Europa

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

sufnus

Mitglied
Europa

für W. Putin und seine westlichen Unterstützer

Die Tage weiten sich zum Lethe-See,
an seinen Ufern leben träge Tiere.
Soso, le jour de gloire est arrivé?
Ein Grenzmann prüft behördlich die Papiere.

Des Sermons kurzer Sinn: Wir sind die Guten,
finanzkuriert von alter Barbarei.
Zwei Völker, die am Dneprstrand verbluten?
Hotel Europa. Grad kein Zimmer frei.



----

Hab beim Blättern in meinen Lyrikunterlagen gerade Obiges gefunden, das im ersten Monat der Hauptphase (also ab 02/22) des Russisch-Ukrainischen Krieges geschrieben wurde. Einige Aspekte würde ich heute ergänzen, anderes kann m. E. weiter so stehen bleiben.
Ich stelle es aber bewusst nicht ins Lupanum, weil es mir weniger um inhaltliche Diskussionen zum Krieg geht, sondern mehr darum geht zu überlegen, was ein politisches Gedicht leisten kann und was nicht. Eine komplexe politische (oder soziale oder eben hier (auch) militärische) Gemengelage kann nach meiner festen Überzeugung durch ein Gedicht nicht "aufgedröselt" werden. Selbst die humanitären Fragen, die mit einem Krieg einhergehen, sind für ein Gedicht m. E. deutlich eine Nummer zu groß. Ich bin nach wie vor bei der Frage, was ein Gedicht auf sozialer Ebene "leisten" (???) kann etwas ratlos.... (was nicht heißt, dass ich a-politischer Lyrik das Wort reden will!).
 

surrusus

Mitglied
was ein Gedicht auf sozialer Ebene "leisten" (???)
Lieber @sufnus

ich glaube, wenn es Werke gibt, die mich besonders angezogen haben, dann waren es „Die schweigenden Apfelblüten“ von Arno Schmidt sowie die inneren Dialoge (LI-LD) und Reflexionen in „Verbrechen“ von R. Othmann. Es sind die persönlichen Herangehensweisen, sich dem Thema entweder zu nähern oder es zu verarbeiten, die mich faszinieren - und das, ohne dabei wortwörtlich Partei zu ergreifen (vielleicht Partei im Zusammenhang "pro-menschlich") oder zu politisch zu werden.

Andererseits finde ich es sehr schwierig, Literatur über Politik angemessen zu gestalten, da sie gut recherchiert sein will. Insbesondere in Bezug auf Russland wird dies noch komplizierter, da dessen Entwicklungsgeschichte äußerst komplex und verschachtelt ist - von den Wikingern, Warägern und Kiewer Rus bis hin zu den Mongolenkonflikten etc. Zudem sind die Einflüsse Putins teilweise schwer zu deuten. Man muss tief graben und sich mit Persönlichkeiten wie Iwan Iljin, Alexander Geljewitsch Dugin, Lermontow, Tolstoi, Dumas und Jessenin auseinandersetzen und sich als Dichter dann davon auch distanzieren können.
Ich glaube, ein Lyriker, der das nicht tun würde, der sollte keine politischen Gedichte schreiben. (Warum sollte es beispielsweise Putin jucken, wenn die Nato vor der Grenze rumgammelt, wenn er 6000 Atombomben hat). Für mich ist der langwierige Ukraine-Krieg reines Kalkül Putins. Aber egal! Darum geht es nicht.

In der Malerei beispielsweise existieren sehr radikale Übergriffe auf Politik, wie einst Martin Schwarze, der dann ernsthafte Probleme mit dem Staatsschutz bekam.

Wovon ich aber überzeugt bin, ist, dass ein politisches Gedicht nicht hetzen oder radikalisieren sollte.
Alles andere aber: Green flag.
Das Gedicht finde ich toll! Vor allem den Polyglottismus.
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Hey!
Vielen Dank, Surru, für die Sterne, vor allem aber die Ausführungen. :)
Bei dem Arno Schmidt-Werk musste ich erst stutzen, weil es mir so gar nichts sagte und ich eigentlich gedacht hätte, dass mir ein Lyrikband von Arno "Zettels Traum" Schmidt nicht hätte entgangen sein sollen... dann habe ich im zweiten Anlauf erst gemerkt, dass es hier ein Namensvetter ist. Den kenne ich tatsächlich noch nicht - ist hiermit auf der Vorgemerktliste! :)
Naja und Ronya Othmann ist natürlich eine meiner wichtigen lyrischen Hausnummern. Seltsamerweise - obwohl sie ja unbedingt gesellschaftlich-politisch engagiert und pointiert schreibt - nehme ich sie gar nicht sooo in erster Linie als "politisch" dichtend war. Muss ich mal genauer drüber nachdenken. :)
Deinen letzter Punkt, dass ein politisches Gedicht nicht hetzen oder radikalisieren soll, finde ich einerseits human und auch irgendwie sehr schön... dennoch war mein erster Reflex, dass ich das bereits als zu einengend für die Lyrik einstufen würde. Andererseits: Zwar sind einige Gedichte in meinem privaten Lieblingsgedichtekanon anderer Autor*innen unzweifelhaft überspitzend und kontrovers diskutabel, aber wirklich "hetzende" oder "radikalisierende" Lyrik, die ich in meinem Fundus fremder Federn mit mir herumtrage, fällt mir dann ad hoc doch nicht ein. Also gehe ich da wohl mit.
Einen Sonderpunkt würde ich nur bei Schmählyrik machen, die halte ich für eine ehrwürdige Gattung, die m. E. durchaus ihre Berechtigung haben kann, wenn sie "gut gemacht" ist. Wobei diese spezielle Gattung, wie ich finde, in der Regel erst zu wirklicher Literatur wird (werden kann), wenn ihr Anlass längst so weit zurückliegt, dass die Texte der Zeitgebundenheit entrückt sind.
LG!
S.
 

surrusus

Mitglied
Lieber @sufnus,

Den kenne ich tatsächlich noch nicht - ist hiermit auf der Vorgemerktliste! :)
Ich werde dann in meinem Bücherbestand nachsehen, sofern du auf Darstellungen in Form von Grafiken oder Gemälden verzichten kannst. Ich kann dir dann die entsprechenden Werke zukommen lassen. Es handelt sich dabei um "Kriegspoesie", die, meiner Ansicht nach, deutlich politische Untertöne aufweist.

Bezüglich Frau Othmann: Du hast völlig recht, es handelt sich nicht um politische Gedichte im engeren Sinne, oder etwa doch? Die Lyrik löste in mir eine tiefgreifende Neugierde bezüglich der türkischen und syrischen Politiklandschaft aus. Obgleich die Themen Krieg, Verfolgung, Vertreibung und der Verlust der Heimat behandelt werden (Ihre Familie), sind diese Aspekte für mich untrennbar mit politischen Fragen verbunden. Hierin liegt die Macht: Sie weckten in mir das Verlangen, mich weiterzubilden und eine eigene Meinung zu formen, ohne dabei irgendeine Richtung vorzugeben.
Das wäre ein Punkt für mich, zu sagen, dass das ein politisches Gedicht unbedingt können muss. Andererseits frage ich mich, was die Konsequenz wäre, würde das lyrische Ich einen "radikaleren" Standpunkt unmissverständlich einnehmen? Darf das Lyrik? Meinst du das mit Schmählyrik?


bereits als zu einengend für die Lyrik einstufen
Das ist in der Tat eine interessante Überlegung! Welche Beschaffenheit müsste Literatur deiner Einschätzung nach aufweisen und welche Effekte sollte sie erzielen, um als hetzerisch oder radikalisierend betrachtet zu werden? Meine Nachfrage zielt keineswegs darauf ab, eine destruktive Debatte zu initiieren, sondern entspringt meiner aufrichtigen Neugier. In meiner Auffassung nimmt die "nationale Kultur" innerhalb jeglicher politischer Konstellation eine zentrale Position ein, wobei es zunächst nebensächlich erscheint, ob die Ausrichtung links, rechts, progressiv oder konservativ ist. (usw usf)

Mit Verlaub, um eventuell Eigenschaften für politische Lyrik zu finden, hier ein paar Überlegungen zur nationalen Kultur in Deutschland mit der Radikalisierung Richtung rechts (diese Argumente entspringen meinem Hirn, daher kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit):

Was bedeutet "nationale Kultur"?
Eine Ansammlung von Gewohnheiten oder deren Menge.

Was bedeuten andere Kulturen in Deutschland?
Eine Ansammlung von Gewohnheiten oder deren Menge, die im Schmelztiegel Deutschland multikulturelle Einflüsse bedeuten, die mitunter auch konträr zur nationalen Kultur sein können.

Schmelztiegel Deuschland bedeutet also Einzug neuer Gewohnheiten, ausgeübt durch die Mitglieder der einwandernden Kulturen.

Was bedeutet "rechts gerichtetes Denken"?
in Kürze zusammengefasst:
1. Autoritäre Regeln, nach denen Strukturen aufgebaut sind
2. Ordnung, die beibehalten bzw. konserviert werden soll
---> Haltung gegen Einzug neuer Gewohnheiten; dies ist das eigentliche Ziel, das Neonazis verfolgen (auch in maskierter Form als Parteien wie AfD, u.a.)

Wie kann dieses Ziel, die Verhinderung des Einzugs neuer kulturellen Gewohnheiten, erreicht werden?
Wesentlich durch populistische Argumentationen: Beispielsweise
die Betonung, dass
1. Ausländer Arbeitsplätze wegnehmen (Existenzargument)
2. Ausländer potentielle Terroristen sind (Angstargument)
3. Ausländer kriminell und gefährlich sind (Angst- und Existenzargument)
---> Dies sind alles populistische Argumente mit den Funktionen:

a) Unbehagen zu schaffen / Ängste zu schüren / Vorurteile zu bestärken
b) Feindbilder für Projektionen zu schaffen
c) ausländerfeindliche Stimmung zu schaffen, besonders in sozialen Brennpunkten und strukturell schwach entwickelten Regionen (im Osten, aber nicht nur)
d) neue Sympathisanten und Mitglieder zu rekrutieren

Besonders d) wird unterstützt dadurch, dass
- durch Parteien wie AfD Familientage und Ähnliches veranstaltet werden
- öffentliche Demonstrationen durchgeführt werden
- versucht wird, in die als Multiplikatoren wirkenden Medien zu gelangen
- geschichtliche Missstände, die nicht vernachlässigt wurden, werden für "Protest" ausgenutzt (DDR/Ostdeutschland)
- prägnante Gebäude als Treffs funktionalisiert werden
- durch eigene Propaganda in einschlägigen Medien Meinung gebildet und gefestigt wird
- im Shops (unter der Ladentheke) und im Internet (Social Media) einschlägiges Material verbreitet wird

Jetzt komme ich nochmal hier hin:

bereits als zu einengend für die Lyrik einstufen
Was müsste politische Lyrik bewirken, um diese obigen Punkte a) entweder zu bekräftigen oder b) sie zu schwächen oder beim Leser zu lenken?
Und generell: Was will politische Lyrik überhaupt? Sie will Politiesieren oder Anti-Politisieren oder neue liberalere und humanere Wege aufzeigen?

mit mir herumtrage, fällt mir dann ad hoc doch nicht ein.
Ich schaute in meinen Unterlagen mal nach und fand diese Namen, vor allem Akhmatova war ziemlich "scharf".

(Brecht?), Pablo Neruda, Yeats, Maya Angelou, Langston Hughes, Anna Akhmatova, Federico Garcia Lorca.
Jetzt wurde mein Post länger, verzeih, aber mich interessiert das Thema auch!

Vielleicht springen auch noch andere Mitglieder in die Runde mit ein, was mich freuen würde.

Dir ein schönes Wochenende!
 



 
Oben Unten