehnte sich ebenfalls in die Kissen zurück. Die letzten Tage hatten unsere ganze Kraft gefordert. Wir sollten den Rat vom Doc befolgen und uns ausruhen. Gegen Mittag rief Kerrin an. Sie hatte ihren Rene wieder ganz doll lieb. Melanie war noch nicht auf ihrem Zimmer. Wir mussten uns also tatsächlich noch einen Tag länger gedulden. Sie wollte ihr Bescheid sagen, dass es uns gut ging und wir sie bald anrufen würden.

Herr Melcher kam unerwartet zur Kaffeezeit. „Jungs, da sind zwei Herren aus der Berliner Selbsthilfegruppe draußen. Die kennen euch noch nicht, wissen aber, wann unser Chef Leute von eurer Art operiert. Die stehen wohl noch am Anfang und fragen, ob sie euch besuchen dürfen.“

Rene und ich sahen uns kurz an. „Klar, immer rein. Wir nehmen Bier und Gummibärchen!“

Er lachte und öffnete die Tür. „Habt ihr Bier und Gummiteddys dabei?“

Zwei Jungs steckten die Nasen zu uns herein. „Ne, aber Schokolade haben wir mit. Hi, wir sind Julius und Mats. Der Doc hat uns gesagt, dass er wieder im OP war. Er darf aber keine Namen nennen, wegen Arztgeheimnis und so. Deshalb müssen wir selbst anklopfen und fragen, ob wir euch sprechen dürfen. Mats will nächstes Jahr operiert werden, wenn die Krankenkasse mitspielt und ich hab’s grad durch. Mein Termin liegt schon im Oktober.“

Schöne Abwechslung.

„Immer rein in die gute Stube, oder Rene?“, sagte ich. Der grinste. „Nichts dagegen, mal was anderes.“

Die beiden holten sich Stühle und schauten sich interessiert um.

„Wir sind noch untenrum eingepackt, deshalb können wir euch nur etwas zeigen, wenn Herr Melcher kommt und uns trocken legt. Aber wir haben Fotos gemacht. Rene zeigte den beiden sein Handy. „Geil, das ist wahnsinnig. Die sehen super aus. Für mich absolut richtig in der Größe, nicht zu kurz und nicht zu lang. Seit wann seid ihr wieder auf dem Zimmer?“, fragte Julius.

„Du bleibst am OP Tag und noch einen weiteren auf Intensiv. Wenn du die Narkose bekommen hast, wachst du zwischendrin immer mal auf, weißt aber später von nichts. Ich hatte einmal kurz Schmerzen, es kam ein Arzt und spritzte mir etwas. Ihr werdet total verkabelt. Hier ist der Urinbeutel.“ Ich zeigte auf das Gestell an meinem Bett. „Schmerzen haben wir keine, allerdings haben wir jeder so eine Pumpe. Da werden reichliche Medikamente drin sein. Ich fühle mich irgendwie high. So bin ich sonst nicht. Die haben uns also mit Sicherheit unter Drogen gesetzt.“

Ich sah die beiden neugierig an. Sie waren älter als wir. Beiden fehlte allerdings noch der Bartwuchs. Julius sprach schon recht männlich. Die Stimme hörte sich gefestigt an. Er ahnte anscheinend, woran ich dachte.

„Ihr seid noch sehr jung, um die Achtzehn?“

Rene nickte. „Ihr nicht. Das sehe ich. Wir haben noch keinen Kontakt zu erwachsenen Transsexuellen gehabt. Doktor Reimers in Hamburg behandelt lediglich Kinder und Jugendliche. Ich war zwölf Jahre alt, als ich zu ihm kam. Rene vierzehn Jahre. Wir hatten im letzten Jahr ein Transkidtreffen, wo wir uns mit elf Leuten kennenlernten, zwei Jungs und neun Mädels. Der Doc meinte, wenn wir selbst erwachsen wären, könnten wir die Selbsthilfegruppe in Hamburg besuchen. Das wäre sicher interessant für uns“, erzählte ich.

„Ich bin schon fünfundzwanzig und Mats hier, sechsundzwanzig Jahre alt. Ihr habt es besser, weil ihr bereits als Kinder in der gewünschten Rolle auftreten durftet. Bei uns dauerte das Drama länger. Wir müssen uns jetzt die Brüste abnehmen lassen, was eine Operation mehr zu bewältigen bedeutet. Es ist schön, dass es die Frühbehandlung inzwischen gibt.“

Mats nickte. „Ich hab genau wie Julius viel zu spät damit angefangen, Hilfe zu suchen. Aber meine Eltern hörten mir nie zu. Nun bin ich endlich in Therapie und schreibe gerade die Anträge für die Gerichtsgutachten. In der Gruppe erfährt man alles, was man dazu wissen muss.“ Julius gab Rene ein Päckchen, welches mehrere Tafeln Schokolade enthielt. Rene brach gleich eine auf und bot jedem ein Stück an. Lecker, den Geschmack hatte ich vermisst. Ich sagte es den anderen und bedankte mich herzlich.

„Also, das sieht wirklich gut bei euch aus. Ich bin beruhigt. Das gibt Hoffnung. Den Penoidaufbau kriegen inzwischen immer mehr Ärzte in Deutschland hin. Nur die benötigen zu viele Einzelschritte. Wenn dann in einer OP irgendetwas schief läuft, wird dadurch alles weitere blockiert. Andererseits sind zehn Stunden Narkose natürlich eine lange Zeit, die der Körper verkraften muss. Deshalb lehnen die normalen Kliniken die Methode von Dupret ab. Aber für mich ist es besser Augen zu und durch. Danach werden die Pumpe und der Hoden eingebaut und es ist geschafft. Der medizinische Dienst hat mir gestern die Zusage geschickt. Ich hab vor Glück geheult und heute Morgen meinen Termin bei der Sekretärin vom Doc endgültig festgelegt. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass er gerade zwei Operationen hinter sich hatte“, erzählte Julius und sah sehr optimistisch dabei aus. Mats meinte, dass er sich erst die Brust abnehmen lassen wollte. Er sei zu gut bestückt. In der Zwischenzeit hat der Doc noch mehr Erfahrungen gesammelt und das sei wichtig für den Verlauf und das Ergebnis. Wir konnten ihm nur zustimmen. Die Komplikationsrate war bei Dr. Dupret ausgesprochen gering. Deshalb gaben die gesetzlichen Krankenkassen auch gerne ihr ok. Mehrere Einzeleingriffe kosten zusammengenommen letzten Endes auch sehr viel und man muss den Arbeitsausfall bei den Patienten bedenken. Zudem ist der Doc ein Arzt, der nicht nur durch seine Erfahrung glänzt, sondern mit seiner menschlichen Art Vertrauen aufbaut. „Der Doc ist ein lustiger Typ. Ich möchte nicht wissen, was die im OP alles besprechen. Er spielt gut Golf und erzählt jedem, wie hoch sein Handicap ist, hat uns Herr Melcher berichtet.“ Ich gluckste. Aber ich hatte tatsächlich keine Angst vor dem Eingriff gehabt. Das klang alles so selbstsicher, was uns der Doc erzählte und seine Fotos sahen toll aus. „Es scheint, als ob bei uns alles planmäßig läuft. Irgendwann müssen wir im Stehen pinkeln. Darauf freue ich mich schon wie früher auf den Weihnachtsmann“, meinte ich.

Julius nahm sein Handy und bat um unsere Nummern. Rene sprach über die Zeit bei Herrn Reimers.

„Wir mussten einige Jahre warten. Bei Kindern wird nur die Pubertät unterdrückt. Die Testosteronbehandlung und die OP sollen erst kurz vor oder nach der Volljährigkeit vorgenommen werden. Die Hormone haben wir schon mit Siebzehn bekommen. Du hörst dich nach dem Stimmbruch gut an“, sagte er zu Julius.

„Ja, ich bin ganz stolz. Das klappt nicht bei allen. Vor allem, wenn man nur das Gel nimmt, kann es ziemlich lange dauern. Ich wollte erst die drei Spritzen haben und nach der zweiten fing es schon an. Jetzt reicht mir das Gel. Meine Hormonwerte sind gut. Wie ist das bei dir, Mats? Wolltest du nicht auf Spritze umsteigen?“ Mats, der noch sehr jugendlich wirkte, nickte. „Ich hab grad die zweite Spritze bekommen und hoffe, dass sich die Stimme etwas schneller verändert. Mit dem Gel habe ich gar keine Wirkung erzielt. Mein Endokrinologe sagt, das ist unterschiedlich. Jeder reagiert anders, aber man kann nach Bedarf wechseln.“

Nach einer halben Stunde verabschiedeten sich die beiden. Wir beschlossen in Kontakt zu bleiben. Freunde kann man nie genug haben!

Die nächsten Tage wurden nicht langweilig. Mellis OP war gut verlaufen. Sie freute sich sehr und hatte wie wir, Herrn Reimers schon angerufen. Wir telefonierten ausgiebig mit ihr und wünschten ihr Glück mit Conny. Ihn neckten wir mit der Aussicht ein biederer braver Ehemann zu werden. Warum sollte es ihm besser ergehen als uns? Ihm gefiel es, mit einem Mädchen zusammen zu sein. Er war anscheinend bisexuell und kam nach Kurt. Es war eine schöne Erfahrung. Irgendwie toll. Man hat viel mehr Möglichkeiten in der Partnerwahl, wenn man sich für beide Geschlechter öffnen kann. Die Heteros wissen gar nicht, was ihnen entgeht.

Nach und nach wurden unsere Geräte entfernt, bis der Urinkatheder übrig blieb. Wir hatten zwischendurch noch einmal Besuch von der Selbsthilfegruppe Berlin bekommen. Die beiden Jungs waren bereits sichtlich erwachsen und schon lange durch. Sie erklärten uns, dass wir am Anfang das Pinkeln erst lernen müssten. Der Beckenboden muss trainiert werden. Die Tipps hörten sich nützlich an. Jeder Mensch reagierte verschieden auf die transsexuelle Problematik und musste seinen eigenen Weg mit dem Umgang damit finden. Sie fragten uns nach unserer Krankenkasse. Ich erzählte von meinem Vater und unserem Anwalt. Transsexuelle erleben sich eigentlich nicht als krank und doch muss man für die Kostenübernahme eine Art Krankheit draus machen. Krankenkassen, das erklärt bereits der Name, zahlen die Kosten, um eine Krankheit zu heilen. Da passt es nicht, wenn man erklärt, transsexuell und körperlich gesund zu sein, aber Geld für eine Operation zu fordern, bei der dem gesunden Körper gesunde Organe entnommen werden. Ich empfand mich während meiner Kinderzeit als Missgeburt. Ich war anders als die anderen Kinder. Von der Warte aus muss man den Zustand als regelwidrig ansehen. Und je länger jemand gezwungen ist, im falschen Geschlecht leben zu müssen, umso mehr psychische Schäden stellen sich ein. Die zwei sahen das genauso und verabschiedeten sich mit den besten Wünschen für uns.

Mein derzeitiges Problem war allerdings die lange Bettruhe. Ich stellte mir vor, wie ich wohl drauf sein würde, wenn ich aufstehen durfte. Meine Muskulatur hatte sich viel zu schnell zurückgebildet. Am Ende der Bettwoche kam der große Augenblick. Herr Melcher zog mir mit einem Ruck den Katheder aus der Blase. Ich sollte trinken und bemühte mich redlich, zwei Flaschen Mineralwasser leer zu bekommen. Irgendwann musste ich und klingelte. Wir durften auf keinen Fall allein aufstehen, hatte er gesagt.

Rene blickte mich erwartungsvoll an. „Viel Glück“, meinte er und hatte da wohl an sich selbst gedacht.

Herr Melcher erschien und führte mich vorsichtig zur Toilette. Mein Kreislauf meldete sich wie auf Kommando. Oh, wurde mir schwindelig. Sicherheitshalber aufs Klo setzen. Der Anfang war fies. Es stach und pikste in der Blase. Erst kamen nur ein paar Tropfen. Ich blieb eine halbe Stunde sitzen, bis der Strahl endlich ins Becken lief. Uff, das war vollbracht. Bedauernd sah ich zu Rene, als Herr Melcher mich wieder ins Bett führte. Er hing mir eine Urinflasche dran. Morgen soll Rene aufs Klo, erklärte er. Ich versuchte Rene Mut zu machen. Aber er hatte sich schon selbst ausgemalt, dass es nicht einfach wird, weil ich nicht wiederkam. Sein Misstrauen erwies sich als berechtigt. Das Desaster geschah am späten Vormittag. Renes Katheder wurde herausgezogen. Das tat nicht weh. Herr Melcher war sehr geübt darin. Rene saß danach aufm Klo. Und er saß und saß. Völlig verzweifelt rief er nach Herrn Melcher. Der drehte ihm den Wasserhahn auf, aber nichts half. Am Schluss musste er unverrichteter Dinge wieder ins Bett zurück. Unser Assistenzarzt verschwand und kam nach fünf Minuten mit einem Stapel Wäsche zurück. Ehe Rene protestieren konnte, lag er in eine dicke Windel eingepackt.

„Einfach vergessen, nicht dran denken. Irgendwann wird der Druck zu groß und es läuft von allein“, sagte Herr Melcher. Rene schluckte und machte einen traurigen Eindruck.

„Er braucht seinen Schnuller“, rief ich und flachste. Im nächsten Moment flog mir unsere neue Sportzeitschrift um die Ohren. Gut, auf die hatte ich schon gewartet. Ich grinste gemein. Baby Rene in Windeln, hihi.

„Wehe, du erzählst nur ein Sterbenswörtchen.“ Seine Stimme klang drohend.

„Daran dachte ich gar nicht. Eher an ein schönes Foto. Was meinst du, was Kerrin dazu sagt?“, rief ich munter aus. Ach, nein. Das war nicht witzig und Rene tat mir leid. Er trank weiter brav sein Mineralwasser. Ich spielte an meinem besten Stück, er blickte neidvoll drauf und drehte sich auf den Bauch. Plötzlich kletterte er aus dem Bett, hielt sich am Bettpfosten fest und machte in die Windel. Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Geschafft“, meinte er triumphierend. „Macht Spaß, ist ein irres Gefühl. Solltest du mal ausprobieren.“ Der Sarkasmus und etwas Häme waren nicht zu überhören.

Als Schwester Tanja kam, mit der wir uns inzwischen duzten und herrlich herum blödeln konnten, erzählte ich ihr, was Rene getan hatte und grinste. Sie sagte nichts, sondern half ihm zur Toilette und wickelte ihn aus. Nachdem sie seine Windeln entsorgt hatte, kam sie mit einem gefährlichen Lächeln an mein Bett, nahm die Urinflasche und leerte sie. Aber sie legte sie nicht wieder zurück. Stattdessen hob sie meine Bettdecke hoch, nahm eine dicke Windel vom Stapel und ehe ich protestieren konnte, war ich verklebt. Eine zweite kam darüber. Sie klatschte mir einmal mit der Hand auf den Schenkel, als ich mich wegdrehen wollte.

„Du wirst gehorchen. Die Nachtschwester gibt dir heute Abend deine Flasche wieder. Rene, du klingelst beim nächsten Mal, dann bringt dich einer von uns zur Toilette. Das hat ja gut geklappt. So, Baby Max, schön brav sein, oder ich sag’s der Mami.“

Rene holte sein Handy raus und fotografierte mich, als sie gegangen war. Er strahlte über beide Backen. „Ich werde dies als Pfand behalten und wenn du mich irgendwann ärgern solltest, weißt du, dass ich ein wunderhübsches Bild von dir habe und es Jenny schicken kann“, meinte er. „Was bist du fies! Das ist Erpressung!“ Es nutzte nichts. Ich überlegte, wie ich an sein Handy kommen konnte. In einen unbeobachteten Moment muss ich es nehmen und das Foto schnell löschen. Hauptsache er überspielt es nicht auf seinen Laptop. Das hatte ich nun von meiner Häme. Nicht auszudenken, wenn Jenny mich zu sehen bekam!

Mum rief an und wollte wissen, wie es mir geht. Ich sagte nichts von der Windel und blickte Rene warnend an. Er nahm das Handy und erzählte, die Schwester wollte uns erst Windeln umlegen, falls wir es nicht bis zur Toilette schafften. Aber wir konnten Entwarnung geben.

Mum lachte. Sie wollte keine Babys mehr, allenfalls Enkelkinder. Ich fand zu meiner alten Form zurück.

„Ach, Mum, wir brauchen etwas Spaß hier. Sonst wird es zu langweilig. Rene ärgert mich den ganzen Tag und er schnarcht so schrecklich!“ Prompt flog ein Handtuch an meine Backe. Rene ereiferte sich.

„Es ist umgekehrt, Mum. Wollen Sie nicht lieber mich als Sohn adoptieren und Max in ein Kinderheim stecken, am besten in ein Geschlossenes für schwer Erziehbare?“

Sie legte auf.

Am Dienstag überraschte uns Doktor Dupret mit der Aussicht auf Entlassung am Freitag. Das war herrlich. Endlich ging es wieder heim. Mich nervte das Krankenhaus inzwischen sehr. Die Freude war riesig und uns anzusehen. Wir begannen gleich alle Klamotten einzupacken.

Renes Mutter hatte sich freigenommen und kam am Donnerstag mit dem Auto angefahren. Sie schlief eine Nacht im nahegelegenen Hotel. Mum und sie hatten sich abgesprochen. Renes Mutter wollte unser bescheidenes Heim sehen und ein paar Tage bei uns Ferien machen. Auf einem Schloss zu wohnen war schon etwas ganz Besonderes, dass sie sich nicht entgehen lassen konnte. Ich ließ sie mit Rene diskret allein. Er konnte sich vor Küssen und Liebkosungen kaum retten und hätte lieber Kerrin dafür in Anspruch genommen. Aber seine Mutter war so froh, ihn gesund in den Armen halten zu dürfen, dass er sich widerwillig fügte.

Am späten Freitagnachmittag kam Wildenstein in Sichtweite. Renes Mutter staunte, genau wie alle anderen, die uns bisher besucht hatten. Rene und ich waren allerdings durch die Reise so müde und fertig, dass wir freiwillig schlafen gehen wollten. Rene bestand darauf, bei mir zu nächtigen. Wir warfen unsere Rucksäcke aufs Sofa. Wie ich mein Zimmer vermisst hatte!

„Ich muss dich doch weiter ärgern können, nebenan macht das keinen Spaß“, meinte Rene, als wir uns setzten. Sein Bett wurde gleich aus dem Gästezimmer zu mir rüber gebracht.

Am nächsten Tag kam Doktor Steiner aufs Schloss. Er wollte wie in den guten alten Zeiten einen Hausbesuch machen, meinte er und untersuchte uns gründlich. Die Verbände an unseren Armen wurden gewechselt und er gab uns den Rat, später eine Tennismanschette darum zu binden, damit die Wunde nach der Heilung geschützt blieb. Das Gehen fiel mir noch ziemlich schwer. Ich dachte, mein Unterleib würde auseinander brechen. „Das ist doch klar. Ein so großer Eingriff kann nicht im Nullkommanichts an dir vorübergehen. Jetzt ist Schonung für euch angesagt, meine Herren. Ich lasse euch noch einige Schmerztabletten da und wenn alles okay ist, sehen wir uns übermorgen bei mir unten in der Praxis zur Spritze und zum Verbandswechsel.“

„Und wann kann ich wieder Sport treiben und reiten?“, fragte ich.

„Oh je.“ Mein langjähriger Hausarzt seufzte laut auf. „Ich hatte dir doch gerade alles erklärt. Max, hast du Alzheimer? Du merkst doch selbst, wie du drauf bist. Frühestens in drei Monaten kannst du langsam mit dem Training anfangen.“

Ach, da bin ich gerade wieder fit, wenn die Pumpe eingesetzt wird und die Sache geht von vorne los. Ich sparte mir das Gejammer. Die Gesundheit ging vor.

Fortsetzung : München
 
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