Hey Ihr Lieben!
Vielen Dank für lobende, rückfragende und kritische Anmerkungen!
Zunächst gilt hier wie immer, dass die Stimme des Gedichts mit den Ansichten und Vorstellungen des Autors keineswegs gleichzusetzen ist.
Das ist ja eine Grundregel bei Gedichten (übrigens nicht nur bei Gedichten, sondern auch bei Prosa-Texten, nur hat da die Erzählstimme oft einen etwas weniger subjektiven, ich-heischenden Touch) und zugleich ein möglicher Ausgangspunkt für einen Generalverdacht gegen die Lyrik als eines etwas zwielichtigen Genres, bei dem sich Autor*innen die Meinungsäußerungen wie Masken aufsetzen, als wäre, was doch "der Wahrheitsfindung dienen soll", nur ein großer Karnevalsspaß.
Und der Karnevalsvergleich ist vielleicht so übel nicht (und das von mir als lyrikversessenem Faschingsverächter): Wenn man überhaupt eine tragende Rolle der Lyrik beim "Wahrheitsprozess" definieren wollte, so ist es vielleicht die (im besten Fall mäeutische) etwas hofnarrenhafte oder karnevaleske Funktion, scheinbar unhinterfragbare Autoritäten in der Hierarchie der "wahren Sätze" mehr oder weniger vorsichtig zu relativieren.
Insofern bietet das Exorzismusgedicht m. E. durchaus unterschiedliche Lesarten an. Man kann es als Kritik an wohlfeilen Beruhigungsgesten ebenso lesen wie als Pamphlet gegen metaphysische Heilsversprechen oder sogar als Infragestellung rationalistischer Denkgebäude. Meine Hoffnung wäre, dass sich das Gedicht dadurch erfolgreich zwischen alle Stühle setzt und Zeloten sämtlicher Farbschattierung ebenso frustriert wie den biedermeierlichen Statusquo-Adepten.
Ich würde es also nicht als wirklich "funktionierenden" Trostversuch lesen, liebe Maren, wobei Du die eher defekte Tröstungsgeste ja auch schon so konstatiert hast. Auch würde ich, lieber Hansz, hier nicht nur einen Exorzisten aus dem Geist (?) des dostojewskianischen Großinquisitors heraushören. Und vielleicht hast Du, liebe Ubertas, dementsprechend auch gerade die Mehrdeutigkeit der Zeilen als Einladung zum Erneutlesen verstanden. Wer in einem Text nach Ein-Eindeutigkeit sucht, könnte natürlich auch einfach nur frustriert werden, ohne dass irgendetwas dabei gewonnen wäre. Für eine(n) solche(n) Leser*in müssen natürlich unbedingt noch andere Gedichte bereitgehalten werden, die den mäeutischen Prozess nicht über das Aha-Erlebnis einer gedanklichen Sackgasse einläuten. Die lyrische Vielfalt ist ja zum Glück ungeheuer groß.
LG!
S.