Experten

4,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Klaus K.

Mitglied
“16.500!” - “17.000!” - “17.500!” - Bill Bullard zögerte. Der neue Wagen für seine Frau war die Alternative. Aber er mußte dieses Bild haben. “18.000!” Der Auktionator hatte bereits den kleinen Hammer gehoben. Was war mit den beiden anderen Interessenten? “18.000 - zum Ersten ... zum Zweiten………kein Gebot mehr … und zum Dritten!” Der Hammer fiel auf die dämpfende Unterlage, das Bild gehörte ihm.

“So, Mrs. Galwick, diese Wand müssen wir noch frei machen. Mein Mann hat irgendetwas von einem ganz besonderen Bild erzählt, für das er einen exponierten Platz braucht!” Mrs. Bullard begann jetzt, zwei kleinere gerahmte Bilder von der weissen Holzwand abzuhängen. “Die Nägel lassen wir drin - vielleicht braucht er sie, und außerdem kann er sie ja selbst herausziehen. Schauen Sie nur, wie das aussieht!” Der teilweise schwarze, teilweise gelblich-braune Rand kam deutlich zum Vorschein, als sie die Bilder abnahm. “Ihr Mann ist Pfeifenraucher, Mrs. Bullard. Meiner raucht Zigarren, das ist fast noch schlimmer. Der Tabakqualm setzt sich immer ab, und gerade auf so einer weissen Holzwand.”

“Ich hab’ da was Neues, aus der Werbung, damit bekommen wir sein Atelier schon wieder hin. Hier, biologisch abbaubar, steht da drauf. Mal sehen…” Sie sprühte einen leichten Film auf den Rand der verschmutzten Fläche und wischte sofort mit einem Tuch nach. “Toll - blitzsauber, sehen Sie? In fünf Minuten haben wir die ganze Wand wie neu, da kann er dann seinen Traum aufhängen. Bin mal gespannt, was er da anschleppt, er wollte nichts verraten…”

Bill Bullard kam nach Hause. Vorsichtig nahm er das in eine Decke verpackte Bild aus dem Wagen. “Barbara! Ruf’ sofort Helen und Freddy an, sie sollen heute Nachmittag kommen! Unbedingt, es gibt etwas ganz Besonderes! So etwas habt ihr noch nicht gesehen!” Er nahm sein Bild aus dem Wagen und stellte es sofort ins Wohnzimmer. “Die Decke nicht abnehmen! Ihr werdet Augen machen…!”

Zwei Stunden später trafen die Freunde ein, Freddy Fergusson war Galerist, man kannte sich seit Jahren. Mrs. Galwick servierte den Tee, und dann begann Bill Bullard: “Also, schön, dass ihr so schnell kommen konntet. Ich habe heute Morgen den Fang meines Lebens gemacht. Hier, bitte…” Er stand auf, nahm das 1,20 mal 1,50 Meter große Bild und zog vorsichtig die Decke ab. Dann hielt er es hoch, so daß alle es sehen konnten.

“Na, was sagt ihr dazu?”

“Sieht aus wie ein Vasarely!” meinte Freddy sofort.

“Genau, ein echter Victor Vasarely! Öl auf Leinwand und signiert!”

“Aber was ist das denn da unten rechts?” fragte Helen.

“Der Fleck ist rote Ölfarbe, ja, der ist auch echt! Ein Teil ist auf dem Bild, ein Teil auf dem Rahmen. Aber das macht nichts, im Gegenteil, das macht dieses Unikat noch wertvoller. Und jetzt die Geschichte dazu: Victor Vasarely, der Begründer der “op-art”, also der optischen Kunst, hatte dieses Bild in Paris gemalt. Dann gab es einen Streit mit seiner Tochter Michelle, die wutentbrannt einen Topf mit roter Farbe nach ihm warf. Er wich aus, und so kam die Farbe rechts unten auf das Bild und den Rahmen. Zum Glück ist das eigentliche Motiv dabei nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen worden, nur der blaue Würfel hat eine Kleinigkeit mit abbekommen…”

Das Bild zeigte einen großen grünen Würfel, dreidimensional gemalt, bei dem rechts oben eine quadratische Ecke fehlte. In diese Ecke würde exakt ein kleinerer Würfel passen, und zwei davon befanden sich frei im Raum schwebend rechts davon, einer blau und der andere rot. Allerdings war sofort erkennbar, dass keiner der beiden die vorhandene Lücke ausfüllen konnte, der eine war eindeutig viel zu groß, der andere erheblich zu klein.- “Op-Art“.

“Was hast du dafür bezahlt?” wollte Freddy wissen.

“Am Ende waren wir nur noch zu dritt, zwei andere Bieter und ich. Bei 18.000 hatte ich es dann! Das ist für einen echten Vasarely doch ein Witz, oder?”

“An und für sich schon, die werden leicht mit mindestens 300.000 gehandelt. Lass’ mal sehen…”

Freddy Fergusson betrachtete das Bild genau, nahm es ihm dazu ab und stellte es auf ein kleines Sofa.

“Einen Titel hat es nicht?” fragte er dann.

“Nein - Vasarely hielt es nach der Farb-Attacke für unverkäuflich.”

“Nun, zuerst einmal - wo hast du es her?” fragte Freddy weiter.

“Aus einer Haushaltsauflösungs-Auktion. Da ist hier in der Nähe ein ungarischer Adliger verstorben, der alleinstehend war. Der Rest seiner Familie lebt in Mexico und hat dann den Auktionator mit der Versteigerung beauftragt. Der Termin wurde in der Zeitung angekündigt, und ich habe mir vorher eine Liste mit allen Objekten kommen lassen. Moment … ” Er griff in die Innentasche seines Jacketts und hielt dann ein aus mehreren Seiten bestehendes gefaltetes Papier in der Hand. “Bild, Öl auf Leinwand, ohne Titel, laut beigefügter Expertise und Signatur von Victor Vasarely, deutlich erkennbares farbliches Manko rechts unten.”

“Und wo hast du die Geschichte mit der Tochter her?” fragte jetzt seine Frau.

“Aus der Expertise, mein Schatz! Hier… ” Aus der anderen Innentasche seines Jacketts förderte er jetzt ein weiteres zusammengefaltetes Papier zutage. Triumphierend las er vor: “Professor Földesy, Institut für zeitgenössische Kunst, Budapest 1992. Da steht alles drin, auch, dass Vasarely sein Werk nach dem Öl-Unfall für unverkäuflich hielt. Wie es dann in den Besitz des ungarischen Adligen hier bei uns gekommen ist, wer weiß? Die Expertise ist übrigens in ungarischer Sprache verfasst, aber hier ist die notariell beglaubigte Übersetzung…”

“Darf ich mal sehen?” Freddy bekam das Papier überreicht.

“Ich will ja nichts sagen, aber dieses Institut in Budapest, dieser Professor Földesy…ich habe davon - respektive von ihm - noch nie etwas gehört, aber das heißt ja nun wirklich nichts, wenn das einem Galeristen, der sich hauptsächlich mit maritimer Malerei des 20. Jahrhunderts beschäftigt, unbekannt ist. Es lässt sich auf jeden Fall überprüfen, Bill. Wenn es das Institut und diesen Professor gibt oder auch nur gab, scheint alles in Ordnung zu sein.”

“Auf jeden Fall hat sich mein neuer Wagen jetzt von mir verabschiedet!” meinte Barbara Bullard trocken.

“Nicht, wenn das Bild wirklich echt ist, Barbara! Dann ist das Bild ein Vielfaches mehr wert, als Bill dafür bezahlt hat. Wie gesagt, wenn es echt ist. Diese op-art lässt sich heute im Zeitalter der Computer sehr leicht fälschen, aber vor fünfzig Jahren, da war ein Vasarely revolutionär in der Idee und der Ausführung! Und er hat teilweise verblüffende optische Täuschungen in seine Werke integriert. Im reiferen Alter - er lebte von 1908 bis 1997 - hat er dann auch viele Entwürfe von seinen - nennen wir sie Studenten - anfertigen lassen. Und er hat überwiegend auf Karton und starkem Papier gemalt, auf Leinwand eher weniger.”

Freddy ging jetzt um das Bild herum auf die Rückseite des kleinen Sofas. “So, mal sehen…. Moment, was ist das?” Er hatte das Bild angehoben und betrachtete die Rückseite. “Habt ihr mal eine Lupe?”

“Mrs. Galwick, seien Sie doch bitte so nett, auf meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer liegt ein Vergrösserungsglas!”

Die angeforderte Lesehilfe wurde schnell gebracht.

“Hier! Das gibt es doch nicht! Kommt her und seht selbst!” Freddy Fergusson hatte das Bild wieder abgestellt und die Rückseite dabei so gedreht, dass Licht darauf fallen konnte. Er hielt die Lupe über die grobe Leinwand.

“Patates 1999 Juan Cervanto” konnte man relativ deutlich entziffern, alles in Versalien aufgedruckt.

“Was heißt das?” fragte Helen.

“Was das heißt? Diese grobe Leinwand ist ein ehemaliger Kartoffelsack! Ein Kartoffelsack, den man auseinandergeschnitten und einmal durch die Waschmaschine gejagt hat, um ihn dann als Leinwand zu benutzen. Auf die Vorderseite wurde eine Grundierung aufgebracht, auf der dann das Bild gemalt werden konnte! Aber Vasarely hat wohl zeitlebens seine Bilder niemals auf einem Kartoffelsack gemalt. Unabhängig davon war er 1999 schon zwei Jahre tot! Bill, du bist übers Ohr gehauen worden!”

Alle waren sprachlos.

“Mein schöner neuer Wagen…!”

“Ist ja gut, Barbara! Ist ja gut…. was kann man jetzt machen, Freddy? Ich will mein Geld zurück, schließlich bin ich betrogen worden!”

“Wird schwierig werden, chancenlos, würde ich sagen. Dem Auktionator kannst du nichts vorwerfen, er hat das Objekt ja nur angekündigt und korrekt beschrieben. Und du hattest ausreichend Zeit, dir das Bild und die Expertise vorher anzuschauen. Er hat es nur im Auftrag versteigert, mehr nicht. Die Familie des Verstorbenen? In Mexico? Die streiten alles ab. Der Professor in Budapest? Den wird es jetzt wohl kaum geben, geschweige denn das Institut. Man hat dich nach Strich und Faden reingelegt, der Vasarely ist so, wie er ist, wertlos!”

“Aber doch nur wegen des verdammten Aufdrucks auf dem Kartoffelsack?”

“Ja, das ist eindeutig. Ansonsten könnte man ihn für echt halten, gerade auch mit der Hintergrundgeschichte von seiner Tochter, die erklärt, warum gerade dieses Werk von ihm noch nie irgendwie erwähnt wurde. Raffiniert!”

“Also - ich könnte doch den Aufdruck entfernen?”

“Das ist aber dann Betrug, wenn du ihn entfernen würdest. Gut, er ist nur schwach und nur mit Hilfe einer Lupe richtig erkennbar. Übrigens liegt ja auch jetzt der Verdacht nahe, dass die beiden anderen Interessenten mit Sicherheit mit von der Partie waren und du bei einem Verkauf des Bildes von ihnen in eine Erpressungsgeschichte verwickelt wirst. Freddy, du hast keine Chance, solange der Aufdruck nicht verschwindet…vielleicht reduziert er sich ja irgendwie weiter von selbst, dann hast du Glück, denn niemand von uns hat ihn je gesehen, oder?”

Blankes Entsetzen. Man trennte sich, um die Sache zu überschlafen.-

Am nächsten Morgen betrat Mrs. Galwick das Atelier als Erste. Das Bild war an die Wand gelehnt worden, die Rückwand stach ihr ins Auge. Der arme Mr. Bullard, der schöne neue Wagen für seine Frau. Da stand der biologisch-abbaubare Reiniger in der Sprühflasche, und da war die Stelle mit dem Aufdruck, schwach erkennbar. Sie betätigte den Druckhebel und bestäubte die Fläche mit kleinen Tröpfchen. Dann nahm sie ein weiches Tuch und wischte vorsichtig darüber. Na also! Die Schrift war praktisch bereits verschwunden. Sie hatte alles gerettet, niemand konnte mehr etwas erkennen. So, noch einmal leicht nachsprühen, sicher ist sicher, und Mr. Bullards Problem war gelöst, es hatte nie einen Aufdruck gegeben. Phantastisch, das neumodische Zeug. Vorsichtig hob sie das Bild an, um die Rückseite zum Trocknen in das Sonnenlicht zu stellen. Die auf der Vorderseite langsam herabtropfenden Farbnasen hatte sie nicht bemerkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Klaus K.,
Du hast es offenbar nicht bemerkt, aber die Geschichte steht exakt zweimal da. Darum ist sie auch so lang. Das solltest Du noch korrigieren.
Ansonsten eine niedliche Geschichte, die deutlich macht, dass man alles, insbesondere so hochpreisige Dinge, immer sehr genau und ggfls. mit Hilfe eines Experten anschauen sollte. Da die Mitbewerber bei der Auktion dann aber so früh aufgehört haben, hätte Bill stutzig machen müssen, oder?
Ansonsten gibt es, denke ich, nichts auszusetzen.
Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 

Klaus K.

Mitglied
Absolut korrekt! Ich habe Glück, denn meine Schwester im Norden stellt die Texte für mich ein ("Klaus, the computerman...") - das ist ihr wohl versehentlich durchgerutscht, ich habe sie bereits informiert.
Ja, der Protagonist hätte stutzig werden können.....aber im Eifer des Gefechts, "haben wollen", der Adrenalinpegel.....auch ihm sei verziehen!
 
Hallo Klaus K.

gefällt mir gut, schön erzählte Geschichte. Allerdings wusste ich schon am Anfang, also ab hier:

Sie sprühte einen leichten Film auf den Rand der verschmutzten Fläche und wischte sofort mit einem Tuch nach. “Toll - blitzsauber, sehen Sie?
worauf der Schluss hinaus laufen würde. Bisschen vorhersehbar, aber trotzdem ein Lesevergnügen.

LG SilberneDelfine
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo und merci, SilberneDelfine - ärscherlisch, sehr ärscherlisch - des müsse mer ännern! Das sollte jetzt hessisch sein, ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt gerade so gemacht habe (Blick aus dem Fenster hier ins Hessenland, das war's wohl gewesen). -
Nun denn, das darf an und für sich nicht sein, du Spürnase! Kompliment, na, da muß ich wohl andere Seiten aufziehen! Auf jeden Fall: Danke für den netten Kommentar!
Warte ab, es wird teilweise noch gar fürchertlich (hoffentlich?).....
 



 
Oben Unten