Exorzismus

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seefeldmaren

Mitglied
Hallo sufnus,

ist das Gedicht ein Heilungsversuch? Wirft es die Frage auf, wie man mit eigenen Täuschungsversuchen selbstreflexiv umgeht und diese abschaltet?
Im Kern wirkt es beim ersten lesen durchaus resigniert, so, als läge man einer fast tröstlichen Illusion auf. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass die Mission zum Scheitern fast verurteilt ist.

Gerne gelesen!

Maren

PS: Ich finde es überdies technisch sehr toll!
 

mondnein

Mitglied
Beruhigungsversuche, der Geist wehe frei,
weit über dem Unrechtgedeihen:
Betrug,
es klingt, als hätte sich Dostojewskis "Großinquisitor" zu einem "Exorzisten" gesteigert. Bedenklich, denn der "Großinquisitor" (solange er nicht Umbridge heißt) hat Argumente, gut verständliche, nicht wirklich falsche, während der "Exorzist" nur Gewalt anwendet, ohne Beweise, ohne Prozesse, ohne Argumentation.

Wie kann man den Geist von Geistern befreien?
Geist befreit den Geist von Geistern, wer denn sonst könnte das tun. Geister sind nicht Geist.

grusz, hansz
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @sufnus,
die Illusion, wir wüchsen uns heil, wird heutzutage seit vorgestern bis übermorgen gern geteilt. Den Geistern im Geiste ein Gruß...
Fabelhaftes Gedicht. Niemand nehme mich in Fabelhaft;-)
Dein Gedicht bietet so viel mehr! Daher lese ich es gleich noch einmal:)
Lieben Gruß ubertas
 

sufnus

Mitglied
Hey Ihr Lieben!

Vielen Dank für lobende, rückfragende und kritische Anmerkungen!
Zunächst gilt hier wie immer, dass die Stimme des Gedichts mit den Ansichten und Vorstellungen des Autors keineswegs gleichzusetzen ist.

Das ist ja eine Grundregel bei Gedichten (übrigens nicht nur bei Gedichten, sondern auch bei Prosa-Texten, nur hat da die Erzählstimme oft einen etwas weniger subjektiven, ich-heischenden Touch) und zugleich ein möglicher Ausgangspunkt für einen Generalverdacht gegen die Lyrik als eines etwas zwielichtigen Genres, bei dem sich Autor*innen die Meinungsäußerungen wie Masken aufsetzen, als wäre, was doch "der Wahrheitsfindung dienen soll", nur ein großer Karnevalsspaß.

Und der Karnevalsvergleich ist vielleicht so übel nicht (und das von mir als lyrikversessenem Faschingsverächter): Wenn man überhaupt eine tragende Rolle der Lyrik beim "Wahrheitsprozess" definieren wollte, so ist es vielleicht die (im besten Fall mäeutische) etwas hofnarrenhafte oder karnevaleske Funktion, scheinbar unhinterfragbare Autoritäten in der Hierarchie der "wahren Sätze" mehr oder weniger vorsichtig zu relativieren.

Insofern bietet das Exorzismusgedicht m. E. durchaus unterschiedliche Lesarten an. Man kann es als Kritik an wohlfeilen Beruhigungsgesten ebenso lesen wie als Pamphlet gegen metaphysische Heilsversprechen oder sogar als Infragestellung rationalistischer Denkgebäude. Meine Hoffnung wäre, dass sich das Gedicht dadurch erfolgreich zwischen alle Stühle setzt und Zeloten sämtlicher Farbschattierung ebenso frustriert wie den biedermeierlichen Statusquo-Adepten.

Ich würde es also nicht als wirklich "funktionierenden" Trostversuch lesen, liebe Maren, wobei Du die eher defekte Tröstungsgeste ja auch schon so konstatiert hast. Auch würde ich, lieber Hansz, hier nicht nur einen Exorzisten aus dem Geist (?) des dostojewskianischen Großinquisitors heraushören. Und vielleicht hast Du, liebe Ubertas, dementsprechend auch gerade die Mehrdeutigkeit der Zeilen als Einladung zum Erneutlesen verstanden. Wer in einem Text nach Ein-Eindeutigkeit sucht, könnte natürlich auch einfach nur frustriert werden, ohne dass irgendetwas dabei gewonnen wäre. Für eine(n) solche(n) Leser*in müssen natürlich unbedingt noch andere Gedichte bereitgehalten werden, die den mäeutischen Prozess nicht über das Aha-Erlebnis einer gedanklichen Sackgasse einläuten. Die lyrische Vielfalt ist ja zum Glück ungeheuer groß. :)

LG!

S.
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus und in die Runde
Beim abendlich Zeitvertreib schaute ich mir vor wenigen Wochen gerade zu diesem Thema ein paar video-clips im Netz an. Über Dostojewski's Idiot, Schopenhauer und Nietzsche usw. Und im Grunde stets dieselbe 'message': Wir werden erzogen im Glauben, dass das Gute siegt. Also durch sich selbst. Die Realität des Lebens und der Geschichte belegt aber nichts davon. Das sogenannte Gute hat nur eine Chance, wenn es 'kämpft'. Wobei jeder solcher Kämpfe immer wieder Heils-Fanatiker auf den Plan ruft, welche nach ihrem Sieg die Köpfe aller Bösen rollen lassen. Ein Kreislauf, bei dem selten etwas wirklich Gutes bei herauskommt.

LG Tula
 

Winterling

Mitglied
Hallo Sufnus,

verzeih, weil ich erst so spät etwas zu deinen Zeilen sage. Schon mehrfach habe ich sie durchgelesen, und den Titel zum Inhalt abgewägt.
Es gefällt mir, weil es so mehrdeutig sein kann. Zunächst dachte ich ganz simpel an eine Austreibung ( wegen dem Titel ) doch so einfach macht du es dem Leser nicht.
Es ist der Gedanke vom Guten in der Welt, das sich behaupten will. Jedoch gibt es auch Schattenseiten, die manchmal im Lebens nicht gesehen werden ( sollen ).
Es ist ein Abwägen zwischen den Polaritäten des Seins. ....

Ein nachdenklich machendes Gedicht.

Sehr gerne gelesen von Winterling
 

sufnus

Mitglied
Hey Tula & Winterling!
Lieben Dank noch für Eure Kommentare! :)
Man könnte obige Zeilen sicher so lesen, dass es hier vor allem um die Frage geht, wie "das Gute" wohl in dieser Welt Bestand haben kann, ggf. verbunden mit der Kritik an einem Narrativ, dass sich das Gute quasi "automatisch" gegen das Böse behaupten kann.
Ich denke, dieser Interpretationsansatz könnte gerade in der aktuellen Weltlage naheliegend sein, ich persönlich würde es aber nicht nur auf diese Frage eingeengt sehen.
LG!
S.
 



 
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