Eurydike

4,00 Stern(e) 1 Stimme

hermannknehr

Mitglied
Noch während er sich umsah wusste er,
dass sie nicht folgen würde hinter ihm,
die Todesschatten lagen allzu schwer
auf ihren Körper, welcher fast intim

gehalten wurde von dem jungen Mann,
der seine Arme schützend um sie legte,
als wollte er sie schonend dann und wann
aufmuntern, dass sie vorwärts sich bewegte.

Doch sie verharrte abwesend und fremd
mit einem leisen Lächeln im Gesicht,
und wandte sich, und ohne Blick auf ihn

ging sie den Weg zurück, wobei sie nicht
verzweifelt, sondern seltsam heiter schien
und schwerelos in ihrem Totenhemd.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Hermann,
ich möchte ein paar kleine Änderungen vorschlagen, die die Lesbarkeit und den Lesefluss erhöhen.

Noch während er sich umsah[blue],[/blue] wusste er, (Nebensatz, dann Hauptsatz, statt alles in einem Hauptsatz. Ich denke aber, es war ein Tippfehler.
dass sie nicht folgen würde hinter ihm,
die Todesschatten lagen allzu schwer
auf ihren Körper, welcher fast intim - auf ihrem Körper - oder soll es ein Neologismus sein, das "lagen" eine Bewegung zuschreibt? Das wäre eine mögliche Interpretation des Akkusativs.

----

Insgesamt ist es ein tragisches Gedicht, die Liebste - oder die Schwester oder Mutter oder Tochter, jdenfalls eine sehr Nahestehende, ist gestorben.

Aber im eigenen Inneren lebt sie noch, ist noch gegenwärtig.
 

hermannknehr

Mitglied
Noch während er sich umsah, wusste er,
dass sie nicht folgen würde hinter ihm,
die Todesschatten lagen allzu schwer
auf ihrem Körper, welcher fast intim

gehalten wurde von dem jungen Mann,
der seine Arme schützend um sie legte,
als wollte er sie schonend dann und wann
aufmuntern, dass sie vorwärts sich bewegte.

Doch sie verharrte abwesend und fremd
mit einem leisen Lächeln im Gesicht,
und wandte sich, und ohne Blick auf ihn

ging sie den Weg zurück, wobei sie nicht
verzweifelt, sondern seltsam heiter schien
und schwerelos in ihrem Totenhemd.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Bernd,
vielen Dank für Deinen Hinweis auf die zwei (peinlichen) Tippfehler. Ich habe sie inzwischen korrigiert. Das Gedicht sollte eigentlich die (missglückte) Rückholung Eurydikes aus der Unterwelt beschreiben. Hermes (der junge Mann) führt sie zur Oberwelt, Orpheus darf sich nicht umsehen, tut es aber doch und Eurydike geht zurück, ohne auf die Lebenden weiter zu achten. Ein klassisches Motiv, das auch in der Bibel aufgegriffen worden ist (Lots Weib). Die großen Dramen der Antike sind aber heute nicht mehr so gegenwärtig und von Interesse, was die geringen, bzw. fehlenden Wortmeldungen zu diesen Gedichten erklärt (siehe auch "Penthesilea").
LG
Hermann
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
An Orpheus hatte ich nicht gedacht, aber mit dieser Lesart verändert sich das Gedicht. Es hat hierdurch etwas Märchenhaftes und weit in die Geschichte reichendes.
 

James Blond

Mitglied
Die großen Dramen der Antike sind aber heute nicht mehr so gegenwärtig und von Interesse, was die geringen, bzw. fehlenden Wortmeldungen zu diesen Gedichten erklärt.
Oh, die griechische Mythologie ist nach wie vor ein gewaltiger Fundus, aus dem sich nicht nur die Filmindustrie nach Kräften bedient.
Allerdings steht dabei zumeist das Phantastische, Titanenhafte und Kriegerische im Vordergrund. Im "Unterweltdrama" von Orpheus und Eurydike geht es ja weniger um Untote, Kampf und Flucht aus der Unterwelt, sondern um die Magie des Gesanges, die Macht der Liebe, um Vertrauen und menschliche Schwäche.

Wahrscheinlich lässt sich mit solchen Streifen das heutige 12-Kanal-3D-Breitwand-Kino nicht mehr füllen, meine liebste Verfilmung des Stoffes war der bereits 1959 entstandene 'Orfeu Negro', der die Handlung in den Karneval von Rio de Janeiro verlegte und mit der wunderbaren brasilianischen Musik von Bonfá und Jobim bereichert wurde.

Dein Sonett greift die entscheidende Szene aus dem Mythos auf, als Orpheus sich auf dem Weg aus der Unterwelt verbotenerweise zur von Hermes geleiteten Eurydike umdreht und sie dadurch verliert. Bei Dir wird allerdings nicht der Zweifel als menschlichliche Schwäche zum Auslöser der Katastrophe, vielmehr wusste Dein Orpheus bereits um die Vergeblichkeit seiner Bemühungen.

Denn hier scheint der Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt, das geliebte Weib hat bereits die Bindung an die Lebenden verloren. Damit hat auch die menschliche Liebe keine Macht mehr über es, sein Glück leuchtet bereits von einer anderen Seite. Eine eindrucksvolle Szene, die mich zugleich an Schilderungen von Nahtoderlebnissen erinnert.

Mir gefällt Dein Sonett sehr gut, die Aufteilung der Szene auf Quartette und Terzette ist sehr gut gelungen, die Momentaufnahme gelingt sprachlich sehr gut durch die Beschränkung auf zwei Hauptsätze.

Mein einziger Kritikpunkt gilt dem "aufmuntern", das, üblicherweise auf der ersten Silbe betont, hier dem Metrum etwas zuwiderläuft und auch inhaltlich nicht so recht passen will, da es zumeist auf eine Stimmungsaufhellung zielt, hier jedoch als Bewegungsanreiz verstanden wird. Warum dann nicht "ermuntern"?

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
In der mittelenglischen Version "Sir Orfeo" hat es der König geschafft, Euridike zu retten.
Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Im Totenreich war Euridike eher heiter und schwerelos, so wie sie am Ende des Sonettes beschrieben wird.

Hierdurch wird mir der große Kontrast bewusst zwischen den allzuschweren Totenschatten und ihrem schwerelosen Dahingleiten ins Land der Märchen und des Todes.

In der griechischen Mythologie entschwindet sie wieder, wie im Gedicht. http://de.wikipedia.org/wiki/Orpheus
 

hermannknehr

Mitglied
Noch während er sich umsah, wusste er,
dass sie nicht folgen würde hinter ihm,
die Todesschatten lagen allzu schwer
auf ihrem Körper, welcher fast intim

gehalten wurde von dem jungen Mann,
der seine Arme schützend um sie legte,
als wollte er sie schonend dann und wann
ermuntern, dass sie vorwärts sich bewegte.

Doch sie verharrte abwesend und fremd
mit einem leisen Lächeln im Gesicht,
und wandte sich, und ohne Blick auf ihn

ging sie den Weg zurück, wobei sie nicht
verzweifelt, sondern seltsam heiter schien
und schwerelos in ihrem Totenhemd.
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Hermann,
ein gelungenes Sonett über eine klassische Szene der antiken Mythologie. Sicherlich kennst du auch Rilkes wunderbare Version "Orpheus.Eurydike.Hermes".

LG von
Herrn H.
 



 
Oben Unten