Exil (Märchenwald)

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sufnus

Mitglied
Exil (Märchenwald)

Die Sonne wirft viel Schatten
auf unsre Morgenstund:
Dass wir selband' ermatten,
stellt sie uns herzgesund.

Mein Leib und Deine Sorgen,
die gehen uns nichts an.
Im Zwieglücksspiel verborgen
als tief im dunklen Tann

der Märchenwälder Lügen,
da stehen wir im Wort,
uns aus der Welt zu fügen
zum Siebenwünscheort.

So schließt bald unverdorben
des Märchens letzt' Gebot:
Sind sie denn nicht gestorben
so manchen kleinen Tod.
 

Marcson

Mitglied
Hi Sufnus,
ganz versteckt in diesem morgendlichen Schatten, den die Sonne wirft, habe ich nicht nur ein neues altes Wort gelernt (selbander), sondern auch zwei entdeckt, die am Ende den kleinen Tod sterben, auf dem Höhepunkt, um in unverdorbener Sprache zu bleiben. Schön auch, wie das dem "und wenn sie nicht gestorben sind" des Märchens etwas entgegengesetzt. Ich mag das (Liebes-)Spiel mit Worten sehr, das du hier in diesem Gedicht "treibst". :D
LG Marc
 

sufnus

Mitglied
Hi Marc! :)
Ja, da hab ich mir mal ein sprachlich gut abgehangenes Vokabular aus dem Depot hervorgekramt und eine etwas zwielichtige Morgenübung veranstaltet... die Schatten, die Herzgesundmimikry, das Glücksspiel und die Lügen geben zu gewisser Besorgnis Anlass, aber am Ende wird wohl alles gut, oder?
Merci für Deinen schönen Kommentar und
LG! :)
S.
 

Rachel

Mitglied
Lieber Sufnus! :) Ein zauberlichtes Gedicht mit realistischen Details. Es wird mit jedem Lesen gehaltvoller; liebevoll ausgearbeitet. Die Gegenüberstellungen sind interessant. Freude, du bist so ein Könner! War nur am Ende der zweiten Strophe eine Weile am Einschätzen, warum dieses "tief" nicht groß geschrieben ist.
Du wirst es wissen. LG
 

sufnus

Mitglied
Hey liebe Rachel,

Dein hohes Lob freut mich sehr! Dankeschön! :) Aber Du solltest mal meine ganzen Fehlschüsse sehen... dann würde sich das mit dem Könnerischen doch wieder ganz schön relativieren... ich sag Dir... schlimm!!! :)

Und Du liegst ganz richtig, dass mit der Zeile in der das "tief" vorkommt, irgendwas nicht so ganz stimmt.
Ich bin (absichtlich - behaupte ich jetzt ;) ) in dem Gedicht etwas an grammatische Grenzen gegangen. Dieses "als" in der Zeile ist ein Versuch in altertümlichem Reden und dabei gebrauche ich das Wort im Sinn von "so, als ob" (das ist aber glaube ich kein wirklich korrektes Original-Altdeutsch) und dann habe ich noch das Subjekt und das Verb dieses Nebensatzes einfach weggelassen ("grammatische Grenzen" ist also höflich formuliert ;) ).
Wenn man das in korrektes Deutsch übersetzen würde müsste es ungefähr so heißen:

[so] als [stünden wir] tief im dunklen Tann[enwald] der [...] Lügen [wie in] Märchenwälder[n]

Solche inhaltlich-syntaktischen (Über-)Dehnübungen benutze ich ab und zu ganz gerne. Und ein bisschen entschuldigend ob dieser Eskapade verweise ich dann ganz gerne auf die Jungs und Mädels aus den Profiligen - zum Beispiel gibt es von Gottfried Benn ein Gedicht "Welle der Nacht" (google-findbar), welches mit seiner reichlich zerfahrenen Grammatik die Leserschaft in glühende Bewunderer und kopfschüttelnde Verächter teilt. :)

Danke & liebe Grüße! :)

S.
 



 
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