Experiment

angela

Mitglied
Ein Land nach einem fürchterlichen Krieg wie ein Kuchen in Stücke geteilt und eines der Stücke aufgegeben, eine Grenzmauer gezogen.
Die Menschen dort eingesperrt und Regeln unterworfen, die nicht angezweifelt werden dürfen.
Todesstreifen, Mauertote, Staatssicherheit, Spitzeltätigkeit.
Nach dem Mauerfall grenzenlose Zuversicht auf ein besseres, glückliches Leben.
„Wir sind ein Volk!“
Ich sah in strahlende Gesichter voller Zuversicht, alles schien möglich.
Zwanzig Jahre später hoffen wir gemeinsam auf eine friedliche, erfüllte Zukunft. Nur gibt es Gewinner und Verlierer der 'Wende', blühende Landschaften und öde Steppen.
Freiheit und Selbstverantwortung forderten Eigenschaften, die zuvor aberzogen wurden. Erinnerungen verändern sich, werden passend gemacht.
„Nicht alles war schlecht!“
Wir verstehen einander nicht.
Es ist, als redeten wir in verschiedenen Sprachen, obwohl die Worte gleich sind. Ich verstehe die Frustration, aber nicht die daraus folgenden Reaktionen. Das Experiment macht mir Angst.
 

jon

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Teammitglied
Zwei inhaltliche Sachen:

Ich weiß nicht, welches Experiment du meinst.

"Erinnerungen werden passend gemacht" = "Nicht alles war schlecht!" ist eine der heimtückischen Untergabungen, die mich aufragen. Das erste stimmt für einige und schmeckt ungut, wie es immer ungut schmeckt, wenn Tatsachen verbogen werden. Dadruch bekommt das zweite den gleichen unguten Geschmack, aber "Nicht alles war schlecht" stimmt auch ohne Tatsachenverbiegung. Ob der Preis für dieses "nicht schlechte" gerechtfertigt war, ist eine andere Frage. Und auch, ob dieses "nicht alles war schlecht" als Grund für "Ich wollt, es wär noch so" reicht, ist eine andere Frage.


Im übrigen stört mich schon "eines der Stücke aufgegeben" – wenn überhaupt, dann eher "geopfert".
 

angela

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Hallo Jon,
ich denke 'aufgegeben', weil es die übrigen Besatzungsmächte gewesen wären, die das Einverleiben in den Ostblock hätten verhindern können. Allerdings zu welchem Preis? Wir hätten sie 'geopfert', aber uns hat niemand gefragt.
Die Bezeichnung Experiment ist eine Art Verfremdung, nach dem Motto: Stell dir vor, jemand nimmt eine Anzahl vorher relativ ähnlicher Versuchstiere und gibt ihnen verschiedene Lebensbedingungen, was kommt da raus?
Das Gleichheitszeichen habe ich nicht in meinem Text, vielleicht liest man es heraus.
Das der Text schlicht schlecht ist, mag sein :), bin im Moment etwas neben der Spur, wollte aber dennoch was schreiben.
LG
angela
 

jon

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Teammitglied
Ach nö, "schlicht schlecht" is'er nicht, ich mag nur das Gleichheitszeichen nicht, das man meiner Meinung nach zwangsläufig liest. Wie wäre es ohne "Nicht alles war schlecht"? Das müsste fast noch besser funktionieren, weil es ohnehin eine durch exessiven Gebrauch in Misskredit gebrachte Formulierung ist.

"Experiment" beinhaltet, dass es abgebrochen werden kann (theoretisch jedenfalls) und es einen quasi unabhängigen Beobachter gibt, der dies entscheidet. Zudem ist Experiment von vornherein als solches angelegt. Aus diesen Gründen glaube ich, dass dieses Wort weder auf die heutige noch die damalige Situation passt ...
 

FrankK

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Hallo Angela

Leider muss ich Ulrike zustimmen.
Das "Experiment" findet nirgends einen Ankerpunkt, nirgends einen Bezug.
Der Satz "Nicht alles war schlecht." mag zwar so stimmen, ist aber vielfach in einem anderen Kontext verwendet worden, der keinen Bezug zum Mauerfall, sondern eher zu einer anderen, unrühmlichen deutschen Epoche herstellt.
Einfach streichen, Dein Text kommt auch ohne aus.

Schlecht ist Dein Text allerdings nicht, nur noch nicht ganz rund.

Ich habe eine verrückte Idee.

Nach
"Wir sind ein Volk"
vielleicht noch eine Zeile einfügen:
"Es wächst zusammen, was zusammengehört."
(Im Kontext ebenfalls oft verwendet)

Den Schluss abändern. Ein Winziges Wort dürfte reichen:

"Zusammenwachsen - Das Experiment macht mir Angst."

In dieser Form würde folgendes geschehen:
"Zusammenwachsen" spannt den Bogen über die 20 Jahre zum Mauerfall und das Experiment findet seinen Aufhänger

Viele Liebe Grüße
Frank
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Angela,

wie wäre es, wenn du deinen Inhalt tatsächlich als (misslungenes?) Experiment darstelltest, also als etwas Fiktives, matrixmäßig? :)

Dann käme richtig Pep hinein ...

Schöne Grüße
Heidrun
 

angela

Mitglied
Habe das 'Experiment' etwas verändert und unter einem neuen Titel, 'Zusammenwachsen', neu eingestellt.
Ein Land nach einem fürchterlichen Krieg wie ein Kuchen in Stücke geteilt und eines der Stücke aufgegeben, eine Grenzmauer gezogen.
Die Menschen dort eingesperrt und Regeln unterworfen, die nicht angezweifelt werden dürfen.
Todesstreifen, Mauertote, Staatssicherheit, Spitzeltätigkeit.
Nach dem Mauerfall grenzenlose Zuversicht auf ein besseres, glückliches Leben.
„Wir sind ein Volk!“
Ich sah in strahlende Gesichter voller Zuversicht, alles schien möglich.
Zwanzig Jahre später hoffen wir gemeinsam auf eine friedliche, erfüllte Zukunft. Nur gibt es Gewinner und Verlierer der 'Wende', blühende Landschaften und öde Steppen.
Freiheit und Selbstverantwortung forderten Eigenschaften, die zuvor aberzogen wurden. Erinnerungen verändern sich, werden passend gemacht.
„Nicht alles war schlecht!“
Wir verstehen einander nicht.
Es ist, als redeten wir in verschiedenen Sprachen, obwohl die Worte gleich sind. Ich verstehe die Frustration, aber nicht die daraus folgenden Reaktionen. Das Experiment macht mir Angst.
 

angela

Mitglied
Hallo,
ich habe den Text bearbeitet und unter einem neuen Titel eingestellt (Zusammenwachsen).
Zumindest das Gleichzeichen ist weg und das Experiment wurde ebenfalls gestrichen.
Danke für eure hilfreichen Kommentare. Muss sagen, es ist ein schwieriges Thema für mich. Geht sicher nicht nur mir so.
Liebe Grüße
angela
 



 
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