Esthers Liebe

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„Und das ist wirklich passiert?" fragte Esther skeptisch. Jonas nickte. Im Schein des Lagerfeuers sahen seine Züge weich aus, doch sein Blick war traurig. Außer Esther bemerkte das allerdings niemand. Die Kinder, die rund um das Lagerfeuer saßen, hatten gespannt zugehört, als Jonas seine Gruselgeschichte erzählte. Jetzt schwiegen sie. Es war auch ein langer Tag im Ferienlager gewesen, voll mit sportlichen Aktivitäten, Volleyball und Schwimmen, bei denen sie sich ordentlich ausgetobt hatten.
Jonas stand auf und klatschte in die Hände. „Ab in die Falle mit euch!"

Später besprachen sie in der Küche den Plan für den morgigen Tag.
„Wir könnten zur Dikkie Creek- Höhle wandern", schlug Esther vor. Jonas antwortete nicht. „Wann kommt der dritte Betreuer endlich?" wollte er stattdessen wissen.
„Übermorgen."
„Erst? 20 Kinder zu beschäftigen, ist verdammt anstrengend für zwei Personen."
„Den einen Tag werden wir auch noch schaffen."
Sie schwiegen, bis Esther unvermittelt fragte: „Die Geschichte, die du eben erzählt hast...."
„Ist wirklich passiert. Sagte ich doch schon."
„Das muss schlimm gewesen sein. Eine Mutter geht zur Kirche und als sie zurück kommt, ist eines ihrer Zwillinge verschwunden.... Das andere Baby ist noch da und unversehrt, hat aber auf einmal ein Muttermal auf der Stirn, das vorher noch nicht da war." Esther griff gedankenverloren in die Schüssel mit Kirschen, die auf dem Tisch stand und fischte sich ein paar heraus. Sie hätte gerne gesagt, dass Jonas sich die Geschichte nur ausgedacht hatte, doch das traute sie sich nicht. Dazu war sein Gesichtsausdruck zu merkwürdig gewesen, als er die Geschichte am Lagerfeuer erzählt hatte.
„Eigentlich keine Geschichte für die Sommerferienfreizeit!" sagte sie lachend.
„Mir war danach. Und die Kids haben die Geschichte morgen sowieso wieder vergessen."
„Kann schon sein." Esther steckte sich eine Kirsche in den Mund. „Ist das Baby eigentlich je wieder aufgetaucht?"
„Nein. Weder tot noch lebendig."
„Aber man hat doch nach ihm gesucht?"
„Natürlich. Wochenlang. Es blieb spurlos verschwunden."
„Wenn keine Leiche gefunden wurde, könnte es heute doch noch leben? Wie alt wäre es jetzt?"
Jonas zögerte, ehe er auf die Frage eine Auskunft gab. „26 Jahre."
Sie schwiegen eine Weile, dann stand Esther auf. „Ich gehe jetzt auf mein Zimmer. Bis morgen, schlaf gut!"
„Du auch", sagte Jonas, schien aber mit seinen Gedanken weit weg zu sein.

Mitten in der Nacht wachte Esther auf. Sie hatte wirres Zeug geträumt. Sie und Jonas waren verheiratet und ihr Baby war verschwunden. Weinend war sie durch die Nacht geirrt und hatte nach ihm gesucht.
Gerade, als sie glaubte, es gehört zu haben, war sie aufgewacht.
Esther wickelte die Bettdecke fester um sich, obwohl die Sommernacht warm war.
„Bist du in den Jonas verknallt?" hatte gestern eines der Kinder auf dem Rückweg vom Schwimmbad gefragt. Zum Glück führte Jonas die Kinder an der Spitze an; sie selbst bildete das Schlusslicht. So konnte Jonas die Frage der 12-jährigen Emily nicht gehört haben.
„Nein!" hatte Esther entschieden gesagt und als Emily nachbohren wollte, hatte sie sie schnell abgelenkt. Aber sie hatte sich gefragt, ob ihre Gefühle wirklich so offensichtlich waren oder ob das nur die übliche nervige Fragerei eines Mädchens kurz vor der Pubertät war. Auf alle Fälle hatte sie beschlossen, Jonas niemals ihre Zuneigung zu gestehen. Es gab keine Anzeichen, dass er sich etwas aus ihr machte und Esther wollte sich von ihm keinen Korb holen.
Mit diesem Gedanken schlief sie wieder ein.

Am nächsten Morgen war Jonas vor ihr in der Küche.
„So früh schon auf?" fragte Esther verwundert. In den letzten Tagen war sie immer die erste gewesen.
„Ich habe nicht besonders gut geschlafen", sagte Jonas. Esther sah ihn an. Er sah in der Tat nicht sehr munter aus. Sein Gesicht war blass, und auch sonst ließ sein Anblick eher zu wünschen übrig. Sein lockiges Haar war am Pony viel zu lang und fiel ihm fast in die Augen. Er trug einen Pferdeschwanz, etwas, was Esther bei Männern normalerweise verabscheute. Ihr fiel auf, dass er dieselben Kleider wie gestern trug. War er überhaupt im Bett gewesen?
„Das mit der Höhle schenken wir uns", sagte Jonas in ihre Gedanken hinein. „Das ist mir zu gefährlich mit den Kids."
„Okay. Kann ich verstehen. Dann gehe ich mal alleine hin. Ich würde sie gerne sehen."
„Alleine? Kommt nicht in Frage. Wenn du unbedingt die Höhle sehen willst, komme ich mit."
Esther konnte nicht verhindern, dass ihr Herz zu pochen anfing. Jonas machte sich Sorgen um sie, war das nicht ein Zeichen, dass er sie mochte? Sie rief sich zur Ordnung.
„Das geht doch gar nicht. Wir können die Kids nicht alleine lassen."
„Dann gehen wir erst, wenn der dritte Betreuer da ist."
Esther nickte.

An diesem Tag machten sie mit den Kindern eine Wanderung und waren relativ früh zurück. Esther traf Jonas in der Küche.
„Du bist aber auch immer hier!" sagte sie lachend. „Schon wieder Hunger?"
Jonas ging auf ihre Neckerei nicht ein.
„Ich muss nochmal weg. Kann ich dich alleine lassen mit den Kindern?"
„Wenn es nicht zu lange dauert...."
Jonas schüttelte den Kopf.

Doch drei Stunden später war er immer noch nicht zurück. Wenigstens der Koch und die Küchenhilfe waren pünktlich. Esther nahm mit den Kindern alleine das Abendessen ein. Auf ihre Fragen, wo Jonas sei, antwortete sie, dass er etwas erledigen müsse und bald zurück sei. Damit gaben sie sich zufrieden.

Es wurde Nacht. Jonas war immer noch nicht zurück. Esther redete sich ein, dass er bald kommen müsse und nicht weit weg sein könnte. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.

Außer den Angestellten war am nächsten Morgen niemand in der Küche.
„Es hat jemand nach Ihnen gefragt", sagte die Küchenhilfe. „Er wartet draußen."
„Gottseidank", dachte Esther.
Doch draußen stand nicht Jonas. Ein junger Mann, etwa im selben Alter wie sie und Jonas, 25, 26 Jahre alt, den sie noch nie gesehen hatte, stand draußen.
„Ich bin der neue Betreuer", stellte er sich vor. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Aber ich musste an dieser Höhle vorbei fahren und kam nicht weiter. Da war ein Riesenauflauf. Krankenwagen, Polizei.... "
„Mein Gott!" Esther stürzte davon.
Vor der Höhle waren eine Menge Menschen versammelt.
„Hast du den gekannt?" drang aus dem Stimmengewirr zu ihr.
Sie kämpfte sich zu dem Krankenwagen vor. Ein Mann wurde gerade auf eine Bahre gehoben. Es war Jonas. Sie begriff es. Er war tot.
Und in diesem Moment blies der Wind. Jonas' Haare wirbelten hoch und sie sah zum ersten Mal das Muttermal auf seiner Stirn.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Liebe Silberne Delfine,

zunächst die gute Nachricht: Der Text ist flüssig zu lesen, schnörkellos, du hältst dich nicht (wie ich häufig) mit unnötigen
Details auf. Durch die Hinweise am Anfang bleibt man auch am Text dran, will erfahren, wie es weitergeht.

Aber: Der erste Minuspunkt entsteht bei mir an dieser Stelle:

„Das muss schlimm gewesen sein. Eine Mutter geht zur Kirche und als sie zurück kommt, ist eines ihrer Zwillinge verschwunden.... Das andere Baby ist noch da und unversehrt, hat aber auf einmal ein Muttermal auf der Stirn, das vorher noch nicht da war."

Warum fasst Esther die eben von Jonas erzählte Geschichte nochmal zusammen, nachdem Jonas sie doch gerade erst erzählt hat? Es kann nur einen Grund geben: Esther wird als Vehikel benutzt, um dem Leser die Geschichte zu erläutern. Ich empfinde das als ungeschickt, gar als plump. Eine Alternative könnte doch sein, dass eines der Kinder einen Alptraum hat und Esther es beruhigen muss, im Sinne von: "Das ist nur eine Geschichte. Die Zwillinge hat es nie gegeben." Es wäre eine subtilere Art, die Informationen an den Mann zu bringen.

Auch empfand ich die Geschichte als vorhersehbar. Dass Jonas eins der Zwillingskinder war, ahnte ich schon. Und dass sie das Muttermal zuvor nicht bemerkt haben will, kann ich mir auch kaum vorstellen.

LG,

CPMan
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Hinweis zu Auslassungszeichen. Die drei Punkte, Ellipse genannt, werden nur dann ohne Leerzeichen verwendet, wenn sie Auslassungen innerhalb eines Wortes kennzechnen sollen. Ansonsten wird ein Leerzeichen vor die Ellipse gesetzt.
Es gibt auch ein eigenes Zeichen dafür: … es beansprucht nur eine, statt drei Stellen.
Elfenwe…
oder so …
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber CPMan,

danke für deinen Kommentar und dein Interesse und für das Kompliment am Anfang.

. Warum fasst Esther die eben von Jonas erzählte Geschichte nochmal zusammen, nachdem Jonas sie doch gerade erst erzählt hat? Es kann nur einen Grund geben: Esther wird als Vehikel benutzt, um dem Leser die Geschichte zu erläutern. Ich empfinde das als ungeschickt, gar als plump.
Und ich dachte wahrhaftig, das wäre mal eine gute Idee, das so zu machen ;) war wohl nix, hier muss ich dir recht geben.

. Auch empfand ich die Geschichte als vorhersehbar. Dass Jonas eins der Zwillingskinder war, ahnte ich schon. Und dass sie das Muttermal zuvor nicht bemerkt haben will, kann ich mir auch kaum vorstellen.
Hm..... Das Ganze ist eigentlich eine Halloween-Geschichte, ich konnte sie aber zum richtigen Zeitpunkt wegen der Umstellung der Leselupe nicht einstellen. (Es existiert noch ein zweiter Teil.) Allerdings habe ich mich deswegen ("ist ja Halloween und muss nicht sehr glaubwürdig sein") , muss ich zugeben, nicht besonders angestrengt, etwas Glaubwürdigeres als die Sache mit dem nicht bemerkten Muttermal zu finden.

LG SilberneDelfine
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Frau Delfine!
(Ich hoffe, ich darf dich so ansprechen.)

Die Probleme im Text hat CPMan schon angesprochen, ich sehe es genauso, aber mal ganz allgemein:
Wenn ich mir anschaue, wie du noch vor zwei Jahren geschrieben hast und wie du heute schreibst, da gibt es schon riesige Unterschiede, da bist du wirklich auf einem guten Weg.
In Zukunft solltest du dich noch etwas mehr anstrengen, was den Plot betrifft.

Gruß,

Thomas
 
Hallo ThomasQu,

bei dem Kompliment werde ich ja glatt rot vor Freude! :) Ich habe, seitdem ich hier angefangen habe einzustellen, mich sehr viel mit der Technik des Schreibens beschäftigt. Und ich habe auch nicht vergessen, wie du dir einmal die Mühe gemacht hast, in einer meiner Geschichten farblich unterlegt zu zeigen, was alles überflüssig ist. Das war sozusagen der Knackpunkt, da habe ich dir viel zu verdanken.
Und natürlich darfst du mich mit Frau Delfine ansprechen, ich bin ja weiblich - jetzt kann man das ja sogar im Profil vermerken.

Ich werde natürlich versuchen, mich weiter zu verbessern. Vielen Dank für deinen Kommentar!

LG SilberneDelfine
 



 
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