Ewald und Caligula

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Ironbiber

Foren-Redakteur
Ewald schlenderte zur nahegelegenen Bushaltestelle. Der Tag war kalt, der Schnee knöcheltief und der Wind eisig. Die Leute, die ihm entgegenkamen, vermummt, mit Wollmützen, dicken Winterjacken und Stiefeln geschützt, wechselten bei seinem Anblick die Straßenseite oder wandten ihren Blick beim Vorbeigehen angestrengt ab, blieben dann aber stehen und schauten ihm misstrauisch hinterher. Ewald grüßte freundlich jeden einzelnen, fand aber bei keinem eine Erwiderung.

Aber nicht etwa die unerhörte Angewohnheit, fremde Menschen auf der Straße zu grüßen, ließ sie lächeln und tuscheln, sondern die Tatsache, dass er eine kleine gelbe Spielzeugente mit Rädchen an einem dünnen Bindfaden hinter sich her zog.

Einen Sitzplatz auf dem Bänkchen der Bushaltestelle musste er sich auch nicht erst erkämpfen, denn die wartenden Mitreisenden standen bei seinem Erscheinen sofort auf und strebten mit versteinertem Blick weg von ihm, um die Lage der Dinge dann aus sicherer Distanz mustern und bewerten zu können. Ein älterer Herr zückte sofort sein Mobiltelefon und betätigte den Notruf.

Wenig später hielt ein Streifenwagen. Zwei Beamte stiegen aus und bauten sich vor Ewald auf.

„Na mein Freund, dürften wir mal Ihren Personalausweis sehen“.

Ewald zückte ein Dokument und gab es den freundlichen Beamten, die es eindringlich unter die Lupe nahmen, aber außer der Tatsache, dass es sich um Ewalds Kinderausweis handelte, nichts Illegales an ihm und dem Papier finden konnten.

„Wo möchten sie denn hin?“

„Ich habe einen Termin beim Tierarzt. Caligula hat Verstopfung“, antwortete Ewald, während er auf seine kleine gelbe Ente deutete.

„So So Verstopfung! Ja das muss natürlich dringend behandelt werden“, sagte einer der beiden Polizisten, während ein mitleidiges Lächeln über sein Gesicht huschte.
„Haben Sie auch irgendwelche Probleme? Sind Sie vieleicht bei einem Arzt in Behandlung?“, fragte er weiter und schritt dabei vor Ewald auf und ab, um ihn auch noch von beiden Seiten mustern zu können.

Ewald nahm Caligula hoch, säuberte ihn vom Schnee und Straßenschmutz und warf dem freundlichen Beamten ein gewinnendes Lächeln zu.

„Nein ich bin kerngesund. Ab und Zu mal einen Schupfen – nichts Ernstes! Naja, wenn Sie so wollen – letztes Jahr habe ich mir den Knöchel verstaucht. Ist aber von ganz alleine wieder heile geworden.“

„Wissen Sie was! Wir bringen Sie und Caligula zu Ihrem Doktor. Da können Sie sich beide gründlich checken lassen. Und Caligula bekommt sicher auch ein mildes Mittelchen, damit es wieder so richtig bei ihm flutscht.“

„Das wollen sie für uns beide tun?“, fragte Ewald mit strahlendem Gesicht, während er Caligula vorsichtig in seine wärmende Brusttasche schob.

„Aber klar doch. Wo wir helfen können, helfen wir auch. Nennen sie uns nur noch den Namen und die Adresse Ihres Onkel Doktors und ab geht’s ins warme Auto.“

Der ungleiche Tross aus zwei Beamten, einem Streifenwagen, Ewald und Caligula setzte sich in Richtung der nahen Kleinstadt in Bewegung. Dort angekommen parkten sie vor der angegebenen Adresse. Die freundlichen Beamten ließen es sich auch nicht nehmen, Ewald und Caligula bis an die Theke der psychotherapeutischen Praxis zu begeleiten.

Die freundliche Sprechstundenhilfe warf einen Blick auf das ungleiche Quartett und bestätigte den Beamten, dass Ewald und Caligula jetzt in besten Händen seien und dankte ihnen für die selbstlose Überführung der Ausreißer.

„Herr Doktor! Das war jetzt aber das letzte Mal! Eine Monatskarte für den Bus kostet nun wirklich nicht die Welt. Oder legen Sie sich doch endlich ein Auto zu. Diese Nummer mach ich nicht mehr länger mit! Und Caligula ist auch schon so abgewetzt, dass ich ihn bald ersetzen muss.“

Sie nahm Ewald das Entchen aus der Hand, warf es in die Kiste für die ganz Kleinen und entfernte sich verärgert.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Ironbiber,

sehr gut geschrieben! Aber allzu oft wird der Herr Dr. dieses Spielchen nicht machen können ...

Gruß Ciconia
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Merci vielmals ...

... für das Lob. Eng wird es für Ewald wohl erst, wenn einer der freundlichen Beamten mit einem Burnout - Syndrom in die Praxis kommt und im Wartezimmer Caligula in der Spielebox wiedererkennt.
Beste Grüße ... Ironbiber
 
U

USch

Gast
Hallo Ironbiber.
köstlich!!!!
Ein paar Kleinigkeiten

[red]wartenden Mitreisenden standen [/red] Ich würde nur [blue]Wartenden [/blue]schreiben, Mitreisende würde man wohl beim Busverkehr nicht sagen.

Ab und [blue]z[/blue][strike][red]Z[/red][/strike]u mal einen Schupfen – nichts Ernstes!

Theke der psychotherapeutischen Praxis zu beg[red][strike]e[/strike][/red]leiten.

LG Uwe
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Danke für die Anregungen

Hallo Uwe,

hast ja so recht und ich werde den Fehlerteufel umgehend bekämpfen.
Einen Fehler hast Du aber nicht bemerkt und ihn prompt mit übernommen: Der Schnupfen ist bei mir zum Schupfen mutiert.
Habe dabei bestimmt an die hier im Schwäbischen sehr beliebten Schupfnudeln gedacht.

Ich danke Dir. Gruss Ironbiber
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ewald schlenderte zur nahegelegenen Bushaltestelle. Der Tag war kalt, der Schnee knöcheltief und der Wind eisig. Die Leute, die ihm entgegenkamen, vermummt, mit Wollmützen, dicken Winterjacken und Stiefeln geschützt, wechselten bei seinem Anblick die Straßenseite oder wandten ihren Blick beim Vorbeigehen angestrengt ab, blieben dann aber stehen und schauten ihm misstrauisch hinterher. Ewald grüßte freundlich jeden einzelnen, fand aber bei keinem eine Erwiderung.

Aber nicht etwa die unerhörte Angewohnheit, fremde Menschen auf der Straße zu grüßen, ließ sie lächeln und tuscheln, sondern die Tatsache, dass er eine kleine gelbe Spielzeugente mit Rädchen an einem dünnen Bindfaden hinter sich her zog.

Einen Sitzplatz auf dem Bänkchen der Bushaltestelle musste er sich auch nicht erst erkämpfen, denn die Wartenden standen bei seinem Erscheinen sofort auf und strebten mit versteinertem Blick weg von ihm, um die Lage der Dinge dann aus sicherer Distanz mustern und bewerten zu können. Ein älterer Herr zückte sofort sein Mobiltelefon und betätigte den Notruf.

Wenig später hielt ein Streifenwagen. Zwei Beamte stiegen aus und bauten sich vor Ewald auf.

„Na mein Freund, dürften wir mal Ihren Personalausweis sehen“.

Ewald zückte ein Dokument und gab es den freundlichen Beamten, die es eindringlich unter die Lupe nahmen, aber außer der Tatsache, dass es sich um Ewalds Kinderausweis handelte, nichts Illegales an ihm und dem Papier finden konnten.

„Wo möchten sie denn hin?“

„Ich habe einen Termin beim Tierarzt. Caligula hat Verstopfung“, antwortete Ewald, während er auf seine kleine gelbe Ente deutete.

„So So Verstopfung! Ja das muss natürlich dringend behandelt werden“, sagte einer der beiden Polizisten, während ein mitleidiges Lächeln über sein Gesicht huschte.
„Haben Sie auch irgendwelche Probleme? Sind Sie vieleicht bei einem Arzt in Behandlung?“, fragte er weiter und schritt dabei vor Ewald auf und ab, um ihn auch noch von beiden Seiten mustern zu können.

Ewald nahm Caligula hoch, säuberte ihn vom Schnee und Straßenschmutz und warf dem freundlichen Beamten ein gewinnendes Lächeln zu.

„Nein ich bin kerngesund. Ab und zu mal einen Schnupfen – nichts Ernstes! Naja, wenn Sie so wollen – letztes Jahr habe ich mir den Knöchel verstaucht. Ist aber von ganz alleine wieder heile geworden.“

„Wissen Sie was! Wir bringen Sie und Caligula zu Ihrem Doktor. Da können Sie sich beide gründlich checken lassen. Und Caligula bekommt sicher auch ein mildes Mittelchen, damit es wieder so richtig bei ihm flutscht.“

„Das wollen sie für uns beide tun?“, fragte Ewald mit strahlendem Gesicht, während er Caligula vorsichtig in seine wärmende Brusttasche schob.

„Aber klar doch. Wo wir helfen können, helfen wir auch. Nennen sie uns nur noch den Namen und die Adresse Ihres Onkel Doktors und ab geht’s ins warme Auto.“

Der ungleiche Tross aus zwei Beamten, einem Streifenwagen, Ewald und Caligula setzte sich in Richtung der nahen Kleinstadt in Bewegung. Dort angekommen parkten sie vor der angegebenen Adresse. Die freundlichen Beamten ließen es sich auch nicht nehmen, Ewald und Caligula bis an die Theke der psychotherapeutischen Praxis zu begleiten.

Die freundliche Sprechstundenhilfe warf einen Blick auf das ungleiche Quartett und bestätigte den Beamten, dass Ewald und Caligula jetzt in besten Händen seien und dankte ihnen für die selbstlose Überführung der Ausreißer.

„Herr Doktor! Das war jetzt aber das letzte Mal! Eine Monatskarte für den Bus kostet nun wirklich nicht die Welt. Oder legen Sie sich doch endlich ein Auto zu. Diese Nummer mach ich nicht mehr länger mit! Und Caligula ist auch schon so abgewetzt, dass ich ihn bald ersetzen muss.“

Sie nahm Ewald das Entchen aus der Hand, warf es in die Kiste für die ganz Kleinen und entfernte sich verärgert.
 



 
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